Weihnachten und Silvester, das ist so die einzig verbliebene Zeitspanne des Sich-Besinnens. Endlich mal Gedanken verschwenden, was sein könnte, wenn der Alltag mal nicht dazwischen steht. Zumindest scheint es anderen so zu ergehen, wenn sie nicht dazu fähig oder gewillt sind, ihre Gedanken in Texten zu ordnen, und dieses Privileg gönne ich mir persönlich regelmäßig und ausgiebig.
Ich erwarte zuerst mal gar nichts davon. Nur die Mülleimerfunktion für mich selbst, wenn Ängste hochkochen, Gedankensprünge den Niedergang herbeiprophezeihen. Wenn Vergangenes, Belastendes Rückschlüsse auf die Zukunft hervorzwingen, so in der Art: „So weit ist es schon gekommen, wer weiß, wie weit es noch kommen wird.“.
Es ist beileibe nicht schön, so denken zu müssen. Wäre es etwas völlig Abwegiges, könnte man mir zurecht Miesmacherei vorwerfen, aber es ist nicht abwegig genug. So mal gar nicht. Wir haben es jetzt in Zahlen, in etlichen Einzelartikeln, die wie Maschinengewehrsalven auf uns einballern, und dies lässt uns sicher nicht freudig und hoffnungsvoll ins neue Jahr blicken. Ging ja schon wieder explosiv ins neue Jahr rein – also wer macht hier mies? Die, die bomben, bis sie kugeln oder die, die das erwähnen? Wer hier „Miesmacherei“ schreit und denkt, die Welt (oder das Leben hier) sei noch in Ordnung, hat entweder noch zu viel finanzielles Polster, hohe Zäune auf üppigem Landbesitz oder ein viel zu eigenunwürdiges wie arschkriecherisches Selbstbild, dass schon alles gut gehen würde, wenn man sich nur ordentlich und an richtiger Stelle ekelhaft anbiedert.
Manchmal wünsche ich mir, ich wäre so unbedarft, naiv, vielleicht so ein planbeschlagenes Arschloch, das so einfach seine Seele verkaufen könnte. Aber das bin ich nicht. So ganz und gar nicht, und ich würde mich vor mir selbst ekeln, würde ich es so machen (müssen). Diese Form von Bequemlichkeit ist so gar nicht meins, und auch wenn es einem Last abnimmt, würde ich mich dafür nicht selbst erniedrigen. Selbstbetrug und selbiges anderen gegenüber ist mir zu wider. Es erfüllt keinen Zweck, zumindest langfristig gedacht, und für Kurzzeitentlastungen bin ich zu anders gestrickt, weil ich niemals nur in „kurz“ denken kann. Ich denke immer in Großem, eben auch in Gedankensprüngen, und viel zu oft habe ich die richtigen Schlüsse daraus gezogen, was sein könnte. Andere eben nicht. Geraten dann selbst in die Enge und fragen sich dann blöde, warum das so ist.
Dann jammern sie, kriechen wieder, neue Anläufe zur Selbstprofilierung. Wenn alte Schläuche ausgesoffen sind und kein Tropfen mehr daraus zu saugen ist, probieren sie andere - nur nicht die, die echt gut für einen selbst und alle wären. Und immer schwingt diese Erwartungshaltung mit, am großen, ausgeschleckten Trog mitfressen zu können – dabei sind sie meiner Ansicht nach beklagenswerte Figuren, über denen man Wasser abschüttet und sie mit ihren blanken Händen, zu Schalen geformt, Tropfen sammeln wie arme Bettler. Keine Schläuche, die einem bequem das Nass in den Rachen leiten. Dazu gebratene Tauben, die vom Himmel fallen würden. Nicht, dass ich Mitleid verspüre. Das ist ja nichts Grundsätzliches, Überlebenswichtiges wie der Bedarf des Körpers nach Wasser und Nahrung. Es ist lediglich bildhaft, über Tröge und Schläuche zu sprechen, es beschreibt Herdentrieb und unwürdiges, selbstzweckhaftes Verhalten im Gesellschaftsverbund. Und wenn gerade solche einem etwas vorschreiben wollen, wird man echt böse.
