Zum Einstieg ein paar erläuternde Worte:
Abgesehen vom Restwert des Magazins, dass das Hamburger Magazin nicht komplett zur Boulevarddestille für linksliberale Bildungsleser verkommen ist, ist beim "Spiegel" ein sonderbarer Niedergang zu beobachten. Es ist schwierig, das im Ganzen und auf den Punkt zu beschreiben. Aber gibt es zig Anhaltspunkte, mit denen man eine Tendenz aufzeigen kann - wie es ideologisch tickt, wo darin die Schwerpunkte liegen und warum es immer mehr Fremdscham- wie auch Wutgefühle reizt.
Der Niedergang ist keiner, der urplötzlich aufgetreten wäre. Wie auch bei anderen Mainstreammedien ist es ein fortwährender Prozess, der durch besondere Wegmarken einen Schub erfahren hat. Der "Spiegel" hat so seine eigenen Marken gesetzt und somit ihre eigene Leserschaft gespalten: die Haltung zu Putin seit 2014, Relotius, Corona, etc. Das mag bestimmten Meinungsträgern so passen, den meisten allerdings nicht, was schon zur Krim-Krise zu Abgängen, Abonnementkündigungen und kontroverse Debatten führte.
Wenn darin die Absicht lag, ist das Magazin durchaus erfolgreich gewesen. Aber kann man die Schreibeskapaden von Claas Relotius nicht gewollt haben, was dann um so erschreckender ist, wie feige man den Skandal versuchte wegzukehren. In einer Stillzeit von knapp zwei Jahren, in denen man versuchte, eine Veränderung zum Positiven zu sehen, kam Corona dazwischen und damit leider auch eine zweifelhafte Positionierung im Fahrwasser von Regierungsnarrativen. Eine echte Grundlage dafür gab es keine, aber trotzdem war man sich nicht zu schade, auf genau diesen Zug aufzuspringen - und ich nahm das alles völlig entsetzt zur Kenntnis, wenn die größten Sender und Verlage diese Trittbrettfahrerei betrieben.
Stand heute sieht es im Vergleich zu vergangener Zeit nicht besser aus oder wäre nur unwesentlich schlechter geworden. Nein, ich bewerte das Magazin heute als eines derer, die massiv an journalistischer Qualität verloren haben. Und es ist noch schlimmer: es hat sich mehr der BILD-Zeitung in einer Art hochnäsiger Sensations- und Zerstörungslust angenähert. Ich habe mir deswegen angewöhnt, beim Überfliegen von Schlagzeilen gleich Screenshots zu saven, um den eigensatirischen Wert ernst gemeinter "Nachrichten" irgendwann als Sammlung zu präsentieren.
Das können Sie nun im Folgenden nachsehen, was auch lediglich einen Zeitraum von einigen Monaten umfasst. Viel "Spaß" bei diesem dokumentarischen Auszug journalistischer Teil- und Komplettausfälle.
Beginnen wir mit der US-affinen Berichterstattung und kindischem Gehabe. Bei ihrem Feindbild Trump ist ihnen kein rhetorischer Offenbarungseid zu blöd und kein Lerneffekt zu mickrig. Die Leitlinie der Artikel ist übergreifend klar: Kamala Harris-Hype her, Trump weg. Man wird geradezu übereifrig, die Woke-Ikone der Demokraten ins Weiße Haus zu schubsen, nachdem man Bidens Ausfallerscheinungen nach Jahren der Ignoranz mega-enttäuscht zugeben musste. Bei Trump hingegen das alte Bild - bloß nicht der! Nur was dieser "Guilty!"-Kanon und das weiterführend im Kampf gegen die AfD gebracht hat, sieht man Wochen und Monate später - nichts und wieder nichts.
Man sollte vorwegnehmen, dass die Kolumnistin die üblichen, identitätspolitischen Klischees bedient, falls nicht bekannt. Also ist ein AfD-Feindbild die logische Konsequenz daraus. Es mag im Teasertext schon mal anklingen, welche Schockwellen die EU-Wahlergebnisse ausgelöst haben, aber das kannte man ja auch bei Trump 2016 und Elitestudenten, die sich ähnlich gefühlig in ihre Safe Spaces verzogen. Vielleicht ist das auch jenes, aus dem man "journalistisches" Kapital schlagen kann, indem man Einblicke ins innere Seelenleben geschweige denn Schlafzimmer gibt. Fun-Fact: Ich hatte zuerst "Ich fühl mich so verlogen" gelesen.
