Ich muss Sie noch mal kurz mit dem Volksverpetzer nerven.
Nur kurz: durch das Radio erfuhr ich, dass letztens „International Fact-checking Day“ anstand. Eigentlich wieder nur einer dieser Symboltage, die man künstlich hervorheben will. Etwas wie Muttertag, Weltfrauentag, Weltknuddeltag, Welttag des Radios, Earth Day, Weltpolemikertag, Tag der blutenden Rosette, Tagestag, Graffittitag... okay, die letzten sind Quatsch von mir, aber lesen Sie mal die Tageliste durch, manches dürfte Sie zum Schmunzeln bringen. Weiter im (Kon)Text. Nun noch knapper: Volksverpetzer, Radio, Aktionstag. Sie ahnen wohl richtig. Die wurden im Radio zum Interview gerufen. Laschi darf sich wieder medienwirksam als „Faktencheck“-Berater aufspielen. Die knapp drei Minuten Telefonat waren völlig nichtssagend, aber egal. Wir sollen ja nur nicht alles schlucken, was in dubiosen Internet-Kanälen und von bösen Menschen so alles behauptet wird. Zum Glück hat sich ein heute Impfgeschädigter auf den Volksverpetzer verlassen und deswegen Beschwerden of hell, dass er nicht mehr arbeiten gehen kann...
So ist das, wenn Pflanzenknaller und Impfschädiger zusammenkommen und sich unheimlich dufte finden. Faktencheck-Sticker drauf, und schon knallt dir die Wahrheit ins Gesicht. Gut – deren... ähm... „Wahrheit“. Aber es gibt genügend Moralverstrahlte, die ihre Wahrheit zur Wahrheit aller machen wollen, ganz bequem über die asozialen Mediensimulatoren gestreut. Es wird prompt am „International Fact-checking day“ (steht nicht mal in der Liste) noch die Orwell´sche Wahrheit verbreitet, dass die Inflation jetzt sinke. Klar, erst besteigt man den Mount Everest und ist gerade wieder vom Gipfel runter und noch 7500 Höhenmeter über der Inflationsrate von vor vier Jahren.
Meine Partnerin winkt dazu nur ab: „Ist doch wie sonst auch immer.“. Wo sie recht hat. Das Systemische im Kapitalismus hat das schon immer so gehalten. Wenn keine Ein-Personen-Herrschaft möglich ist, muss man eben tricksen. Zu viel Demokratie schadet der Ehrlichkeit, will man fast meinen, also muss man sich im Hinterzimmer Vorteile erschleichen und jede Evidenz aufwändig verwässern. Manchmal glaube ich, ein Teil des Bürokratiemonsters wurde einzig dazu aufgestellt; im Prinzip für die Informationskommunikation, aber auch als Propagandamaschine im Zahlenblätterteigmantel. Holt man sie frisch aus dem Ofen, ist da viel heiße Luft drin und zerbröselt leicht, wenn man reinbeißt. Und kommt uns das Gebäck zusätzlich immer teurer.
Verantwortlich ist man natürlich nie selbst. Schlechtes und Lästiges schiebt man oft auf andere, die Lorbeeren greift man sich hingegen oft für sich selbst ab, will ein Stück vom Kuchen abhaben, um ja nicht abgehängt zu werden. Ich mag da nichts Neues erzählen, aber ist es ja kein Randphänomen, sondern kommt in etlichen Bereichen des Lebens und in vielfältig regelmäßiger Weise immer wieder vor. Man sollte darauf dementsprechend regelmäßig aufmerksam machen. Tag der abgeschobenen Verantwortung, wäre da eine Idee.
Doch sich die Vorteile abzugreifen korreliert ja nicht selten mit dem Macher-und-Maulheldenprinzip – wer von den Schwätzern hat sich überhaupt die Mühe gemacht, etwas Produktives und Allgemeingutes zu fabrizieren? Oft sind sie nur Nutznießer des Erfolgs und des Aufwands anderer. Das streift noch nicht mal die Digitaldimension, in der unser technischer Fortschritt die Hand- oder Denkarbeit übernimmt. Im Nutznießertum ist nur die Positionierung und die Bühnentauglichkeit eine Anstrengung. Selbstbeweihräuchend plappern, bis der Arzt kommt, das wird heute als ultimative Leistung verkauft, dabei ist auch hierin der Sauerstoffmangel schwindelerregender Höhen nicht günstig für die Gesamtpopulation. Stellen Sie sich einfach vor, Reinhold Messner würde gerade vom Gipfel herabsteigen und muss O2-unterversorgt hirnschmalzfordernde Entscheidungen für das Volk treffen.
