...oder: Trollen für den Frieden
Dieser Text wird so manchem nicht gefallen. Ich weiß natürlich um die Ernsthaftigkeit und Relevanz für den Frieden einzutreten, und deswegen sah ich mich auch dazu ermutigt, mich nach längerer Zeit wieder in die Quadrate zu wagen. Auch meine Partnerin sah dazu Bedarf, und so tuckerten wir via Straba von zuhause aus bequem gen Zentrum. Auch spielte meine Laune vom Vortag eine Rolle, weil ich plötzlich eine ziemliche Downphase hatte, was außer privaten Gründen auch an dieser Miese-Nachrichten-Schwemme lag. Besonders wenn man etwa im Berliner Kurier eine Art ganzseitige Werbeanzeige auf der Titelseite für einen Crashkurs „Schießen und töten lernen in nur drei Wochen“ erblicken muss. Oder beim SWR einen Kuscheleinspieler für die Ostertage sendet, in dem ein Tübinger Bäcker/Konditor Osterhasen auf Panzer platziert. Spätestens dann wird es Zeit für ein bisschen öffentliche Haltungsbekundung.
Vorweg muss ich erwähnen, dass der Ostermarsch für sich betrachtet nichts war, was dem kriegsbesoffenen Mainstream ernsthaft etwas vor Augen geführt hätte. Sie werden folgend erfahren, warum. Sicher hat es damals, als wir beide uns aus der gesellschaftlichen Repressionskanonade heraus dazu genötigt sahen, Druck aus dem Kessel zu lassen und uns zweimal Spaziergängen anschlossen, etwas Luft verschafft. Auch dazu war es nötig gewesen, einfach mal öffentlich Kante zu zeigen, selbst wenn das sicher nicht vergleichbar mit offiziell genehmigten Ostermärschen mit entspannter Polizeibegleitung ist.
Ebenso war es sicher keine Idee, die ich so begeistert aufgriff, nämlich weil es dann wieder physische Berührungspunkte mit jenen gab, die mich damals vielleicht wüst beschimpft hätten. Ein paar Linke-Politiker und -Anhänger waren zugegen, etliche Gruppen und Vereine der sozialistischen Bannersprüche e.V., vielleicht gar ein paar Omas gegen Rechts oder denen Zugetane, die sich nicht über Fahnen, Sticker oder Anstecker zu erkennen gaben. Man konnte nur vermuten, aber bei manchen war es recht offensichtlich, welchem Lager sie zugehörig sein dürften. Ich meinte das an deren Haaren auszumachen, die sich nicht die Mühe machten, ihre Mähnen im hohen Alter zu färben, die setzten eher auf fifty shades of grey naturelle. Zum Glück standen auch ein paar Leute mit BSW-Pappen am Stiel dabei. Zum Thema Frieden fanden demnach zwei gespaltene Linke-Lager auf Kommunalebene wieder zusammen. Immerhin.

Abschlusskundgebung am alten Messplatz
Überhaupt war das Durchschnittsalter ziemlich hoch. Weniger junge Leute hatten sich darunter gemischt, und wenn, dann konnte man an ihren T-Shirts ablesen, dass ein paar Antifadas auch den Ostermarsch als ihren Straßenkampf betrachteten. Dazu später noch etwas. Zuerst aber ein paar Eindrücke über die Organisation, von der ich ein bisschen was erwartete. Wenn schon ein Bündnisverein für die Austragung dieses Marsches verantwortlich ist, hätte man durchaus etwas Professionalität erhofft. Nur zeigte sich gleich, dass die alte Meterfuffzigdame, die die Eröffnungsrede hielt, ordentlich einen dahinstotterte. Ihre abgelesene Rede – und die gerade mal Begrüßungsfloskeln und Ablaufbeschreibungen - war ein rhetorisches Stückwerk sondergleichen, immer wieder presste sie sich kurze Sätze heraus, dann kamen noch Probleme mit der Lautsprecheranlage dazu. Ziemlich anstrengend und ein bisschen peinlich.