Und wirkt es gleichermaßen unwürdig, wenn man neue Vorsätze vorhält, an die man sich selbst sowieso nicht hält. In den Medien wird die Abstiegsrealität ja gerne und massig übertüncht mit neuen Vorschlägen für ein besseres Leben. Schon für den Januar hat man sich neuerdings für „Trockenheit“ erwärmt. „Dry January: Warum du mitmachen solltest“ prangt es auf einer Seite, die so bezeichnend wie übergriffig heißt: utopia.de. Untertitel: „Der Ort für Nachhaltigkeit“. Und dieser Ort ist bis zum Überlaufen vollgestopft mit verheißungsvollen Gutes-Leben-“Tipps“; triggert mich hart. Manchmal mit Schlagzeilen, die nachvollziehbar klingen, öfter aber auch mal dieses Typische, Besserwisserische, ans Absurde grenzend und immer schwingt mehr oder weniger zwischen den Zeilen mit, dass du dies und das gefälligst sein lassen und erst recht so und so machen sollst.
Greifbare Utopie(.de) für bequeme Öko-Selbstoptimierende:innen 2.0. Mit Alltagstipps für Asket:innen und Ökostrom:innen und mit üblichen Verdächtig:innen in Podcast:innen, dass einem glatt der Galleninhalt droht von :innen nach außen zu spritzen. Wenn Ihnen noch nichts masochistisch genug war und sie dieser Ökowokedoktrin aus verabscheuungswürdiger Faszination noch etwas abgewinnen können, ohne eine Extraportion Blutdrucksenker schlucken zu müssen, klicken Sie sich mal ein wenig dort durch. Ich garantiere Ihnen wohligen Schmerz. Alle dort Schreibend:inn:en sind übrigens superdivers. Nicht. Biodeutsche Namen. Und da ich ja sehr neugierig bin, lande ich irgendwann auch via Impressum bei – tadaaa! - „Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH“, die gehört... na? NA?... der SPD.
Joa, nur mal so wieder was, was man sich einfach erklickt hat und so gar doppelnicht nach Lobbyismus stinkt. Und stieg 2019 – irgendwie ein markantes Jahr (FFF!) für vieles in diesem Ökogetue – in den „Nachhaltigkeitsbereich“ ein. So komme ich auf den eigentlichen Punkt zu sprechen: Man landet viel zu oft bei Parteienideologien und angeschlossenen Indoktrinationsschaltstellen. Man braucht also keine ideologiefreien, wutschaumarme Debatten mehr zu erwarten. Überhaupt sind Erwartungen, und dazu gehören auch Vorsätze, kein gutes Mittel zum Einstieg ins neue Jahr.
Man versucht so in der Regel, Aufgeschobenes zu reaktivieren und Unerfülltes anlassbezogen unterzujubeln. Kennt ja jede(r), wie man sich ständig selbst belügt, weitermacht wie bisher, und wenn etwas schädlich für einen selbst ist und man das auch weiß, sind „Vorsätze für das neue Jahr“ lediglich eine Selbstbestätigungsfloskel. Eine, die nur dazu dient, der Hinterstübchenvernunft wieder etwas mehr Bühne zu verleihen. Das honorieren dann die Freunde und Verwandten und das Kollegium, und so erntet man ein wohliges „Klingt doch sehr vernünftig!“. Endorphinmoment. Oder seien Sie erwartungsvoll in Ihren Forderungen. Erwarten Sie vieles von der Politik, von der Gesellschaft. Egal, wohin Sie sich selbst verorten, wird es Lob hageln, aber ist es nur der Selbstbetrug, etwas zu verkünden, was andere erwarten zu verkünden. Sie sind nur ihr Megafon.
Es ist also völlig irrelevant geworden, Vernunft zu heucheln, wenn es nicht so wirkt, als ob Sie das wirklich glauben, was Sie da verkünden. So ist es mit den Vorsätzen, wenn etwa der Kettenraucher das Rauchen aufgeben will (oder meint aufzugeben). Rückfallraten wie Hölle. Gewohnheiten sind Legion. Nur sehr wenige werden das auch ernsthaft versuchen, und noch wenigere werden es auch dauerhaft schaffen. Ähnlich ist es schon in der Politik zu beobachten: die Hoffnung Merz auf alte Parteistrukturen sind schon länger wieder dahin. Und so nimmt man nur noch die Wendehalserei zur Kenntnis, die Erwartungen unerfüllt zu sehen – und das schon Monate vor den Neuwahlen. Oder wie im oben aufgeführten Beispiel der SPD: die ist mittlerweile nur noch ein Abziehbild der grünen Neogutbürgerlichkeit, redet von Nachhaltigkeit und Respekt und Fairness und was weiß ich was da noch als Buchstabensuppenbingo ausgekotzt wird – die Partei ist völlig durch, verbrannt, würgereizfördernd, wie sie grüßaugustinerisch und staatsfeierlich in den Staatskanälen ihr Blabla verkünden und im Alltag das Gegenteil tun. Beispiele dafür gibt es genügend.