Dass zu viel Höhenluft dem eigenen Wohl schadet, muss nicht noch mal erwähnt werden. Aber es ist beim Bergsteigen wie auch in Politik oder im Klassenkampf kein gesundes Klima. Zu eisig. Zu dünne Luft. Gar nicht gut für die einstig Bodenständigen und aus ärmlichen Verhältnissen Stammenden, die – wie bei Promis häufig zu beobachten – bei zu viel akut eingesogener Höhenluft schnell wieder abstürzen. Nur wenige wissen sich dabei zu zügeln und verantwortungsvoll mit ihren veränderten Bedingungen umzugehen. Und so können diese finanzielle und machtobrigen Bequemlichkeiten, also auch der plötzlich hinservierte Wohlstand schnell ins Verschwenderische, Schädigende umschlagen. Für einen selbst und im schlimmsten Fall für alle.
Es gibt sicherlich noch weitere Aspekte zur Bequemlichkeit zu benennen, die den Abschwung hierzulande gut verdeutlichen. Wenn nun die Generation Z und Millenials darüber motzen, dass ihre Eltern das Erbgeld auf den Kopf hauen, wenn jeder lästige Arbeitsaufwand mit Maschinen besetzt wird, wenn man das Denken dem Web/einer KI überlässt. Was bleibt dann noch von uns? Fette Fürze in der Couchritze? Ein mal wieder völlig ins gegenteilige Extrem verkehrtes Prinzip, wie in diesem Fall der Work-Life-Balance? Wie immer sind die Grundsätze der Kritik gegenüber alter Werte und deren Missbrauch richtig, die Gegenmaßnahmen allerdings maßlos übertrieben.
Das Digitale ist hierbei ein ganz neuer Faktor in solchen Kontroversen, weil es wahrlich allen einen Grund gibt, bequem zu sein. Da kannst du deine Fürze im Couchleder verewigen und gleichzeitig zum viralen Hit werden. Was gibt es schöneres? Zu Corona wurden wir Sofahelden, in Kriegsfragen gratismutige Sofabellizisten. Dazu viel Symbolik, bevor man sich über das Faulenzen mokieren kann, Chips-und-Bierbäuche oder ungesunde Hautfarben durch fehlende Sonneneinstrahlung werden mit entsprechender Balkonbeflaggung uninteressant.
Nicht alle sind so, aber ich habe auch den Eindruck, dass diese Generation Z gerade ihren Realitätsschock durchmachen muss. Die sind jetzt in dem Alter, da kann man das Lotterleben nicht mehr groß strecken, also muss Geld her (das ihre Eltern ja gerade verprassen), und schon ist man drin im Hamsterrad, das wohl noch mehr Umdrehungen pro Minute macht als das bei uns damals der Fall war. Man kann in Grundzügen nachvollziehen, warum sie sich nicht ausbeuten lassen wollen, aber ich finde, manche tätigen solche Aussagen nicht aus Eigenerfahrung, sondern vom Hörensagen getriggert. Natürlich angestiftet von der TikTok- und Instagram-App, die sie unentwegt anstarren – beim Bäcker in der Warteschlange, wenn sie in die Straßenbahn gegen die Tür dotzen und bei Rot über die Straße wollen.
Inwiefern Gedankenwelt und Realität da sich beißen, bemerke ich in meinem Beruf durchaus. Gerade bei jenen, die ja jetzt in die große, weite Welt hinaus gehen, aber etwa mit ihren unbehandelten Urängsten in scheingefährliche Situationen geraten. Bei mir passierte dann etwa Folgendes: Ich musste an einer Zwischendecke arbeiten und öffnete eine Revisionsklappe, ließ sie zur Zeit- und Arbeitsaufwandsersparnis offen stehen. Die Decke ist allerdings in einem Seminarraum, wo gerade „seminiert“ wurde. Eine junge Frau sah, dass da ein Loch in der Decke klafft, muss sich irgendwie verdammt unwohl dabei gefühlt haben, was die Kursleiterin auf den Plan brachte und mich bat, die Klappe umgehend zu schließen. Ich reagierte etwas ungehalten, weil es mich nur mehr Aufwand kostet. Decke auf, Decke zu, dann wieder Decke auf, wenn mir die Kursteilnehmer nicht im Weg stehen, dann wieder zu. Mehraufwand mehrere Minuten. Unnötig. Und das nur, weil die Frau eine „Spinnenphobie“ habe. Die Phobie schlug wohl einfach nur an, weil der Gedanke aufkam, da könne eine Spinne aus dem Loch krabbeln. Tat es aber nicht. Nur die Vorstellung davon, es könnte passieren, hat sie im Stuhl hin- und herrutschen lassen. Und mich nach einer unnötigen Diskussion dazu genötigt, mehr zu arbeiten als sein müsste.
