Kürzlich. Projektarbeit in einem Kreiskrankenhaus in Südhessen, also einer der Läden, der potentiell Lauterbachs Reformplänen zum Opfer fallen könnte. Auf der roten Liste, irgendwie unwirtschaftlich, ein Dorn im Auge der großen Krankenhaus-Player, was weiß ich. Das Ding ist nicht klein, hat Stationen, Fachkliniken – wenn man mal mehr als nur Husten und Schnupfen erleidet, bietet dieses Krankenhaus eine begrenzte Möglichkeit zu Diagnose, Therapie und Heilung.
Es ist jetzt nicht Hintersttupfingen, wo ich beurflich hin musste, aber auch etwas weg vom Schuss mitten im Kreuzungsdelta zwischen Mainz, Wiesbaden und Darmstadt. Ein Kandidat, unnötig zu werden, weil man ja angeblich gut findet, sich selbst aufzulösen. Sagt zumindest DKB-Chef Gaß, der natürlich kein Mediziner ist, sondern in erster Linie Volkswirt. Irgendwo im Hinterstübchen wird – wie zu erwarten war – die kalte Wirtschaftslogik in den Vordergrund gestellt, und wir Bürger dürften uns wohl darauf einstellen, im Angesicht der drohenden Ausdünnung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung uns entweder um die besten Wohnungen nahe eines gesetzten Krankenhauses zu kloppen oder verzweifelt versuchen, alles Schädliche von uns fernzuhalten, um ja nicht davon abhängig zu werden.
Ich komme ins Denken über so etwas, weil ich das Gesundheitswesen allmählich immer häufiger in Anspruch nehmen muss. Ich hatte ja schon mal über mein Struma berichtet und wie man da hineingestochen hatte wie in einen Wasserballon. Punktion ist aber nur ein zeitweises Mittel, um im Hals für Entlastung zu sorgen, also werde ich wohl oder übel demnächst unter´s Messer müssen. Termin für die Indikation hatte ich schon Mitte Mai bekommen, aber erst für Mitte Juli. Dass sich heute schon darüber die Leute mokieren, erst in Monaten mal dranzukommen (egal, ob akut nötig oder nicht), dürfte noch mit solchen Zukunftsaussichten das kleinste Übel werden, wenn man mal zehn, fünfzehn Jahre weiterdenkt. Sie verkaufen das jetzt als effektiver, aber ich befürchte jetzt schon, dass das völlig daneben gehen wird.
Man weiß ja mittlerweile, von welchen Selektivexperten wir uns da reformieren lassen. Kein Aufschrei. Die einhellige Meinung ist das Schweigen und das typische Abwarten, was da kommen möge. Was bisher in anderen Bereichen da aufgekommen war, war lückenlos erfolglos. Das Werk von Stümperhaftigkeit und unredlichem Zweck, zumeist Geldgründe. Dagegen steht die prekäre Lage von Pflegekräften und dem allgemeinen Fachkräftemangel im Raum, was gerade im Gesundheitssektor üble Folgen für die Allgemeinheit bedeuten kann.
Nun will ich nicht in diesen „Sozialismus“-Kanon mit einsteigen, in dem der Staat mir nicht nur den Arm aus der Sonne legen soll, sondern mir am besten gleich alles abnimmt, zu dem ich keinen Bock hätte. Auch wieder mit dabei: das „Solidaritäts“-Geseier, das ich heute im Zusammenhang mit dieser linksliberalst-verföhnten Faultierklientel nur noch so verstehe, dass der Staat mal die Rolle der Eltern übernehmen soll, die sie bisher mit allem vollgestopft hatten, wenn man nur genügend quengelt. Die mit zwei linken Händen und Taschengeld nahe eines Ingenieurssalärs ausgestattet ein Freiwilliges Soziales Jahr Deluxe auf mehrere Jahre strecken konnten und sich selbst finden wollten. Bei denen sind die Finger nicht vom Ackern krumm, sondern lediglich vom Gamepad-Bedienen. Das ist kein Sozialismus, das ist reine Prokrastination.
Mit solchen Leuten ist wohl kein Fachkräftemangel zu beheben. Die, die sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen müssen – die tätigen Pflegekräfte, die Ärzteschaft, technisches Personal, haben derweil Sorgen und hissen zum Aktionstag „Alarmstufe Rot – Krankenhäuser in Not“ ein großes Banner am Haupteingang und stellen sich gemeinsam auf, ihrem Protest Reichweite zu verschaffen. Mit den Reformplänen im Hinterkopf, auch mit den lähmenden Coronajahren obendrauf, bricht sich gerade eine große Welle von Besorgnis und aufkommendem Frust Bahn, nachdem schon die Apotheken auf die Straße gingen und auch bei Lauterbach anklopften. Nach Zustimmung für die eigene Schließung sieht es demnach nicht aus.
