Im Schulalter Anfang der 90er musikalisch was reißen zu wollen, war gefühlt extrem schwierig. Nur mit Taschengeld versorgt und ohne zahlungskräftige Eltern ist es nahezu unmöglich, Jugendträumen real nachzuhängen. Bei mir war dabei nicht viel zu machen, auch wenn ich dafür mein Sparschwein damals mit jedem Pfennig vollgestopft hatte, der übrig geblieben war. Da kauft man sich eben etwas im untersten Preissegment und klimperte munter drauf los. Das musste auch für den Anfang ausreichen, denn war für mich etwas Standesgemäßes, eine ernstgemeinte Grundausstattung, kaum bezahlbar.
Musik machen ist eben teuer. Fette Box mit Verstärker, das Instrument selbst, Verzerrer, Effektpedale oder für andere ein komplettes Prügelset, dazu viel Zubehör wie Picks oder Drumsticks, Felle, Saiten – das läppert sich. Und als Arbeiterkind schüttelt man sich kaum etwas aus dem Ärmel und geht mal schnell einkaufen.
Wir, Jürgen, Torsten und ich, hatten nur selten darüber geredet, nachdem wir unseren „Erfolg“ vom ersten, absolvierten Gig auf Christofs Anti-Alk-Party revue passieren ließen. Klar hätte dies den Startschuss für weitere Ambitionen bedeuten können; Blut geleckt und weitere Schritte gehen. Aber irgendwann hatten auch Jürgens Eltern genug von dem Gelärme im Waschkeller, so dass uns nur der Umzug in einen Proberaum geblieben wäre. Noch mehr Kosten? Nee, war nicht drin. Und somit versandete auch der Eifer über einen fortlaufenden, akustischen Karriereweg. Irgendwie inkonsequent, ich weiß, aber häufig scheiterten Pläne an fehlender Kohle.
Ein wenig Ernüchterung machte sich in mir breit, dass dies schon so früh an solchen Hürden hängen blieb. Doch musste ich mir eingestehen, dass es erst mal so nicht weitergehen konnte und versuchte mich mehr oder weniger an einer Art Heimwerkstatt der medialen Zweitverwertung. Soll heißen: Irgendwie wollte ich alles, was mir musikalisch zusagte, extrahieren, archivieren, konsumieren, und ich war, kann man behaupten, einer der wenigen, die mit Klinkenkabeln und Adaptern rumgespielt hatten, um nicht nur Vinyl für den Walkman auf Kassetten zu überspielen. Es war eine Schnapsidee als Seelentrost, wenn man so will, aber ich ließ mich schon immer von Launen leiten, wenn sie etwas mit einer Sache zu tun hatte, an der ich mich verdingen wollte.
Damals war noch Commodore-Zeit gewesen, 8-Bit-Computer, Übergang zu 16-Bit, aber einen Amiga oder AtariST hatte ich nie besessen. Mal davon abgesehen, dass man auf dem C64 wunderbar daddeln konnte, hatte ich eine Affinität zu den charakteristischen Sounds. Das Gedudel hatte bei einigen meiner Kumpels und Kumpelinen Kultcharakter, das Fiepsig-verspielte von Games und vor allem Demos und Crackerintros war ein reichhaltiger Audiofundus. Der typische Ringmodulatorsound der „Brotkiste“ war und ist immer noch auf seine Weise cool, die Stücke teils richtig mitreißend und nicht selten Metal-basiert.
Nur war es damals eben nicht ganz so simpel wie heute, Audiofiles mit parallel laufenden Programmen auf Speichermedien zu übertragen. Ich fuchtelte also mit allen möglichen Steckerkonfigurationen herum, bastelte mir teils komplizierte Sets zusammen, bis ich einen Extremkabelsalat im Schreibtischbereich hatte. Hätte sicher auch einfacher funktionieren können, aber das Ziel war nur, das Gedudel auf Tape zu kriegen. Funktionierte ja auch, irgendwie, was spricht also dagegen?
Natürlich war ich auch fasziniert von Amiga und Konsorten. Dazu musste ich jedoch zu den entsprechenden Kumpels, und natürlich war das noch eine ganz andere Hausnummer in der Soundqualität. Dazu war es viel einfacher, via Chinch-Stecker den Sound auf eine Stereoanlage zu übertragen. Auch da bat ich meine Freunde, das Gehörte aufzunehmen. Ende vom Lied: ich hatte bald mehrere Kassetten voll mit elektronischer Musik.
Klar, dass ich auch Gedanken darüber verschwendete, ob man mit den Kisten auch selbst was musizieren könne. Dazu gab es schon das ein oder andere Progrämmchen, manche allerdings was für die ASCII-Cracks und -Crackers, die irgendwelche Zahlen-/Buchstabenkombis auch in Töne verwandeln konnten, quasi aus dem Ärmel geschüttelt. Das war so gar nicht meins, und ich hatte noch nie die Geduld für Maschinensprache, also war das – zumindest bei der „Brotkiste“ - ad acta gelegt. Der Amiga hatte aber, soweit ich mich erinnern konnte, ein Programm, das für mich angemessen bedien- und verstehbar war. Und so latschte ich häufig zu Andreas, dem ebenso der Gedanke gefiel, ein bisschen herum zu komponieren. Allerdings blieb es lediglich bei einer Spielerei, die wir erst später mal zeitweise ernsthaft angehen sollten.
