Lange habe ich herumgedruckst, es anzugehen. Es ist auch im Kino nicht immer einfach, sich schwer verdauliche Filme anzusehen, die reale Bezüge herstellen und dadurch bei den Medien so etwas wie Feigheit oder propagandistische Methoden offenlegen – und einfach nur dadurch, dass sie ein ungeschöntes Bild über den Krieg als quasi beiwohnender Beobachter zeichnen. Das muss kein echter Krieg gewesen sein, es genügt auch ein fiktiver, wenn das Gezeigte nicht völlig cartoonhaft überzeichnet ist.
Es gab in meiner Zockerkarriere Spiele, die man nicht nach dem Motto „Hey, das war aber toll!“ fertigspielen kann. Man spielt sie, weil man es als moralische Bestätigung braucht; eine Art Charaktertest, ob die Abstumpfung gegenüber der Thematik schon eingesetzt hat. Das gilt für Entwickler wie auch für Gamer. Als 3D-Shooter die Branche übernahmen, hatte nebst „Medal of Honor“ auch das erste „Call of Duty“ diesen dokumentarischen Charakter inne – was heute aus der immer noch präsenten Marke geworden ist, kann man weder dokumentarisch oder kriegskritisch nennen. Das Problem hat heute nicht nur die Spielereihe, die Zeiten sind fragil geworden, und bezüglich des Kriegsthemas zu sorglos, heroisierend, vielleicht sogar verherrlichend.
Solche Vorwürfe kann man „Spec Ops: The Line“ nicht machen. Das Setting spielt keinen alten Krieg nach, passte aber 2012 in eine Zeit, in der Angriffskriege der USA sich häuften und viel Kritik zur Folge hatten. Der Konflikt, der sich im Spiel in Dubai ausgebreitete und unseren Delta Force-Charakter Captain Martin Walker hineinzieht, ist eine gute Allegorie dafür. Die Serie von Sandstürmen als Auslöser mögen harmlos erscheinen, doch was das Aufklärungsteam dort vorfindet, ist jenseits von harmlos.
Nein, es wird für unseren Spielcharakter – also auch für uns – zu einer Erfahrung, die man lieber nicht macht. Hier wird nichts verharmlost oder verherrlicht, der Krieg zeigt hier seine hässlichste Fratze. Trotzdem spielt man solche Spiele. Dabei sind die Kampfabschnitte nicht das Ausschlaggebende, die Spielmechanik nicht das bestimmende Element. Die Story hat mich dagegen hineingezogen, auch wenn es Gefühle von Ekel hochwürgt, Angst und Abscheu. Und das Schlimmste daran ist, dass „Spec Ops: The Line“ dem Spieler auch noch extreme Entscheidungen aufbürdet.
Zwölf Jahre später könnte man fast darüber lachen, dass ein deutsches Spiel sich so ausrichtete. Es ist ein bitteres Lachen. Die Zeiten haben sich derweilen geändert, und ich weiß nicht, ob man diesen Militärshooter heute als „Friedensschwurblerei“ am liebsten in der Aufmerksamkeitsversenkung geschoben hätte. 2012 hatte der Titel aber noch aufgewühlt. Ja, selbst die Leitmedien hatten das Spiel gar sehr wohlwollend rezensiert – kaum vorstellbar nach heutigem Maßstab.
Es war fast selbstverständlich, dass das Spiel kein finanzieller Erfolg wurde. Es traurig, aber wahr, schielt man nur zu „Call of Duty“, das – wenn man ihm das üppige Make-Up entfernt - heute eben nicht mehr als eine Rummel-Schießbude ist, in der das Töten in Kriegsszenarien völlig frei von Moral ist. Die Marktregeln sind andere als die mit moralischem Unterbau, und so besteht die US-Marke auch noch heute und ist quasi absatzdominant geworden.
Dem hier behandelten Titel ist dagegen ein anderes Schicksal widerfahren. Wegen angeblicher Lizenzprobleme mit dem Soundtrack ist das Spiel (gerade auf der größten Plattform Steam) seit Anfang 2024 nicht mehr erwerbbar. Ich mag hier gar nichts mutmaßen, aber ich habe ja schon etwas zum Nachdenken angeschnitten: Die Zeiten haben sich gewandelt. Und es ist sicher keine gute Entwicklung, wenn ein dermaßen wichtiger wie erlebnisimmanenter Titel wie dieser derart in seiner Verfügbarkeit eingeschränkt wird.
Das ist ein Fakt, der mir erst kürzlich aufgefallen ist. Und wirft es ein zweifelhaftes Licht auf das, was aktuell an Debatten aufgekeimt ist, und da ist Yagers Militärshooter sicher keine Werbeplattform á la „Top Gun“, sondern eher ein lästiges Hemmnis für jene, die nach Aufrüstung und „Kriegstüchtigkeit“ trommeln. Da hatte ich wohl Glück, es noch gekauft haben zu können und ich mir dazu noch in den Hintern getreten habe, es zu spielen. Nicht nur wegen der Message, sondern damit auch der Umstand der stillen Entfernung des Spiels aus den Stores nicht an mir vorbei ging.
Wertung: 8,5 von 10
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epikur (ZG Blog) (Mittwoch, 06 November 2024 20:03)
Hab ich vor Jahren mal gezockt. War ein interessantes Experiment: ein Ego-Shooter-Anti-Kriegsspiel. Sehr immersiv mit bleibenden Eindrücken. Leider auch mit vielen unnötig langen Baller-Sequenzen.
"This War of Mine" kann ich hier noch empfehlen.
Polemicer (Donnerstag, 07 November 2024 04:49)
@epikur
Unnötig lange fand ich die Ballerei gar nicht mal; man ist, wenn ich das richtig gesehen habe, dazu gezwungen, vorzustürmen, damit man nicht noch mehr Gegner abschießen muss. Zumindest kam es mir so vor, wissen tu ich es jetzt nicht. Aber das kannte man schon zu Zeiten des ersten CoD, da hätte man theoretisch unendlich viele Gegner generieren können, wenn man nur auf der Stelle stehen bleibt.