Anlass zu dieser Hochmutkolumne gab mir kürzlich der Medienhype um Taylor Swift. Dabei musste ich mich schon kneifen, warum dieses Gebücke vor dieser Musikperson überhaupt so dermaßen ausartete, dass selbst die Tagesschau in den sozialen Medien mir ständig Berichte in die Timeline spülte, als wäre sie kurzzeitig von der „Bravo“ gekapert worden und die ihre Unterwürfigkeit gegenüber dem Superstar in die Welt spülen konnten. Nun gastierte sie bekanntlich in Gelsenkirchen, weil die – es ist ja nicht alles schlecht dort – ein Stadion haben. Groß genug, um neben Dreck und wenig Vorzeigbarem immerhin die Tribünenblase für die Beherbergung bühnenverwöhnter Neumilliardärinnen ihr Eigen nennen können. Vielleicht brauchte man etwas Seelenheil von der miesen Brexit-PR zur EM, die vielleicht bei den Stadthaltern für Heulkrämpfe sorgten, bekleisterte die Stadt mit Geswifte und nannte sich kurzerhand gleich ganz um. „Swiftkirchen“ verbannte das „Gelsen“ kurz in die Abstellkammer.
Man versucht also schon gar nicht mehr, die „Ruhrromantik“ selbstbewusst zu präsentieren und verbiegt sich für eine Milliardärin, die – wenn man ihr nur das volle Programm serviert – die Stadt aufkaufen könnte, wenn sie wollte. Weg vom Schmuddelimage und der Schmach der EM hin zur strahlenden NRW-Metropole, wenn es ihr so gut gefiele, dass sie sich gleich ein Haus dort baut und vielleicht noch ein paar Scheinchen rüberwachsen lassen könnte. Das klingt weit hergeholt, ich weiß. Aber wirkt diese Megaanbiederung, mit einem sorgenvollen Seitenblick in die Stadtkasse, wahrlich wie die klamme Hoffnung, Taylor Swift würde sich nach ihrer Heimkehr vor lauter beispiellos guter Eindrücke bei ihren Freundinnen nicht mehr einkriegen.
Vor ein paar Wochen war ich mit meiner Partnerin bei Toto im Schlossgarten zu Bruchsal. Dem ging ein halbes Jahr vorher die winterliche Langeweile und reiner Zufall voraus, als uns vor der Mattscheibe die Ratlosigkeit dazu trieb, Amazon Prime statt nach Filmen nach Musik abzuklappern. Wir landeten bei den üblich Verdächtigen, also jenen, die selbst noch die Hitsender ab und zu aus der Mottenkiste holen. Zeitloses im Konzertmitschnitt kann man sich da heraussuchen: Queen, Metallica, Earth, Wind & Fire oder eben Toto. Bei „handgemachter“ Musik ist besonders interessant, wie das auf der Bühne rüberkommt. Und wenn ein paar Dauerbrenner wie „Africa“ oder „Rosanna“ live gespielt werden - kann es die Magie auch auf den Brettern, die die Welt bedeuten, einfangen, die sie zu Dauerbrennern machte? Sind die Improvisationen dazu stimmig, unterhaltsam und mitreißend?
Das Video beeindruckte mich ziemlich. Sauber produziert, spielfreudige Musiker, die offenkundig ihr Handwerk gut beherrschen – die Show war eher Staffage und deswegen weniger wichtig. Das beeindruckt mich weit mehr als Plastikevents, in denen es fast nur darum geht, wie man vor „Messebaukulissen“ effektvoll „nebeneinander herläuft“. Und wie der Zufall (oder irgendein Algorhitmus?) das so will, empfahl mir ein Newsletter für Juni Toto live in Bruchsal. Dass so ein Schwergewicht aus Rock und Pop nicht billig würde, war klar, aber es kostete eben nicht bis zu 400 Rappen und mehr wie bei Taylor Swift, die wohl Angst vor dem sozialen Abstieg hat, wenn man für sie „nur“ knapp 80 oder weniger hinblättern würde.
Ja, klar, da gibt es immens hohe Betriebskosten. Bühne, Tourtross, der bezahlt werden will, Hotels, was weiß ich. Ich sag´s mal so: Metallica sind auch nicht billig und sprengen mittlerweile meine selbst gelegte Obergrenze, aber mir ist nichts bekannt von offiziellen Ticketpreisen, die auch für ein langes Wochenende in den Alpen ausreichen würden. Man kann also durchaus an die Fans denken und auch eventuell solchen ein Konzert zu gönnen, die nicht so wohlgebettet sind. Bei den Swifties lebt es sich dagegen wohl nicht schlecht, so viel Kohle hinzulegen und sich drumherum auch noch mit allerlei überteuerten Kultobjekten einzudecken wie alte Omas seinerzeit bei jeder Audienz der Queen. Und da klingt "VIP-Ticket" natürlich weniger verwerflich als "Row Zero", nebenbei bemerkt.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe nichts gegen ein bisschen Personenkult, egal ob das die Royals in England sind, der Papst oder ein Musikstar. Aber bemesse ich die Legitimation des Kults am Geleisteten und den Mehrwert, den die Personen zu leisten fähig sind. Dazu braucht es eben auch Talent, eine Trademark, ein Gespür. In der Musik oder anderem Kunstgewerbe ist es allerdings immer schlimmer geworden, dass die Macher nicht die Künstler selbst sind. Swift wird zwar in den Credits aufgeführt, aber nicht an erster Stelle geschweige denn alleine. Da sind also etliche Personen an den Songs beteiligt – da frage ich mich schon, wie sie so viel Geld anhäufen konnte, wenn so viel Personal involviert ist. Vielleicht ist es so etwas wie der „Cars“-Effekt bei Disney. Das Studio hat sich an der Marke dumm und dusselig verdient, aber auch nur, weil das Merchandise überall erhältlich ist und nicht an den Filmen selbst. Die sind nicht gerade ein inhaltliches Glanzstück aus dem Hause Pixar, aber eben doch finanziell erfolgreich wie Bolle.
