Aktuell ist es wieder möglich. Man liest sich quer durch den Blätterwald und könnte zu jedem Kram seinen Senf abgeben – Krise hier, Krise dort, hier absenfen, dort absenfen. Das knallharte Politikgeschäft, gesellschaftlicher Zündstoff. Ach, das reicht so weit, dass man sich sogar über TikTok-Heulsusen noch mal gesondert auslassen kann, die vielleicht im Wesenskern richtige Dinge ansprechen, aber dann derart über die Stränge schlagen, dass der Lachanfall kurz vor dem Ausbruch steht.
Es geht natürlich über den „kleinen“ Aufreger, den gerade eine gewisse Dana Rosa losgetreten hat. Rein von der Sachlage muss man sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: eine junge Frau, die bisher offenbar ein Lotterleben leben konnte und jetzt plötzlich mit einer Arbeitswelt in Berührung kommt, in der nicht der Arbeitnehmer die Regeln macht, sondern der, der ihnen das Gehalt zahlt. Dass man den Geldgebern ab und zu mal auf die Finger klopfen muss, wissen wir nicht erst seit gestern. Aber wenn jemand in den frühen Zwanzigern einen Job angeboten bekommt, den sich so manch prekär Beschäftigte sehnlichst wünschen würden und sich dann noch über mangelnde Freizeit beschwert, wird einem selbst schlagartig bewusst, dass da Traumtänzer*innen nachgewachsen sind, denen man die reale Welt bisher allzu erfolgreich vom Leib gehalten hatte.
Die saßen zwar immer unter uns, waren aber nie wirklich da. Schlafwandelten in ihren Visionen, in den Heilsversprechen von hohem Bildungsweg und dass dies automatisch zu Wohlstand und Bequemlichkeit führen würde. Dass die Welt da draußen ein Einkaufsparadies wäre, das Flugzeug immer bereit stehen würde, um dich nach Bali zu fliegen, der Oberkellner einem alle Menüs servierte, die einem gerade vorschweben oder eben jeder Arbeitgeber brav auf einen wartet und jede Forderung von Arbeitswillen und Freizeitplanung berücksichtigen würde. Tja – falsch gedacht, Frau Rosa. Und alle, die sich ihrer Tirade angeschlossen hatten.
Aber so ist es oft die Tage, wenn allzu sehr die Zukunftsvorstellungen dieser TraumtänZergeneration auf die Realität treffen. Wenn der Schonbezug entfernt wird und der harte Wind auf der Haut brennt. Klar, dass der Spott nicht lange auf sich warten ließ. Ja, auch ich lache darüber. Aber wohl weit weniger von oben herab, ich kenne nämlich selbst diese Realitätsschocks, die man erleben muss, wenn man mit der hartherzigen Welt konfrontiert wird. Dass es bei mir etwas anders verlief als es bei Dana Rosa sich abzeichnet, ist ein wenig vernachlässigbar, doch ist die Dame noch zu jung und zu ignorant, dass ich (und natürlich viele andere) es ihr hätte begreiflich machen können. Eigentlich haben wir alle darauf hingewiesen, aber muss man natürlich auch mal zuhören können, damit nicht in diesem „schlimmen“ Moment der „größte Nervenzusammenbruch ever“ ausbricht.
Sicherlich ist das Niveau hoch, auf dem sie jammert. Und viele Selfmade-Menschen können schwer bis gar nicht nachvollziehen, was es da zu jammern gibt. Die fragen aber auch nicht nach, warum dieses Mädel sich denn überhaupt beschwert. Ich allerdings habe Fragen. Nicht das System betreffend, das sie – sogar richtigerweise – kritisiert. Die Arbeitsmarktfrage ist so schon älter als sie selbst, und ich bin schon jahrelang in den Randgebieten der Ausbeutung unterwegs. Und da ging es nicht um 36 000 Euro im Jahr und 30 Tage Urlaub. Ha! Schön wäre es gewesen, das mal garantiert zu bekommen. Stattdessen gab es neoliberales Eskalieren von vor 10, 20 Jahren, tariflich ungebundene Willkür, Grenzlinienlimbo gesetzlicher Mindeststandards. Die Systemkritik ihrerseits ist also grob betrachtet sogar gut, aber dennoch komme ich nicht umher, bei ihr anzuklopfen und folgendes wissen zu wollen:
- Wie ist sie aufgewachsen? Mich würde im Gesamten mal interessieren, wie behütet Dana Rosa aufwuchs.
- Konkreter: Welches Wertebild herrscht(e) im Elternhaus vor? Hieß es da, man müsse nur studieren und dir stehe die Welt offen?
- War Dana einer jener Kinder, die laut quängelnd vor der Sommertraum-Barbie stand und die unbedingt haben wollte, weil die Beachparty-Barbie nach zwei Wochen nicht mehr interessant war und hart in der Kinderzimmerecke landete?