So Anfang bis Mitte der 90er war dann auch viel digitaler Aufbruch geschehen, dass du bald nicht mehr folgen konntest, was da an neuen Maschinen auf dem Markt erschien. Ein wenig ähnlich verlief dabei die Revolution des PCs. Der überholte dann auch denn bald ausgereizten Amiga-Zyklus, der bei den Tausender-Reihen bald zum Luxusprodukt wurde und dem limitierten Modularprinzip schnell das Nachsehen hatte. Der PC hingegen hatte sehr schnell aufgeholt, obwohl ich anfangs ziemlich skeptisch war. Außer EGA-Grafik und interne Soundquäke hatte das klobige DOS-Monster erst nichts zu bieten, doch schon bald hieß die Revolution Sound- und Grafikkarte, mit der Games oder Audioprogramme schnell immer komplexer, realitätsgetreuer und bedienungsfreundlicher wurden. Details will ich hierbei mal aussparen.
Selbstverfreilich war ich angefixt von Raubkopien von Wolfenstein 3D oder Doom, aber auch billigen Schätzen aus der Shareware-Ecke. Das war derart spannend, dass ich ständig im Kaufhaus oder dem Neckermann-Shop herumlungerte und nach neuer, bezahlbarer Software Ausschau hielt. Oft natürlich nach allem, was mit Audio zu tun hatte. Und als Windows mit seinem 95er-Ding einen bedientechnischen Evolutionssprung hinlegte, platzte es geradezu von neuen Programmen, mit denen man nicht nur Fertiges konservieren, sondern auch selbst verwursten konnte. Mein Taschengeld und später ging erst recht mein Lohn in der Lehrzeit für irgendwas mit „Music Studio“ drauf.
Jo, und mangels Bekanntschaften seinerzeit, die analog Musik machen wollten, wurde die digitale Welt in der Zeit meine. Wir hatten in meiner Heimatstadt keine üppige Musikszene gehabt, schon gar nicht was Hartwurstkost betraf, dass man sich eben selbst behalf. Lange war es auch eher so, dass ich mit den Metalheads auf Party aus war, ab und zu auf Konzis die nicht bis kaum vorhandene Matte schwangen, aber sonst eher die neuesten, härtesten Scheiben aus aller Welt herumreichten. Es war aber auch eine reichhaltige Zeit gewesen, als der Metal immer extremer wurde und ich das immer noch geil fand. Nur selbst machen wollte es niemand, und ich bin keine Verkäufertype, die einem Flöhe ins Ohr setzen kann, die einem im Hypnotisierton einflüstern: „Du willst jetzt Musik machen.“
Ein wenig knosterte ich demnach am PC herum, ob ich das irgendwie in eigene Songformen bringen konnte. Aber Gitarren oder sonstige analoge, schwer zu digitalisierende Instrumente im PC zu kreieren, war selbstredend schwierig. Außer beim Loop-Prinzip ging damals wenig, und die bemühten Versuche, eine verzerrte Gitarre als virtuelles Instrument zu bauen, klang mir einfach zu kacke. Das hatte nur was von knatteriger, künstlich klingender Kettensäge 2.0, so dass ich sogar damit experimentierte, aus meiner CD-Sammlung Songfetzen zu extrahieren. Eine ausklingende Gitarre von Overkill etwa, die man dann im Studioprogramm als wav-File hoch und runter schob. Das war dann die Melodie, die aber nur begrenzt nutzbar war, weil höhere Töne eben nur schneller abgespielt wurden. Micky-Maus-Effekt. Bei Drums funktionierte das natürlich besser, die kloppen eh nur in einer Tonlage, mal grob ausgedrückt.
Vielleicht war auch mein Rumgespiele mit Software schuld daran, dass ich mich sogar für den damals neu aufkommenden Techno begeistern konnte. Das war zu Beginn noch recht zwanglos verlaufen und irgendwie kultig, auch wenn ich zu Protokoll geben muss, dass mich das relativ schnell langweilte. Das Spielerische, Experimentelle im Genre wurde schnell immer konformer, und wenn man in der Disse mehrere Stunden zum selben Sound abtanzen soll, kriege ich schnell zu viel und wollte auch nicht mit Halluzinogenen nachhelfen. Dazu wurde es immer irrer, dass Verstrahlte mit Gasmaske und Staubsauger auf der Tanzfläche herumwackelten. Driftete mir schnell ab und hatte mit Spaß nach meinem Gusto bald eine Erträglichkeitsgrenze erreicht.
Lange Rede, kurzer Sinn. Die Jahre, so zwischen 14 und 19 rum, war bei mir erst mal wenig kreativ. Die Ausweichaktivitäten beim Herummodeln an Aufnahmemöglichkeiten war zwar immer mal spannend, weil nicht gerade einfach, aber letztlich auch nicht richtig erfüllend. Ich hätte, als ich in meine Berufsausbildung ging, auch jeden Cent in echte Instrumente plus Zubehör stecken können, habe es aber nicht getan. Der Chaotenkopf, wie ich einer war (teils immer noch bin), hatte so viel im Hirn, Ideen und Bedürfnisse, die man mit seinen ersten Gehältern auch reichhaltig befriedigen konnte. Zum echten Schrammeln fehlte mir auch noch die entsprechende Lobby und somit der Antrieb, mal wieder mehr Geld für Musikzeug zu investieren.
Das sollte aber noch kommen.
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