Meine Partnerin und ich runzelten die Stirn. Nach einem äußerst furiosen Wahlwochenende mit passendem Vorgeplänkel waren die seelischen Verletzungen offenbar so tief gedrungen, dass man sich wahrscheinlich irgendeinen Safe Space herbeiwünschte, in dem man Teddybären knuddeln konnte. Also etwas Aufbauendes, Kopftätscheln, bis die rote Birne wieder einigermaßen abgekühlt ist. Wie passend, dass nur zwei Tage später der Heiland einkehrte. Der heilige Wlodomir erhöhte kurzerhand die Luxzahl im Bundestag, und alle Anwesenden waren aus dem Häuschen. Fehlten nur noch Kniefälle und Verbeugungsriten. Vergessen war dadurch wohl die Schmach vom Sonntag, dass man wieder zur Tagesordnung übergehen konnte. Überraschend war das prinzipiell nicht, aber wir stutzten doch schon ob der zeitlichen Nähe zwischen Wahlen und Selenskij-Einkehr.
Die Wirkung auf mich gleicht einem „Jetzt erst recht“. Es ist wohl auch kaum verwunderlich, wenn man schon vorher so viel Verachtung für seine Bürger im Ganzen übrig hat, hat sich damit nur der Wert erhöht. Scheiß Bürger, die einfach nicht verstehen wollen.
„Hochverachtungsvoll,
Ihre Bundesregierung“
Als ob es da etwas zu verstehen gäbe, einen wichthaften... Verzeihung... gewichtigen Demokratiehelden mit Vorgeschichte in den Bundestag zu laden und wir offenbar die einzige Nation sind, die derart geschlossen (außer AfD und BSW) verblendet wie begeisterungsfähig Beifall klatscht. Das bräsige Deutschland braucht halt wieder mal länger im Erkenntnisprozess, dass etwa in Frankreich das Parlament halb leer war. Auch dass Frankreich gleich seine Lehren aus dem Wahldebakel zog und bald – außerplanmäßig, wenn auch mit einem gewissen Kalkül - neu wählt. Würde man das bei uns tun, wäre es ein Schuld- und Versagenseingeständnis, aber die Größe gibt man sich hierzulande bis zum Erbrechen nicht. Man weiß und kann ja alles. Warum also abdanken?
Irgendwann wird auch das in sich zusammenfallen, da bin ich mir sicher. Doch bis dahin wird mal wieder jede Gutzeichnung der Ukraine ausgepackt, die noch möglich ist, und unter dem Framing-Deckmantel des „russischen Angriffskrieges“ läuft die Propaganda auch schön weiter. Daher sollte es auch niemanden überraschen, dass Selenskij dazu noch sagt: „Die Zeit der Kompromisse ist vorbei.“. Als hätte es jemals seit Februar 2022 Kompromisse gegeben, abgesehen von der vagen Hoffnung aus Istanbul, die ein Boris Johnson sogleich in seiner üblichen Art mit dem Vorschlaghammer zerdrosch. Rechnen Sie nicht in naher Zukunft mit einem weiteren Versuch - Selenskij drischt gerne mit. Außerdem kann man das in Deutschland als endgültige Begrabung der historischen Bedeutung von Putins Rede an selber Stelle 2001 verstehen.
Und mir schwant da die Annahme, dass man ihn als Fernsehstar, in der ein unbescholtener Lehrer plötzlich Präsident wird, eher in der Realität zeichnet und irgendwie den Unterschied zwischen Serie und Realität im Bundestag gar nicht mehr zu bemerken scheint. Vielleicht will man in ihm eher die moralisch reine Figur der Serie sehen. So lässt sich gut und gerne eine Austauschfigur schönreden, die im Fernsehen zum Helden wider Willen wird, während man der realen Person mit seinen totalitären Dekreten, Korruptionsvorwürfen und Drogenmissbrauchsvorwürfen nicht zu viel Bedeutung beimessen muss.
Außer Stirnrunzeln und affektiertem Schnaufen kann uns das nichts anderes mehr entlocken. Die Meinungsverstärkungen trotz aller Auflösungserscheinungen sind auch hierin wieder zu beobachten. Was tatsächlich zur Grundsatzfrage führt, wie sie woanders meine Kommentatoren verständlicherweise anstießen: „Liegt es doch an uns selbst, dass wir das „Richtige“ nicht erkennen wollen?“. Nachhaltig würde die Frage für meine Begriffe legitim sein, wenn es auch in ganzheitlicher Betrachtung und themenübergreifend Anlässe dazu gäbe. Aber egal in welcher Sparte auch immer – ständig greift der natürliche Zweifel, den man mit wenigen Klicks auf Google bestätigt sieht. So lange das Google noch zulässt, muss man hinzufügen, weil man ja schon weiß, inwiefern deren Algorhitmus westliche Propaganda in den Vordergrund spült.
