Viel zur Ukraine, zumindest faktisch Verwertbares, habe ich bisher nicht geschrieben. Nach Corona hätten die öffentlichen Scharfmacher wahrscheinlich jedes Thema dermaßen aufblasen können, und sie hätten vielleicht sogar gewusst, dass sie mit der richtigen, durch die letzten zwei Jahre einstudierten, erkenntnisreichen Methoden, einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung für die eigenen Agenden gewinnen können. Egal, wie unlogisch etwas tatsächlich sein mag – ihnen kann man glatt alles verkaufen, wenn man es mit Goldrand verziert und Märchen erzählt.
Und wie bestellt funktionierte auch dieses Mal wieder die Verbreitung von Legenden und vor allem geschichtlichen Auslassungen, die von Anfang der 2000er bis 2014/15 reichen. Hätten sie es nicht verschwiegen, würde es nicht mehr in das Bild des zähnefletschenden Teufelswilderers passen, das sie aktuell von Putin zeichnen. Und hier, wie beim C-Thema, war es wichtig, das Schulwissen, die Allgemeinbildung durch Lautstärke und drängende Worte aus dem Bewusstsein zu tilgen, damit das Kriegsgeheul auch ja gehört und vollends übernommen wird.
Im Prinzip waren die Voraussetzungen seitens des Wertewestens schon längst gegeben – man wusste, dass die Transatlantiker zum Äußersten bereit waren. Damals wie heute. Verlage wie Springer und einschlägige Schachfiguren wie Norbert Röttgen oder, neu im Ensemble, Marie-Agnes Strack-Zimmermann - die durften im neuen Versuch der Eskalation wieder oder ganz frisch loslegen. Letztere übrigens agierte bisher gerne im Hintergrund. Solche Tiraden vernahm man 2014 noch fast ausschließlich von der konservativen Seite, doch scheinbar hat jetzt auch Grüne in ihrer Regierungsverantwortung ein „Realitätsschock“ ereilt, der ihnen die zweite Kriegsbeteiligung in zweimaliger Regierungsarbeit einbringt. Beachtliche Leistung für die sonst so traumtänzerischen Weltverbesserer, wie sie nun nach Marke Habeck mit Sprüchen wie „das muss man leider so hart sagen“ ihre eigenen Wachmomente dem Volk unterjubeln will. Sie schaffen sich und uns sogar eine eigene Realität, indem die künstliche Energiepreisverteuerung jetzt das bestätigt, was man vorher so forderte. Ja, man kann sogar die Hypothese aufstellen, dass der Krieg im Nachgang das Beste war, die Ressourcen teurer zu machen, dafür müsste die Partei Putin unendlich dankbar sein. Der Markt regelt das, und Putin ist der nützliche Idiot, der den Grünen die Spinnereien als Realität kredenzt.
Und dennoch irrlichtern die neuen Beliebtheitssternchen durch harte Fakten, in der Gas-Bezug nicht einfach so aufgekündigt werden kann und damit bis 2030 gar einen Doppelverdienst in die russische Staatskasse spülen würde. Aber wenigstens leiden dann wir hier in unserer schleimigen Moral und zahlen ordentlich drauf, weil Habeck halt so schulterzuckend dasteht und schon mal den Preisanstieg für Lebensmittel rhetorisch verlängert. Entweder, man macht den Picard mit Facepalm-Meme, oder man bekommt einen Kamm, bis die Halsschlagader platzt. Na ja, wäre auch ein Ausweg aus der Misere...
Apropos Hals.
Meine erste Behandlung des Struma (Kropf) ist durch. Das Ding wurde immer größer, und ich bekam allmählich auch Schluckbeschwerden in gewissen Kopfhaltungen. Nun hatte man mir die Wahl gelassen: Punktieren oder direkt OP. Ich versuchte erst mal Punktieren, also Nadel rein in den Ballon und Abzapfen. Da die Praxis nicht sehen konnte, was genau da drin war, war dies ein bisschen spannend – reine Flüssigkeit oder Blut, das sich vielleicht sogar zu einer „geleeartigen Konsistenz“ verdichtet haben könnte. Ich musste natürlich gleich ans Essen denken, Schwarze-Johannisbeer-Gelee.
Also gehe ich am Mittwoch in bester Oktoberfest-Stimmung zum Arzt. „Ozapft is!“, schien die junge Ärztin fast schon zu gut gelaunt ihrem Chefkollegen zuzurufen. Beide schienen tatsächlich ihren Spaß daran zu haben, wie sie sich anflöteten, während sie mir die dicke Nadel reinpflockte. Das Ende vom Lied war zwei Mal Nachstechen ohne Erfolg, der erste saugte jedoch gleich ordentlich was raus. Gutes Zeichen: es war kein verklebtes, verdicktes Blut, sondern schlicht Flüssigkeit, blassrot eingefärbt. Statt schwarzer Johannisbeer hatte ich den Hals voll Erdbeersaft. Sorry für´s Kopfkino.
