
„Krisenmodus“ wird zum Wort des Jahres gekürt. Warum nicht gleich „Weltuntergang“, „Apokalypse“ oder andere schöne Wörter? Orwell scheint schon länger zum Vorbild zu taugen, Sprache geht nun den destruktiven Weg, da will man gar nicht wissen, was nach diesem Wort das Unwort des Jahres wird. Wenn schon Krieg Frieden ist, Freiheit Sklaverei oder „Die besten Weltuntergänge“ nun „spannende Geschichten“ sind und „positives Denken“ anregen sollen, dann sind Unwörter wahrscheinlich schön und gut konnotierte Wörter. Freude. Urlaub. Entspannung. Glück. Wohlstand. Eigentlich alles, was Sicherheit verspricht. Orientierung. Etwas Sorglosigkeit, auch wenn da draußen die Welt in der Krise steckt.
Vielleicht haben all die „Spinner“ recht gehabt, die meinten, uns sollen diese Bezugspunkte entzogen werden. Uns in den Daueralarmismus versetzen, ängstlich machen, vom rationalen Wesen zum Permanenthosenscheißer machen, um es leichter zu haben, uns in eine bestimmte Richtung zu treiben. Mit der Sprache fängt es meistens an. Denn: Sprache beeinflusst das Handeln und Denken - das haben sie uns selbst schon angemahnt, und das bisher nur als Warnung ausgesprochen, bloss nicht dem Rechtsruck oder sonstigen, unmoralischen Denkdelikten nachzugeben. Hass. Hetze. Sexismus. Rassismus. Bratwurst. Pizza Hawaii. Dreadlocks. Lumumba. Durchseuchung. Die Liste hat sich gefüllt, und sie finden auch heute noch irgendwelche Querverweise, um Bestandswahrendes und Traditionelles mit irgendeinem Label dieser Art zu vergiften.
Wie reagiert man allgemein darauf? Ich kann das nur anekdotisch erfassen, Stimmungen einfangen, den Duktus in den (a)sozialen Medien herauslesen. Dies dann wieder filtern, nach ideologischen Gruppen und wie darin und nach draußen geredet/geschrieben wird. Das Alter spielt dann kaum noch eine Rolle, wenn man an die Gehirne aller will. Da hilft es offenkundig nicht mehr, Lebenserfahrung als Vorfilterung des „Modus Operandi Apocalyptica“ anzuwenden, denn trifft es alle, von jung bis alt, die empfänglich dafür sind. Interessanterweise genau diejenigen, die eigentlich sorgenlos sein könnten. Bildungsbürger. Wohlsituierte. Also die, die eigentlich den statistischen Querschnitt in diesem Land ausmachen, im Verdienst, im sozialen Status, im beruflichen Umfeld. Und ausgerechnet die befruchten sich gegenseitig mit Angst und Krisenmodus, sehen es als notwendig und irgendwie positiv an, deuten um und tanzen auf den Gräbern jener und allem, was uns als Land bisher ausmachte.
Fällt Ihnen mal auf, dass alles, was beliebt und erfolgreich ist, ständig mit einer Schlechtigkeit verbunden werden soll? Unsere alten Dichter und Denker haben es schon abgekriegt. Künstler. Politiker. Prominente. Es gibt wohl keine Ecke mehr, wo das Gift nicht hineindringt, und wenn etwa der Cousin eines bekannten Youtubers auch nur etwas Spaß an „Hogwarts Legacy“ haben könnte oder vielleicht nur die Absicht hat, Spaß haben zu können, wird schon gegiftet. Sie finden schon Wege, Sie in die Schuldfalle zu quetschen – und selbst wenn sie ihre Anschuldigungen um mehrere Ecken denken müssen.
Was mich am meisten irritiert, ist nicht mal deren Handeln. Sondern, dass man das teils noch für voll nimmt oder sich nicht sichtbar dagegen aufstellt. Diesem Gegifte wird noch zu viel Raum zugesprochen. Man denkt ernsthaft darüber nach, ob nicht etwas dran sei, ob man nicht etwas verändern müsse. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Hier gar nicht. Da ein wenig. Dort wäre es angebracht. In der Sache ist das einerlei – bei der Methode etwas anderes.