Swift könnte ebenso erfolgreich ausgeschlachtet werden, aber sehe ich nun mal nicht an jede Ecke in der Kinderabteilung in Märkten Produkte mit ihrem Namen darauf. Wer weiß, was da an Verträgen am Laufen ist, die Kohle auf ihr Konto spülen. Und wieviel die Industrie damit zu tun hat. Hierzu würde mich schon interessieren, welche Quellen hier angezapft wurden – auch hier kann man sich mal zum Vergleich den Marktwert von Queen (die Band, nicht die Elsbeth) anschauen. Die Band besteht schon seit 1970 und verbucht etwa 1,8 Milliarden für sich. Swift hat da ordentlich aufgeholt, und die ist nicht seit über 50 Jahren im Business aktiv oder überhaupt auf der Welt.
Das alles sind marktwirtschaftliche Faktoren, die jede musikalische Leistung zur Lapalie degradieren. Profan ausgedrückt braucht es heute keine besonderen Songs mehr, man muss nur wissen, wie man es an den Konsumenten bringt und ihn binden kann. Und die Nachhaltigkeit generiert sich nicht durch die Besonderheit von Liedern, sondern nur im Ausmelken einer „Kindheitserinnerung“, die nicht in jedem Spartenradioprogramm auftaucht wie eben Queen, Toto und Co. Daher erscheint es mir zweifelhaft, wie wenig die Musik die Geldpolitik bestimmt und wir auch selbst durch unsere Hörgewohnheiten im Internet kaum etwas zur Wertmehrung beitragen können bzw. wollen.
So bleiben Konzerte und vor allem deren Marketing wie auch der Bühnenpomp die maßgeblichen Faktoren im „Unternehmen Swift“. „Swiftkirchen“ bewarb also weniger eine schillernde Musikerin, sondern ein potentes Franchise-Unternehmen. Das kann man übrigens auch für Queen heute sagen, aber Queen ist einfach nicht mehr Queen, seit das Unikum Freddie Mercury nicht mehr „verfügbar“, der Effekt aber fast zeitlos geblieben ist. Dabei wirkt es auf mich wie ein „Swiftbürgerstreich“, sich wegen des Marktwertes einer Person, die 08/15-Songs vorträgt, in Schale zu werfen und dass kaum jemand wirklich spontan ihre Lieder nachpfeifen kann. Das ist ungefähr so glamourös wie eine Produktpräsentation, bei der das neue Mercedes-Modell vorgestellt wird.
Was bleibt denn nun von den klammen Hoffnungen für die Werbeshow? Swiftkirchen ist nach einem Abend wieder nur Gelsenkirchen – trostlos wie eh und je, und es ist wieder dem Fußball vorbehalten, die Stadt aus ihrer prekären Lethargie zu bewegen. Derweilen ist Taylor Swift schon nach Hamburg und München gejettet, und dort gibt es wohl weit mehr als nur ein Stadion, das die Künstlerin/Unternehmerin dazu bewegen könnte, mal abseits des Touralltags vorbeizuschauen. Mit dabei: Tagesschau oder Ricarda Lang, die sogleich eine eingeschenkt bekam, warum sie eine Umweltsünderin mit Privatjet denn so anhimmele. Man fühlt sich in dem Kontext gut und gerne an den Bali-Klimakleber erinnert.
Um Musik ging es auch hierbei nicht, nur um eben jenen Hype, einem Kult, der erst hochkochte, weil wieder mal ein geldschweres Phänomen (etwa nach Bill Gates) die Tagesswift dazu brachte, auf ihre Neutralitätspflicht zu pfeifen.
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Holger (Mittwoch, 31 Juli 2024 15:23)
Mein erster Gedanke als ich über diesen Hype las:
Da wird wohl ein zukünftiger I(n/mpf)fluencer (oder anderer Werbebotschafter) aufgebaut.
Jetzt bin ich aber gespannt, was die in Zukunft alles gut oder schlecht findet, und ihren Fans wärmstens ans Herz legt.
Polemicer (Donnerstag, 01 August 2024 05:56)
@Holger
Aufgebaut wird sie schon mal in die Nähe von Royals wg. Southport
https://www.gala.de/stars/news/taylor-swift--nach-angriff-in-southport-ist-sie--voellig-geschockt--24148892.html
Was soll sie denn sonst dazu sagen? Mir egal? Es ist im Grunde überhaupt nicht wichtig, dass der Tanzkurs mit ihrer Musik lief. Sie wird zumindet zur moralischen Instanz aufgebaut, weil sie sich offenbar eigenverantwortlich bestürzt zeigt, gefällt den Bückmedien natürlich. Dasselbe passierte kurz vorher zu Kammichma Harris, sie solle ihren Wahlkampf besingen. Sie steht jetzt schon auf der "richtigen" Seite. Muss sie nur aufpassen, dass sie nicht ein einziges Mal das "Falsche" sagt.