Worauf ich mich bei Ärzten immer gut verlassen konnte, war deren Beschreibung der Behandlung für den Patienten. Von „ist nicht schlimm“ bis „das wird sehr schmerzhaft“ habe ich bisher immer das empfunden, was sie beschrieben. Dieses Mal sagten sie mir, dass es etwas unangenehm würde, und mal abgesehen vom Einstichschmerz und das Herumrühren im Hals war der Pumpvorgang und die merkliche Abnahme des Zystenvolumens ein befremdliches Gefühl – so etwas macht man ja nicht alle Nase lang.
Ende vom Lied: Das Ding ist jetzt wieder auf Stand 2020. Unweigerlich denke ich an die Toskana und den Campingplatz, wo ich am Frühstückstisch saß und mir den Schweiß vom Hals wischen wollte und plötzlich die Beule am Hals bemerkte. Es hatte mich eine gewisse Zeit gekostet, den Schock zu überwinden, und normalerweise renne ich immer gleich zum Onkel Doktor, wenn mir so etwas Ungewöhnliches auffällt. Das Nicht-Wissen macht mich in solchen Momenten oft kirre, vor allem wenn du da einen Fremdkörper unter der Haut spürst. Da kommt man nicht gleich darauf, einen Kropf zu vermuten, auch weil Schilddrüsenerkrankungen nichts sind, die man sofort einordnen kann oder spürt. Und dann sitzt du da in Bilderbuch-Italien herum, willst eigentlich zum Strand und machst dir noch unnötig Gedanken darüber. Wann der Bausen anfing zu wachsen? Kein Plan. An diesem Morgen unter Palmen, da hatte ich ihn einfach erfummelt.
Etliche Untersuchungen später erfuhr ich, dass ich diese riesige Zyste und einen „heißen Knoten“ am Hals habe und die Schilddrüse nur noch auf einer Seite funktioniert. Blutwerte normal, also so betrachtet keine Erklärung, der ich meine Launenhaftigkeit in die Schuhe schieben könnte. Schade.
Also ist doch die Gesellschaft schuld. Ich weiß, es ist einfach, alle anderen außer mich selbst für meine Unausgeglichenheit verantwortlich zu machen, allerdings muss ich mir nicht ausschließlich selbst den Schuh anziehen, wenn die da draußen in ihrem Borderline-Wahnsinn auf andere einwirken. Offen gestanden wäre es mir mal doch recht, wenn sie alle ihre Fassade ablegen würden und so drauf wären, wie sie sich online unverblümt äußern. Es gibt nur wenige, die das tun, und die nimmt man dann absurderweise auch nicht als angenehme Zeitgenossen wahr. Dass wir uns also ständig mit dieser Heuchelei befassen müssen, empfindet man wohl anstrengender als einen offenen Schlagabtausch. Doch scheinbar erhofft man sich noch ein wenig was von denen, die man eigentlich gar nicht leiden kann und ihnen auch noch ins Gesicht grinst. Die andere Methode ist dann die offene Verachtung, die man in schlecht gespielte Eloquenz versteckt.
Vieles verbinde ich oft mit Respektlosigkeit. Da ergaben sich mir gewisse Bausteine, und ein Vorgang war ein wenig bezeichnend. Erst mal nichts Verwerfliches – ein Kollege klaute mir in meiner kurzen Abwesenheit mein Handy und wollte mich damit ein bisschen ärgern. Rief mich danach an und frotzelte damit. Als ich es mir wieder holte, meinte er, dass ich doch ein unverständliches Vertrauen in die Menschen hätte. Na ja, so stimmt das jetzt nicht. Denn lag das Handy samt Ladekabel an einer Stelle, wo ich es vorher schon ein paar Male auflud, und niemandem in der Belegschaft des Kundenbetriebes ist das aufgefallen. Ich handele oft nach dem Prinzip, dass bei vielen der Leitspruch „aus den Augen, aus dem Sinn“ funktioniert: was sie nicht sehen, verleitet sie auch nicht zum Diebstahl. Funktioniert übrigens wohl auch vorzüglich bei den Medien - man vergisst schnell Menschen, die nicht jeden Tag erwähnt werden. Würde mein Handy nun offen auf einem Tisch liegen, würde seine Aussage sicherlich zutreffen – da hätte bestimmt jemand mal schnell zugegriffen. Aus dem Grund habe ich allerdings auch eine Finde-mein-Gerät-App drauf.
Ich bin da eben etwas subtiler in meinem Misstrauen anderen gegenüber. Doch bei manchen ist diese Subtilität gar nicht vonnöten, sind sie doch so überzeugt von sich und ihrer Sache, dass sie es nur vorantreiben statt sich zu bremsen. Und bezüglich des Krieges killt einseitige Moral den Respekt, wie es schon zu C-Zeiten oder dem nervigen Gezeter über Geschlechterkampf und Queerismus der Fall war. Nun allerdings mit anderen Akteuren im selben miesen Spiel. Und plötzlich sind Grüne und FDP die besten Buddys. Und das schockiert mich noch mehr als plötzlich aufkommende Beulen im Hals, die mit Erdbeersaft gefüllt sind.
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