Der Frühling ist jetzt da. Verzückt lasse ich den Blick durch die Bergstraße schweifen, wo gerade die Bäume weiße und rosafarbenes Blütenkleid tragen. Dazu gesellt sich verspätet ein kräftiges Gelb verschiedener Sträucher, auch die ersten, grünen Knospen wagen sich heraus. Während ich von Termin zu Termin flitze, bin ich immer froh, die Berghänge entlang zu fahren, und selbst im Regengrau freut man sich über die ersten Farben des Frühlings. Muss sogar aufpassen, dass ich nicht von der Spur abkomme.
Dazu ein Wochenende, das uns endlich wieder aus der muffigen Hütte lockte. Der Wetterbericht frohlockte, die Ideen sprudelten. Unbedingt raus gehen. Was unternehmen, und sei es nur ein Spaziergang („Nazi!! Nazi!!“) in den Feldern. Noch ist es mehrheitlich struppig-kahl, aber unter stahlblauem Himmel bei angenehmen Temperaturen wirkt sogar das knorrige Restgestrüpp des Winters schön. Ich als Frühlingskind bin voll in meinem Element. Es passiert zwar ein paar Wochen zu früh („Klimawandel!! Klimawandel!!“), aber ist mir sogar recht, statt mich in mehrere Lagen gehüllt in die klirrende Kälte zu begeben.
Dazu ein Vormerker, den wir noch vor Ablauf aufsuchen wollten, kam zu solchem Wetter gerade recht. Also ab in unseren SUV („Umweltsau!! Umweltsau!!“) und ab nach Frankfurt. Im Caricatura Museum ist gerade eine Ausstellung zu Loriots Hundertstem, eigentlich nur bis Ende Februar gedacht, verlängerte man zum Glück bis Mai. Ein guter Anlass bei dem Wetter, auch wenn ich kein Fan von Frankfurt bin, wo sich alle Welt einfindet und im Grunde nur von den Mainbrücken aus zu den Wolkenkratzern starrt. Mir reicht ein kurzer Blick und die Verwunderung, dass man zwischen den Towern gerade was Neues hochzieht. Gar nicht mitbekommen. Oder mal gehört und vergessen. Na dann.
Ich linse lieber ins Schaufenster des Museums, aus dem uns zwei Knollennasenbüsten verschmitzt anlächeln. Davor eine Schlange zum Eingang, direkt vor uns ein Grüppchen junger Menschen, die uns beiden irgendwie unsympathisch erscheinen. Alter für mich schlecht einschätzbar, ich denke aber höchstens 30-35. Sie spielen zur Überbrückung der Wartezeit „Ich sehe was, was du nicht siehst“, wobei ich genug vor mir sehe, was mich an ihnen abschreckt. Einer blickt in Richtung des benachbarten Doms, meint aber: „Guck mal, der krasse Rost am Baucontainer!“. Äh, ja. Wie unterschiedlich Prioritäten liegen können. Ich senke den Kopf, bevor ich ihn zu sichtbar schütteln kann und mache in Gedanken meine Imitation des Containertyps: „Guck mal, die 3,5 Millimeter herausragende Gehwegplatte.“.
Eine andere Type aus der Gruppe im schnieken Jackett baggert gerade eine „Linke“ an. Die wirkt ein wenig lustlos-destruktiv, er heuchelt mit seiner Glühbirne und schwitziger Stirn ein bisschen Interesse an ihren Anekdoten. Irgendwas von Auftritt bekomme ich noch mit, ob sie, ob jemand anders, ging an mir vorbei. Bezeichnend aber seine Reaktion: „Aaaah ja. Krass. Cool!“. Auftritt, Popstar oder so. Beeindruckend und so. „Alte, zieh dich aus und gib Ruhe!“, lese ich aus seinem bohrenden Blick heraus, wählt aber lieber den komplizierten Weg, via Fassadensmalltalk zu ihr und in sie zu dringen.