Was uns wieder zur Sprache bringt. Die Agenda, das Etikett thront dabei über allem. Klima. Virus. Krieg. Eben dieser oder jener „Krisenmodus“. Weiter geht es zum Umgang damit. Die Galionsagenten nutzen es. Verschaffen sich Relevanz, Aufmerksamkeit, Öffentlichkeit. Nutzen die Gunst des Moments, um allgegenwärtig zu werden. Werden in der Hitze des Moments zu Propheten. Sie sprechen, deuten, warnen. Und wenn das nicht fruchtet, werden sie lauter, kälter, härter. Wiederholen, eskalieren und extremisieren noch mehr. Wenn das immer noch nicht ausreicht, gehen sie zur Handlung über. Diffamieren, framen, canceln, greifen bei den Hartnäckigsten sogar zu gewalttätigen Handlungen, wenn der psychische Druck keine Ergebnisse liefert. Und dazu müssen die Stars der Agenda nicht mal selbst tätig werden – sie haben schon die Armee der Willigen hinter sich, den Pöbel mit Mistgabeln oder Vorschlaghämmern, die man nur aktivieren muss.
Im heutigen, fragilen Zustand in diesem Land braucht es keine Einordnung mehr, wer gut sei und wer böse. Alle stehen sie in den Startlöchern, geschwängert vom Extremsten, was ihre Propheten von sich geben. In ihrer Angst neu konstruiert, assimiliert durch die jeweilige Agenda, bereit, zum Äußersten zu gehen. Und es spielt keine Rolle mehr, ob es gute Gründe hätte. Der Geist im Westen ist völlig zersetzt, kennt keine Grenzen mehr, sich selbst rational zu halten, gesteuert von Gefühlen und getrieben von den Krisen und Bedrohungen. Und da rede ich nicht nur von den linken, grünen, identitätspolitischen Extremisten – auch auf der Gegenseite wittert man den Untergang und macht ihn sich eigenprofitabel zunutze.
Ob nun die Erde bald unbewohnbar würde oder der Westen sich selbst abschafft, ist zwar noch lange nicht geschehen, und doch bestimmt das Denken für Morgen das von Heute. Die „self-fulfilling prophecy“ nimmt immer mehr Einfluss auf die Wohlstandsrealität, und das auch, weil man sich kaum noch Mühe in der Wahl der Mittel gibt, Geschehnisse des Heute schnell beenden zu wollen. Zumindest in den Gefilden, in denen wir noch Einfluss nehmen können. Vielleicht durch eine gute Datenlage, die keine Lockdowns bräuchte. Vielleicht die Wahl einer ergebnisoffenen Diplomatie statt einseitiger Solidarität. Vielleicht Klimaveränderungen besonnener zu begegnen statt sich gleich in Ängsten zu ergeben. Vielleicht nicht den Untergang des Abendlandes zu beschwören.
Wenn man noch in politischen Spektren denkt, ist die Entwicklung der letzten Jahre an Absurdität kaum noch zu überbieten. Irgendwas mit Rechtsruck war da mal gewesen (auch so eine Prophezeihung vom zweiten Nazi-Deutschland), führte nach langer Durststrecke zu Bankenkrise, Fukushima, Flüchtlingen... irgendwas ist immer. Heute ist gleich was viel Größeres, oder man verwendet gleich alles zusammen. Linkspolitisch Verortete haben den Untergang des Abendlandes nicht heraufkommen sehen, was ja auch in der Sache angebracht war, das mal zu relativieren, aber heute gleich mit einmarschierenden Russen, Nazi-Deutschland und Zerstörungswetter gleichzeitig anzukommen, ist schon eine Leistung.
Ferner spielt nicht nur eine Unsicherheit eine Rolle, was noch nie gewesen war und auch nur das Ergebnis im Kopf ist, vielleicht sogar gestützt durch Rechenmodelle, wenn man sie mit entsprechenden Daten füttert. Also auch die kalt kalkulierende Maschine dazu bringt, das Schlimmste zu berechnen. Es ist wahrlich irre, sich die düsteren Emotionen von emotionslosen Automaten bestätigen zu lassen. Alternativ dazu zieht man nur selektiv Lehren aus der Geschichte. Beruft sich nur auf KZ-Bilder und den finalen Zahlenwert eines beispiellosen Genozids. Ignoriert aber vollends, was dazu geführt hat. Die Vorlaufzeit etwa, richtungsweisend durch Hyperinflation in der Weimarer Republik, die das Vetrauen in die Demokratie erschütterte, um nur mal eine einzelne Entwicklung anzureißen. Das führte erst später zur „Cancel Culture“ eines Adolf Hitler, der außer einer Rassenideologie nicht mal einen Anlass brauchte, Mitbürger zu ruinieren und auszustoßen, indem man sich in der Frühphase des Aufbaus eines Dritten Reiches auf „Kauft nicht bei Juden“-Parolen auf den Straßen beschränkte. Bücherverbrennungen mussten damals noch öffentlichkeitswirksam auf Plätzen präsentiert werden, heute reichen Grill im eigenen Garten und Handyvideos.