Das kann man einer jungen Generation vielleicht noch weismachen, wenn ihr ein Meinungsbild vorgelegt wird, das sie nicht anders kennt. Dazu noch ein Influencertum, dem sie huldigen, die dann für viel Knete das verbreiten, was man politisch hören und verbreitet sehen will. Und doch bin ich ein wenig stolz darauf, dass nicht mal mehr die Jugend so blauäugig scheint wie lange von mir befürchtet. Die vor allem grün kalkulierte Herabsetzung des Wahlalters auf 16 ging ja dann auch letzten Sonntag krachend nach hinten los. Man kann also, liebe Kommentatoren, das als Wink verstehen. Lasst Euch nicht in eurer Meinung madig machen, wenn selbst schon die Jüngsten einseitiges Ideologiegewäsch nicht mehr so dolle finden.
Das ist die Botschaft, die ich immer in Richtung unserer Mächtigen sende. Ob die das interessiert oder nicht, interessiert mich nicht. Es ist meine Meinung, die bleibt. Und die wird nicht ausschließlich durch die Telegram-Bubble oder den Safe Space Kleinbloggersdorf geformt, weil ich die Themen nicht nur durch deren Filter zur Meinungsbildung laufen lasse, oftmals lese ich erst die schnöden Fakten und bilde mir schon eine Meinung, die ich anschließend jedoch mir selbst gegenüber, über alle Medien gemeinsam, auf den Prüfstand stelle.
Vieles davon hat mich zwar erst in der Corona-Zeit wirklich und einschneidend geprägt, aber bin ich schon vorher so sozialisiert worden, bloß nicht zu blauäugig an wichtige Themen heranzugehen. Kein Thema ist so „unterkomplex“, dass zwei Mainstreammeldungen uns umfassend informiert hätten. Es wird auch nicht mit wenigen Zitaten in den sozialen Medien abzugelten sein, so dass man damit nur Aspekte der eigenen Moralvorstellungen in die Welt trägt. Auch wenn man dazu tendiert, uns passende Sprüche zu verbreiten, die jemand als Meme veröffentlicht. Im Grunde triggert es uns im Affekt nur positiv, hat aber schon das Potential, in dieser giftigen, gesellschaftlichen Atmosphäre Streits zu provozieren.
So auch mein persönliches Abbild eines Präsidenten Selenskij, der vielleicht als Angegriffener die Legitimation eines Hilfebedürftigen haben darf, aber auf mich eher wie die Marionette von NATO-Absichten wirkt. Doch die Brücke, die ich zu der Serienfigur schlage, treibt in der Realität derart seltsame Blüten, dass es schon in hochnotpeinlichen Situationen gipfelt wie die Umarmungsszene einer BBC-Reporterin. Das in einer Kriegssituation so unverblümt und öffentlich auszuleben, mag zwar die Fühlis in höchste Emotionsregionen hieven und einen Starkult bedienen, ist aber für mich in solch ernsthaften Begebenheiten völlig fehl am Platz.
Das sehen offenbar viele so, dass man sich den Themen gar nicht mehr ernsthaft zu widmen braucht. Wenn dieses kindische Gehabe von überbordernden Gefühlen knallharten Kriegsalltag infantilisiert, dann kann man auch die Politik oder die Medienschafferei gleich ganz abschaffen. Sie machen sich dadurch völlig unglaubwürdig und hinterlässt bei uns allen den Eindruck, den Wert einer Realsituation künstlich herabzusetzen, um auch noch jede Eskalationsstufe verharmlosend zu rechtfertigen.
Hier der fühlende Serienstar, dort das knallhart imperialistische KGB-Eigengewächs, dem man mit epischer Gefühlsbreite eine Nase zeigt. Wenn das die Grußformeln des Westens an den Osten sein sollen, die man mit Edding auf Raketen kritzelt, ist das nicht gefühlvoll, sondern nur im höchsten Maße zynisch anzusehen. Diese Raketen treffen ja aller Voraussicht nach nicht Putin selbst, nur einen armen, an die Front geschickten Tropf. Da kann man mir jetzt gerne Gefühlskälte andichten, wie man will – für mich gehört das in dem Ausmaß nicht in Kriegsszenarien, weil es erstens propagandistisches Mittel ist, und zweitens ausklammert, wie selbstzweckhaft und gar bösartig das Denken des Westens geprägt ist. Ich weiß das, weil ich mittendrin lebe. Wir alle wissen das. Und das ist auch nicht besser als die immer noch offene Frage darüber, warum Putin plötzlich doch einen Krieg begann. Mit diesen Fragen belasse ich es jetzt, und kann meine Grüße auch gerne mit Edding auf meine Wortrakete in Richtung der Politik übersenden.
Hochverachtungsvoll,
Ihr europäisch-polemischer Staatsbürger, nebst Partnerin
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