Mich hingegen spricht sie nicht an. Weder jetzt in dem Moment noch meinen Geschmacksnerven geschuldet. Sie macht auf „links“, wirkt aber auf mich wie ein stilistischer Baukasten zwischen Rebellenbraut und Schmickimicki. Lange, aufgeklebte Wimpern, dunkelgrüne Strähnen im pechschwarzen Haar, Hochglanzspringerstiefel von Dr. Martens und Stretchjeans, die bestimmt nicht billig waren – ich denke zurück in frühere Jahre und die Mädels, mit denen ich abhing. Keine künstlichen Wimpern, nichts war Hochglanz. Eher abgewetzt, fad gewaschen oder von Konzerten und Festivals mit getrockneter Muttererde übersät. Sie war ein prima Abbild einer „Pseudolinken“, die auch noch die Haribotütchen ablehnte, die ein Bediensteter des Museums unter den Wartenden verteilte. Mürrisch starrte sie dann ins Leere, und bevor ich mir die Frage nach dem Warum stellen konnte, lieferte mir ihre Freundin/Begleiterin in bunten Vans-Latschen und Seidenbluse die Erklärung dazu: „Ist aber nicht vegan.“ und schaute dabei Ms. Pseudolinks an. Checkliste in meinem Kopf hakt weiter ab. Pseudolinksfaktor hoch.
Überhaupt ist Frankfurt mittlerweile hoch verpseudot. Regenbogenfahnen an Balkonen oder als Jutetasche. Seit neulich wird in der „Fressgass“ dazu noch der Ramadan ausgerufen. Ist mir jetzt nicht konkret bewusst gewesen, ist mir auch ziemlich egal, außer die Überlegung: da schürt man Hass auf das Christentum („Kinderficker!! Kinderficker!!“) und feiert jetzt die Religion der immer noch nicht verarbeiteten Frauenerniedrigung. Ich weiß nicht... Metropolen sind zwar immer noch Sammelbecken für Freaks und Paradiesvögel, aber wenn ich mir die Mainstreamisierung dessen und den Pseudolinken so betrachte, vermischt sich alles zu einem großen Brei und ist deswegen so widersprüchlich. An Einzelnen schon abzulesen, wobei junge Frauen besonders damit auffallen, eine optisch sehr irritierende Brücke zwischen Neureichenstatus und Linksaktivismus zu schlagen. Mir ist nicht bekannt, dass sich früher Linke oder Punks bei „Lieb dein Gesicht“ oder im nächsten Beauty-Salon verkünstelt hätten. Botox und falsche Wimpern – das war denen früher ein Graus, ja eher ein Feindbild, gewesen. Heute anerkannter Stilmix mit mürrischer Attitüde.
Ich frage mich dann, was die eigentlich bei Loriot wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mit ihrer etwaigen Böhmermann-Affinität die Feingeistigkeit eines alten, weißen Mannes abfeiern würden, der sich zwar kritisch mit dem alten Spießertum befasste, aber auch in dieser Wirklichkeitswelt lebte und Richard Wagner („Nazi!! Nazi!!“) verehrte. Na ja, wahrscheinlich ist der Humorist schon viel zu groß und schon länger tot, um ihn noch boykottieren zu können. Und es mag ihnen gerade noch in den Kram passen, dass er sich über seinesgleichen mit Humor auslässt.
Bevor die Beine drohten, in den Bauch zu rutschen, gelangen wir endlich ins Allerheiligste drinnen, bezahlten mit 8 Euro pro Person einen angemessenen Eintrittspreis und dürfen sogleich loslegen, die Studiosammlung des Altmeisters zu betrachten. Es ist ein Querschnitt seiner Arbeiten, von ersten Skizzen über Werbeauftragsarbeiten bis zu seinen berühmten Sketchen im TV ist vieles vertreten. Wobei die Cartoons (trotz Originalentwürfen) für mich weniger interessant waren, eher fand ich mich in etwaiger Sammlerlaune wieder, große, schlicht gestaltete Poster von Wum und Wendelin am liebsten einzusacken und bei mir aufzuhängen. Besonders toll fand ich ein paar Exponate aus dem Entstehungsprozess der Zeichentrickfilme, bemalte Folien mit den Figuren in der Badewanne oder dem Ehepaar („Das Ei ist hart.“). Sehr geil: ein Zitat aus „Pappa ante Portas“ war im Originalscript gar nicht so gedacht gewesen und wurde händisch geändert. Einer der besten Witze im Film - „Mein Name ist Lohse. Ich kaufe hier ein.“ - wurde also spontan noch eingefügt.
