Manchmal ist der Teufel ein rosa Einhorn. Es gibt Phasen, Tage wie Wochen, da wird man oft mit unfassbaren Nachrichten erschlagen, dass sie nur schwer erträglich sind. Die Faust in der Tasche ballt sich noch mehr, Reaktanz ob der schieren Menge an fehlgeleiteter Politik kaum noch möglich, weil einfach Dinge stur auf den Weg gebracht werden. Mögen sie noch so unsinnig, schädlich und nur die Eigenmoral weniger Idealisten fütternd sein, sie werden zur Realität gemacht, auch wenn sie real unweigerlich in sich zusammenbrechen werden. Zumindest aller vernünftigen Wahrscheinlichkeit nach.
Das kann sich nun in schon kontroversen Gesetzesvorhaben abzeichnen oder in sonstiger Weise idealismusgetriebener Handlungsweise, die sich irgendwann verselbstständigt, obwohl sie schon längst Widersprüchliches zutage trägt. Das hält so lange an, bis irgendwann ein Kipppunkt erreicht ist, der auch von den Idealisten kaum noch oder gar nicht mehr durch Euphemismus und Lügen legitimiert werden kann. Oder mal ganz einfach ausgedrückt: sie wissen einfach nicht oder erst viel zu spät, wann Schluss ist.
Nein, es wird nur weiter geblökt, die Gefühlsebene berührt und somit die gesamte Bevölkerung kirre gemacht. Da ich mir gerade etwas Lektüre über „Kognitive Kriegsführung“ gönne, bekommt man einen etwas ganzheitlicheren Blick auf dieses neue Gesellschaftsphänomen, weiterführend eine Ahnung davon, dass wir mitten im Informations- und Propagandageheul eines Machtkomplexes sind und damit mürbe und willfährig gemacht werden könnten. Der NATO-Schutzschild ist nachweislich nicht weniger propagandistisch wie der, der uns angeblich nur einseitig von außen bedrohen würde, und das bedeutet auch, dass wir uns nur „unserer“ Zielsetzungen zu unterwerfen hätten und ja nicht derer aus Russland, China oder Kleinstdiktatoren, die man sowieso nicht wirklich ernst nimmt.
Natürlich ist das nichts anderes als Stammes- und Revierdenke. Ist einem das bewusst und sieht man das Widersprüchliche deutlich vor sich, wirkt es um so peinlicher und entsetzlicher, wie sich auch Teile der Bevölkerung dem Stamm zugehörig zeigen – auch wenn der Stamm nicht weniger inhuman oder kritikwürdig geführt wird. Nun kann der Herdentrieb dem Machtzweck nützlich erscheinen, allerdings ist das kein Allmachtskonzept, das ohne Probleme funktionieren würde. Es gibt immer Abweichungen in Systemen, egal ob sie natürlichen Ursprungs sind oder durch Nullen und Einsen einer kalten Logik unterworfen ist.
Wie sehe ich mich dann innerhalb des NATO-Stammes aufgestellt? Stand heute hat die Propagandaschlacht unter dem Hintergrund der Kriegsthemen mächtig an Fahrt aufgenommen. Das Prinzip ist allerdings nicht neu, nur hatte man uns eine lange Zeit offenbar genügend von der Leine gelassen, ohne dass das Bündnis sich im Kern angegriffen gefühlt hätte. Ja, da gab es sogar Entwicklungen wie beim Mauerfall, die man als Friedensfan und humanistisch Geprägter richtig gut fand, aber offenbar hatte man im militärisch-industriellen Komplex zu viele Verlustsorgen entwickelt, dass die mächtige Kriegswirtschaft die Maschinen – fast schon aus Langeweile – wieder ins Rollen brachte. Man veränderte lediglich das Leitbild, generierte sich als alternativloses Staatssystem einer formalen Demokratie und attackierte mit Diffamierungssprache andere Wertesysteme als neue Feindbilder.