Natürlich sind das keine Orgaprofis und gestandene Bühnenfiguren, das verlangte ich ja nicht. Aber haben andere Privatpersonen schon viel gelassener ihre Texte abgelesen, und deswegen war es eine Wohltat, als eine türkisch-stämmige Frau flüssiger und deutlicher über harte Fakten zu aktuellen Kriegen referierte. Ich musste schon ein wenig lachen, dass so „typisch Monnem“ halt die Türken etwas sendungs- und selbstbewusster den Biodeutschen den Rang abliefen. Gut, kann auch daran gelegen haben, dass die Frau vereinsorganisiert und als Linkenpolitikerin ausgewiesen wurde, die sind sicherlich in der öffentlichen Präsentation etwas besser aufgestellt und eventuell geschulter als Frau Meterfuffzig.
Danach wurde endlich marschiert. Von den Kapuzinerplanken ging es (das musste ich mir immer wieder vor Augen führen) durch ein medial verbranntes Trümmerfeld. Man lief nämlich durch die Planken, die Haupteinkaufsmeile von Mannheim – wo vor nicht allzu langer Zeit der Amokfahrer durchgebraust war. Dann Richtung Paradeplatz, von dort aus nach rechts in die Kurpfalzpassage, und auf der Strecke kommt man automatisch am Marktplatz vorbei, wo bekanntermaßen ein Messerstecher eine höllische Debatte über Migrantengewalt und verabscheuungswürdige Relativierungsversuche auslöste.

Ort der Messerattacke auf den Polizisten Rouven L. - man wird grüblerisch
Am Paradeplatz hatte man eine Bank mit Grablichtern und ein paar Blumen gesäumt. Gedenken an die Opfer des Amokfahrers. Man wird dadurch grüblerisch. Etwas kurios wurde es durch den daneben aufgestellten Glatzenschwarzen (oder Schwarzglatze), der vor einem Jesus-Spruch-Banner eine Predigt hielt. Keine Ahnung, aus welchen Anlässen heraus. Vielleicht nur, um uns irgendeine Erlösung zu versprechen, die nur er erkannt haben mag, die ihn selbst geläutert oder geheilt hätte. Verdammter Wohltäter? Egal, so religiös bin ich ja nüsch. Wenn´s ihm Seelentrost verspricht, kann er ja seine Predigt halten – meine Partnerin meinte dann scherzhaft: „Fehlt nur noch einer nebendran, der ein Pappschild „Das Ende ist nahe!“ hochhält.“. Ich grunze vergnügt.
Ein zweites Mal andächtig und grüblerisch wurde ich am Marktplatz-Denkmal, wo hinter dem es einfassenden Zauns noch zig Blumensträuße und Grablichter an den Polizistenmord erinnerten. Das hat jetzt im ersten Gedanken nichts mit dem Friedensanliegen zu tun, aber man könnte durchaus über drei, vier Ecken eine Verbindung herstellen. Kriege und heikle Konflikte von globaler Relevanz und Flüchtlingsbewegung plus Radikalisierung, da ist politischer Zündstoff und in den Entwicklungen bis heute viel Ursachenforschungsstoff drin. Und wir „Friedensschwurbler“ laufen daran vorbei, als wäre das eine Inselthematik, die mit uns nichts am Hut hätte. Ich denke: weit gefehlt. Da steckt mehr Verbindung dahinter als manche erkennen mögen.
Ich bin immer schnell dabei, dem Gedankenfaden turbomäßig entlang zu laufen. Wenn man so gemächlich marschiert, kommt das bei mir automatisch auf. Davon ablenken lasse ich mich durch meine Perspektive inmitten der Marschierenden und meinem Blick nach links und rechts. Viele standen mehr oder weniger Spalier und starrten interessiert in unsere Richtung. Manche zückten Handys und nahmen Videos auf. Wird vielleicht bald auf TikTok, Instagram (Insterburg??) und Co. hochgeladen und verbreitet. Vielleicht wohlwollend, vielleicht mit „Die Deppen! LOL! ROFL!“ als Kommentar unterlegt. Doch zu dummen Kommentaren oder Angriffen kam es vor Ort nicht. Nur Blicke und Handylinsen auf uns gerichtet.
