Gerade in Krisenzeiten wäre es durchaus ratsam, trotz akuter Bedrohungslagen und der etwaigen Dringlichkeit des Einschreitens mit Bedacht vorzugehen. Dabei wäre es erwartbar, uns als selbsternannte, aufgeklärte Gesellschaft unserem reichhaltigen Wissen zu bedienen, in seiner Gänze epochale Ereignisse von damals auf heute anzuwenden, um Schnittmengen, Einschätzungen und Lösungen als Grundlage parat zu haben.
Und doch hantieren wir damit in einem seltsam verengten Maße, uns damit emotional kompromittiert auseinanderzusetzen und Aspekte bedarfsmäßig zu behandeln. Würden wir solche Krisen stur neutral angehen, würden wir die Epochen nicht nur ausschnittsweise als Argumentsverstärker benutzen, sondern im Ganzen aufrollen und uns so in unserer aktuellen Haltungs- und Empörungskultur häufig gleich selbst wieder stummschalten.
Denn sind die Vergleiche und Ereignisprinzipien damals mit denen von heute zu wenig unterschiedlich wie etwa im Mittelalter oder im Römischen Reich. Der Mensch hat sich, so kann man konstatieren, in seinem anthropologischen Verhaltensmuster kaum verändert, organisiert nur in seiner zivilisatorischen Fassade und seinen technischen Errungenschaften sein gesellschaftliches Leben different – und doch neigt er heute wie schon damals dazu, seine Ideologien – ergo Glaubensbekenntnisse – vor der Wissenschaft oder einem lange erarbeiteten Wertekonsens als bindend zu betrachten.
All das überlagert den löblichen Anspruch auf Evidenz und Wahrheit. Doch fechten wir in Wirklichkeit unsere Meinungsdiversität nur unter subjektiven Gesichtspunkten aus – und sollte die Historie als Vergleich herhalten, tendieren wir zu unserem Dominanzvorteil zu selektieren, auszureißen. Und so passiert es allzu häufig, dass die Geschichte als mahnendes Beispiel nur dann nützlich ist, wenn es ins eigene Bild von Visionen, Ängsten und sonstwie gearteten Szenarien passt. Zu beobachten in all den letzten Themenkomplexen wie Rechtsruck, Kriege oder gesellschaftlicher Entwicklungen – überall findet man Aussagen wieder, die sich auf Geschichte berufen, aber sich gleichzeitig widersprechen, würde man sie auch vervollständigt thematisieren.
- Corona
Beispiele gibt es genug dafür. Widmen wir gleich der größten und geschichtsverweisend der heikelsten. Die Pandemiephase gereichte zu etlichen historischen Vergleichen, in Worten und Handlungen wie eben Vergleichbarkeiten Erinnerungen an unsere dunklen Epochen wachzurufen. Etwas Medizinisches mit dem Dritten Reich nahezubringen, klingt erst mal abwegig, aber war es auch kein Virus alleine, das aus Demokraten Kurzzeit-Autokraten machte. Es ist eine rein menschliche Sache, in der Eindämmungsstrategie, die sich im Nachhinein eher als schädlich denn erfolgreich herausstellte, Querverweise zu damals zu finden.
Es war leicht, die Argumentationsmuster der jeweiligen Lager herauszufiltern. Die Zero Covid-Fraktion/Team Vorsicht suchten ihre Abwertungen parteipolitisch im rechten und gerne auch im liberalen Spektrum. „Egoistisch“ und „unsolidarisch“ wurde hier oft als Kampfbegriffe verwendet und sollte dazu dienen, schon rein rhetorisch eigenverantwortliche Entscheider gegen das in der Pandemiephase exklusive Notstandsregelwerk sozial zu isolieren. Dazu diente ihnen nur die gedankliche Überleitung vom Nachkriegsdeutschland zum heutigen, identitätspolitischen Moralismus, dem sie sich offenkundig verpflichtet fühlen.
Die Gegenseite der Kritiker hatten es dagegen leichter, in der Menschheitsgeschichte zu stöbern. Nicht das Virus, sondern die Maßnahmen wie die Notstandsgesetze sorgten für Diskussionen, in denen deren Argumente schnell an die DDR oder gar Frühphasen des Nationalsozialismus erinnern sollten. Nun können DDR-Vergleiche nur auszugsweise standhalten, da zumindest formell nie beabsichtigt gewesen war, das Notstandskonstrukt dauerhaft und in seiner Vollständigkeit aufrecht zu erhalten. Im April 2023 war der „Spuk“ auch schon wieder vorbei, rein formell wieder das alte Deutschland vor 2020. Dazwischen jedoch wurden Dinge gesagt und Gesetze beschlossen, die leicht mit einem sozialistischen Osten und in groben Auszügen gar mit dem Dritten Reich in Verbindung gebracht werden konnten.