Erwarten Sie deshalb am besten nichts, zuweilen nur den schlimmsten anzunehmenden Fall oder nur gute Unterhaltung von der Neutralseitenlinie aus. Das ist so ziemlich der einzige Ratschlag, den ich Ihnen geben würde, weil sie in jeder Momentaufnahme noch Tropfen im alten Schlauch vermuten, die ihnen den Schlund befeuchtet. Und das bedeutet sicher nicht, dass der nötige Umbruch zum Jahreswechsel oder mit der nächsten Regierung stattfinden würde. Nein, da gibt es immer noch deren eigene Bastardkinder am Rand, die sie verleugnen, und wenn sie sich nach grob zehn Jahren (rechts) und weiter zurückgedacht zwanzig Jahren (links) immer noch darum winden, sich dem ernsthaft zu stellen, wird es auch im Jahre 2025 nicht passieren. Es würde mich schon schwer wundern, wenn sie es doch tun würden.
So wird man nicht enttäuscht sein, wenn es sowieso nicht passiert, und so man kann eigentlich nur positiv überrascht werden. Alles andere, Mögliche, erfüllt man sich selbst, und wenn das Genuss, Verzicht auf Verzicht oder schädlicher Konsum mit Kater am nächsten Morgen bedeutet, soll es mir egal sein, was andere darüber denken und wie sie aggressivst versuchen, mir das auszureden. Ich lasse mir von niemandem mehr vordiktieren, was ich zu tun und wie ich zu denken habe, und sie können froh sein, wenn ich ihnen mal inhaltlich recht geben würde. Egal, ob das utopia.de ist (ergo Nachhaltigkeitsfanatiker), Rechte, Linke, Terroristen und Anschlagsmörder, psychisch Gestörte oder planvoll Agierende.
Ich will nur mal wieder richtig leben. Die Wunden verheilen lassen, die mir Staat und Teile der Gesellschaft zugefügt haben. Ich denke, es ist das Vernünftigste und Lebenswertsteigerndste, diesen Weg zu gehen, bevor es mir ernsthaft an die Pumpe geht, vielleicht auch an die Existenz. Ich bin zwar meinungsstark, aber nicht bekloppt genug, es öffentlich auszureizen. Ich will nur nicht verzichten wollen, sei es um deren Forderungen willen oder weil ich für (und automatisch gegen) irgendeine höhere Sache wäre, Freudemomente, Urlaube, Tagesausflüge oder ein gutes Essen sausen lassen würde.
Sich besinnen – das ist für mich schon länger kein Plakat mehr, das man am Straßenrand anpappt, um mal schnell gelesen zu werden. Es ist ein fortwährender Prozess des Lernens und Adaptierens für mich selbst, und der ist nicht ausgelutscht wie das Fass Wein des sinnbildlichen alten Schlauches. Der geht immer weiter, auch im Alter, und wenn man Lust auf Spießiges hat, ist es okay, ein Spießer zu sein. Dazu gibt es jetzt kein Patentrezept, ausmachen muss man das zwangsläufig jeweils mit sich selbst. Dieser Geist ist in letzter Zeit sehr in Vergessenheit geraten, und so sagt heute niemand mehr „ich gönn dir“ (auch wenn es die grammatikalische Hölle bedeutet), sondern das Gegenteil. Also gönnen Sie sich selbst, so lange es noch geht, bezahlbar ist und gesundheitlich machbar.
Seien Sie Spießer oder Teilzeitaussteiger, Männeraktivist und Rechtsgeframter, linke Socke oder Nachhaltigkeitsfan, nur machen Sie es bestenfalls für sich selbst, leben Sie es vor und seien Sie glücklich dabei, ohne gleich mit Ihren Erwartungen andere damit zu penetrieren, zu nerven, anzufauchen. Das geht in der Regel nach hinten los - denn das einzige, was verlässlich erwartbar ist, ist das Menschsein. Und das ist immer irrational. War es, ist es und wird es immer sein. Und in dieser Konstante zu leben und mit ihr klarzukommen, ist die einzig richtige Methode, das Leben zu leben und sich Gutes herauszuziehen. Sie können das beherzigen oder auch nicht. Mir egal und kann ich so akzeptieren.
Danke und tschüss mit üss. Ich hoffe, Sie sind gut und gesund reingerutscht.
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