Derweilen bezeuge ich on location den Tagesbetrieb. Man ist versucht, die Schichten so reibungsfrei wie möglich hinter sich zu bringen, doch immer mal wieder blitzen mitleidige, anklagende oder zynische Kommentare durch. Jeder pflegeintensive Patient bedeutet natürlich erhöhten Versorgungsaufwand, und dort ist die Stimmung natürlich weniger gut wie bei den minderschweren Fällen. Auch wenn ich selbst extrem schwitze durch die stehende Luft und das schwüle Wetter, nehme ich das Hindurchwuseln und Beobachten durchaus gerne an. Man kommt so zu Erste-Hand-Eindrücken im Klinikalltag.
Letztlich zeigen sich die Veränderungen auch im Verhalten von Patienten. Die üblichen Knochenbrüchen oder Blinddarm-OPs mal ausgenommen, sind die Alten und dauerhaft Gebrechlichen vor allem ein Gradmesser des gesellschaftlichen Zustands geworden. Mir sind gleich zwei Sonderfälle untergekommen, die man mindestens als verhaltensauffällig einordnen kann. Eine Person wollte sich unbedingt zu mir an den Tisch setzen, um mir offen ihr Leid zu klagen. Mir war das einfach unangenehm und auch offen gesagt etwas lästig, aber irgendwie verstehe ich auch das Bedürfnis, in heutigen Zeiten nach Jahren des Stillhaltens dann doch bei irgendwem den Seelenschutt abzuladen. Nur bin ich da, der selbst nicht so recht weiß, wo er abseits des eigenen Blogs den Müll verarbeiten soll, in dem Moment der Falsche. Ich war halt der Dumme, der gerade verfügbar war, und darauf wollte ich mich nicht reduzieren lassen.
Eine andere Person saß im Cafeteria-Bereich und bezeichnete mich einfach mal nach einer kurzen Begrüßungsfloskel als „bekloppt“. Ich war erst völlig verwirrt, dann kurz verärgert, aber nach fünf Minuten wusste ich, dass sie ein massives, psychisches Problem hatte. Sie redete ständig irgendwas von „Gott“ und „Liebe ist der Ausweg aus allem“, sprach dazwischen mit einer imaginären Person und sich selbst Sprüche zu. Etwas wie „Wenn ich Gott sehe, sehe ich nichts mehr.“ oder „Ich bin 46 und noch würzig.“ (sie war deutlich älter) - absurd-lustiger Kram, der meinen Ärger über die anfängliche Anklage verfliegen ließ.
Man weiß trotzdem nie wirklich, wie man auf solche Menschen reagieren soll. Man will sich nicht zu sehr von dem Gerede einnehmen lassen, verspürt aber auch ziemliches Mitleid, wenn etwa Vereinsamung oder widrige Lebensumstände im Alter zu solchen Auswüchsen führen. Ich denke mir oft, dass dies in dieser Häufung das Symptom der gesellschaftlichen Entwicklung beschreibt und dass man es nicht allzu sehr auf die leichte Schulter nehmen sollte. Und da ich mich selbst als belastet ansehe, treiben mich natürlich Sorgen um, wie es um mich in Zukunft bestellt wäre. Wer weiß, ob es nicht ein Segen ist, wenn das Gehirn in solchen Zuständen völlig dysfunktional geworden ist und man in dieser Realität seine alten Tage verbringt...
Nichtsdestotrotz:
Solche Eindrücke besorgen mich dann doch zutiefst, weil die gegangene Entwicklung, was die geistige und körperliche Gesundheit angeht, mit einem solch erkrankten System noch noch alles schlimmer machen kann. Man ist geneigt, jede Auffälligkeit bei sich selbst zu ignorieren, um ja nicht in diese Mühle zu geraten. Andererseits wäre es jetzt noch ein guter Zeitpunkt, alle Hebel in Bewegung zu setzen und einen Komplettcheck bei sich durchführen zu lassen, bevor das System völlig fertig ist. Danach sieht es bedenklich aus, und mein noch einigermaßen gesundes Bauchgefühl sagt mir, dass ich schleunigst etwas dagegen unternehmen sollte, bevor wir alle nur noch zum Arzt rennen können (oder gar dürfen?), wenn wir den Kopf unter den Armen oder völlig die Besinnung verloren haben.
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Juri Nello (Sonntag, 25 Juni 2023 09:39)
Laut der Wissenschaft verdoppelt sich das medizinische Wissen alle vier Jahre. Anhand von Corona hat man gut sehen können, wohin das dann führt.
Offensichtlich können nur die Wenigsten mit dem Wissen auch was anfangen und die lassen sich das fürstlich bezahlen.
Der Rest ist Grundschulmathematik.
Polemicer (Freitag, 30 Juni 2023 14:44)
@Juri Nello
Mit den richtigen Leuten und den passenden Rahmenbedingungen wäre das durchaus möglich. Aber wir wissen ja zur Genüge, wohin das geführt hat, wenn falscher Idealismus die Oberhand gewinnt.