Das war ja was letztes Wochenende. Urplötzlich füllten sie die großen Plätze vieler Städte, bis sie gar aus den Nähten platzen. Das gute Deutschland hatte mal wieder Mitteilungsbedürfnis, und so schwärmten Hunderttausende aus, wieder mal Haltung und Hashtag zu zeigen. Haltung gegen eine Partei oder schlicht nur eine Haltung, die nicht ihre ist. Angestoßen von einer einzelnen „Recherche“, die sie nicht mal ansatzweise selbst in einen Kontext zu bringen versuchten, ließen sie sich von Triggerworten leiten, durch die Correctiv-“Enthüllung“, einem „Who is who“ der rechten Szene und einem Begriffewürfeln überraschend schnell Demonstrationen durchorganisieren, um nach langer Durststrecke endlich mal wieder Flagge zu zeigen.
„Aufstand der Anständigen“ nannten sie es bedeutungsschwanger, der Hashtag #Deutschlandstehtauf zauberte wohlige Gefühle in die Mägen unserer Ampelregierung, dass sie sich endlich ohne Widerrede, Wut oder Hass ihnen gegenüber in eine Menge stellen konnten. Dort waren keine „gefallenen Engel aus der Hölle“ zu befürchten, kein Bauernaufstand und kein Pfeifkonzert während Handballspielen. Nur Gleichgesinnte im Kampf gegen rechts, von links orchestriert, um Scholz und Co., nach Wochen und Monaten böser Belastungen und umzingelt von Wirklichkeit, ein bisschen Seelenbalsam zu spendieren.
Demonstrationen für die Regierung – nichts Neues seit Corona, und doch zieht man wegen neulich aufmerksam die Augenbraue hoch. Schon alleine der Anlass, für eine selbstdefinierte „Demokratie“ und somit für deren „Verteidiger“ auf die Straße zu gehen, gibt manchen zu denken. Ich glaube, noch nie in der Nachkriegszeit ist man so konkret für eine Regierung und deren Erzählung auf die Straße gegangen, und bisher äußerte man eigenen Unmut nicht für eine abstrakte, ideologische Sache, sondern jeweils für globale oder interne Entwicklungen, die der Bevölkerung zu Lasten fallen.
Was hat da Correctiv eigentlich losgetreten? Kurz umrissen: Die Leute waren genau wegen eben jener „Recherche“ auf der Straße. Dass der Anlass aber höchstens wieder mal nur auf einem Gedanken fußt, der mit der Realität und gelebtem Alltag wenig gemein hat und mit der „Recherche“ auf dünnem Eis steht, scheint sie nicht zu stören. Dabei ist das letzte Wochenende nur ein weiterer Meilenstein eines diffusen Denkens in Sphären apokalyptischer Befürchtungsszenarien gewesen, das nach so vielen Jahren Brandmauertaktik nun einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Dabei haben Sellner und Co. noch nicht mal das Wort „Deportation“ in den Mund genommen – das sprachen nur die Leitmedien und darauf folgend deren Konsumenten aus, und das auch nur basierend auf der puren Gleichbedeutung zweier Worte, die man sich aus dem Duden herauslas.
„Remigration“ und „Deportation“: In ihrer Wortbedeutung gleich, und doch haftet zweitem etwas Exklusives an, etwas böse Exklusives, sofort werden Erinnerungen an unser dunkelstes Kapital in der Geschichte unseres Landes wach. Alleine der Gleichklang im Wörterlexikon lässt sie aufschrecken. Kein Gedanke darüber, dass kontextuiert zuerst „Remigration“ die Rückführung von Flüchtlingen ohne verifizierten Schutzstatus bedeuten soll, „Deportation“ hingegen in seiner Sonderstellung ein Zusammenpferchen einer „Rasse“, die nicht heimgeschickt, sondern in Lager gesteckt wurden. Der Genozid danach ist in der Wortdefinition noch gar nicht enthalten, und doch ist man sich nicht zu blöd, etwa Sätze wie „Mit Deportationen hat damals alles angefangen“ (Karl Lauterbach) rauszuhauen, was nur einen historischen Ausschnitt falsch wiedergibt und zugleich den schlimmsten anzunehmenden Fall zeichnet.