Da keimen Ideen, die man nicht passgenau einer rassistisch denkenden Bevölkerungsgruppe im Jahre 2023 zuweisen muss. Auch wenn da eine AfD Zuspruch erhält und diese Befürchtungen nährt, ist es schon grotesk, das mit denselben Sprach- und Handlungsweisen zu bekämpfen. Die Triebfeder ist nicht mehr der eigene Plan von einer besseren Welt, sondern das Feindbild, das die eigene Existenzgrundlage und somit auch das Anliegen bedrohen würde. Und ich mache keinen Unterschied mehr zwischen den „bösen Juden“, den „bösen Flüchtlingen“, den „bösen Nazis und Querdenkern“ oder dem „bösen Klima“ - es sind alles Feindbilder und Bedrohungen, sei es staatsweit, rassenspezifisch oder gleich global gedacht. Die jeweilige Moral bestätigt jeden ideologischen Rigoroismus, die nicht funktionieren würde, wenn man sie nur in der eigenen Nachbarschaft beschriebe.
Was wäre eigentlich eine Krise, wenn man sie nicht als solche betrachten würde? Wenn da ein Bewusstsein entstünde, das akzeptiert, dass sich da etwas Schlechtes anbahnt, man sich aber gleichzeitig eine humanrationale Einschätzung bemühen würde, um Gutes und Schlechtes gleichzeitig einzubeziehen? Es braucht allerdings nur ein Einmarsch, ein Festivalmassaker, und schon wird etwas zum Dauerevent, das den etwaigen Drang nach emotionaler Ergriffenheit wieder eine Zeit lang befriedigt.
Krisen – das ist wie eine Droge, die die Enzyme reizen, auszuströmen, um den alltäglichen Zustand der Betäubtheit zu betäuben, die eigene Apathie zu durchbrechen, und bevor man in die Kitsch-und-Spießer-Imagefalle tappt, setzt man lieber auf etwas Dunkles, Düsteres, an das die Kitsch-und-Spießigkeit-Fans sich nicht rantrauen. Mit dunkler, abschreckender Kunst etwa, mit Debatten über Meta-Themen, die Katzenbilder-Fans, Dorffest-Abonnenten und Eigenheimtüftler nicht hören wollen. Statt Karohemd und Engelbert Strauss tragen sie Vampiroutfit und großzügige Kajalstreifen in den schon schattigen Augenhöhlen auf. Emo und Dark und Dirty (oder was es heute alles so gibt). Alternativ dazu Wohlstand und Reichtum als etwas nicht Erstrebenswertes abwerten, weil es etwa zu Lasten anderer erwirtschaftet wurde.
Andere wiederum sind farbliches Gegenteil und doch wieder spießiger als die Spießer von einst. Die, die sich in ihrer politischen Korrektheit verloren haben - verloren haben sie ihre Missgunst, Kaltschnäuzigkeit oder Boshaftigkeit trotzdem nicht. Sie verpacken sie nur hinter dem geübten Grinsen, Sneaker-Lockerheit oder Smalltalk. Bildungsbürger, die sich hinter der Fassade des Glücklichseins verstecken, aber wehe jemand parkt draußen falsch oder nur ungünstig. Das wäre ja nur ein typisches Deutschland wie damals, doch soll offene Stoffeligkeit nicht vorgelebt werden. Das wäre zu Boomer-mäßig, zu viel Stammtisch mit Bier und Kippengeruch, zu viel Fliesentisch und Eiche rustikal. Oder, um sich vom Proletariat abzugrenzen: zu viel auf Miete leben, zu viel Autoschrauben oder gleich gänzlich zu viel DIY, das nur Holzsplitter im Finger oder Schrammen auf der Handfläche bringt. Zu viel Ruhrromantik mit Schmutzcharme. Zu viel Prollgerede über dicke Möpse, pralle Schwängel, Böhse Onkelz-Dilletantismus und die Geruchsnuancen der eigenen Fürze. Im Grunde ein viel zu proletarisches Leben mit all seinen (Un)Sitten, das ihre Nasen beleidigt und den Teint ruiniert.