Ungeimpfte und Kinder mit Ratten zu vergleichen etwa. Oft getätigte Aussagen von NSDAP-Rednern, in denen Juden als Parasiten oder Ungeziefer tituliert wurden, fand man auch 2020-2023 wieder – reichweitenstark ausgesprochen hatten diese aber keine Gruppierungen, die rechte Umstürze im Sinn hatten, sondern Jan Böhmermann oder ein SWR-Redakteur. Auch das „Blinddarm“-Zitat Sarah Bosettis konnte nur leidlich mit einem „Satire“-Verweis relativiert werden. Die Selbstetikettierung von Anti-Maßnahmen-Demonstranten mit Judensternen oder die berüchtigte „Jana aus Kassel“-Aussage, sich wie Sophie Scholl gefühlt zu haben, schlug dagegen über die Stränge. Erinnerungskultur kann in solchen Fällen auch nach hinten losgehen, wenn solch bedeutender Symbolismus und die Miteinbeziehung finaler Genozide in KZs in seiner Gänze mitgedacht werden müssen. Das soll aber später im Text noch mal genauer aufgegriffen werden.
Eher hielt der DDR-Vergleich stand, der mit seinem sozialistischen Herrschaftsprinzip den Individualismus quasi abschaltete und abweichende Meinungen mit Hinterlist zersetzte. Oftmals als „Stasi-Methoden“ benannt, wurde darin, im Gegensatz zum Dritten Reich, nicht offen damit umgegangen, sondern via „inoffizielle Mitarbeiter“ und dem Meldewesen ein Hintertürtotalitarismus aufgebaut. Genehme Ideologen wurden dazu mobilisiert, im Sinne des Staatsapparates Meldung zu machen. Da ist der Vergleich zur Corona-Zeit nicht weit, wenn etwa die „Unverletztlichkeit der Wohnung“ oder das im Grundgesetz verankerte „medizinische Selbstbestimmungsrecht“ ausgehebelt werden sollte - auch nur als Idee ausgesprochen und letztlich nicht zum Gesetz geworden. Es hätte letztlich nur dem Staat gedient, egal wie falsch die Behauptungen waren, eine Impfung würde „sich und andere schützen“ und wäre „nebenwirkungsfrei“.
- Ukrainekrieg
Als Putin im Februar 2022 aktiv den Krieg begann, war es eine willkommene Einladung für jene, die seit dem Mauerfall das alte Feindbild vor sich auflösen sahen und das noch bis heute aufrecht erhalten wollen. Gerade der transatlantische Komplex vom „Wertewesten“ sah sich bestätigt, angebliche Welteroberungspläne Russlands durch den Kriegseintritt wieder aufflammen zu sehen.
Da passte in der akut aufgetretenen Kriegslage gerade mal bis zum Ausriss der Krim-Krise der Vergleich eines Russlandfeldzuges gegen den Westen wie die NATO. Inwiefern Russland nur einer ihr wohlgesonnene, gespaltene Gesellschaft innerhalb der Ukraine einen Gefallen tat – nämlich dass der Osten des Landes lieber zu Russland gehören wolle – wird im Westen gar nicht erwähnt. Auch ist man innerhalb der NATO bemüht, propagandistisch nur das hervorzuheben, was man sich selbst herbeidenkt, und so würde Russland bald vor dem Brandenburger Tor stehen und die EU überrollen.
Kein Wort darüber, dass Putin noch unter Schröder im Bundestag sprechen durfte und seine Hand der Freundschaft ausstreckte, das Minsker Abkommen wurde zum Handschlagabkommen heruntergeredet oder fand gleich nie statt. Dazu kommt eine ziemlich befremdliche Besserstellung eines autarken wie zuvor als korrupt gekennzeichneten Staates Ukraine, der, bevor ihm durch den Kriegsbeginn ein besonderer Opferstatus zugestanden wurde, lieber nicht im Einklang europäischer Werte genannt worden war. Danach ein ganz anderes Bild – nun beeilt man sich, die Ukraine schnellstmöglich in die EU einzugliedern. Kein Wort mehr von Korruption und Rechten in Regierungskreisen, wenn es nur dazu dient, ihr Bild von Putin als Teufelsfigur zu verstärken. So auch die Sonderstellung eines Nawalny als Regimekritiker – dass er allerdings vorher rechtsnationale Ideen streute, wird im Eigennutz gegen Putin fast immer verschwiegen.