Solche Aussagen sind nicht nur peinlich. Sondern im weiteren Ausmaß sogar gefährlich, wenn man offenbar ein Geschichtsverständnis aus einem Malbuch hat. Oder, alternativ anzunehmen, will man das, was vor der Deportation geschah, lieber nicht in der Vordergrund stellen? Denn würde das postwendend auf sie selbst zurückfallen, als Gedanken oder Sprühdosenparolen zur Corona-Zeit aber ganz schnell Assoziationen zu den wirklichen Anfängen nationalsozialistischer Ideologie in Regierungsverantwortung wecken könnten. „Ungeimpfte ins Gas“ oder „Ungeimpfte unerwünscht“ war da zu lesen – gewiss Einzelfälle und auch schwer verifizierbar, aber als das kurzfristig publik wurde, blieb die Mobilisierungswelle gegen rechts auffällig aus. Auch schien man kein Problem damit gehabt zu haben, 2G auf Weihnachtsmärkten zu beschließen, was zum Glück nur kurzzeitig wirkte, als halb Deutschland positiv getestet auf der Nase lag oder in Quarantäne musste. „Kauft nicht bei Juden“ hieß es damals. Aufkleber und Armbändchen sollten Ungeimpfte markieren. Die Gleichbedeutung zu Judensternen und Schmierereien auf Schaufenstern ist da nicht weit, die Empörung und Ängste der „Anständigen“ dagegen kein Thema. Vielleicht setzt man da lieber bei „Deportationen“ an, die in Corona-Deutschland immerhin nur kleine Ausrutscher waren und nicht, wie in China oder Australien geschehen, staatsweite Realität wurden. So kann man durchaus Drittes-Reich-Vergleiche bringen, ohne groß Schuld auf sich zu laden.
Die Schlachtparole „Demo gegen rechts“ hat schon alleine dadurch ein Geschmäckle, dass eine Definition von „rechts“ gar nicht vorgenommen wurde. „Rechts“ - das kann auch konservativ bedeuten, traditionalistisch. In Teilen aber auch Arbeiterlinks, weil die ja keine Lust auf Identitätspolitik haben. Also irgendwie alles, was man in den Nachkriegsjahren und einer jungen Bundesrepublik Deutschland als Demokratie verstand, abgesegnet von unseren Besatzungsmächten. Natürlich meinen sie damit eher „Rechtsextremismus“ und konkret die „AfD“, aber soll hier schon wieder die Teilnahme einzelner Politiker an der „Wannsee-Konferenz 2.0“ (auch wieder eine gedanklich konstruierte Annäherung zu damals) auf eine Partei verpauschalisiert werden, die weit mehr unter sich vereint als zwei Uwes und eine Beate. Alleine ausgemacht an der Präsenz eines Martin Sellner und eine rein räumliche Nähe des Etiketts „AfD“ neben ihm.
Übergeordnet kann man schon wieder behaupten, dass der neu entfachte Furor noch diffuser, vorausgreifender und emotionaler ist als noch Jahre zuvor. Wenn nur wir alleine dieses Problem vor der Nase hätten, stände das noch auf einem stabilerem Fundament, aber schaut man in die Welt hinaus, dürften da noch andere Rechtsrucke eine Rolle spielen. Von „Anarchokapitalist“ Javier Milei bis zu Donald Trump 2.0 scheint nur eine Neuauflage altbekannter Szenarien aufzukommen – die Medien könnten ihre Berichte von 2015 aufwärts einfach ins Heute rüberkopieren und nur die Wortwahl noch ein bisschen frisieren. Da dürfen wir mit unserer Rechtsruck-Version natülich nicht fehlen, unsere Exklusivvergangenheit darf auch noch ausgeschlachtet werden. Was man eigentlich verhindern will, gereicht dann doch, damit zu hantieren - der Zweck und die Illusion des moralischen Superdeutschlands muss ja weiter aufrecht erhalten werden. Auch dass der Mussolini-Staat 2.0 unter „Post-Faschistin“ Meloni immer noch auf sich warten lässt und das Abbild von damals genauso wenig bestätigt, bleibt ebenfalls eine Chimäre.
Das Wochenendevent schlägt mehr Leck als dass es zu etwas nütze wäre. Es war für mich nur dazu da, jeden politischen Druck, jede Kritik wegzubügeln, indem eine Masse mit einem konsentierten Kampfbegriff (wer will schon ein ultrarechtes Deutschland?) hinter sich versammelt. Plötzlich wirken Bauernproteste mickriger, plötzlich sind wir noch wirkmächtigere „Demokraten“ und segnen mit dem Beistand zu unserer Regierung in einem Abwasch jede noch so schädliche Politik ab. In der Größe und Schnelligkeit, wie diese Demos aufgezogen wurden, war es sicherlich überraschend, aber wenn man jede maßgebliche NGO staatsfinanziert und quasi weisungs- und ideologiegebunden macht, kann auch eine Rundmail mit CC-Liste ausreichen, Leute auf die Straße zu bewegen.
