Es klang ja wieder zu schön, um wahr zu sein. Die Altparteien hatten sich zum Wahlkampfauftakt einen Schwur zugesichert, von wegen Fairness und so. Dumm nur, dass die öffentliche Stimmung auf keinem starken Fundament mehr steht. Das Gekeife und Gekreische ist doch so tief vorgedrungen, dass die Heileheile-Sprüche überhaupt nicht mehr ziehen. Es ist also nichts mehr übrig von Fairness innerhalb des Platzhirschkomplexes CDUSPDGrüneFDP, und da hilft ein Schulterzuckkommentar „Es ist doch Wahlkampf“ auch nicht weiter, die fragile Kollaboration aufrecht zu erhalten.
In dieser Blasenwelt kommt auch nie wirklich etwas zu uns rüber, die sind mittlerweile alle so dermaßen abgerückt von nötigen Realitätsbewältigungen, dass sie gar nichts mehr merken. Ein paar Schockmomente, ergo Messernde und In-Mengen-Fahrendens, mag sie dann mal daran erinnern, für was sie eigentlich ihre Amtseide abgelegt haben, aber mehr als symbolische Kurzzeitaktionen bekommen sie auch wegen ihrer Abgrenzungstaktik gegenüber der AfD nicht mehr hin. Zu viele Kontaktschuldschwaden vernebeln ihren Blick auf das Wesentliche, und dass es immer nebliger wird, scheint ihnen immer noch nicht aufzufallen.
„Es ist doch Wahlkampf“, höre ich schon wieder. Jo, richtig, und irgendwie schaltet man dann auch auf Stufe 8 der Selbstbewerbung, was im Grunde schon immer so war, nur heute so gar nicht mehr fair gedacht oder zumindest transparent ausgetragen. Damit meine ich, dass die Wahlkämpfe früher auch nicht viel anders gelagert waren, dem Gegner eine reinzuwürgen, aber stand man sich in Art und Frusttoleranz der Scharmützel in nichts nach. Heute spielen ganz andere Aspekte eine maßgebliche Rolle, und das ist gut und gerne die Opferrolle, um mit der Mitleidstour – teils erfolgreich sogar – ihre Wahlkampfstrategien aufzustellen.
Ich erinnere mich in meiner Erfahrungslaufbahn an zwei verschiedene Umgänge mit Konfliktsituationen. Früher hat man sich von Angesicht zu Angesicht um die Ecke im stillen Gässchen verabredet und sich gekloppt; es gab gewisse Spielregeln, dass derjenige verloren hat, der zuerst zu Boden geht, grob ausgedrückt. Danach war Ende. Danach war auch für beide klar, wer Sieger und Verlierer war. Heute läuft das völlig anders. Man fängt sich etwa vor allen Leuten eine ein und schlägt nicht zurück. Man setzt auf alle um sich herum, zeigt mit dem Finger und krakeelt: „Guck mal, was der macht!!“. Man hofft auf ähnlich Denkende, und wenn das in der Situation den gewünschten Effekt hat, kann man danach noch hinterrücks nachtreten. Das ist dann das Ignorieren der Kampfregeln, vom Gegner abzulassen, wenn er zu Boden geht. Man tritt so lange nach, bis man selbst eine Grenze zieht – nur kann das bei manchen zu weit führen. Die treten noch lange gegen den Kopf, bis der über Umwege Besiegte Schädelbrüche oder noch schlimmer erleidet. Bis zur physischen oder existenziellen Vernichtung. Darunter machen sie es nicht mehr.
Wenn das nur verbal geschieht, klingt es im Grundsatz „humaner“, ist aber ähnlich schädlich. Jemanden in die Selbstzerstörung zu drängen ist nicht minder schlimm als blutige Kampfspuren. Nur weil man die seelischen Wunden nicht sieht, sind sie nicht besser. Deswegen ist die aktuelle Wahlkampfschlacht auch nichts, was man hinter schönen Fairnessversprechen verstecken kann. Vor allem, wenn Messergesteche dazwischen kommt und man das nicht im Werbemodus verstecken kann. Und nährt es nur den Drang, nachzutreten, das zieht sich aktuell quer durch alle Parteien. Wenn dann von außerhalb privat motivierte Akteure dazwischenfunken und in das Geprügel mit einsteigen, haben wir eben eine Massenschlägerei, die man nicht mehr einhegen kann.
