
Auch wenn man einer völlig in seine Einzelbestandteile zerfallene Partei kaum noch etwas zutrauen mag – spannend war es trotzdem, wie sich der Parteitag der einstigen Arbeiterpartei gestalten würde. Hat sie doch gerade einen historischen Absturz in der Gunst der Wähler zu verkraften, 14 % plus/minus in den jüngsten Umfragen sind eine selten harte Klatsche, die Ampelwerte sehen auch nicht besser aus. Da lauscht man schon etwas genauer hin, welche Richtung der Parteitag vorgeben wolle.
Den großen Umbruch sollte man dabei nicht erhoffen. Der Selbsterhaltungstrieb der Partei ist ausgeprägt genug, das haben die Parteiobersten zur Genüge deutlich gemacht, und damit war auch unter Dach und Fach, dass sich das Personalkarussell nicht weiterdrehen würde. Wichtiger schienen die Ankündigungen, die Wegweisungen. Ein „Weiter so“ in der Fokussierung der Parteiprogrammatik würde nur den Abstieg weiter befeuern, doch wie bereit wäre man, endlich neue (oder gar alte) Wege einzuschlagen?
Der Mainstream überschlägt sich gerade mit Lob für die Partei und den Geist, den sie bei ihrem Treffen versucht zu entfachen – dabei ist oft unklar, ob das nur Wunschdenken ist oder man den Worten für die Zukunft wirklich Glauben schenken mag. Das wärmelnde Gefühl, das einem die Leitmedien hier versuchen zu vermitteln, hat jedoch eine sehr fröstelnde Vorgeschichte; und aktuell sieht es auch nicht rosig aus, schaut man nur auf das „Geschaffte“ in zwei Jahren Ampel und zuvor als braves Hündchen an der Konsensleine Angela Merkels. Und bis heute wirkte die Partei wie entkernt, eine zerbrechliche Figur, von innen aufgefressen – nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Deswegen wird es zur Mammutaufgabe werden, diesen programmatischen Irrweg wieder in die richtige Richtung zu lenken. Den marktradikalen Schröder-Kurs, den man nun versucht einzig auf Friedrich Merz zu lenken, den Wählerbetrug, der den Schulz-Zug krachend gegen die Wand hat fahren lassen, einen skandalbehafteten Kanzler mit Erinnerungslücken, eine verwegen-totalitär agierende Bundesinnenministerin, die verbalen Aussetzer wie „Covidioten“ oder „gefallene Engel aus der Hölle“ – all das und mehr sind Brocken, die man in der Politik nicht einfach so abschütteln kann, Bedarf an Entschuldigungen besteht momentan wohl sowieso nicht. Selbst wenn man sich noch an den Überraschungssieg aus der letzten Bundestagswahl klammern mag, ist zu viel Porzellan zerbrochen, da noch Vertrauen aufzubauen.
Daher haben die Lobhudeleien aus dem Mainstream fast schon satirischen Wert. Da lohnt ein Blick zwischen die Zeilen, die vor allem aus der Rede von Lars Klingbeil herausinterpretiert wird. Ein bisschen weniger grün, heißt es da, klare Abgrenzung zur CDU, natürlich völlige Distanzierung von der AfD. Plötzlich umgeschwenkt zu haben, endlich die Themen anzufassen, die man zuvor angeekelt der AfD überlassen hatte, ist im ersten Step schon mal eine herbe Luftnummer geworden. Nun nimmt sich Klingbeil in seiner Götterrede den „Menschen, die arbeiten gehen“ in den Fokus. Also ausgerechnet die, die er und seine Genossinnen und Genossen schon länger hat hängen lassen. Also all jene, die in den letzten zwanzig Jahren zur Lafontaine-Linken abwanderten. Was der SPD in den Landtagswahlen 2023 nur Zuwachs aus dem linken Spektrum zuspülte (und das sind wahrscheinlich eher Bürger aus dem Bildungsspektrum).
Nun also diese Kampfansage. Offenbar sitzen die Ängste tiefer, als man zugeben will. Die Geschlossenheit und die Aufbruchstimmung gleichen denen in der Linkspartei, die sich nun von ihrem Wagenknecht-Dilemma freischütteln will und zum Neustart bläst. Apropos Wagenknecht: wie passend die oben genannten Bekundungen zur arbeitenden Bevölkerung in die Parteigründungspläne der Ex-Linke-Politikerin doch sind – offenbar hat man noch mehr Sorgen als nur die AfD aus dem Politikbetrieb zu halten. Eine Vernunft-Linke mit marktwirtschaftlicher Orientierung, die man an Wagenknecht und Co. verlieren würde, käme fast einem Gnadenschuss für eine SPD gleich, und egal aus welchen Gründen man sich von den Genossinnen und Genossen weg entscheidet, käme dies wahrscheinlich einem Verlust der letzten programmatischen Notreserven gleich. Bisher hört man in den Analysen davon nichts, es ist aber anzunehmen, dass gerade in der linken Ecke eine noch tiefere Aufspaltung vonstatten gehen würde, würde die BSW-Partei tatsächlich aus dem Stand mit zweistelligen Stimmwerten durchstarten.
