Schuldsuchspiel, Folge 374. Dass man bei einer Landtagswahl hohe Verluste, fünf Prozent und das Nichterreichen einer Sperrminorität feiert wie einen Wahlsieg, ist mir neu. Auch, dass man die Strategie zur Vermeidung von Stimmen für den Feind so anlegt, dass nur eine Partei davon profitiert, nur noch vier Parteien das Parlament stellen können und die Regierungsbildung ein ideologisches Perpetuum Mobile in Gang setzen müsste, um überhaupt zum Ergebnis zu führen, ist ebenfalls bemerkenswert.
Nach dem Trauma Sachsen/Thüringen ist nun auch Brandenburg vorbei. Klang das alles noch etwas zuversichtlicher im Vorfeld, wie man sich der SPD an den Rockzipfel hing. Die hat ja jetzt tatsächlich mal gewonnen – nur zu blöd, dass man es einzig unter dem Banner „Anti-AfD“ machen musste. Die Strategie ging in nackten Zahlen sogar auf. Aber steckt die Krux im Detail, was dann wieder den Beweis erbringt, nicht zu Ende gedacht zu haben. Jetzt stehen die linken Herzogtümer vor dem Nichts, haben sie doch Hof und Gut und Armeen dem SPD-Landesfürsten überlassen und können jetzt Konkurs anmelden.
Natürlich war der linke Untergang das Zünglein an der Waage. Diesmal aber hat es sich jetzt nicht wie eine Abrechnung zwischen Linke-links und BSW-links dargestellt. Jetzt hat links-progressiv allgemein eine dicke Watsche erhalten, und das schließt alle mit ein, die naiverweise Regenbogenfarben wie auch alle Trendthemerei in ihrer heutigen Ausrichtung für sich beanspruchen. Die FDP als die größte Heuchelmeute hat mal so richtig einstecken müssen. Von 4,1 % zu kaum nicht mehr messbar zu kommen, ist schon eine Leistung. Aber das ist im Karma-ismus die noch zwangsläufigste Sache, hat die FDP sich am Ampeltrog und vorher ihrer Corona-Zickzackerei zu Tode gefuttert.
Weitaus interessanter waren Linke und Grüne. Erste bestätigten nur ihre Selbstauflösung, Grüne allerdings haben nun die größte Backpfeife erhalten und sind somit in denselben Sog geraten. Den Fünf-Prozent-Horizont dachten sie noch in den Lüften überblicken zu können, ohne nass zu werden, doch dann mussten sie feststellen, dass sie schon lange im Wasser dahinschwommen und die Gewichte des Wählerverlustes sie nach unten zog. Im und unter Wasser, und nicht knapp darüber. Tja, so ist das mit dem falschen Körpergefühl, wenn man die einen umgebende Feuchtigkeit nicht bemerken will oder kann.
Im Bullshit-Bingo der schlechten Verlierer sind sie sich nun wieder verblüffend einig, was sie jetzt an Kommentaren in die sozialen Medien spülen – oder die Putinplatte hat einen Sprung. Weiß man nicht. Jedenfalls hab ich jetzt so oft „Putin“ vernommen wie in den letzten Jahren „AfD“, dass ich mir schon wieder Oropax in die Ohren stopfe. Die Masche „man muss es nur oft genug wiederholen“ hat schon bei meinem alten Herren nichts gebracht. Ja, manche plappern dann solche Anschuldigungen gerne nach, wenn es in den ideologischen Kram passt, aber mich kriegt man damit eher nicht. Man ist die Tage eher geneigt, einer einstigen Hassfigur (Julian Reichelt) zugetan zu sein, der sein eigenes Hassbild (Grüne) verhindern will. Und somit bezüglich Brandenburg zufrieden sein kann. Es passt auch bei Reichelt wie bei der AfD in die Reaktanz, die Schnauze voll von links zu haben und sich teils oder ganz dem Rechtsruck hinzugeben.
So können sich Zeiten wandeln. Ich bin immer wieder erstaunt, wie die alten Werte in einem selbst scheibchenweise durch andere ersetzt werden. Sicher eine Frage des Alters und der Erfahrungen, und früher war ich bezüglich Kernkraftwerken und Waldabholzung auch näher an den Grünen denn an anderen Parteien. Gewählt habe ich sie trotzdem noch nie, seit Schröder/Fischer sowieso nicht. Die Entkernung der Partei hat also schon zur Jahrtausendwende ihren Ursprung. Dass man heute nach Waffen schreit, als ob John Rambo den Vietnam alleine besiegen wolle, ist also in der Nachbetrachtung keine Überraschung mehr. Und dazu der Ohrwurm „Putin schuld“ von Hofreiters Big Band Trio. Das Album heißt „Putin sucks“. Mit den Hits wie „How to hate Putin“ und „Putin hat nen Kleinen“ versucht man an alte Erfolge des Dancefloor-One-Hit-Wonders „Impfimpfimpf“ anzuknüpfen.
