Der Tod des Kreml-Kritikers Nawalny lässt medial (erwartbar) die Hälse gegenüber Putin anschwellen. Verwunderlich ist das freilich nicht, weil es allzu gut in den Zeitgeist der „Zeitenwende“ passt, wenn jeder Krümel gegen den russischen Präsidenten eingesetzt werden kann. Ich bleibe auch bei „Krümel“ und nicht „Skandal“ oder irgendwelchem hochgejazztem Nachrichtenwert, wie gerade der Mainstream in seiner Kriegsgeilheit schon seit geraumer Zeit mit Wahnsinnsblick und rot-glühender Hautfarbe „kriegstüchtig“ werden will. Nawalny wird absehbar nur weiter Gründe liefern, die westliche Wutschäume in alle Welt zu spucken.
Ob es Putin gefallen haben dürfte, dass sein Erzfeind und politischer Gefangener nun in einem Straflager zusammengebrochen und verstorben ist? Das ist natürlich ein mieses Timing, betrachtet man sich zuerst die aktuelle Lage in der Ukraine. Russland hat Oberwasser, und jeder Gegenschlag oder Angriffsbemühungen wie auch die mannigfaltigen Schlachtplanverkündungen freidrehender Westexperten werden mit zunehmender Dauer immer mehr zum Hirngespinst, weit weg von Durchsetzungsfähigkeit.
Nawalnys Tod muss in diesem Kriegsgeheul doch gerade zum rechten Zeitpunkt kommen. Schon lange trommelte der transatlantische Komplex für den Oppositionspolitiker. Besonders knusprig wird sein nun aufgebauschter Märtyrerstatus mit dem Umstand, dass wir gerade einen völlig überdrehten Mainstreamkomplex ertragen müssen, der nicht nur wegen Putin - und das ist noch diplomatisch ausgedrückt - „verhaltensauffällig“ geworden ist. Leicht lässt sich der rote Faden quer über alle Aufregerthemen spannen, hängt man sich nur am Labelling auf, der seitens des Mainstreams gegen seine Kritiker eingesetzt wird. Hierzulande kann man das auf ein paar simple Begriffe herunterbrechen: „Querdenker“, „Friedensschwurbler“, „Putinversteher“, denen man sich entgegenstellen müsse und sich „solidarisch“ gegenüber den Opfern zeigen.
Dazu gehört natürlich auch Nawalny als Dauerbrenner im langjährigen Dämonisierungsverfahren gegen Putin. Nawalny wurde im Westen seit der Krimbesetzung als Schachfigur eingesetzt, um den Kremlchef zum ultimativen Feind zu stempeln. Dass im Westen allerdings das realistische Ziel zum globalen Frieden nach dem Mauerfall und ein angenehmes Miteinander mit Russland zu einem markanten Zerwürfnis zwischen Mainstream und Teilen der Bevölkerung geführt hat, sollte eigentlich mitgedacht werden.
Heute stellt sich die Situation allerdings noch viel schlimmer dar. Zwar fällt das Triggerwort „Krim“ ab und zu noch, tut aber im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzung in der Ukraine fast schon nichts mehr zur Sache. Die Umstände und Widersprüche (Stichwort Maidan) werden immer weiter vernebelt, damit es auch ja nicht die aktuelle Trompeterei stört. Es passt nun wunderbar ins Framing-Pamphlet des Westens, das in den Schleimspurmedien brav abliest, was man darin für die Persona Non Grata vorgesehen hat: „Machthaber“, „Kremlherrscher“ oder situativ „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“. Nun tönt es bezüglich Nawalnys Tod auch noch ohrenbetäubend „Killer“ und „Mörder“ durch die Leitgazetten.
Dabei werden die Umstände um seinen Tod gar nicht erst thematisiert. Es ist von Blutgerinnsel die Rede, verifiziert ist dabei noch gar nichts. Und schon gar nicht, wie man Nawalny als Instrument schon seit Jahren aufbauen konnte – einem ausgewiesenen, homophob-rhetorischen Rechtsnationalisten, wenn nicht gar Rechtsextremisten. In den Leitmedien: zumeist kein Thema. Auch die Verschwiegenheit gegenüber ukrainischer Naziregimente passt lückenlos dazu, wobei man sich hierzulande ziemlich veralbert fühlt. In Deutschland macht man ein riesiges Fass auf und haut inflationär mit Etiketten wie „Rechtsextremismus“ um sich, im globalen Osten hingegen werden Nawalny oder die ukrainische Regierung mit Rechtsdrall und Korruptionsvorwürfen mit Heldenstatus bedacht. Ja, selbst grüne Think Tank-Koryphäen mit Denkaussetzern haben kein Problem damit, sich mit entsprechenden Menschen abzulichten. Hier scheint wohl das Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ wichtiger als konsequente Moral gegenüber Nationalismus oder Homophobie.
Nawalny wird, in der Dynamik der rhetorischen Entgleisungen um eigene Atombomben oder den Krieg nun immer schamloser ins Feindgebiet tragen zu wollen, nur ein weiterer Baustein sein. Und so dem Szenario vom neuen Kalten Krieg nur weiter in die Hände spielen. Der Westen scheint es so zu wollen, forciert es in aggressiver Weise geradezu herbei. Mit dem Ableben des gehuldigten Regimekritikers kann nun der Turbo gezündet werden, dorthin, wo Frieden keinen Platz in der Welt mehr hat – so lange, bis wir wieder am Rande zum Atomkrieg stehen könnten.
Nur dieses Mal könnte es schlimmer ausgehen: In dieser emotionalen Ausnahmesituation, in der jeder Aufrüstungsaufruf noch frenetisch und moralbesoffen bejubelt wird, ist nur ein unbedachter Moment nötig, um den Knopf zu drücken und der Welt neues, beispielloses Verderben zu bescheren. Egal, wer ihn letztlich betätigen würde. Dass wir nun fast 35 Jahre nach dem Mauerfall wieder mit diesen Ängsten leben müssen, hätte sich bis vor kurzem so noch niemand vorgestellt.
Kommentar schreiben