Ein bisschen war ich auf Trollen gepolt. Der Spruch mit dem Pappschild meiner Partnerin stachelte mich geradezu dazu an, auch ein paar Trollsprüche rauszuhauen. Sie legte noch nach, weil die Sprücheklopper mit Megafon weiter vor uns teils unverständliche Parolen skandierten, da meinte sie: „Ich versteh gerade nur „Palim! Palim!“. Ich musste losprusten und wedelte ihr gespielt böse mit dem Finger: „Ooooh, Vorsicht!“. Hach ja, der böse Didi, doch ist man im Geiste, wie ich später erfuhr, mit Dresden im Bunde, wo Didi auf dem dortigen Ostermarsch seine Message verkündete. Dort hatten sie auch eine ordentliche Bühne aufgestellt und mussten sich nicht mit einem klapprigen Citröön und Anhänger zufriedengeben, auf dem man ein paar Lautsprecher mit Wackelkontaktfunktion festgezurrt hatte.
Vielleicht wäre er auch der Falsche auf dem Mannheimer Ableger gewesen – der hat „Neger“ gesagt!!11elf! Und noch „Zigeuner“!!!!!!!!!!!einszweidrölf!!! Und der sollte dann eine Friedenslaudatio übertragen? Zu den Omas gegen Rechts-Gesichtern? Ja, ich weiß, es ist kompliziert, aber das ist es in der Friedensthematik sowieso. Ukrainekrieg, Israel-Gaza-Krieg – da gibt es keine eindeutige Einordnung, kein Gut und Böse. Und alle Kriege und Konflikte, bei der es meinem Dünken nach keine Legitimation außer deren Beendigung gibt. Mir ist es dann egal, ob Didi öffentlich für den Frieden einsteht oder Bodo Ramelow, aber zweitem hätte ich das wohl nicht abgenommen. Zu tief saß der Stachel der Enttäuschung über die Absegnung des Bundesrats zum „Sondervermögen“, den auch die Linke zu verantworten hat. Es ist mir einfach scheißegal, ob die das für die Infrastruktur absegneten – sie haben somit auch den Kriegstreiberkurs durchgewunken, den wir in Zukunft entweder mit Geld oder Leben bezahlen werden. So hat sich die Partei ihre kümmerlichen Reste an programmatischer Vernunft auch noch versaut.

Wirkt größer als es war
Da bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als auf Troll zu stellen und sich von den Omas komische Blicke abzuholen. Einen davon empfing ich dann, als die Jungchens weiter vorne irgendwas mit „Antifacsista“ herumblökten und ich das recht laut mit „Die sollten mal beim Thema bleiben.“ kommentierte. Dieses Antifa-Bliblablubb ohne Friedenskontext gehörte für mich einfach mal zum Ostermarsch abgestellt. Die Oma vor mir schaute mich dann etwas giftig an, und ich nur zurück. War mir egal, auch weil ich allmählich das mehrmals angestimmte, sakrale Ohrwurmliedchen gegen rechts („Weeeehrt euch, leistet Widerstand...“-määääh) nicht mehr hören wollte. Mir ist das Geflenne mit Ritualmelodie auf der Walldorfklampfe mittlerweile zu sehr verbrannt, alleine durch die Verbrennung des Textes, von „Widerstand“ zu schwadronieren und auf Staatskosten für 551 Euro gegen Rechts auf die Straße zu gehen. Nix „Widerstand“, eher „Widerspruch“. Zum Glück haben sie es ein wenig für die Friedensthematik umgedichtet, sonst hätte ich wahrscheinlich laut aufgeschrien.