Ich bin ein wenig entgeistert über solche Reaktionen und Vorstellungen mancher. Das soll also das neue, starke Geschlecht sein. Anpackerin-Feminismus. Das soll also die Generation der Macher:innen sein, die sich in Seminarräumen und Büros einigeln und schon an ihren Kindheitstraumata zur Salzsäule erstarren. Wenn ein dunkles Loch gleich die schlimmsten Befürchtungen hochspült. Wenn keine Spinne zu sehen ist, das pure Kopfkino aber schon die Phobie anstößt. Ich kann da nur mit den Schultern zucken und sehe darin viele Indizien, warum hierzulande nichts mehr wirklich funktioniert. Wenn solche Welten aufeinanderprallen, die sich nur durch Verwalten erhält und alles Produktive durch solche Präventivvermeidungen gebremst wird.
Jetzt will ich mich als der Bessere hinstellen, ich habe auch eine Phobie (hohe Höhen). Aber mobilisiere ich wohl kaum alle in meinem Dunstkreis, mir diese Ängste zu nehmen, indem ich alle dunklen Löcher schließen lasse – egal, ob da Arbeit getätigt werden muss oder nicht. Auch das ist ein Aspekt der Bequemlichkeit, alle in mein Angstrepertoire einzuspannen, ohne sich mal selbst darum zu kümmern, dass man diese Ängste auch mal abstellen könnte. Ich bitte nur um Hilfe, wenn es gar nicht mehr anders geht, habe es aber in der Regel vorher selbst versucht.
Und so schlingern wir uns allgemein so hindurch. Tun nur das Nötigste, wenn es gar nicht mehr anders geht, schieben ab, was uns keine Glitzerwelt ohne negative Begleiterscheinungen verspricht. Und ich will nicht mal behaupten, dass dies ein Plan wäre, sondern sich im Schein von akut erreichbarer Selbstherrlichkeit alles zu „bequemisieren“, wenn man nur will. Darauf verschwenden wir ja wirklich sehr viel Energie und fliegen hinauf in Sphären der Unantastbarkeit und Arroganz. Dazu kommt noch wohlstandsbedingte Ängstlichkeit und ein falsch gelagerter Anspruch an Sicherheit.
Wahrscheinlich habe ich deswegen ein Problem mit den westlichen Werten heutiger Lesart. Der sieht sich als das humanistischste, gerechteste, freiheitlichste System aller Zeiten, macht aber jetzt die Kehrtwende und weiß schon gar nicht mehr, wo seine Grenzen sind und wann man sie vernünftigerweise überschreiten darf. Lange hat er davon gelebt und hat es auch im Wesentlichen vorgelebt, aber schon länger fallen uns Missbrauch wie auch erodierende Effekte auf, was man lange mit einem Wohlstandspuffer ertragen konnte. Doch jetzt scheint es ins Eingemachte zu gehen, wo alle mit erodieren. Wir dachten, all die Belastungen müsse man nur mit Spezialisierung, Technisierung und Digitalisierung auslagern, haben aber alle relevanten Bedenken in den Wind geschlagen. Wir verstecken uns gar noch dahinter, flüchten in eben jene Sphären, die uns jetzt zu einer Selbstentfremdung geführt haben, die nun auch das eigene Wertesystem ankratzen.
Man sieht es in so vielfältiger Weise, dass wir heute viel weniger für oder gegen eine einzelne Sache auf die Straße gehen. Es wird mittlerweile so grundsätzlich, dass wir aufpassen müssen, auch das Grundsätzliche unserer Freiheit nicht noch mit zugrunde gehen zu lassen. Doch bleibt das reine, bequeme Symbolik wie auch Paranoia, wenn man da oben ein Loch und gleich das große Nazimonster herauskrabbeln sieht, wo keines ist oder nicht mal im Traum daran denkt, zum Angriff zu blasen.
Ganz ehrlich: Ich kam mir bei dem Vorfall vor wie ein Elternteil, das dem Kind unters Bett schauen musste, ob da kein Monster sitzt. Und das im Ambiente der Seriosität, mit Seminar und Wissensvermittlung und was auch dazugehört. Irgendwann werden dir solche gegenübersitzen, und auf die ist man dann angewiesen. Dann feiere ich den Tag der traumatisierten Bürokrat:inn:en. Oder den Tag der schieren Verzweiflung.
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