Kurze Vorbemerkung: Zu dieser Linkempfehlung möchte ich mich etwas ausgiebiger auslassen, weil es zwangsläufig in dieser jahrelangen Entwicklung der Spaltung innerhalb der Partei gerade in letzter Zeit derart unterhaltsam wurde, dass mir das als Abschiedsessay quasi gut in den Kram passt. Ja, ich empfinde sehr viel Genugtuung darin, wie der Absturz einer falsch links abgebogenen Marschrichtung gerade in der Ex-Wagenknecht-Partei vonstatten geht, weil die woke Machterringungsstrategie nun ihren Abschluss gefunden hat. Was das genau bedeutet, habe ich schon früher dargelegt und mag das aktuell noch mal konkretisieren. Natürlich spielt es auch in den Kanon mit hinein, dem sich einige Gleichgesinnte schon vor Jahren gewidmet haben und im Grunde mit meinen eigens erdachten Ausführungen nur das bestätigen, was diese Gleichgesinnten schon früher auf dem Tableau hatten.
Bijan Tavassoli ist ein Zeitgeistphänomen. Immer, wenn sich bei der Linken-Partei ein extremer Widerspruch auftut, sei es parteiprogrammatisch wie verhaltenstechnisch, drückt eben jener nahoststämmige Linkspolitiker seinen Daumen in Wunden, die die aktuelle Parteiführung plus Anhang in ihrer Planlosigkeit gar nicht mehr bemerken.
Zugegeben wirkten diese letzten paar Minuten Aufmerksamkeit, die sich Tavassoli auf dem kürzlich stattgefundenen Parteitag einer völlig zerrütteten Linken-Partei noch abgreifen konnte, etwas melodramatisch überzogen. Feingeistig war das mitnichten, was ihm da noch entfleuchen konnte, bevor man ihn hinaus beglitt, aber bevor wir jetzt Stilfragen allzu sehr in den Vordergrund stellen, soll dann doch eher die situationsgenaue Gesamtwirkung einer Partei erwähnt werden, die man vor Ort noch verbildlichen konnte, bevor sich die Linke endgültig gleichgesch.... Verzeihung, harmonisiert hat.
Die Neuausrichtung der Partei lässt sich tatsächlich nur schwer rechtfertigen. Am ehesten klingt noch logisch, dass gerade die Entfremdungseffekte innerhalb Bündnis 90/Die Grünen zu einer Spaltung führen wird. Die neue Linke positioniert sich präventiv schon mal offen als Auffangbecken für die Grün-Frustrierten. Altgedienten Linken dürfte das bekannt vorkommen, weil dasselbe Prinzip einer Auswegspartei die Linke damals noch unter den Namen PDS/WASG seinen Anfang genommen hatte. Nun ist diese Zielgruppenklientel von "Altlinken", ergo Arbeiterlinks, ja nicht ausgestorben, sondern immer noch zahlenmäßig und meinungskräftig stark vertreten; schon rein sozioökonomisch bedingt. In der Zeit hätte die Linke sich realpolitisch eigentlich noch stärker hätte aufstellen und sehr unpopulistisch inhaltlich stärken können, wären da nicht die Flüchtlingsquerelen 2015 dazwischen gekommen sowie der plötzliche Aufstieg des Wokismus und somit fehlgeleiteter Moralismus in das öffentliche Bewusstsein politischer Debatten (Anm. d. Verf.: die rechten Umtriebe habe ich absichtlich ausgespart, um beim aktuellen Thema zu verbleiben).
Dass dieser Zustand innerhalb der Linken so lange hatte standhalten können, mag schon erstaunen. Aber es passt auch zum allgemeinen, deutschen Trieb zur Bräsigkeit und Reformwillen auf dem Bremspedal, was dann einen unhaltbaren Zustand der zerstrittenen Partei über Jahre aufrecht erhalten konnte. Man kann sagen, dass sich die Lager Woke vs. Wagenknecht wie eine Ehe anfühlen musste, in der eigentlich schon klar war, dass die Scheidung folgen würde, aber man sich das beidseitig nicht eingestehen wollte und sich lieber noch jahrelang das Porzellan um die Ohren schmiss. Und Wagenknecht ihr und ihres Mannes Geistes Kind nicht bereit waren, so einfach aufzugeben, was man als erbrachte Lebensleistung selbstverständlich nicht einfach so fallen lässt.
Offenbar hat man in den Gründeretagen nicht mit der kaltschnäuzigen Dreistigkeit und dem Machthunger der Nachzüglerschaft gerechnet. So passierten auch völlig unnötige Dinge wie der Tortenanschlag, das interne Mobbing und der daraus resultierende Burnout von Wagenknecht. Man muss sich klammheimlich schon gefreut haben, dass man sie endlich gebrochen hätte - was aber eine Fehleinschätzung erster Güte war. Ganz im Gegenteil ging Wagenknecht und ihre Gefolgschaft einen anderen, selbstbewussten Weg, der gerne mal die Vorzüge eines Bundestagsmandats mitnahm, aber die Führungsriege ständig und subtil düpierte und blöd dastehen ließ. Rache ist süß, heißt es landläufig, und Wagenknecht kanalisierte ihr Leiden durch Torten und Mobbing mit ihrem Parallelweg, der ihr mehr Popularität verschaffte denn je zuvor - ein Retourkutschen-Zuckerschock für die linke Parteiführung.
