Folgender Fall...
Auf Fratzenbuch habe ich ein paar alte Bekannte gefreundet, die ich schon lange nicht mehr real getroffen habe. Die aber meine jungen Jahre geprägt haben. Die damals unter linkem Dach Vereinten, die sich eine eigene, besondere Nische eingerichtet hatten, abseits von Discofritzen, Altstadtfuzzis oder sonstigen Wochenendeskalierern, nach denen du die Uhr stellen konntest, was sie am Framstag vorhatten. Eine sehr heterogene Sippe waren wir, ein ziemlich cooler Mix aus allen Schichten und in jeder Gruppenfärbung – es war tatsächlich per Definition bunt.
Heute kannst du das alles vergessen. Ich zog weg aus meiner Heimatstadt, hauptsächlich aus beruflichen Gründen, aber auch, weil sich die Hood langsam in seine Bestandteile auflöste und mich diesbezüglich nicht mehr viel verband. Die Entfernung – auch wenn es nicht die Welt ist - tat ihr Übriges, dass wir heute fast nur noch als Kontaktleichen im jeweiligen FB-Profil auftauchen. Selten kriegt man was von ihnen in die eigene Timeline gespült, aber gerade letztens passten mit dem „Demo gegen rechts“-Gewäsch Anlass und Knarzfaktor bei mir selbst allzu gut zusammen, sich mal wieder kurz etwas mehr meiner alten Bubble zu widmen.
Einen davon hielt und halte ihn immer noch für einen guten Typen (im Folgenden schlicht „er“ genannt). Immer, wenn es nach Jahren Sendepause irgendwie zu echtem Kontakt kam, kamen wir auch wieder gut ins Gespräch zurück. Auch wenn das keine Film-auf-Pause-Sache ist, wo man wieder Play drückt, und das Reden ginge unvermindert weiter. Dazwischen passiert halt sehr viel, und man müsste erst wieder austarieren, wie man wieder ins Reden kommt. Diesmal ein bisschen Facebook, aber eher nicht Dialog, sondern Lesen mit Abstand, was ihn gerade so umtreibt.
Ich hatte noch die Corona-Zeit im Hinterkopf, in der er sich Team Vorsicht und dieser sonstigen Klientel zuordnete. Also völlig konträr zu mir, und die Konstellationen dürften manchem Leser hier bekannt vorkommen. Ja, ich war mordssauer darüber gewesen, als es noch frisch gewesen war. Ausgerechnet er, den ich als so vernünftig wahrgenommen hatte. Schrieb irgendwas von „Impfen ist Liebe“ und wetterte auch mal gegen Impfgegner oder was auch bekanntermaßen so opportunistisch an Dummlabels die Runde machte. Da fällst du natürlich aus allen Wolken. Harter Aufschlag. Ganz miese Tour.
Trotzdem wollte ich ihm mit seinen Vorschusslorbeeren nicht gänzlich den Kontakt aufkündigen. Dachte tatsächlich kurz daran, den Button zu drücken, ihn aus meiner Liste zu entfernen. Doch haben Engelchen und Teufelchen auf meinen Schultern gemeinsam wieder mal dafür gesorgt, dass ich es nicht vollzogen habe. Klar, eine simple Sache, so ein Klick-und-tschüss, aber bei ihm wollte ich den Schritt nicht wagen. Zu viel nostalgische Verbundenheit, gute Erinnerungen, die ich nicht durch die Klickkündigung vergiften will.
Corona ist nun rum, und jetzt sind wir ja wieder bei „gegen rechts“ angelangt. So die alte Nummer, AfD und Trump und Rechtsruck. Ein Aufguss alter Freund- und Feindbilder, der mir schon in Durchgang Eins extrem auf die Nüsse ging. Ganz sicher nicht, weil ich jetzt rechts geworden wäre, aber man wird ja auch mal älter, weiser. Sieht die Dinge nicht mehr allzu weit links und lässt sich auch mal für Liberales und Rechtskonservatives erwärmen. Oder, wie es ein lieber Bloggerkollege mal passend formulierte: „Früher war ich links, heute bin ich erwachsen.“ - was ja nicht heißt, dass man nicht mehr links wäre, sondern nur nicht mehr dieses Jugend-Links, mit dem man stürmisch ins politische Leben stolpert, idealistisch in die Realität vordringt und noch dachte, man könne die Welt umkrempeln wie einst die Hippies oder irgendwelche Reformisten ähnlicher Denkart. Und gerne mal vergisst, dass man Traditionshütern nicht so schnell und so ungestüm neue Werte aufdrücken kann und sollte.