11Freunde galt mal als eine Art spezielles Kulturgut des Fußballjounalismus, der auch anders berichtete als die üblichen Sportgazetten. Dass das Magazin jetzt zum "Spiegel" gehört, hat ihm sichtlich ungut getan (siehe auch Verkäufe und Abos). Statt das Sportartkulturelle zu pflegen wie zuvor, hat sich der Duktus sehr verändert. Plötzlich weiß man nicht, ob man Fußball hassen oder zelebrieren soll, und so liest sich die ein oder andere Kolumne so, als wolle man, dürfe aber nicht, weil man in Hamburg jetzt die Zügel in der Hand hält und ihnen die Verlagsstatuten aufzwingt. Die Ursachen liegen hierbei auf der anderen Hand, unter anderem, dass Volontärinnen dem einst mit Lob überschütteten Magazin teils keinen Gefallen tun. Da erweist man zuweilen der eigenen Gazette auch noch einen Bärendienst.
Fangfragen wie die im Artikel über Datingfrust findet man im "Spiegel" zuhauf. Es kann durchaus vorkommen, dass sich der Text hinter der Bezahlschranke anders positioniert. Aber reicht auch der kurze Teaser aus, die Gewichtung von politischen oder gesellschaftlichen Ist-Zuständen (alternativ konjunktivem Bildungsbubbledenken) innerhalb des Magazins zu erkennen. Hier mal wieder die deutliche Zeichnung, feministisch geprägte Selbstbestimmungsdoktrine propagandistisch zu pushen und Männer als unreif oder (wie so oft in letzter Zeit) "toxisch" und sowieso rassistisch hinzustellen. Und dazu eine Frage, wie man Scheitern und übersteigerte Ansprüche so hinstellt, als müsse man dringend völlig andere Wege gehen und sich in diesem Fall Gedanken darüber zu machen, lieber lesbisch zu werden. Und ich dachte, lesbisch ist man von Geburt an und wird es nicht, weil die Männer zu doof wären...
In dieselbe Kerbe wie oben schlägt dieses Essay, das aber auch weit mehr zum Aufreger wurde. Weil es die pseudolinkspopulistische Extremrhetorik anwendet und die Täter-Opfer-Situation einseitig pauschalisiert. Selbst beim Verlag wurde das nicht nur abgesegnet und hatte gar einen Kontra-Artikel eines Kollegen und ein paar unausgesprochen interne, kontroverse Anmerkungen zur Folge.
Hier ist erkennbar das Fass übergelaufen, was nicht nur ideologisch Andersgesinnte auf die Palme brachte, sondern auch innerhalb der Redaktion offensichtlich nicht so stehen gelassen werden konnte. Und das soll beim "Spiegel" anno 2024 schon was heißen. So auch hier eine Entwicklung, die man als zweifelhaft ansehen muss, was da an Nachwuchs in die Tasten hauen darf. Wer hier wann was satt haben darf, überlässt man dann lieber nicht solchen Berlinbubblistinnen.
Die Krux liegt im ersten und im letzten Satz dieses Ausschnitts. Anstatt "für das System" befremdlich zu finden, feiert man es, weil es dieselben Feindbilder bedient. Andere, wie ich selbst, finden es schon seltsam, wenn "Punkrockbands" "große Hallen" füllen. Klingt, wie so vieles im Mainstream, ziemlich weltfremd, wenn man Punk nur auf der Erfolgsschiene betrachtet.
Sehr witzig, wenn sich etwas schon innerhalb zwei eigener Artikel selbst widerspricht. Musk ist ja auch nicht gerade "Spiegels" Liebling, so dass die Überhöhung der EU-Hoheit gegenüber dem verhassten Tesla-Gründer im Artikel darunter der berühmte Monty Python-Fuß ist, der die Heile-Heile-Situation des EU-Patriotismus unter sich zerquetscht.
Manchmal bin ich entsetzt, was hinten raus kommt, wenn man sich so scheinkreativ nach Schlagzeilen bemüht. Dann wird eine sehr verdeutschtes "Seine" (französisch gesprochen: "Sänn") in einen Drafi Deutscher-Klassiker gequetscht. Man sollte die "Lage am Abend" von der Couch weg bewegen und nicht solchen Bullshit raushauen, der ja unweigerlich zur Annahme führt, dass da zu viele Betäubungsmittel eine Rolle spielten, während man sich von einer Schlager-Playlist berieseln lässt.
Schon auffällig, wie ein "Mythos" Jahrzehnte überdauern kann, immer wieder als Warnung diente, um faschistoide Tendenzen aufzuzeigen und einzuhegen. Der "Spiegel" will nun plötzlich erkannt haben, dass etwas lange Unangefochtenes und Symbolisches plötzlich einer "Studie" nicht standhalten könne und zweifelt sogar die Aussagen des ideegebenden Lehrers an. 2008 hatte man damit noch keine Probleme, doch jetzt soll das alles so nicht passiert und dazu noch "unwissenschaftlich" sein. Vielleicht schwingt da die Befürchtung mit, dass man in seinem aktuellen Wirken doch sehr leicht als "Welle"-Mitglied interpretiert werden könne. Gerade weil die faschistoide Entwicklung des "Welle"-Kollektivs keine konkrete Nazi-Symbolik brauchte. Also muss man daraus mal schnell einen "Mythos" basteln, bevor sie einem selbst gefährlich werden könnte.