Es wirkte einfach zu orchestriert, nach Drehbuch abgearbeitet. Initiiert und aufgezogen von einem Komplex von Lobbygruppen, Medien und der Regierungsriege, das sich schon vorher einen Ideologiekomplex unter dem Banner „Demokratie leben!“ aufgebaut hat. Sie sind nur die Architekten eines Kampagnenfeldzuges, der, vom Staat alimentiert und jahrelang mit linksideologischen Schachfiguren besetzt, via Correctiv einen Startpunkt setzte, mit Demos weitergeführt und sie heute noch, beseelt vom Effekt des Massenauflaufs, mit zig Artikeln oder auf X nun auf die aktuelle Opposition eindreschen können. Und dabei jeden Widerspruch nur halbherzig kommentiert oder gleich komplett ignoriert – deswegen bleibt abzuwarten, was real daraus resultieren wird. Höchstwahrscheinlich keine Halbierung oder Viertelung der Umfragewerte und Wähleranteile, weil es einfach nur dieselbe Strategie mit noch mehr Staatseinmischung ist, die schon seit 2015 nicht von Erfolg gekrönt gewesen war.
Die Verweigerungshaltung gegenüber des eigenen Scheiterns und die Aufrechterhaltung eines Endziels vom transformierten, besseren Deutschland stechen mir zu sehr in diesen schon ewig andauernden Entfremdung vor. Dazu passt ebenso die Haltung gegenüber Bauernprotesten und GDL-Streiks, die uns ja nur am Funktionieren hindern, also sozusagen auch „demokratiegefährend“ seien. Ist ja dann egal, dass man uns von außerhalb völlig entgeistert zusieht, wie wir mit unserem Moralismus durch die Welt stolzieren und wie die Wirtschaftsprognosen ständig nach unten korrigiert werden müssen. Dass man Arbeiter und Mittelstand damit nur weiter am langen Arm verhungern lässt, ist so sinnvoll wie einem Löwen einen Fleischbrocken vor die Nase zu halten und zu erwarten, dass der sich den Happen nicht holen will oder darf. Was danach passiert, obliegt nicht mehr unserer Verantwortung, egal wie sehr wir darauf hinweisen mögen, dass das nur nach hinten losgehen kann.
Abschließend nur noch ein paar Fragen. Bei der Masse kann man ja schwer überblicken, wie viele von denen da spontan aus dem Sofa hüpften, um in die Kälte zu gehen. Wie viele NGO-te waren darunter? Dass nun vor allem die Tagesschau und Co. wohl – schon wieder – fast nur Grünen-/Linkenpolitikpersonen und eigene Angestellte ein Mikro hinhielten, dürfte Bände sprechen. War da tatsächlich niemand aus dem gemeinen Volk, denen man einen Kommentar entlocken konnte? Oder sind sie alle nur institutionelle Mitglieder aus diesem Demokratieverteidigungsbündnis? In diesem Zerrbild mit altbekannten Methoden, die schon zum Skandal gereichten, einfach so weiterzumachen, losgetreten von eben jenem anzuzweifelnden Correctiv-Greenpeace-Bericht, ist ein Aus-der-Blase-in-die-Blase-Ereignis, das eigene Weltbild ja nicht zu verlieren oder in ihrer Legitimation zu schmälern.
Man fühlt sich mordsirritiert ob der Relevanz des Anlasses und dem Eifer, der damit einhergeht. „Gegen rechts“ zu sein, wer soll das schon kritisieren dürfen? Und doch sind diese vielen „Anti-Rechten“ in ihrer Gesamtdarstellung ein Einheitsbrei, der selbst mal für sich und alle anderen Grenzen gezogen hat. Ein Drehbuch mit klassischem Gut-Böse-Schema geschrieben und auch inszeniert hat, das so eindimensional geworden ist, dass diese Demos mit ihrem Superheldenduktus bald schon die nächste Dosis Haltung brauchen werden, um den nächsten Umfrageabsturz noch stärker zu bekämpfen. Wie lange man das Spiel noch treiben kann, weiß man nicht. Aber noch ist kein Ende in Sicht. Man wartet aber irgendwie auch gespannt, wann sie von „Deportationen“ zum finalen Genozid überleiten werden, der gar nicht stattfindet oder auch nicht als rechte Idee ausgesprochen wurde. Aber auch da könnten Correctiv und Co. durchaus den Stoff liefern, wenn man ihn braucht – derweilen lässt sich die Gegenseite zum Gedanken verleiten, Leben gewaltsam zu beenden...