Das ließ sich noch bis vor kurzem aufrecht erhalten, was aber wohl dieses Endlostheater nun endgültig einem Finale ohne erwartbare Zugabe hinführte. Um eine Schuldfrage überhaupt ansatzweise fundiert zu beantworten, grob dieses: Wagenknecht/Lafontaine waren eine Gründungskonstante in der Partei, auf Landes- wie Bundesebene. Das Personalkarussell drehte sich demnach immer nur in der Nachzüglerschaft, ergo Kipping, Bartsch, Riexinger, Hennig-Wellsow und Co., was auch bedeutet, dass die Wahlergebnisse und der stetige Abschwung bei einer veränderungszickigen Wählerschaft eher an diesen Personen festzumachen ist denn an Wagenknecht und Co. Und leider ließ sich auch die Gysi-Ecke von diesem Opportunismus anstecken.
Natürlich lässt sich die Schuldfrage dann am Inhalt bequem vernebeln, wenn kritische Töne zur Flüchtlingspolitik seitens Wagenknecht polarisiert. Doch muss man sich in der heutigen Restepartei mal ernsthaft die Frage stellen, inwiefern man den Tortenangriff dann doch ganz dufte fand und findet, beobachtet man die ideologische Ausfüllung des parteiinternen Machtvakuums, das sie jahrelang gelähmt hatte. Nun hat die identitätspolitische Stoßrichtung die Deutungsmacht errungen, immer noch verhaftet in dieser realitätsfernen "Refugees welcome"-Rhetorik, was in den jüngsten, politischen Entwicklungen um die neue Abschottungspolitik der Ampel wie eine Einladung zum Spott gereicht. Einerseits wird es dem "Gutmenschentum" stramm linker Ideale in die Hände spielen, aber eher kleinteiligere Anteile zurechnen als etwa ihre frühere Stammklientel, die in der vermeintlichen "Sozialschmarotzerei" von außerhalb eine ernsthafte Bedrohung sehen mögen.
Natürlich sind die Entwicklungen innerhalb der Linken und das Abbild von Umfragewerten der AfD direkt abhängig. Und wie jetzt versucht wird, die jüngsten Umfrageschocks bei den Rechtspopulisten nun endlich mal zum realpolitischen Umschwenken führt. Ja, es wirkt heuchlerisch hoch drei, dass sie jetzt doch mal protektionistische Wege zu beschreiten, und das auch nur als Konsequenz aus 20-plus-x-Umfragewerte für die AfD, aber immerhin etwas und lieber zu spät als niemals. Bei den Neolinken allerdings ist das irgendwie nicht angekommen. Immer noch heißt es: "Wir haben Platz". Nun, den hatten wir schon 2015/2016 nicht wirklich, und mit der neuen Schwemme an Flüchtlingen wird es sicherlich nicht besser. Dazu ächzen wir aktuell finanziell und auf vielen Ebenen aus den letzten Wohlstandslöchern, was vor allem jenen zu Lasten fällt, die mittlerweile genauer ins Portemonnaie gucken müssen.
Dass die Linke sich derart realitätsfremd etwas anbiedert, was mittlerweile schon ideologisch in sich zusammenfällt, realpolitische Notwendigkeiten wie Flüchtlingsbegrenzung, sozialökonomische Ist-Zustände immer noch so stur ignoriert und so tut, als wären wir immer noch das Schlaraffenland für alle Bedürftigen, hat immer noch nicht kapiert, dass man sich eigentlich in dieser neolinken Wünschwelt nur noch als Sammelbecken für hoffnungslose Naivlinge, Träumtänzer und behandlungsbedürftige Menschen mit einem ausgewachsenen Helfersyndrom verstehen darf. In Verbindung mit einem digital verstärkten Geltungsbedürfnis bleibt dann eine ausmerksamkeitsbesoffene Kleinklientel übrig, die dann noch für die gereicht, die bei den Grünen Realitätsschocks immer noch verweigern zu akzeptieren. Für alle anderen wird diese neue Partei nichts sein, eher ein Hinderungsgrund, wieder klassisch links denken zu wollen. Wobei heute die Frage gestattet sein sollte, ob das klassische Links/Rechts-Denken überhaupt noch sinnvoll ist.
Inwiewfern sich das Endstadium innerhalb der Partei darstellte, hat Bijan Tavassoli in letzter Zeit sehr unterhaltsam offengelegt. Wäre man überall schon so stramm identitätspolitisch aufgestellt gewesen, wäre der Parteialltag nicht nur in Hamburg so abgelaufen wie es sein "Experiment" als selbstidentifizierende Frau mit Bart und Brusthaar es so krass an die Öffentlichkeit brachte. Das Experiment hätte bei den Empfängern dieses Denkschwachsinns vielleicht mal die Zahnrädchen in Wallung bringen können, aber stattdessen hat man nur noch angegriffen einen Zahn zugelegt und die Spaltung durch Positionspapiere anti Wagenknecht auf die letzte Stufe gehievt.