Dazu braucht es anderes. Schnell wird der Wille zur Abgrenzung gegenüber des alten Banallebens deutlich, es muss immer etwas größer, bedeutsamer, dringlicher sein als das, was damals wichtig war. „Think big“ ist jetzt ihr Mindestanspruch, egal, ob sie heute Bienenhotels auf dem Dach aufstellen, sich mit einer Minderheit solidarisieren oder demonstrativ Maske tragen. Immer muss das große Ganze, das Gute, das Globale in ihrem Reden und Handeln als Banner mitgetragen werden. Imker sein, da muss schon der Artenschutz im Untertitel stehen und nicht nur „Hobby“. Es gibt nichts Selbstzweckhaftes, nichts Selbstertüchtigendes mehr in ihrem Lebensalltag, und wenn es keinem höheren Zweck dient, ist es unnütz oder gleich schädlich für alle. Und für sie tut die Sprache ihr Werk – sie übertreiben, sie schreien, sie malen sich die schlimmsten Szenarien aus, wenn nicht sofort das umgesetzt wird, was sie verlangen.
Also redet man nur noch in solchen Sphären. "Gefühlt 7000 Grad“ heißt es dann in Dubai, wo aktuell Temperaturen gemessen werden, die einem durchschnittlichen, mitteleuropäischen Sommer entsprechen und in der Wüste um diese Zeit auch nicht besonders sind. Die Erde erwärmt sich derweil nicht mehr, sie kocht, und in Dubai ist gerade der Winter, wie er für Deutschland nach... über den Daumen gepeilt... 2038 prophezeit wird. Putin steht schon vor den Toren Berlins. Das Virus wird derart mutieren, dass auch nach der Schlappe mit der viel zu milden Omikron-Variante das Narrativ vom Menschvernichtervirus doch noch weiter Bestand haben soll. Gleichzeitig ist alles, was solche Behauptungen auf ein realistisches Maß herunterreden könnte, Feindparole geworden. Und ebenfalls mit größtmöglich gedachten Begriffen belegt: „Leugner“. „Verharmloser“. „Egoist“. „rechts“. Verabsolutierte Etiketten, die größte Wirkung erzielen sollen.
Es scheint, als habe man sich beim „groß Denken“ bis vor kurzem ein bisschen schuldig gefühlt, als es noch marktradikal und ultraliberal sein durfte. Die Epoche des Ich will heute niemand mehr offen leben, es folgte die Epoche des bedingungslosen Wir. Doch wird es im digitalen Zeitalter schwierig werden, das glaubhaft zu vermitteln, wenn alleine schon durch den Selbstinszenierungscharakter von TikTok und Co. in 1-Minute-Ich-Shows konterkariert wird. Solche Videoplattformen beziehen ihre Existenzberechtigung ausschließlich dadurch, die Schreibvarianten X und Facebook wirken ähnlich. Schon alleine deswegen wird es unglaubwürdig, ein Wir propagieren zu wollen, wenn Millionen Ich-Inseln ihren Profilen und Videos nichts anderes hinzufügen außer sich selbst. Man könnte es als Jesus-Komplex bezeichnen, doch hätte Jesus mit den „Sündern“ gesprochen statt sich wortlos umzudrehen.
Allerdings sind solch digitalen Gefolgschaften schnell autoritär hierarchisch, sind also in gewisser Weise auch Schurkenstaaten. Wer aus der Reihe tanzt, wird selten durch Gespräche überzeugt werden oder überzeugt werden wollen, sich dem Gruppenduktus zu fügen. Und das befeuert wiederum den Bedarf an Werkzeugen, Provokateure mit wenigen Klicks auszuschließen. Blockierfunktion für die Einzelnen. Rausschmeißbutton für alle. Harmonie auf Knopfdruck. In der realen Welt geht das natürlich nicht, also muss eine andere Funktion her, die als Ergebnis größtmöglichen Effekt oder Schaden herbeiführt. Da Waffengewalt und Fausthiebe aber eindeutig strafbar sind und die eigene Glaubwürdigkeit schwindet, wenn man vom Gefängnis aus etwa das Klima retten will, greift man eben zu sprachlichen Methoden. Wäre das zivilisatorische Leben eine Facebook-Gruppe, wären alle Zwischenrufer aus der Hölle mit einem Klick entfernt gewesen. Da bräuchte es keine Extremetiketten wie „Nazi“ oder „Leugner“ und die Hoffnung, dass die Mehrheit dadurch abgeschreckt würde. Entlarvend wird es, wenn schon erste Überlegungen angestrengt werden, „mehr Diktatur zu wagen“.