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Holger (Samstag, 27 Januar 2024 14:48)
Man hat es über die Jahrzehnte geschafft, den Nationalsozialismus auf das Wort "Nazi" zurechtzustutzen und den "Nazi" zum übergewaltigen Buhmann aufzublasen. Dabei wurde der "Faschismus" schleichend zu einem nebulösen, kaum greifbaren Phänomen. Faschismus ist ganz schlimm, hat irgendwas mit Nazis zu tun, aber was genau das nun ist, das weiß man nicht so exakt. Ist aber ganz doll schlimm, wegen der Nazis. Und man selbst kann ja keiner sein, weil man ja kein Nazi ist.
Und weil man dem dummen Volk immerzu den "Nazi" zum hassen vor die Nase hält, ihm (dem Dummvolk) aber nie so richtig den Faschismus erklärt hat, kann der heutige Faschismus an alte Zeiten anknüpfen, und die Gut-(formerly known as Herren-)menschen wieder für seine eigenen Ziele zum Hass aufstacheln.
Ich hoffe nur, daß es zum gemeinsamen Atomwaffenaustausch mit Russland kommt, bevor wieder Andersdenkende als Antisoziale ihr Leben in einer speziellen Einrichtung aushauchen müssen.
Polemicer (Sonntag, 28 Januar 2024 08:11)
@Holger
"Faschismus ist ganz schlimm, hat irgendwas mit Nazis zu tun"
Ja, und da ist schon diese Verengung drin, die es ihnen sehr bequem macht, ihren eigenen Faschismus kleinzumachen. Dass die Wortdefinition zuerst unpolitisch ist, kann man mit unserer Geschichte ja prima ausklammern, wenn man sie immer wieder dazu instrumentalisiert. Noch schlimmer, wenn man heute so holzschnittartig daran erinnern will, nur Bilder von Leichenbergen in KZs im Kopf hat und den Rest in diesem Entsetzen völlig vergisst.
epikur (ZG Blog) (Sonntag, 28 Januar 2024 17:37)
Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen, direkt oder subtil dazu "angehalten" und "genötigt" wurden auf diese Demos zu gehen. Nein, nicht der Otto-Normal-Verbraucher, aber alle die in staatlichen Institutionen, Verwaltungen, Behörden, Universitäten und Stiftungen arbeiten sowie alle, die in sonst einer Form finanziell abhängig von Regierungsgeldern sind.
Und nein, natürlich hat hier Niemand via Knüppelgarde die Menschen auf die Straße getrieben. Seit den Corona-Jahren wissen wir doch, wie das geht mit Nudging und Ausgrenzung. Selbst bei mir in der Grundschule wurde zu diesen Demos "aufgerufen". Neutralitätsgebot my ass! Gehört natürlich zum guten Gutmenschen-Ton da unverzüglich hinzugehen. "Oder bist Du etwa ein Nazi?"
Meine große Befürchtung ist, dass sich dieses polarisierende-binär-infantile Denken bereits so sehr verfestigt hat, dass jede Form der Differenzierung und eines dritten Gedankens -jenseits von gut und böse- nicht mehr möglich ist. Und dann werte Damen und Herren, sind wir mitten im Totalitarismus.
Polemicer (Sonntag, 28 Januar 2024 18:51)
@epikur
Bzgl. Demoaufrufe und "Bist du etwa ein Nazi?":
Man sollte vielleicht die Demos unter dem Banner "Faschismus" labeln und dann noch eine Begriffserklärung hinterherschieben. Aber dann würde man sich ja selbst entlarven, deswegen auch mein Verweis zum "Erinnern", das nur bis "Deportation" reicht. Alles davor wäre "Protofaschismus", und dann würden alle Demogänger die Tage ganz schnell die Klappe halten.
Pascal (Montag, 29 Januar 2024 21:46)
Den 'Aufstand der Anständigen hatten wir schon mal vor 24 Jahren:
https://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_der_Anst%C3%A4ndigen
schon damals mit einem vergleichbaren Furor geführt und orchestriert von Personal wie Schröder und Clemens.
Eigentlich brauchen wir nur die Namen der Sockenpuppen, die von einer Kamera zur nächsten hasten, auszutauschen und das Drehbuch ist fertig.