Rummucken. Als ich pupertär wurde, wollte ich rummucken. Aber nicht so Mucken machen wie andere im Pubertieralter, sondern Mucke machen. Ich hatte schon früh damit angefangen, Musik besonders wahrzunehmen und zu konsumieren, headbangte im Grundschulalter zu flotten Maffay-Platten vor dem Spiegel und wusste nicht mal, was Headbanging ist. In der Bravo waren Dr. Sommer und Starschnitte nicht so das Interessanteste für mich; die Doppelseite Heavy Metal weit hinten war für mich das Höchste der Gefühle. Ich war eher für die lottrigen Langhaarigen zu begeistern denn für die aalglatten, glitzernden Popgesichter. Ich weiß auch nicht, was da in meinem Kopf vorging, aber irgendwie wollte ich das auch sein und auch tun, was die tun.
Dafür schaffte ich es, mir vom Taschengeld 120 Mark zusammen zu sparen, rannte in den nächsten Musikladen in meiner Heimatstadt und kaufte mir eine Holzklampfe, um darauf herumzuzupfen. Kaum zu glauben, dass das jetzt schon an die 35 Jahre her ist, als ich damals holzklampfte und statt Feuerwehrmann Musiker werden wollte. Klimperklimper, breitbeinig auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Haare sprießen und fliegen lassen, Rockstar spielen. Ja, doch, ich muss schon sagen, dass mich das richtig schlüprig gemacht hatte, als ich mich ernsthaft mit Musik auseinandersetzte und eigentlich immer bei Heavy Metal kleben blieb. Und das hält, mit Abwandlungen und etlichen Hochs und Tief, immer noch an.
Mit zwei Klassenkumpels wagte ich dann auch die ersten, zaghaften Versuche. Bei Jürgen aus der Klasse musste ich kaum Überzeugungsarbeit leisten. Irgendwann kamen wir über Musik ins Reden, und ich war überrascht, dass er ein... na ja... insgeheimer Fan von Rock und Hard Rock und Metal war. Er hatte das mir oder anderen gegenüber, glaube ich, nie erwähnt gehabt, schon gar nicht, dass er ein Schlagzeug im Waschkeller stehen hatte, auf dem er ab und zu übte. Nun denn - ab dann wusste ich es, und meine fixe Idee von einer Breitbeinkarriere nahm auch plötzlich konkrete Formen an.
Natürlich war das Proben eine erste Hürde. Wohin sollte man? Zuerst durften wir im Hause Jürgen im Waschkeller loslegen, nachdem wir zwei Tage im Holzschuppen hinter dem Haus den gesamten Ort beschallt hatten. Ein erster zaghafter, aber lauter Erstversuch, um nur sicherzugehen, dass es jeder im Ort mitbekam. Als wir ins Haus und in den Keller verfrachtet wurden, führte das zu witzigen Szenen, wenn Jürgens Schwester mal zuhause war und sich Micky-Maus-Ohren überzog. War natürlich ziemlich laut im Gemäuer geworden, aber nett von seiner Schwester (nein, die war nicht klein und nicht scheiße, sondern superlieb), dass sie es so machte und uns nicht ständig in die Suppe spuckte. Irgendwann spuckten ihre Eltern aber genau dort rein, warum genau, weiß ich gar nicht mehr. Platzmangel oder weil draußen die Nachbarn schon tratschten. Im kleinen Stadtteil, der eher als Dörfchen durchging, machte das natürlich schon die Runde. Bald stieg auch Torsten aus der Klasse mit ein, weil er sich ab und zu schon auf dem Keyboard versucht hatte. Keyboard ohne Strom geht halt nicht, und Holzschuppen ohne Stromanschluss ist nur was für Klopper und Klampfer. Also lieber Waschkeller, so war das Trio Infernale auch eingestöpselt und konnte auch ernsthaft Lieder einprügeln.
Nach einigen Wochen erreichte das natürlich auch unsere Klasse. Und so auch Christof. Der hatte irgendwann bei sich zuhause sturmfrei und wir ein paar Lieder im Programm, dass er völlig überraschend anfragte, ob wir bei ihm zuhause einen Gig spielen wollen. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass ich total aus dem Häuschen war. Wir alle drei. Als es so weit war, mussten wir jedoch auf einer Party spielen, die ohne Alkohol stattfand. Christofs Eltern hatten da einen Deal mit ihrem Sohn ausgehandelt, während sie auf Kurzreise weg waren: Party ja, Alk nein.