Es war seltsam ruhig in den Ausstellungsräumen. Ich hatte eher mit Gelächter oder sonstigen Reaktionen gerechnet, aber solche wie die Gruppe in der Schlange liefen brav und gefühlsneutral wie am Fließband durch die Räume und regten sich null. Kein Grinsen, kein Ausschnauben, kein Lachen, kein sich über das Gesehene unterhalten. Kann ja jeder lachen oder maulen wie er will, aber gerade bei den einschlägigen Etwas-auf-sich-Halter:innen sorgt man sich offenbar um eine bedächtige, intelligent wirkende Außendarstellung wie auch eine versteckte Angst, in diesem Ambiente dumm auffallen zu können. Vielleicht steht da kein Animateur, der ihnen erlaubt zu lachen. Weiß nicht. Vielleicht rede ich auch Quatsch, aber es wirkt verdammt so danach.
Letztlich egal. Wir hatten unseren Spaß und wir haben auch laut aufgelacht. Hat sich also gelohnt. Danach hatten wir einen Mordshunger und stapften zielstrebig nach Süden und zu einer Institution in Frankfurt. „Best Worscht in town“ hatte mir in der Vergangenheit schon Schweißperlen auf die Stirn gezaubert. Eigentlich ist der Laden ja mehr eine Imbissbude, aber mittlerweile so populär, dass man sich die Filiale aussuchen kann. Besonderes Merkmal war noch vor 20, 30 Jahren der wählbare Schärfegrad der Currysauce, bevor es quasi im Supermarkt überall erhältlich war. Scoville, wie es beliebt, von „nix“ bis Stufe F kann man sich hier die Guschen verbrennen oder gleich komplett wegätzen, wenn man will.
Mit meinem empfindlichen Magen ist die Premier League der Scharfmacherei nichts, aber ich weiß noch, wie ich vor ca. 10 Jahren bei B+ schon keuchend dastand. Ganz ohne wollte ich aber auch wieder nicht, also nahm ich B, das sich wohlig im Bauch verteilt und erst später moderat zündelt. Gute Entscheidung, und so zündete auch später die Raketenstufe als Nachbrenner auf der heimischen Schüssel nicht. Nur eines störte mich ein wenig: die Rindsworschts („Klimakiller!! Klimakiller!!“) sind jetzt zu Hot Dog-Format geschrumpft und vorkonfektioniert. Also wählte ich „Mini-Monster“, die doppelte Worscht-Ration mit Pommes und Getränk. Schaufelte es genüsslich in mich hinein und war happy über den Besuch nach Jahren Worscht-Abstinenz.
Am nächsten Tag knallte die Sonne vom Himmel. Ideal für einen Spaziergang („Nazi!! Nazi!!“), es musste nur noch endlich aufheizen. 17 Grad waren angesagt, doch noch um 11 Uhr vormittags froren die Klöten hart, bis sich dann endlich die Wärme ausbreitete. Wir wollten noch keine Strecke für Wanderjunkies probieren, wenn man vorher an der Couch oder dem Bürostuhl festgewachsen war, also lieber ins Ried und Flachland und mal vorfühlen, was überhaupt geht. Ein bisschen ziepte es im Hüftgelenk, wahrscheinlich vom Vortag. Ja, und das Alter macht sich bemerkbar. Trotz dass ich werktags so viel durch Gebäude schlappe, bis der Handy-Schrittzähler mir manchmal abends fröhlich verkündet, ich hätte 10 000 Schritte geschafft. Immerhin ziepte es nach der obligatorischen Runde um den Riedbach nicht mehr.
Dann war das Wochenende auch schon wieder vorbei. Irgendwas hatte da im Hintergrund gesäuselt, aber es kümmerte mich nicht/kaum („Krise!! Krise!!“). Man versucht mittlerweile, das Geschrei auszusondern, das uns momentan im Schwitzkasten hält – an diesem Wochenende funktionierte das für mich überraschend gut. Klar lässt man nicht völlig davon ab, in einer Metropole Stimmungen einzufangen. Wie sind die Leute so drauf? Wie reden sie miteinander? Frankfurt ist da nochmal eine ganz andere Hausnummer wie Monnem, weil sie mit Mainhatten noch diese New York´sche Faszination kitzeln können, selbst wenn das nur die Miniversion des großen US-Bruders ist.