Das war wahrscheinlich auch der Widerspruch höchster Ausprägung, der sich gerade auftat. Nimmt man nur mal an, dass dieselben, die vorher so brav gegen Rechts auf die Straße gingen, jetzt für den Frieden marschierten, dann auch noch teils Banner und Aufkleber zeigten, auf dem „Frieden gibt es nur ohne Rechts“ stand, wirste doch irgendwann kirre im Kopf. Etwas Wahres mag ja dran sein, wenn ein Björn Höcke mit Friedenstaube aufläuft (Is klar, Jung!), aber was ist mit den nicht als gerichtlich rechtsextrem markierten Wählern der AfD? Die vielleicht ähnlich blind den Pro-Russland-Parolen mit dem Ziel der politischen Entspannung hinterherlaufen? Man kann es denen nicht verübeln, dass die dann bei den Blauen landen, wenn alle Altparteien und mit Abstrichen die Linke Schuldenkohle für Aufrüstung und Taurus-Lieferungen durchwinken. Dieses Dilemma wird ja nur immer größer. Und dann läufst du mit jenen mit, die sich mit ihrer Positioniererei eher zum Affen gemacht hatten. Und dazu noch selbst zu Prügelknaben und -knabinnen wurden, weil sie sich ein bisschen zu sehr für Palästina einsetzen. Willkommen im Club.
Also liefen da einige miteinander, die sich vorher fast spinnefeind waren, jetzt wieder zusammen, Seit´ an Seit´, weil sie in einer Thematik gleich oder zumindest ähnlich gepolt sind. Aber doch blieb mir der Eindruck eines zusammengewürfelten Haufens verschiedener Kleingruppen hängen, die alleine durch Nichtgezänk Zusammenhalt symbolisierten. Meine Partnerin und ich haben dazu eher eigenverantwortlich gehandelt, sind aber eher mit einem Ziehen in der Leiste zum Marsch gegangen, weil wir uns auch unter jene mischten, die uns zu Coronazeiten vielleicht zu Boden getreten oder mit Schimpftiraden auf uns eingeprügelt hätten. Unweigerlich ziehe ich den Vergleich mit dem Spaziergang von vor über drei Jahren. Auch deshalb, dass der Ostermarschhaufen irgendwie unorganisierter wirkte als ein paar Telegram-Organisatoren, die damals von der Polizei und dem Staat noch vom ordentlichen Demonstrieren abgehalten worden waren und auf diese „Spazierengehen“-Ausweichtaktik zurückgreifen mussten.
Der Marsch endete auf dem alten Messplatz, vor ein paar Infozelten mit Listen zum Eintragen und Selbstgedrucktem. Zeitungen. Magazine. Flyer. Danach sollte es noch einen letzten vorgetragenen Appell geben, dem aber schon wieder die Lautsprecheranlage einen Strich durch die Rechnung machte. Jetzt wissen Sie auch, warum ich als Reinschmeißer den Helge bringe; so ähnlich hörte sich das an. Noch so ein Trollmoment. Schnell ergab das für uns keinen Sinn mehr, dass wir uns von der Rotte entfernten und Appetit bekamen. Ein Eis wäre jetzt lecker bei dem angenehmen Wetter. Kurz gegooglemapst, und wir landeten in einem kleinen Laden in Neckarstadt, unweit vom Messplatz, mit dem Namen „Kreme“, Durchschnittsbewertung 4,9. Mal schauen, ob es hält, was es verspricht.
Tat es. Superlecker. Erdbeerbecher mit Soße aus pürierten Erdbeeren und nicht diese künstliche Tunke aus Farb- und Geschmacksstoffen. Schokobecher mit amtlichem Schokogeschmack. Passt. Und so schlenderten wir, noch alle Eisreste aus den Mundwinkel schleckend, zurück zum Messplatz, Haltestelle und starrten auf das alte Gemäuer der alten Feuerwache, wo ein dickes Plakat mit Programm hing. Fast alles klang unbekannt (außer Klaus Strunk), ist ja auch eine Location für Kleinkunst - nur dazwischen prangte uns dieser Name aus der Blinddarmhölle entgegen. Sie wissen schon, wen ich meine. Da spreche ich lieber „Neger“ und „Zigeuner“ aus statt den dieser Frau Voldemort… Herr Schneider, Herr Hallervorden, übernehmen Sie!
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