Gut, man kann auch ohne Alk feiern, aber es ist dann weit weniger zwanglos. In der Zeit waren Jürgen und ich sowieso in der Sauffindungsphase gewesen, hatten die ersten Vollsuffs hinter uns und probierten alles durch, was Prozente hatte. Klar, dass wir uns beschwerten, weil es nichts zu kippen gab, aber irgendwie war es schlau von Christofs Eltern gewesen, ihrem Sohnemann den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor der „sturmfrei“ auch so nutzte, wie es allgemein berüchtigt ist, und sie bei ihrer Rückkehr das Schlachtfeld erblicken müssten. Wir waren zwar etwas ernüchert (wortwörtlich), hatten aber auch Verständnis dafür. So rebellisch waren wir trotz unserer Ambitionen dann doch nicht gewesen, obwohl wir in der Klasse gut und gerne als Sonderlinge durchgingen. Also schon damals kann ich nicht behaupten, irgendwie mainstreamig gewesen zu sein.
Den Gig selbst habe ich jetzt nur noch ausrisshaft in Erinnerung. Ich weiß nur, dass unsere Klasse und eine Parallelklasse eingeladen war, mit denen wir uns ziemlich gut verstanden und dass am besagten Abend so 15 Leute gekommen waren. Das lag sicherlich an mehreren Dingen. Christof war jetzt nicht als der Partylöwe schlechthin bekannt, die Geschichte ohne Alkohol war natürlich auch nicht gerade verlockend für die Pubertiere. Damals war es dazu nicht gerade einfach, die Stadtteile zu erreichen, wenn man kein Elterntaxi auf Abruf bereit hatte. Busse? Muhaha. Schon längst Betriebsferien, zumindest bis zum nächsten Morgen.
Da saßen dann also so 15 Leute rum und durften sich unsere Jungfernfahrt im Musikzirkus antun. Ich denke, Sie werden sich gut vorstellen können, wie das dort ausrüstungstechnisch ausgesehen hatte. Nix war mit fettem Mischpult und Beschallungsanlage in Mindestausstattung. An Studio to go, ergo Labtop, war damals schon mal gar nicht zu denken. Nur ein popeliger, halb verstaubter 4-Kanal-Mixer, der für die Tralala-Mikros und das Keyboard draufging, und so musste das Schlagzeug in seiner Naturgewalt dröhnen, ich über einen geliehenen Westentaschenverstärker meinen neuen Bass einweihen. Muss von vorne ein ziemliches Gerangse gewesen sein, aber ging ja nicht anders.
Prinzipiell war es sowieso egal, ob und was man hörte und wie es ankam - es war einfach mal das erste Erlebnis vom Musizieren vor Publikum. Das war eh nicht für die Musik geeignet. Die meisten waren „Popper“, wie sie damals genannt wurden. Die, die in der Bravo umgekehrt lasen, ignorierten meine geliebte Doppelseite und fabulierten über die Glitzerwelt. Wir hatten aber fast nur Covers von AD/DC oder Metallica anzubieten, was ihnen natürlich nur einen Höflichkeitsapplaus entlockte. Uns war das bewusst gewesen, egal aber auch. Einzig unsere Geheimwaffe hoben wir uns und ihnen zum Schluss des Auftritts auf – den „Teacher Rap“.
Den hatten wir davor noch schnell eingeprügelt, ihn mit einem simplen „We will rock you“-Beat unterlegt, um die Spielpausen einfacherweise mit Parodien auf einzelne Lehrer und Lehrerinnen zu füllen. Die Masse tobte. Na ja, was man so ohne Alk „toben“ nennen konnte, und eine Masse war es ja auch nicht – jedenfalls gingen sie darauf steil. Klar, Konsenstrack für die Popper, die eher für Rap zu erwärmen waren als mit dem harten Stoff. Aber Parodien auf Pauker, die alle kannten, waren der Bringer schlechthin. Hihi.
Wir holten uns danach doch noch einen Rausch ab, nach dem ersten Gig meines Lebens, den ich trotz der Lücken immer noch recht lebhaft in Erinnerung habe. Danach musste irgendwas knallen, aber von Luft und Wasser wird man nicht high. Wir hatten nur Cola. Aha. Koffein. Zucker. Also schüttenden wir uns dosenweise das klebrige Zeug hinter die Binde.
Manche Blechbehälter pfefferten wir dann im Zuckerwahn und drauf von Kokain... äh, Koffein durch das Dachfenster des Hauses im „Backstage“-Bereich. Ja, wir waren echt „drauf“ und völlig kirre, immer noch aufgedreht über den ersten Auftritt, den wir absolviert hatten, und oben, im Dachgeschoss, machten wir auch mal Mucken nach dem Mucke-machen. Schmissen volle Coladosen aus dem Fenster, die laut auf dem Asphalt zerplatzten. Höhö, geil! Unser erster überdrehter Rockstar-Moment, wenn wir schon keine Stühle in Hotelzimmern zertrümmerten oder völlig besoffen die Gegend unsicher machen.
Na ja, wir waren ja noch jung. Und jeder fängt mal klein an.
(Fortsetzung folgt...)
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