Auch hier würden so manche historischen Vergleiche zusätzlich von Bedeutung werden, betrachtet man die Ära des Kalten Krieges und konkreter die Zeit um die Kuba-Krise herum genauer und vollständiger. Auch da waren Nazis durchaus hilfreich, gegen den verhassten Kommunismus zu kämpfen. Auf heute umgemünzt scheinen diese Konstellationen wieder an Bedeutung zu gewinnen. Nimmt man nur die pro-ukrainische Denkfabrik LibMod heran, die mit zweierlei Maß misst, sich lächelnd mit ukrainischen Nazis abzulichten und die heimischen völlig moralbesoffen loswerden will.
- Klima
Zugegebenermaßen wird es schwierig, Geschichte in den Lehrbüchern und den Themenkomplex „Klima“ zusammen und danach politisch zu behandeln. Hier dominiert tatsächlich die reine Wissenschaft die Aufarbeitung des Erdwetters und den menschlichen Einfluss, der sich in selbstschädigender Weise darauf ableiten ließe.
Den Wert der Wissenschaft hat man – vor allem bis zu Beginn dieses Jahrzehnts – als noch sehr hoch eingeschätzt. Reine Datenauswertungen und Gesteins- wie Eisschichtenuntersuchungen hatten einen hohen Stellenwert und können sicherlich Rückschlüsse auf erdgeschichtliche Entwicklungen nach sich ziehen. Und doch ist es wieder die Politik, die in ihren Absichten wider die Wissenschaft, mit seinem Urprinzip von These-Antithese-Synthese, agiert. Konkret kann man mit mikroskopischen Untersuchungen lediglich einen Ist-Zustand der Atmosphäre feststellen, ihn aber nicht in den jeweiligen Kontext planetarer oder gar kosmischer Strukturen der jeweiligen Zeit bringen.
Und trotzdem fühlt man sich die Tage dazu angestachelt, von „Kipppunkten“ zu reden und eine Schuldkultur zu etablieren, wir würden in den nächsten Jahren eine „Erderhitzung“ herbeiführen, die uns alle in der Atmosphäre versengt. Hier wird gar in weitreichendster Weise Geschichte ausgeklammert, und sei es nur die Erkenntnis, dass die Erde vor Milliarden Jahren eine von Lava überzogene, unwirtliche Kugel gewesen war. In gewisser Weise wird so ein Selbstanspruch angestoßen, den Wert des Menschen weit über das zu erhöhen, was im kosmischen Ausmaß sowieso zwangsläufig ist oder sich schleichend langsam von selbst veränderte – etwa das über Milliarden Jahre entwickelnde Leben auf der Erde. Oder dass das Leben trotz direkter Asteroideneinschläge weiter bestehen konnte. Das mag als Vergleich sehr weit hergeholt, sollte aber dazu dienen, den heutigen Alarmismus zu dämpfen.
Wurde das bei „Fridays For Future“ jemals mit erwähnt? Nein? Eben. Es würde dem Glaubensgrundsatz von der Erzählung des Menschen als Erdvernichter ja nicht dienen. Deswegen ist es nur als ein Zeitgeistphänomen einzustufen wie als in seiner Glaubensaufstellung selbst überhöhend, indem man Thesen und Indizien im planetarem Ausmaß schlimmer zeichnet als es eventuell ist. Und sich lediglich die Experten herauszieht, die dies subjektiv genau so sehen.
- AfD
Das plakativste Reizthema der letzten Jahre kann man gerne an Rassismus/Faschismus/Rechtsruck festmachen und die zwangsläufige Erinnerungskultur zu unserer dunkelsten Epoche überleiten. Doch auch hier ist es erschreckend, wie sehr in wenigen Ausrissen erinnert wird, ohne das große Ganze zu betrachten.