In ihrer Verzweiflung sucht man das Seelenheil zuerst bei sich selbst – anders sind Dramenszenen mit Tränen und emotionaler Ergriffenheit wohl nicht zu erklären. Saskia Esken wird hier zur Vorzeigefigur in diesem Brechstangenblockbusterkino, sehr selten hat man sie so breit grinsend oder zu Tränen gerührt in der Öffentlichkeit gesehen. Endlich wieder gute Menschen in dieser bösen, weiten Welt, möchte man da unken und der Parteivorsitzenden in den Mund legen, da darf man ungehemmt seine Gefühle herauslassen. Dass sie zuvor einige vergraulte, die die Partei nun wieder zurückhaben will, könnte die Harmonie vielleicht eher stören. Und vielleicht sind immer noch zu viele „Covidioten“ unterwegs, die man gar nicht mehr wiederhaben will. Daher wirken die pro-aktiven Parolen zu den Arbeitenden wie alte Sehnsüchte besserer Zeiten.
Es liegt bei der Partei so viel im Argen, dass der Selbstheilungsprozess sicherlich nicht mit dem Parteitag wie den Bekundungen und Programmbeschlüssen beschleunigt wird. Auf Überraschungen zu zählen und sich lediglich getrieben durch Wählerwanderungen und den Rückklau von unbequemen Themen neu zu profilieren, um in zwei Jahren wieder als Bastion für die einstige Stammklientel aufzustellen, halte ich für sehr ambitioniert und weithin realitätsfern. Fakt ist, dass Europa einen Rechtsruck durchmacht, und die kämpferischen Ansagen werden den auch in Deutschland nicht verhindern. Vor allem, weil man sich immer noch nicht von zweifelhaften Einwanderungserleichterungen verabschiedet, nicht richtig haushalten kann, noch weniger das Heft in die Hand nimmt und sich somit vom Wunschjuniorpartner in der Koalition auf der Nase herumtanzen lässt.
Schließlich bleibt noch, mit welchem Personal man Ministerien besetzt, die weiter Ängste schüren: Ängste über Kriegsbeteiligung, Ängste, Dinge anzusprechen, die dann anlasslos zu „Hass und Hetze“ umdefiniert und gar noch härter als in den letzten Jahren sanktioniert werden, und letztlich auch die Sorge, dass man mit unlauteren Geschäften und mafiös-anrüchigen Methoden durch Schweigen oder Gedächtnisproblemen der Transparenz aus dem Weg gehen kann.
Das riecht weder nach Aufbruch noch nach einem harten Richtungswechsel. Das riecht nach Safe Space, Teddybär-Knuddeln und Überzeugungstäterei wie bisher, und so wird man auch weiter auf Kurzzeiteffekte hoffen müssen, um die Umfrageschocks zu verdauen. Sonst arbeitet sie schon hart daran, einstellig zu werden. Übrigens ist die Linke in der letzten Umfrage schon auf 3 % abgesackt. Offenbar wirkt die Neuausrichtung - das sollte auch der SPD zu denken geben, vereint man doch einige Punkte mit ihnen, die in der Bevölkerung nicht gut ankommen.
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epikur (ZG Blog) (Sonntag, 10 Dezember 2023 12:05)
Auf YouTube, Phoenix-Kanal, gab es eine Live-Übertragung vom SPD-Parteitag. Ich habe nur kurz reingeschaut, aber was mir sofort aufgefallen ist: die aktiven Zuschauer waren nie mehr als 500. Das muss man sich mal vorstellen: 500! Und das soll eine "Volkspartei" sein?
Die Altmedien tun was sie können, um sie hochzuschreiben und ihnen Aufmerksamkeit zu geben. Die Bevölkerung hat mit dieser Partei restlos fertig.
Holger (Sonntag, 10 Dezember 2023 18:32)
Bis kurz nach der zweiten Wiederwahl Gerhard Schröders SPD damals, glaubte ich auch noch den ganzen veröffentlichen Quark in den Medien. Und plapperte ihn wie ein braver NPC auch artig nach.
Dann fiel mir durch Zufall in einer Buchwerbung der Titel: " Meinungsmache: Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen" von Albrecht Müller auf. Buch gekauft, Buch gelesen, danach war der Drops "SPD" gelutscht.
Auch sah ich Oskar Lafontaine plötzlich mit anderen Augen. Wurde er doch von den gleichen Medien durch den Dreck gezogen, die mich vorher in bösartiger Absicht belogen und manipuliert haben. Da las und hörte man dann doch mal selbst nach, was er denn so zu sagen und welche Probleme er mit der SPD denn wirklich hatte.
Und da ging das ein oder andere Licht auf.
Es gibt so ziemlich nichts was die SPD tun könnte, daß ich ihr nochmals ein Minimum an Vertrauen entgegenbringen würde. Diese Partei ist bösartig, niederträchtig und tiefenverlogen. (Wie die anderen etablierten Parteien wahrscheinlich auch.) Kann weg.
Polemicer (Sonntag, 10 Dezember 2023 18:48)
@beide
Ich denke, die Partei zehrt einzig noch vom üblich gewordenen Wahlverhalten. CDU und SPD im Wechsel, alles aus Gewohnheit, Faulheit. Wenn eine Scheiße baut, dann eben die anderen, dann wieder umgekehrt. Dass die SPD nur wegen eines Laschet-Lachers gewonnen hatte, spricht Bände. Heute beißen sich mindestens 10 % in den Hintern, die gewählt zu haben, aber dann wird auch nicht über den Tellerrand geschaut.