So war unsere Partyhood damals gar nicht drauf gewesen. Wir entwuchsen ja mehr oder weniger autark vom gesellschaftlichen Konsens von damals, waren irgendwie Punk-, Metal-, Subkultur-vereint. Ideologisch systemkritisch, und doch auch Teil davon, und nur die Granteligsten unter den Altbackenen nahmen uns als Störfaktor wahr. Andere fanden uns witzig und sympathisch, dem Rest zeigten wir schlicht den Mittelfinger.
Doch jetzt ist er selbst dort angekommen, nur in Version Modern. Wäre ich entschlussfreudiger und würde diesem Drang, gleich allen die Kontaktkündigung auszusprechen, die mir nicht recht geben, nachgeben, hätte es ihn recht früh erwischt. Und hätte noch heute genügend Anlass, es endgültig zu tun, weil er gerade letztens einen Post losschickte, der für mich so sehr dokumentiert, was da in der linken Ecke völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Unterlegt wird das seltsame Denkmuster mit so vielem, was politisch gerade als Sau durch das Dorf getrieben wird: wenn allzu offensichtlich das eigene Versagen dadurch vernebelt wird, den politischen Gegner mit der Macht der Institutionen in seltener Angriffslust zu vernichten. Also alles unter Ägide des Staates, noch konkreter die wenig demokratische Kollaboration Faeser/Haldenwang/NGOs und letztlich die naiv-ideologisierte Links-Armee, die sich aktuell auf den Straßen einfindet, gegen den Rechtsruck vorgehen zu wollen.
Sie besänftigen sich damit letztlich nur selbst. Die Beruhigungspille postete er dann eines Abends, in dem er sinngemäß beschrieb: „Stadt XY stabil. Danke an alle, die dabei waren.“. Auch auf X beweihräucherten sich die üblichen Verdächtigen damit, Wortlaut Copy/Paste. Alle stabil. Klingt dann wortmächtig, weil „stabil“ ja auch suggiert, die stünden alle fest in der Brandung oder wie Gandalf vor Balrog: „Du kommst nicht vorbei!!“. Zumindest soll die Illusion erzeugt werden, die Brandmauer würde halten, da ginge nichts mehr, Schluss, Aus, Ende. Und wie die hält: die AfD verzeichnet seitdem einen Boom an Mitgliederanträgen, Martin Sellner wird zum Bücherstar und narrt grüne Ausgrenzer:innen mit einem Deutschland-Besuch.
Und so geht die Gigantisierung der AfD einfach so weiter. In ihrer Ratlosigkeit immer noch nicht an Grenzen gestoßen, demonstrieren sie so oft weiter, bis... ja... bis was eigentlich?? Mein alter Kumpel postet dann noch ein paar Antworten dazu, die deren eigene Misere gut veranschaulichen. Sagt sinngemäß, dass er auch „nicht wirklich zufrieden mit der aktuellen Politik“ sei und irgendwie auch Hoffnungen in das BSW setze. Offenbar scheint das der letzte Strohhalm zur Vermickrigung der AfD-Umfragewerte zu sein, wahrscheinlich auch, weil das nach diesem Brandmauer-Dauertheater das erste Mal wäre, deren Werte tatsächlich ins Negative zu drücken. Das ist alles andere als stabil. Es ist ziemlich labil, aber das stabil. Seit 2015 schon.
Doch ist das BSW auch ein gewisser Ausdruck von politischen Realitäten und was man ernsthaft erwartet. Hier wird auch mal anders gedacht, und selbst wenn das in der gerade erst gegründeten Partei wie reine Visionen, Parolen und Versprechen klingen mag. Das Dilemma, in dem er und alle in seiner Bubble stecken, wird gerade sehr, sehr klar sichtbar. Und – obwohl ich ihm gegenüber nicht respektlos erscheinen will – zaubert es mir ein verschmitztes Lächeln ins Gesicht. Weil es in jedem Aspekt so eintritt, wie unsere Bubble in Kleinbloggersdorf das schon jahrelang versucht hat, in die Mitte der Debatte zu bringen.