Gerade an der AfD wird nun etwas festgemacht, das mit Evidenz so mal gar nichts zu tun hat. Keine historische Deckungsgleichheit dient dazu, die Partei als zweite NSDAP zu identifizieren, und dazu steht sie – abgesehen von kommunaler Ebene – in keiner Entscheidungsgewalt. Fast alles an der AfD wird nur mit Behauptungen und Gleichnissen im Konjunktiv behandelt, so als wüsste man schon vorher, dass sie eintreten würden. Die Gleichnisse zieht man sich jedoch regelmäßig nur aus den schlimmsten Phasen des Dritten Reichs heraus, in denen die Durchführung des teuflischen Plans der Rassensäuberung stattfand und greift derart weit voraus, dass normalerweise schon zwangsläufig die Frage im Raum stehen müsste: Was ist mit den Jahren davor?
Konkret müssten auch Entwicklungen in den letzten Jahren der Weimarer Republik thematisiert werden, weil sie anteilhaft auch auf heute anwendbar wären. Inflation wie drohender Wohlstandsverlust sind nun nachweisbar und nähren erste Befürchtungen zu damals, auch im Zusammenhang mit dem in der damaligen Verzweiflung gewählten Ausweg zur Hitler-Partei und der Staatsumformung, die man gewähren ließ, nur weil sie auch eine Verbesserung des Lebensstandards zur Folge hatte. Gerade dies sollte ein Weckruf sein, die AfD politisch zu bekämpfen statt mit Symbolaktionen und Distanzierungsappellen. Da man aber nur in Dimensionen von KZ und Deportation denkt, rechtfertigt man gar den eigenen Weg und die eigene, schädliche Politik weiter und sorgt so unfreiwillig für Vergleichbarkeiten der Übergangsphase damaliger Demokratie in die nationalsozialistische Autokratie.
Wer hat also in dieser Kontroverse um die Partei die besseren, argumentativen Karten? Aus der Sicht des Autors scheint klar, dass man in der Ampelregierung wie allen sich selbst definierenden Grundsatzdemokraten die Sorglosigkeit eigenen Handelns als alternativlos und richtig einredet. Und sich völlig entgeistert zeigt, wenn das Volk dies nicht entsprechend honoriert. Dabei wäre es so einfach, sich endlich und tatsächlich politisch anzupassen, statt nur Lippenbekenntnisse zur Ruhigstellung besorgter Bürger auszusprechen, um dann doch unbeirrt weiter die eigene Agenda durchsetzen zu wollen. Auch darin bewegt man sich nur im Konjunktiv, verspricht ein besseres Land irgendwann in der Zukunft. Das Volk nimmt das hingegen anders wahr, vor allem in der politischen Konstellation des Altparteienkomplexes, der sich wegen diffuser Befürchtungen immer mehr unterhakt statt eine Streitkultur zu etablieren und sich dieser unsäglich argumentativen Bequemlichkeit loszusagen.
Daher sind solch historische Ausrisse gefährlich, wenn sie kontextlos als Druckmittel der Bevölkerung vorgesetzt werden, um die Wahl einer verhassten Partei in solch infantiler Verzweiflung zu verhindern. Was dann eher Rückschlüsse auf die geistige Verfasstheit der „Demokratieverteidiger“ gibt denn über die Legitimation ihrer Ängste. Das geht mittlerweile so weit, dass es gar keine Geschichtsvergleiche mehr braucht, um die Unsinnigkeit ihrer akuten Symbolaktionen darzulegen. Mit ihren Hashtag-Kampagnen und Titulierungen á la „gegen rechts“ verpauschalisiert man allzu schnell die Gruppe von Feindbildern, nähert demokratisch Konservative Nazis an und konstruiert so selbst eine Angleichung damaliger Epochen zu heute herbei, um dann doch die Historie als Scheinargument anwenden zu können.
Fazit
Es gäbe noch weitere Beispiele, wie Argumentationsmuster im Mainstream für ein „progressives“ Narrativ aufgebaut sind. Dabei sei zu beachten, wie unterschiedlich mit Bereichen wie Naturwissenschaften oder der Politik als subjektiv empfundenes Wertekonstrukt umgegangen wird. In erstem wird eine völlig neue Weltordnung konstruiert, in dem sie sich plötzlich bahnbrechende Erkenntnisse zuschreiben (etwa in der Geschlechterdebatte), in zweitem die Historie an bestimmten, den schlimmsten oder wirkmächtigsten, Wegmarken festgemacht. In letzter Zeit jedoch wird das Eis immer dünner, weil sie das, was sie hier zu konstruieren versuchen, eine Melange aus Verzweiflung und Angriffslust geworden ist – und nicht, weil sie so gute Politik und eindeutig verifizierte Erkenntnisse in der Wissenschaft geschaffen hätten, sondern weil sie offensichtlich Angst davor haben, dass eben alles nur als Visionen ohne großen Wahrheitsgehalt erkannt werden, dem die Bevölkerung nicht ausreichend auf den Leim gehen mag.