Natürlich ist es der Gipfel der Heuchelei, jetzt die endgültige Aktion des Weggangs Wagenknechts ihr jetzt exklusiv in die Schuhe zu schieben, während man jahrelang versuchte, sie irgendwie wachsweich loszuwerden oder wenigstens auf die identitätspolitische Linie einzuprügeln. Es lässt sich allzu leicht mit dem Prügelelternteil vergleichen, der dem Kind auch noch die Schuld gibt, dass es nach Jahren der Demütigung von zu Hause abhaut. Tavassoli konnte in diesem Herzschmerzfinale noch wie das gute Restgewissen in der Parteienfamilie ein paar abschließende Worte der Enffremdung moderieren, was auch ich als den letzten Hammerschlag der selbst gekauften Sargnägel verstehe, die sich Schirdewan mit Wissler als gehorsamen Anhang im Exklusivladen für Begräbniszubehör eigenmächtig erworben hat. Sich in den Sarg zu legen, Wagenknecht im Grunde nur ständig zu provozieren, endlich den Hammer zu schwingen und anschließend im letzten Holzhaus, das sinngemäß ein Mensch bewohnen wird, lebendig gefangen zu sein und dann noch die Schuld nach draußen zu schreien - das ist an grotesker Satire gar nicht mehr zu toppen.
Tavassoli war also in der Endphase der Partei so etwas wie der moderierende Totengräber in Gestalt eben jener Persönlichkeitsstrukturen, denen sich die Neolinke so plötzlich anzubiedern versuchte. Mitunter muss man bei ihm immer ein bisschen genauer hinsehen - weil sein Werk des satirischen Spiegelns auf humoristischer Ebene kaum zu identifizieren war und auch immer noch ist. Und sein letzter Akt dieser Spiegelung und die Entblößung eines Martin Schirdewan plus Anhang wird dann endgültig den Vorhang fallen lassen über eine Partei, die so lange lebendig war, wie man die Basisausrichtung auch bediente. Was heute bleibt, kann schon alleine deswegen nicht funktionieren, weil man sich als Auffangbecken einer trotzigen Jugend in der grünen Ecke aufstellt, was sich als ultra-woke versteht, aber in der Bevölkerung kaum noch Akzeptanz, sondern eher Abscheu, erfährt.
Da ist nicht nur ein Zug abgefahren, sondern schon mit Ankündigung alles an Anschlussmöglichkeiten im dysfunktionalen Bahnbetrieb. Man steht jetzt schon auf dem Abstellgleis, das in der Vorausplanung der Bahn nächstes Jahr abgerissen wird. Ich bin überzeugt davon, dass da keine Erneuerung und Wiedergeburt entstehen wird. Höchstens eine Verzwergung und letzte Politikinsel für all die schon jetzt im Rückzug befindlichen Aktivismusscheuklappen, die ihre Pubertätsanwandlungen noch lange bis ins Erwachsenenalter strecken können. Alle anderen werden diese Linke nur noch als Relikt eines Klassensprechers betrachten, der immer mehr Blödsinn erzählt und bitte endlich mal die Klappe halten sollte.
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epikur (ZG Blog) (Dienstag, 21 November 2023 11:24)
Wenn man sich den Parteitag in Gänze (plus Kommentierung) bei Proletopia mal anschaut, wird es grotesk:
https://www.youtube.com/watch?v=SLMebKH0EJM
Nicht nur die Fragen der Anwesenden, sondern auch die ständigen "technischen Ausfälle", während Bijan Tavassoli gesprochen hatte, waren kafkaesk. Als er auf die Bühne ging, haben viele demonstrativ den Saal verlassen. Sie versuchten dann mit "Anträgen" ihn irgendwie fix loszuwerden, bis er den Vorstand an die Geschäftsordnung erinnerte und sie ihm Recht geben mussten.
Tagesspiegel, T-Online und co. berichten natürlich nicht darüber, dass er während seiner Rede ständig gemutet wurde. Auch "die Linke" hält andere Meinungen und Ansichten überhaupt nicht mehr aus. Sorry, aber noch eine humorlose, bierernste und spießbürgerliche Cancel-Culture-Partei braucht es nicht.
Polemicer (Dienstag, 21 November 2023 12:09)
@epikur
Das Ding habe ich mir heute morgen auch angeschaut, zur Ergänzung zumindest, aber das passt im Grunde nur allzu gut in das völlig zerstörte Bild, das diese Linke nach außen zeigt. Da läuft noch etwas sehr zäh durch die Gehirnwindungen oder wird momentan in deren Hirnen völlig zerfleischt - sprich, ich befürchte, die merken echt gar nichts mehr, während alles um sie herum sich abwendet und sich verändert. Da hilft auch am Regler herumspielen nichts mehr.