In den letzte Wochen und Monaten ist das völlig eskaliert, was auch kaum verwundert. Niemand scheint noch Ideen zu haben, die eine effektive Ruhigstellung der allgemeinen Stimmung bewirken würde. Man gleicht sich ihr sogar noch an, und das ist quer durch die Parteienbank zu beobachten, und mit den Spalierstehern, die jetzt auch noch Glaubwürdigkeitsvernichtungsaktionen anfachen. Man versuchte so mal kurz, Merz irgendwas anzudichten, und als das verpuffte, kam auch schon der Gegenangriff auf Habeck. Wenn man nun Frontensoldat ist, mag das richtig gut sein oder eben schlecht, aber ich schaue darauf mit Besorgnis. Wenn es Usus wird, dass zu jeder anstehenden Entscheidung das Bordsteintreten zum Mittel wird, dann sollte man das in jedweder Form verurteilen.
Das ist zumindest im „Oberwahlkampf“ gerade Stand der Dinge. Alice Weidel kann sich abseits davon mit Augenrollen profilieren, was bei mir sogar Verständnis aufbringt, weil die Strategie der Zerstörungsabsichten im Mainstream immer groteskere Züge annimmt. Die Verzweiflungstaten bringen immer noch nichts, und dann gibt es ja auch noch die Linken mit ihrem neuen Vorsitzenden Jan van Aken, der den Clownsstatus der Partei nur auf neue Höhen der Sauerstoffmangelsphären hievt. Dieses menschgewordene Politrumpelstielzchen nehme ich gerade wahr wie ganz schlimme Vertreter edgy-verwöhnter Helikoptereltern-Ak´s: man beobachtet es fasziniert-interessiert, hält sich aber bei den 120-dB-Geplärre zwangsläufig die Ohren zu.
Keine Ahnung, ob das so seine Absicht ist, gar wahltaktische Strategie. Selbst wenn, dann ist doch irrig anzunehmen, parteipolitische Vorzüge herauszuarbeiten, wenn man in einem seriösen Umfeld agiert wie eine Knallfroschblage. Und lange dachte man, bei den Linken hätte man doch irgendwann alle Knallchargen mit Karriereambitionen endlich mal durch – da kommt nur der nächste daher und stampft noch lauter auf als die vorherigen. Und das Irre dabei: so manchem Wähler scheint das auch noch zu gefallen. Würde es doch nur um Inhalte gehen, aber offenbar hat man sich von der AfD zu viel abgeguckt und das noch ein bisschen mehr simplifiziert.
Mir ist bewusst, dass die Beobachtungen schon wie gebetsmühlenartiges Herunterleiern klingt. Ich/Wir hat/haben das ständig gesagt, nur unter anderen Voraussetzungen, und die Stichwortdiskussionen sind immer wieder mit denselben Worthülsen unterlegt. Hüben wie drüben reden wir dann von „Spaltung“ und „Zusammenhalt“, beanspruchen das Richtige für uns selbst und das Falsche für alle anderen. Irgendwann wird es eben müßig bis nervig, und das Reden ersetzt auch nie vollständig das Handeln, weil das Gesprochene zu oft keinen Pfifferling wert ist. Das ist nicht nur Wahlkampfgeschwätz, sondern immer und überall neu zu bewerten.
Oft sind in diesen Debatten die ausgesprochenen Absichten, rein in der Wortbedeutung, verlockend. Dem kommt aber häufig, zu oft, ja geradezu regelmäßig, das Handeln dazwischen, wenn es einem Eigennutz dient. So kannst du immer heile Welten versprechen, selbst wenn du sie aller Voraussicht nach nicht bauen kannst. Oder du weißt, was andere wollen oder benötigen, redest ihnen nach dem Mund und willst das eigentlich so gar nicht. Und ab diesem Punkt wird es haarig, klebrig, unaufrichtig und im höchsten Maße heuchlerisch. Wenn nicht gar berechnend bis zur astreinen Lüge.