Auch diese zwei Artikel sind sinnbildlich für die politische Tendenz des Magazins im Zusammenhang mit Personenkult und Positionierungswillen und -ansprüchen. Der Mainstream liebt Taylor Swift - und das nicht nur, weil sie jetzt offiziell Milliardärin ist und so als opportunes Erfolgsmodell taugt. Aber wehe, sie kuschelt mit den Falschen...
Kaum stand Florian Schroeder nicht mehr unter der Fuchtel von Serdar Somuncu, lederte er viel verbreitet via Mainstream-Formate und -Plattformen gewohnt undialektisch ab. Also nichts gelernt vom Gesprächspartner. Es wird als "satirischer Gastbeitrag" angepriesen, ist aber Böhmi-isch wie sonstwas, also satirisch hauchdünn und eine dankbare Ostschelte für den "Spiegel", die man via outgesourcte Ideologiehandlager verbreiten kann.
Kurzer Exkurs in die Selbstoptimierung - auch ein Steckenpferd des "Spiegel", das gerne darauf abzielt, sich einen Erziehungsauftrag anzueignen, den sie Eltern da draußen irgendwie nicht zutrauen. Das ist aber kein Magazin-exklusives Ding, das füllt ganze Special-Interest-Verlage. Aber es ist wohl essentiell für orientierungs- wie planlose Jungerwachsene der Bildungsblase, die nichts von alleine auf die Kette bekommen und auch andere Probleme haben als Geld nach Hause zu bringen.
Statt mal sich selbst in die Pflicht zu nehmen, hat sich die aktuelle Aufstellung der Hamburger Belegschaft wohl die Aufgabe selbst auferlegt, alle Andersmeinenden einfach nur zu diskreditieren. Disruptiv erscheint hier wohl nur die eigene moralische Überhöhung zu sein, ihre US-Affinität offensiv-aggressiv zu verteidigen. Und schiebt eigenmächtig und ohne irgendeine Grundlage eine direkte Konkurrenz mit offenerer Diskussionskultur ins "Alternativ"-Abseits. Was nicht das Protokoll inhaltlich bestätigt, sondern den Eindruck der Angst um einen Deutungshoheitsverlust in schwierigen Zeiten. Holger Friedrich hat jüngst sogar zum Austausch geladen, was man aber verweigert. Wer ist hier also meinungsverengt oder zu feige, sich der persönlichen Konfrontation zu stellen? Ist natürlich bequemer, über jemanden abzuledern und Unterstellungen zu verbreiten als mit jemandem persönlich zu reden.
Aufreger, Nummer (ich zähl schon nicht mehr mit). Wie oben schon angemerkt, hat identitätspolitischer Unsinn Hochkonjunktur im "Spiegel". Egal, ob der Peak schon drüber ist und das nicht mehr so positiv aufgenommen wird. Aber dieses männerhassende Narrativ in seiner Anzahl an Artikeln weiter so beizubehalten, kann böse nach hinten losgehen, wenn man gleich mal grob die Hälfte der Bevölkerung wegen ihrer biologischen Eigenschaften unter Generalverdacht stellt. Und das mit den bescheuertsten Querverweisen, selbst wenn es schon menschliche (!) Grundbedürfnisse berührt. Aber das kennt man ja mittlerweile beim Wokismus im Endstadium, der an Grenzen der Schuldzuweisung in Superlativen angekommen ist.
Hier etwas, das den Vergleich zur BILD sehr "bildlich" macht. Es passt wie die Faust auf´s Auge, wie eine Nichtmeldung zur Meldung wird, und das nicht mal im Schmierblatt des Springer-Verlages, über das man sich in Hamburg ja noch meilenweit überhebt. Im "Spiegel" liest sich ein Will-Smith-Furz dann natürlich gleich viel... ähem... anständiger und nicht reißerisch. Oder - was eher anzunehmen ist - findet man den Schauspieler irgendwie nicht mehr so integer und muss ein bisschen am Superstarstatus kratzen. Siehe oben zu Taylor Swift, wo falsch gekuschelt oder, wie im Fall links, auf Preisverleihungen geohrfeigt wird.