Bis vor ein paar Jahren hielt sich bei mir noch hartnäckig der Glaube, die Gesellschaft könnte ihre Problemfelder nach all ihren Möglichkeiten noch selbst lösen. Doch hat dieser Glaube ordentlich Leck geschlagen, als man in seiner Unfähigkeit zum Diskurs und der eigenen Großmannssucht immer wieder nach dem Staat schreit und bestenfalls "Staat ist". Man hat genug von der Sisyphusarbeit, den langwierigen Gesprächen, und die Gesellschaft ist ihnen dazu noch zu widerspenstig, was eigene Anliegen weiter verzögert. Die Konsequenz daraus: Man ignoriert die Gesellschaft und spricht nur noch den Staat an, also die höchste Instanz in einem Land. Dadurch entfaltet sich wiederum eine verengte wie wechselseitige Diskursdynamik in Für/Wider-Sphären, wobei momentan die Reizthemen wie Klima, Krieg und andere einen Konsens gebildet haben, der zuerst nur Symbolcharakter hat. Aber auch darin keine kleinen Brötchen bäckt, sondern gleich von „Zeitenwende“ spricht – also auch eine Vision zur Realität für alle machen will. Darunter geht’s nicht.
Würden keine Krisen herrschen, würde es wahrscheinlich auch nicht funktionieren, es voranzutreiben. Ihre Visionen denken so weit voraus, dass es zwar ein positiv konnotiertes Ergebnis voraussagt, aber ist ihnen wahrscheinlich schon bewusst, dass sie damit schnell auf taube Ohren stoßen und selbst aufs Abstellgleis geraten. Es braucht also das Dunkle, Schlimme, alles und jeden Einnehmende, um sich die Aufmerksamkeit abzuholen, die sie sich vorstellen. Ähnlich funktioniert das in den Medien, und jeder halbwegs gebildete Mensch weiß, dass etwa Journalismus durch den Sensationskick des Schlechten Auflagen generiert und nicht durch Positivismus, Banalisierung und Harmonisierung. Mit dem Haltungsjournalismus ist auch die Gefühlsebene in die Berichterstattung eingeflossen, die mehr Reaktionen herauskitzelt als die sture Verkündung von Fakten und Thesen.
So entstehen auch Allianzen, in der Politik, Aktivismus, Institutionen und Medien sich gegenseitig bestätigen. Die Gefühlsebene durchbricht diese institutionellen Grenzen, macht sie alle zu Kollaborateuren im menschlichen, gemeinschaftlichen Ausmaß, vermischt dazu die jeweiligen fachlichen Spezifikationen und werden so zu einem übergreifenden Machtkomplex mit Reichweite und Handlungsspielräumen. So ist es auch leichter, eine Erzählung weitreichender zu verkünden, bleiben wir nur beim Beispiel Klima, wo die thematische Allianz zwischen Teilen der Wissenschaft, der Medien, Geldgebern, Politik und Aktivismus global Relevantes in ein „alternativloses“ Korsett zwängen können. Beim Klima sei da konkret zu nennen: Institute, die sich mit Klima befassen, Diplommeteorologie, finanziert durch klimaideologische Milliardäre, die wiederum Geld an Medien verteilen, die wiederum die Sachthemen emotionsgeschwängert der Bevölkerung vermitteln.