Vielleicht kann ich seine eigenen Aussagen auch mal dafür anwenden, dass „die“ Wissenschaft oder „die“ Demokratie nicht nur aus ihrem Anspruch besteht, sondern auch aus unserem, den sie bisher so erfolgreich ignoriert, vergiftet und verdrängt hatten. Irgendwann muss ja mal unsere Version zum Kampf gegen den Rechtsruck herhalten, auch wenn es sie schmerzen dürfte und sie ihre eigenen Visionen mal ausmisten müssten und vieles davon im Mülleimer landet. Das ging schon bei Corona in die Hose und wird nun auch passieren, auch wenn wieder davon auszugehen ist, dass sie sich das nicht offen eingestehen würden.
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epikur (ZG Blog) (Samstag, 03 Februar 2024 13:57)
Der Kater nach dem Anti-AfD-Rausch wird sehr unangenehm sein.
Die Mieten werden weiterhin explodieren. Die Inflation hoch sein. Das mickrige Gehalt kaum oder gar nicht erhöht werden. Die Energiepreise weiter steigen. Benzin wird teurer. Ebenso das "Essen gehen" sowie Flugreisen ab Mai 2024. Es wird weiterhin und überall gekürzt und gespart bei der einfachen Bevölkerung. Freilich nicht bei Big Pharma oder der Rüstungsindustrie.
Mal schauen, wie lange es dauert, dass dafür auch die AfD verantwortlich gemacht wird.
Polemicer (Samstag, 03 Februar 2024 19:03)
@epikur
In gewisser Weise tun sie das ja auch. Die sind in dieser Form nur der Blitzableiter für die Massen, für all den Mist, den sie angerichtet haben. Das muss man auch erst mal hinbekommen - 2 Jahre und das Land so dermaßen schnell gegen die Wand fahren, dass es Brandbriefe hagelt und fast jede Berufsgruppe bald streiken geht.
Dann können sie gerne weiter versuchen, das der AfD anzuheften, und dann können sie ihre Wählerstimmen an zwei Händen abzählen.
Mutant77 (Sonntag, 04 Februar 2024 18:32)
... und die Renten werden sinken
https://diefreiheitsliebe.de/politik/die-streichung-des-bundeszuschusses-oeffnet-den-gegnern-der-rentenversicherung-tuer-und-tor/
Mein Spruch dazu ist: Wer der Demokratie nicht traut, protestiert gegen die Opposition!
Denn eigentlich sollte klar sein, in einer starken Demokratie wird niemals eine Partei alle Macht haben. Aber wenn wir jetzt die Opposition bekämpfen, wird das genau dazu führen, das diese keinen Einfluss mehr haben wird (Man hat ja schon damit begonnen, als man der AFD kein Präsidiumplatz gab).
Mutant77 (Sonntag, 04 Februar 2024 18:42)
Ach, und links (im alten marxistisch, sozialistischen Sinne) ist, sich für Arbeiter (oder allgemein Lohnabahängige) einzusetzen. Für deren Interessen, vor allem gegenüber Arbeitgebern soviel rausschlagen wie möglich.
Diese Umdeutung in einem christlich, barmherzigen Sinne, dass Links irgendwas mit "den Bedürftigen helfen" zu tun hat, dürfte jeden Marxisten im Grabe umdrehen lassen (bin nicht sonderlich belesen, aber Marx sprach vom Lumpenproletariat, weil er auch nicht in jeder verarmten Schicht ein Problem des Kapitalismus sah). In dem früheren Links ging es um die, die arbeiten wollen und damit ihr leben aufbauen und im Falle von Krankheit, Alter oder Kindern unterstützt werden. Das sind aber natürlich keine Dinge, die das Neoliberale Links möchte. Da müsste ja das Kapital ihre Gewinne für das Gemeinwohl hergeben. Also investiert man lieber in akademische Kreise und läßt diese Dinge ausdenken, wie wir es gerade erleben.
Ich vermute dahinter eine geniale Kampagne im Sinne von Lippmann/Bernays. Wenn man sich mal mit PR Agenturen beschätfigt tauchen die überall auf und beeinflussen auf allen Ebenen unser Leben. Daher.