Das ist nun nicht meine Wahrnehmung nur von den Grünen oder der Linkspartei, weil die den größten Offenbarungseid geleistet und uns Altlinken und Boomersozialisierten so massiv hart ins Gesicht geschlagen haben. Das zieht sich quer durch alle Parteien, dass denen mal nach altem Regelwerk einfach mal eins auf´s Maul gehört und wir das Echo vertragen sollten. Das wäre sozusagen noch das einzig Aufrichtige, was die Verhältnisse ordnen könnte. Und das wäre etwas, das schon wieder zu schön ist, um wahr zu werden. Nur was uns da gerade widerfährt, ist nicht das alte Regelwerk des Zweikampfes, sondern Bordsteintreten, das ja eigentlich ein Mittel von Neonazis war – die Linken wie auch die radikale Mitte können das mittlerweile genauso gut.
Nachtrag: Mal abgesehen vom Buzzword-Bingo mit Gewinngarantie ist es mal wieder sehr unterhaltsam zu beobachten, wie die Reaktionen von Kurzzeitwut zu neuen Relativierungssatzschachteln führen. Von „polizeibekannt“ zu „anerkannter Asylstatus“ mit Entschuldigungsfloskeln hin und her zu zappeln, ist schon interessant, doch ist das wenig substanziell haltbar. Was dann die nächste Stufe der Eigenschuldflucht zündet - sie vermuten nun ein System dahinter, das ausgerechnet zur Wahl passieren und vom Ausland gesteuert würde. Ist schon ein starkes Stück in dieser Die-Wahrheit-nicht-aussprechen-wollen-Strategie. Vielleicht kommen demnächst noch irgendwelche dubiosen Hinweise heraus, die Putin als Drahtzieher hinter einer orchestrierten Anschlagserie sehen. Ja, klar, und wir waren vor vier Jahren die „Schwurbler“. So was macht man nur, wenn man partout nicht zugeben will, verloren zu haben.
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epikur (ZG Blog) (Samstag, 15 Februar 2025 09:33)
Der geschätzte Kollege von "B-Weblog" hat ein schönes Fundstück:
https://blog.fdik.org/2025-02/s1739576576
Der ÖRR entdeckt auf einmal die Verschwörungsmythen und - Erzählungen. :-)
Derweil muss sich unsere Politik von den US-Republikanern was von Demokratie und Free Speech anhören und reagiert wie ein bockiges Kind.
Verrückte Zeiten.
Juri Nello (Samstag, 15 Februar 2025 11:23)
Der Anruf von Trump bei Putin hat doch die Kitas Europa- und Deutschlandpolitik als schmierige Farce der Budgetverwaltung entlarvt. Shakespeares "What you want"...
Nur macht deswegen keiner seinen Stimmzettel ungültig oder geht gar demonstrieren. Softwarefehler, da kann nan nix machen.
Polemicer (Sonntag, 16 Februar 2025 06:24)
@epikur @Juri Nello
Mit Popcorn ist das wirklich sehr unterhaltsam. Vance´ Rede ging in Teilen runter wie Öl, wie auch die Reaktionen unserer UnsereDemokratie-Verteidiger. Kommt mir gerade so vor, verwöhnte Bratzen mal für einen Tag alleine in der Wüste auszusetzen und denen lediglich zu sagen: "Mach mal.". Und wir sitzen mit dem Feldstecher in sicherer Entfernung, schauen zu und grinsen.
Juri Nello (Montag, 17 Februar 2025 12:17)
Die Rede war nicht mal besonders. Ghostwriter dürfte ein BWL-Student gewesen sein.
Auch die Reaktion darauf war eine Narzisstennummer.
Dezentes Gekicher wäre angemessen gewesen.