Mir fiel auch ins Auge, dass wir in der Vergangenheit normalerweise immer diesen hessischen Lokalkolorit erlebt hatten, dieses Mal ziemlich wenig. Die Globalisierung hatte wohl unseren Wirkungskreis völlig im Beschlag, gefühlt fandest du alle möglichen Nationen auf dem „Eisernen Steg“ wieder, wo sie sich allzu gerne vor der Skyline drappierten und ihre Selfies schossen, die du dann zigfach in den sozialen Medien wiederfinden wirst. Gucken, Liken, Weiterwischen. Spät nachmittags war die sonst so pulsierende Innenstadt aber abseits der Brücke ziemlich leergefegt. Die Touristenströme unterlagen dem ungeschriebenen Gesetz, dass man sich nach 18 Uhr in die Hotelkoje zurückzieht, sei es um den Abend bequem ausklingen zu lassen oder sich stadtfein für das Nachtleben zu machen. Das kann man in Paris wie in Venedig genau so beobachten wie in Frankfurt, wobei die Arbeiterschaft werktags eher noch für Stress sorgt.
Ein ziemlicher Kontrast zu meinen Arbeitstagen, an denen man ein völlig anderes Stimmungsbild erlebt. Wo die Bodenständigkeit noch dominiert, und man in Gesprächen mit Kollegen, Kunden und anderen hört und sieht, wie sie mit den Fäusten in den Taschen ihren Unmut über den Zustand im Land immer weniger verstecken können. Dann wird auch das Geschrei wieder lauter, selbst wenn du nur das Radio wieder anschaltest und Nachrichten hörst. Oder wenn ein Thomas Koschwitz mittlerweile in Rente gegangen ist und sich die hr1 Morningshow jetzt personell verändert hat – die Tim Frühling-Wochen finde ich noch angenehm, weil ich den Typ witzig finde, die andere Woche jedoch hat sich zum Nachteil verändert. Nichts gegen Sylvia Homann persönlich, aber wenn sich jemand nicht mehr einkriegt, weil in einer Pflegeeinrichtung 17 Nationen zusammenkommen und sie das ständig feiert wie gerade den Mont Blanc bestiegen zu haben, verziehe ich doch ziemlich das Gesicht. Dazu das ständige Zitieren von Marcel Fratscher, der in dieselbe Kerbe schlägt und diese Kontroverse um „Fachkräftezuzug“ immer wieder durchkaut und auch immer die AfD-Keule auspackt.
Offenbar hat Fratscher nur das Bedürfnis nach Relevanz, wenn er die Regierungsideale wiederkäut und wohl null Plan davon hat, wie sehr sich die Fäuste in den Taschen ballen, die ich tagtäglich miterlebe. Wenn er diese Doktrin mal wieder raushaut und Frau Homann einen seinen Lippen hängt, weißt du grob einzuschätzen, wie sich Moderator:inn:en offenbar selbst begeisterungsschwanger von solchen Experten einlullen lassen und dann auch noch die Werbetrommel zum Fachkräftemangel rühren. Dann kommentierst du das subtil-abfällig ganz nach Loriot: „Ach was!“... was anderes fällt mir dazu nicht mehr ein. Der Altmeister dient mir momentan schon als Vorbild, noch gefasst reagieren zu können, bis endlich das nächste Wochenende ansteht und du bloß nicht auf die Idee kommst, am Wochenende Radio und TV einzuschalten.
Aber hey – es wird endlich Frühling. Ich nehme das lieber so sportlich wie irgend möglich. Sollen sie doch mürrisch sein, in jedem und allem eine Gefahr sehen und Dinge meeeega finden, die ich nicht meeeega finde. Kleine Anekdote zum Schluss: Kennen Sie noch das Penny-Mädel, das im Supermarkt fast verhungert wäre, weil die angeblich nichts Veganes in den Regalen hatten? Anfang der Woche stand eine von der Sorte neben mir an der Bäckereitheke. Fragte, ob die vegane, belegte Brötchen oder was in der Art hätten. ("Nimm doch ´ne Brezel") Die Bedienung verneinte, obwohl die Gemüseburger im Angebot hatten. Verstand das in dem Moment irgendwie nicht. Die Veganerin bedankte sich und ging. Manchmal frage ich mich, ob die durch solche Situationen etwas herbeiprovozieren wollen – böser Bäcker, der Vegane ausgrenzt.
Was man dann wieder in Asozialmedia plakatieren kann, wenn nicht gar via Kampagne vernichten will. Ich bin mittlerweile derart misstrauisch solchen Leuten gegenüber geworden, dass ich als Nachbrenner mit Stress rechne. Da bist du wirklich froh, wenn Wochenende ist, und die Werktagsfunktionierenden in ihre Löcher zurückkriechen. Du willst die am liebsten nicht noch Samstag und Sonntag um dich haben, weil du dich auch von solchen Charakteren und nicht nur von den Anstrengungen des Berufs kurieren willst.
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