Nun bin ich selbst nie besonders von meiner Meinung abgewichen, um mich als „abgedriftet“ denunzieren lassen zu müssen. Eher hat sich das Wertebild meines eigenen Stammes ständig verändert und behauptet jetzt, er hätte schon immer so gedacht. Und nicht wenigen fiel auf, dass es, wenn man mal konsequent bei einer Einstellung bleibt, sich die Agenda eher geändert hat als man selbst. Trotzdem wird unterstellt, man hätte sich von „Desinformation“ von außen beeinflussen lassen, was ich als Unsinn abweisen muss. Dazu kommt, dass man, wenn die Abdrift-Vorwürfe nicht so sehr viel Wirkung erzielen, nicht flexibel genug wäre, den Zeitgeist zu erkennen und wird dann abwechselnd als reaktionär eingestuft. Phasenweise und in Einzelaspekten stimmt das sogar, aber bin ich sicherlich nicht ins rechte Lager abgedriftet, nur weil ich aufgrund meiner Lebenserfahrung gewisse (linke) Ideale meiner Jugend der Realität geopfert habe. Ich bin also flexibel, aber eben nicht so, wie die Stammesagenda heute das gerne hätte.
Das Problem mit dem Flexibilitätsaspekt ist auch schon in der Wirtschaft ein bedenkliches Mittel gewesen. Wir kennen das alle, wo immer weniger Personal immer mehr Arbeit aufgehalst bekommt und die Eigenverantwortungsdoktrin ins Schädliche überstrapaziert worden ist. „Flexibel sein“ forderte man auch dort, was letztlich nur „mehr arbeiten“ oder mehr Unterwürfigkeit gegenüber Firmenbedürfnissen bedeutete. Jetzt soll ich auch noch mein Wertedenken ständig anpassen, um mich für einen Staat aufzuopfern, dessen Werte sich immer mehr von mir entfernen denn umgekehrt. Da darf gerne die Frage im Raum stehen: Habe ich mich gegen das System gewandt oder das System gegen mich?
Subjektiv würde ich sagen, dass das System in seiner komplexen Ballung als formaldemokratisch zu viel kooperative Autorität des alten Parteienspektrum zusammengeknüllt hat. Sich wechselweise die Positionen bestätigend, Lästiges wie Unbequemes als radikal einstuft und es im gleichen Atemzug kontrovers, umstritten, populistisch oder mittlerweile als rechtsradikal gequacksalbt. Ob das als Gesamtkollektiv die Demokratie strategisch richtig verteidigt, ist schon mal auszuschließen – sieht man ja an Umfragewerten. Zu viele fühlen sich entfremdet, ausgeschlossen und mit den vorher gelisteten Framing-Begriffen plötzlich als delegitimierend abgestempelt, auch wenn sie der Demokratie gar noch einen Gefallen tun wollen und plötzlich nicht mehr dürfen sollen. Deswegen bleibe ich bei meinen Wertevorstellungen, die sich eben in meinem Leben etwas realpolitischer angepasst haben und man zuweilen etwas konservativer oder basisliberaler politisiert worden ist.
Schwieriger wird es, das zu skizzieren, weil sich ja alle im Lauf der Zeit verändern. Jede Person passt sein Wertebild irgendwann mal an, sei es individuell oder von außen beeinflusst, sei es einzeln oder gleich in Gänze. Man kann nur Strömungen genauer benennen, und im Moment strömen alle Altparteien aufeinander zu, prallen aufeinander, vermischen sich, spritzen aber durch reine Physik gleichzeitig von sich weg. Es ist das bildhafte Flussprinzip von Wasser, wie auch die Systeme gleichzeitig miteinander verschmelzen wie sich auch voneinander entfernen können.
Man dachte schon im Römischen Reich, das System aller Systeme gefunden zu haben. Doch ist es trotz seiner damals wohlstandsfördernden Ausrichtung irgendwann an sich selbst zerbrochen, weil es immer Nutznießer und etwaige Delegitimierer gab, die eine Staatsagenda ablehnten oder wenn eine sich selbst entwickelnde Dekadenz Unmut beförderte. Vor allem bei jenen, die davon keinen Nutzen für sich selbst sahen und unter dem Eindruck standen, dass das Wohl mancher zu Lasten anderer ging. Der Wertewesten scheint nun genau in diese Phase einzutreten, weswegen Propaganda für ihn plötzlich so wichtig wird und man sich genötigt fühlt, wieder vermehrt davon Gebrauch zu machen. Quasi von einem gefährdeten Selbsterhaltungstrieb angefacht.