Ihre Absicht ist dabei kaum verschleiert oder hinterlistig, sondern realtiv einfach zu entziffern – doch benennt man es kritisch, wollen sie davon nichts gewusst haben. Das macht es extrem widersprüchlich, deswegen hört man nicht selten den Wunsch, sie würden es offen und ehrlich so kommunizieren. Wer aber in diesen absoluten Sphären Dinge vorantreiben will und bei jeder Gegenrede das eigene Handeln und Sprechen verharmlost, sägt nur automatisch an der eigenen Glaubwürdigkeit. Noch können sie auf ihre geschmiedeten Allianzen bauen, noch kann man seine eigene Doppelmoral ausleben, doch formiert sich gerade auf der Ebene, die man - wie oben beschrieben - ignorierte, eine Antiallianz, die das zunehmend immer mehr in Frage stellt. Die Gesellschaft erlebt also keine „Zeitenwende“ wie es die Visionen beabsichtigen, sondern eine Gegenöffentlichkeit, weil man ihre Einschätzung nicht hören wollte oder ihr absprach, sich mit Sachlagen befassen zu können.
Das mag erklären, warum man via Kinderbücher mit ideologischer Schlagseite nun an die Kinder geht, weil man der Meinung ist, die Eltern würden denen nur die falschen Werte anerziehen. Wer also nicht mal dran dachte, den eigenen Kindern etwas vom „Weltuntergang“ zu vermitteln, wird einfach übergangen und erzieht sie eben selbst über Literatur oder angepasste Lehrpläne. In diesen sensiblen Sphären einer zu füllenden Kinderseele derart absolutistisch zu verbreiten, kann jedoch fatale Auswirkungen haben – da von „positiver Energie“ zu sprechen, ist ein Irrglaube oder gar ein hässliches Kalkül. Dass Kinder dann selbst in die Desillusionierung oder gleich final in den Freitod flüchten, weil schon die Ankündigung einer zerstörten Welt tiefste Ängste aktiviert, ist in diesem „Think big“-Anspruch eine Leugnung tiefenpsychologischer Tatsachen. Das haben wir schon zur Corona-Krise beobachten müssen und sollte eigentlich eine Warnung sein, nicht allzu leichtfertig den „Krisenmodus“ als Joker aus dem Ärmel zu ziehen, um keine sich selbst erfüllende Prophezeihung anzustoßen.
Denn ist es etwa im Gaza-Konflikt nicht so, dass er plötzlich aus dem Nichts entstanden wäre. Er geht weit zurück in der Zeit, genauso sieht es bei Ukraine/Russland aus, und auch SARS ist kein Virus, das vorher unbekannt gewesen wäre. Wir leben also schon sehr lange mit diesen Krisenherden, die bisher nur noch nicht effektvoll genug gewesen waren, um damit Gefühlsausbrüche zu aktivieren und es eine weltweite Relevanz zu konstruieren. Wenn der Effekt versiegt, gönnt man uns heute nur keine Verschnaufpausen mehr, und deswegen scheinen auch aufmerksamkeitsheischende Personen zu jedem Thema ihren alarmistischen Senf zu verbreiten – Frage ist nur, ob sie es lediglich instrumentalisieren oder tatsächlich an den Weltuntergang glauben.
Deswegen kann man trotz der Kritikwürdigkeit verstehen, wenn Wörter wie „Krisenmodus“ zum Wort des Jahres werden. Momentan ist ja überall Krise, egal, ob tatsächlich oder von oben Genannten be- geschweige denn gezeichnet. Sie haben letztlich das erreicht, was ihnen vorschwebte: Groß denken, groß handeln und groß sprechen. Zu dumm nur, dass sie entweder die Zeit oder die Menschen, die das nicht so sehen, sie wieder schnell auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Kommentar schreiben
Holger (Sonntag, 17 Dezember 2023 07:46)
Ohjeohje, alles rundum zerfällt in seine chaotischen Bestandteile. Wenn wir nicht vom Virus getötet werden, dann vom Russen, dem Rechten, dem Klima oder den Ausserirdischen.
Ich hoffe ohne jede Ironie, daß dieser Planet von einem riesigen Meteoriten getroffen wird, bevor meine dumpfschädeligen Landsleute in ihrer hirnlosen Angst erneut einem Ermächtigungsgesetz Beifall klatschen, daß ihnen die Lösung all ihrer Sorgen verspricht.
Herr, wirf Hirn vom Himmel. Aber falls es dir ausgegangen ist, tut es auch ein Meteorit.
Polemicer (Montag, 18 Dezember 2023 05:50)
@Holger
Ich kann deine Hoffnung auf das absolute Ende ja irgendwie noch verstehen, aber ich würde, wenn Hirn aus ist, erst mal mit Beruhigungspillen oder Rausch- und Betäubungsmitteln weitermachen, danach vielleicht noch Baseballschlägern ;-)