Sich dazu in der Geschichte zu bedienen und quasi „Whataboutism“ zu betreiben, ist immer eine Frage der Gültigkeit des Vergleiches. Erkennt man Handlungsmuster und Sprachparallelen, ist die Deckungsgleichheit wie auch der Faktor Logik, inwiefern sich etwas wiederholen könnte, zumindest als Warnungshinweis legitim. Neigt man allerdings zur maßlosen Übertreibung und versucht gleichzeitig einen Spagat in eine erdachte Zukunft allerschlimmster Verhältnisse, verleugnet man die Gegenwart und somit den Ansatz, fundiert Vergleiche zu ziehen.
Und gerade im Mainstream kann das Gift sein, wenn man etwas bemüht, als Instanz einen Wahrheitsanspruch für sich zu reklamieren. Wie jüngst wieder geschehen mit dem Correctiv-Bericht, der sich eher im politischen Wettstreitmodus Vergleiche heranzog, der irgendwo zwischen Plan und Durchsetzung von Deportationen des Dritten Reichs lavierte und mit diesen Ängsten Menschen mobilisierte. Dass dies Stand heute gar keine Beweiskraft hat, macht es noch schlimmer, denn ist dieses frühestmöglich präventive Gegensteuern gegen die eigenen Befürchtungsszenarien zwar moralisch vertretbar, aber in diesem Handlungseifer kontraproduktiv. Vor allem, wenn versucht wird, das rein auf der emotionalen Ebene zu behandeln, wo im gesamten Themenkomplex Gefühlsregungen provoziert werden sollen und dazu mit eben jene historischen Wegmarken plakatiert, um viel Wirkung zu erzielen. Da schon darin liegt das Problem im Journalismus, wenn er sich der Gefühlsebene bedient denn auf Fakteneinordnungen, selbst in der „Faktencheck“-Rubrik. Daher ist die Kunst nicht das Erkennen von Verweisen in die Vergangenheit, sondern wie man größtmögliche Emotionalität mit neutral klingenden Worten seriöser erscheinen lassen kann.
Das kann funktionieren, zumindest kurzfristig. Doch wie bei jeder Thematik dauert es nur eine Weile, bis der Effekt versiegt. Sei es, weil Gegenwart wie nahe Zukunft die Ängste nicht bestätigt hat, oder man kann nach dem Abebben einer Empörungswelle in die Lücken stoßen, die in diesem Hauruck-Verfahren allzu gerne ignoriert werden. Deswegen ist es wenig sinnvoll, ständig Bilder von Leichenbergen in KZs hochzuhalten, wenn doch die gesamte Entwicklung innerhalb des Dritten Reiches Thema sein müsste. Denn ist das Nazi-Deutschland nicht nur durch Deportationen und Genozide abbildbar, sondern noch weit vorher: Wie und wieso konnte es gegründet werden? Welche Motivationen trieb die Wähler damals dazu, die NSDAP zu wählen? Wie gewann man danach in der Notstandslage das höchste Vertrauen der Bürger? Wie konnte die Ablehnung der Juden eingepflanzt und von der Mehrheit durchgeführt werden?
Das sind alles Punkte, die ein besseres Verständnis für heutige Verhältnisse erzeugen könnten. Dann jedoch würde das jeden Anflug von verengter Erinnerungskultur im Keim ersticken, weil es offensichtlich auf sie selbst zurückfallen würde. Und wieso scheut man DDR-Vergleiche im Mainstream so auffällig? Sind Mauerschützen so irrelevant wie ein „Vogelschiss in der deutsche Geschichte“? Oder baut man sich gerade real staatliche Strukturen und Denkeinflussnahme auf, die genau denselben Prinzipien entspringen wie im Kommunismus hinter der Mauer?
Fragen über Fragen, über die es zu diskutieren gelte, würde man sie auch nur ansatzweise mit berücksichtigen. Doch mit diesem subjektiven und selektiven Ausreißen historischer Vergleiche betreibt man eine Geschichtsklitterung sondergleichen, die dann auch das Eintreten alter, nicht gewollter Verhältnisse auch noch voranbringen würde.
Kommentar schreiben