Was das für mich selbst bedeutet, habe ich in meinem Leben zweierlei erfahren. Je nach Politikgestaltung war es schädlich für mich wie auch später auch mal wieder nützlich, wobei meine Eigenverantwortung darin eine wegweisende Rolle spielte. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen und ich trotz aller Bemühungen nur Negativerfahrungen sammle, ist mein Vorwurf, das System hätte sich gegen mich gewandt und nicht umgekehrt, nicht unhaltbar geschweige denn fremdgesteuert. Wer mir solche Flausen in den Kopf setzen will, obwohl ich mich ständig mit politischen Entwicklungen auseinandersetze, will ja selbst fremdsteuern. Und ich kann selbst entscheiden, was ich als Aufklärung betrachte und was als Propaganda. Dafür verbiegen will und kann ich mich trotzdem nicht, vor allem würde ich einem gesunden Selbstbild einen Bärendienst erweisen, vor allem, wenn alle Seiten an mir zerren, um mich auf ihre Seite zu ziehen.
Auch wenn Bildung und politisches Interesse immer wichtig im demokratischen Rahmen sind, kann zu viel des Guten auch mal zu sehr aufs Gemüt oder die geistige Gesundheit schlagen. Die Dosis macht das Gift, sagt man landläufig, und da ist durchaus etwas dran. Ich weiß also in der Regel schon, wann ich mal eine Auszeit von dieser Informationsdauerbeschallung brauche oder wie ich die am besten dosieren sollte, damit ich mir nicht irgendwann den goldenen Schuss setze. Das gilt für viele Bereiche im Leben, wo man auf Gemeinschaft trifft oder sich zwangsläufig in ihr befindet. Herdentrieb und Selbstentfaltungsabsichten greifen überall, nur ist der Grad der Erlaubnisspanne das Maßgebliche in einem pluralistisch tolerierten Prinzip. Wenn mir dementsprechend Regelsetzungen oder Platzhirschgebaren zuwider werden, ist es meist zum Scheitern verurteilt, als Einzelner andere von der teils evidenzgestützten Unsinnigkeit ihrer Regelwerke zu überzeugen.
Wenn etwa Medien als eine prinzipneutrale Instanz versagen und sich nur anhören wie das Megafon einer politischen Agenda, sich dabei im historischen Ausmaß selbst widersprechen und sich dazu noch zeitgeistangepasst aufstellen, kann man das Formaldemokratische auch als bedroht ansehen. Dann sind auch die vernunftzivilisatorischen Selbstreinigungsmechanismen defekt oder missbräuchlich angewandt, das hehre System kompromittiert worden. Das ist besonders in den letzten vier Jahren deutlich geworden, als Notstandslagen verführerische Tendenzen nach sich zogen. Das heißt auch, dass sich der Mensch nicht besonders weiterentwickelt hat wie er das gerne vorgibt. Man kann sogar von Selbstbetrug sprechen, wenn man in altes, archaisches Verhalten zurückfällt – ähnlich einem Alkoholiker, der auch nur am Schnaps nippen muss, um sich nach Jahren Abstinenz wieder täglich zu besaufen.
Man kann auch noch das Bild von Bier und Schnaps bemühen, um das zu verbildlichen. Mit Bier wird es wahrscheinlich länger dauern, sich ins Grab geschluckt zu haben, mit Hochprozentigem geht es schneller. Ähnlich sehe ich das im Medienkonsum, die „Lautstärke“ des Geschreis im Internet ist der Alkoholgehalt des Getränks. Twitter/X ist da durchaus der Strohrum unter den Alkoholika, und den vertrage ich einfach nicht mehr auf Dauer. Dazu sind die Papier- und sonstigen altmodischen Verbreitungsmedien nur weiter gegärt und hochprozentiger geworden, dass ich mir einen gewissen Ekel angesoffen habe, auf was ich vielleicht nicht ganz verzichten will, mir aber nur noch nach Lust und Laune einschenke.
Das sind die Realitäten, die ich wahrnehme und die ich im Komasaufmodus dieser Demokratie nicht mehr anerkenne. Es ist völlig egal, wie das ideologisch aussieht – es ist einfach zu viel geworden. Und selbst wenn alle um mich herum das als lebenswert empfinden mögen, weiß ich recht genau, was ich nicht verkrafte und wann ich mir selbst Grenzen setzen muss. Wenn ein nicht zu ignorierender Anteil der Bevölkerung ständig moralbesoffen ist und sich auch immer wieder nachschüttet, muss ich das nicht mitmachen. Vor allem, wenn sie plötzlich was von weißen Mäusen oder rosa Einhörnern erzählen...
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