Eine sehr interessante Entwicklung ist gerade an Vize-Chefredakteurin Melanie Amann zu beobachten. Sie wäre wohl nie auf die Idee gekommen, solche Artikel zu verfassen, wenn sie nicht im TV in ihrer Unbedarftheit via Anekdoten der Tagesschau-Ikone a.D., Ulrich Wickert, öffentlich-medial einer Rosskur unterzogen worden wäre. Jetzt plötzlich wird das Migrationsproblem zumindest mal öffentlich beschrieben, wie es ist, was man im Furor gegen die AfD jahrelang erfolgreich verschwieg bzw. nicht wahrhaben wollte. Ergebnisse haben zuvor (und teilweise heute noch) nur den Rückzug unter die Eichhörnchendecke zur Folge gehabt, bei Amann aber immerhin zu einer Teilerkenntnis geführt.
Zum Abschluss der Serie hier noch ein besonderes Schmankerl linksliberaler Doppelmoral: Anlässlich eines eher negativen Jubiläums versteift sich diese Artikelserie offensichtlich nur auf eine kontextlose Geschichtswiedergabe mit falsch geführtem Erkenntnisgewinn von heute (eher das Gegenteil, wie man sich mit dem Teaser auch noch herausredet, es wäre heute nicht so). Ich habe, wie so vieles, weder bezahlt noch über die üblichen Archivseiten gelesen, weil mir in dieser Serie schon die Zitate ausreichen, Vergleiche zu heute zu ziehen. Ich brauche keinen Selbstbetrug, der einen Demokratieverteidigungsaktivismus rechtfertigt, um die Querverweise der DDR-Undinge von einst mit aktuellen Entwicklungen zu verleugnen. Die Zitate sind eher noch verstärkend zu aktuellen, totalitären Vorhaben der Grünen unter stiller Absegnung seitens Teilen der SPD.
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Pascal (Sonntag, 20 Oktober 2024 08:13)
Gewisse Darstellungen, vorallem das ganze Trump/Harris- und Putin-Getröte, könnte man wohlmeinend noch als misslungene Versuche dadaistischer Kunst verstehen - wenn es denn ursprünglich als Kunst gedacht gewesen wäre.
Vielleicht wäre eine Umwidmung des Spiegels zu einem reinen Kunstmagazin sinnvoll. Mit der dann kritisch gestellten Frage, ob's Kunst ist oder weg kann, gäb es mit etwas Glück noch Potential, als ersteres durchzukommen.
Jetzt hat der Spiegel also 'Die Welle' zerlegt; da können wir also gespannt sein, ob sie Milgram und Asch auch noch widerlegen werden.
Da ich die letzte Printversion des Spiegels wohl 2003 in Händen hielt und nie auf dessen Website unterwegs bin, trifft mich die unglaubliche Dümmlichkeit der vielen Artikel gerade doch etwas unerwartet und vorallem mit Verwunderung, dass dafür tatsächlich noch jemand Geld ausgibt.
epikur (ZG Blog) (Sonntag, 20 Oktober 2024 11:57)
Sehr schöne Medienanalyse, die viel Arbeit macht. Danke dafür!
Genau solche Analysen belegen sehr gut, dass die Kritiker eben nicht nur irgendwelche Parolen raushauen. Wer das dann immer noch verleugnet und diesen Q-Medien-Schmonz weiter für "Wahrheit" hält und alternative Medien, wie beispielsweise "Multipolar" oder die "Nachdenkseiten" als Querdenker-und-Putin-Postillen brandmarkt, dem ist dann nicht mehr zu helfen.
Polemicer (Sonntag, 20 Oktober 2024 19:48)
@Pascal
Ich kann das nicht mal mehr als Kunstprodukt betrachten, eher wie Big Brother im Multidrogenrausch - Lightversion. Vor allem die ganzen Verdrehungen ("Die Welle" ist da nur ein Beispiel) - da ist man schlicht fassungslos, was da mittlerweile alles veröffentlicht wird und wie man alles bisher Allgemeingültige plötzlich versucht umzudeuten.
@epikur
Richtig, wobei die Gegenpositionierung so billig, durchschaubar und plötzlich alles auf den Kopf stellend als Wahrheit verkauft werden will. Deswegen sind wir ja noch am Hadern, ob das ein Plan oder einfach nur dumm ist. Ich bin da völlig ratlos, muss ich gestehen.
Trebon (Donnerstag, 21 November 2024 01:45)
Gibt's die noch? Wohne 5 Minuten von deren Gebäude, kenne die Haushälterin von Augstein, habe früher jeden Spiegel durchgelesen und für was? Das ich seit 15 Jahren das Teil nur einmal in der Hand hatte? Hab's nicht mal gelesen, dünn wie der Knochen den Hänsel und Gretel der Hexe hingehalten haben und - da ohne Anzeigen - von was auch immer finanziert/bestochen/gekauft. Tote Pferde reiten nicht mal Romantiker.