Von makellosem Starimage kann dabei keine Rede sein. Und heute will keiner ihr eintöniges Geschrammel mehr hören. Naja, wenn´s nur das wäre... Sehen Sie selbst, was TikTok und Co. uns da zumuten. Allmählich bin ich dafür eine Fremdschämzensur des Internets durchzusetzen, damit wir die Grünen und Co. vor solchen Peinlichkeiten schützen können. Badumm-tzz.
Nun ja. Während ich diesen Kram hier tippe, kommt auch schon der Hammer der Konsequenz über uns – die Parteispitze tritt zurück. Da hat Putin wohl alle Arbeit geleistet und die Parteispitze zum Rücktritt desinformiert. Natürlich trällert man sich die Zeit noch ein bisschen schön, auf dass sie niemand wirklich vermissen würde. „Neue Gesichter“ bräuchte es, aber da sind noch genügend alte Gesichter, die bitte folgen mögen. Trampoline und die Schreibmaschine warten. Solange sie in ihren Ämtern noch daherwüten können, wird es nicht besser werden, und ein Parteivorsitz hat ungefähr so viel Stellenwert wie ein Bundespräsident. Platzhalter mit Laberreservierungsgarantie.
Dazu auch noch der Austritt des Grüne-Jugend-Vorstandes. Angeblich hätte es mit dem oben genannten Rücktritt nichts zu tun, aber man weiß ja, was man von Beteuerungen in und aus der Partei zu halten hat. Offenbar brauchte es jemand anderen, der/die das Beben auslöst, und da kamen Lang und Nouripour wohl gerade recht. Schon ist von der „Habeckisierung“ der Partei die Rede – dabei wird es wohl eher eine „Fücksierung“ sein, die schon lange Fäden im Hintergrund zieht. Also noch mehr Narrativ aus einer Denkfabrik und – wie ich annehmen darf – Zersplitterung des... ähem... Realoflügels von den Parteifundis. Das Beben hat die Partei allerdings nicht nur marginal erfasst, es hat schon etwas von San Andreas-Spalte. Die Partei erlebt ihres nun wie bei den Linken bereits geschehen, und irgendwie zollt man der nun abwandernden Jugend etwas Respekt, weil sie endlich einsieht, wie sich die Alten seit der Bundestagswahl so extrem von ihren Wahlversprechen entfernt haben. Andererseits: es könnte auch bedeuten, dass die Jungen sich ihrerseits linksradikalisieren. Man sollte das in Augenschein behalten – nicht, dass wir ihr durch Wegsehen den Weg in eine neue Terrorbewegung geebnet hätten.
Fakt ist, dass das Branmauerkonstrukt langsam in sich zusammenfällt. Man mag die zaghaften Eingeständnisse in Sachen Migrationspolitik schon wohlwollend aufnehmen, aber da sie jetzt erst Thema geworden sind, nach zehn lähmenden und teuren Jahren, war es erst das übergelaufene Fass von Gewalt, das sie zum Handeln zwang. Es ist, auch ohne Zutun der Ewiggestrigen und Stolzmonatfiguren, das gesellschaftliche Karma, das die Dinge wieder ins Lot bringen muss. Noch versucht man, an allen Fronten gleichzeitig dagegen anzukämpfen, kommt aber nicht umher, dass ihnen das alles zu viel wird. Und so brennt nun die Brandmauer in Brandenburg, wie man sich taktisch in die Bredouille gewählt hat. Die Wokeness-Welle bricht jetzt nachweislich und endgültig. Nur an welcher Stelle sie das tut, weiß man noch nicht einzuschätzen. Vielleicht noch vor der Küste, wo sie nicht ungebremst auf bewohntes Gebiet trifft und der Schaden noch reparabel wäre – oder vielleicht ist es schon zu spät und sie nimmt erst alles Bebaute und Bewohnte mit, bevor sie sich erst an Land abschwächt.
Die Schuldfrage müssen wir uns hierbei kaum mehr stellen. Sie mag komplex sein, aber sie war absehbar gewesen, und seit 2021 hat sich die Welle mit einem Mal derart aufgetürmt, dass es erahnbar war, was folgen sollte. So wird auch die Putinplatte ein Flop. Und da können sich Emilia Fester und Co. dazu auf TikTok einen von der Palme tanzen wie sie wollen. Deren Zeiten sind vorbei.
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epikur (ZG Blog) (Dienstag, 01 Oktober 2024 13:28)
Das ist leider so unendlich typisch deutsch: es wird immer nach Schuldigen, anstatt nach Lösungen gesucht. Das erlebe ich überall. Familie. Lohnarbeit. Behörden. Politik. Medien.
Deshalb klappt diese Sündenbock-Politik hierzulande auch so gut. Man markiert die "Bösen", brandmarkt sie als "die Schuldigen" und alle dürfen draufhauen. Arbeitslose. Flüchtlinge. Ungeimpfte. Regierungskritiker. Konservative.
Anstatt das man seine Energie in konstruktiven Lösungen kreativ einsetzt, verpufft sie allzu oft in wildem Geschrei und Getöse. Ich habe die Vermutung, das wird nicht selten auch genau so gelenkt, weil es "Interessen" gibt, die an echten Lösungen gar nicht interessiert sind.