- Inwiefern spielte ihre Vision einer Gesangskarriere eine Rolle? Dies muss ja bei ihr als erster Versuch einer Karriere dazwischengefunkt haben, sonst hätte sie kein derart negativ konnotiertes Bild von Nine-to-five-Jobs, das sich sicherlich nicht den ersten Erfahrungen von Glanz und Bühnenglamour vereinbaren lässt.
- War ihr nicht bewusst, wie schwierig es ist, in der Musik ganz groß rauszukommen?
- Welchen Einfluss haben Castingshows auf das Denken von Kindern (und ihren Eltern), große Chancen zu wittern und bei Enttäuschung ähnliche Vorstellungen auch in die harte Arbeitswelt zu transportieren?
Auf Dauer würden bestimmt noch weitere Fragen aufkommen. Es geht dabei sicherlich teilweise um die Wertvorstellungen der Generation Z, bedenkt man nebenbei den Zeitgeist und wie verlockend und ihrerseits vernichtend die harte Unterhaltungsindustrie vorgeht. Doch auch da ploppen wie aus dem Nichts schillernde Personen auf, werden, solange man sie noch melken kann, gehypt, bis man genug von ihnen hat, lässt sie schneller wie eine heiße Kartoffel fallen und sich selbst überlassen.
Es wundert mich schon ein wenig, warum man in dieser Generaldebatte diesen Aspekt gerne verschweigt und es zur Grundsatzkritik in Richtung der Wirtschaft oder gleich des Systems Kapitalismus lenkt. Offenbar eine günstige Gelegenheit, das lange Schweigen inmitten des Systems zu brechen und selbst ein bisschen abzuledern. Was bestimmt seine Berechtigung hat, aber das hätte mal medienwirksam von jenen behandelt und vermittelt werden sollen, die mittendrin im Schlamassel sind. Und nicht von einer Person, die jetzt offenkundig Geld braucht, kurz- bis mittelfristig keine Chance in der Unterhaltungsbranche sieht und jetzt schon im Bewerbungsprozess an nackten Zahlen und fehlenden Bequemlichkeiten verzweifelt. Also schon mit ihrem eigenen Plan im Kopf vorausnimmt, dass das massiven Stress bedeute, ohne überhaupt die Erfahrung gemacht zu haben.
Deswegen habe ich gleichzeitig Verständnis für die, die sie jetzt belächeln. Das sind eben die Älteren, Berufserfahrenen, die im Hamsterrad, und ich strample mit. Alle packen jetzt ihren Nelson-Zeigefinger aus der Hosentasche - „Haa! Haa!“ rufen sie. Ich nicht so wirklich. Ein bisschen Schadenfreude fühle ich schon, aber auch dieses diffuse Gefühl in der Magengrube, dass sie in Teilen auch recht hat. Nicht, was ihr völlig überzogenes Jammern den Arbeitsalltag mit ordentlichem Gehalt und gutem Standard an Urlaubstagen betreffend angeht, sondern eben wie oben angedeutet den wenig ausgeprägten Stellenwert von Kunst im Allgemeinen. Und wie man in diesen Mantren zerrieben wird, Kunst sei brotlos, und wenn nicht, dann muss dir schon von Hause aus so viel Kohle im Hintern stecken, dass dir in der Zielsetzung keine Armut droht – die dann nur vermieden werden kann, wenn du etwas Bahnbrechendes oder zumindest den Massengeschmack Bedienendes kreierst. Oder eben gleich unter der Brücke liegen bleiben kannst.
Klar hätte ich mein Steckenpferd etwas sturer verfolgen können. Aber irgendwas in mir bremste mich immer, vielleicht so etwas wie die Vernunftschere im Kopf einer Arbeiterfamilie, die häusliche Sozialisation durch eine Nachkriegsgeneration, die immer mit der Angst lebte, nur ein Mal in der Woche ein Bad nehmen zu können, sich keine eigenen Klamotten leisten zu können und man regelmäßig mit den Sachen abgespeist wird, aus denen die großen Geschwister herausgewachsen sind. Ich kann mir ausmalen, dass das nicht gut für die Wertschätzung eines Kindes ist, aber aus der Not heraus unvermeidlich. Ich musste zwar nicht unter solchen Bedingungen aufwachsen, aber die Reste dieser Angst wurden wohl in mich gepflanzt, dass ich gar mich selbst daran hinderte, den Weg der Künste einzuschlagen.
Dana Rosa hat diese Probleme offenkundig null. Ihr standen alle Wege offen, aber spielte sie in diesem Haifischbecken der Unterhaltungsbranche nur die zweite, dritte Geige, und du bist heute nichts, wenn du nur Zweite oder Dritte wirst. Doch ob es wirklich so erbaulich ist, in dieser Industrie popakademischer Gleichförmigkeit zum Star zu werden, sieht man schon alleine daran, dass kaum noch welche nachhaltig Generationen prägen. Es sind keine Queens und Elton Johns und Tina Turners mehr, die so genial und charakteristisch sind – es sind die braven Singsoldaten, denen man mit Songs von der Stange eines Produktionsteams und noch ordentlich Marketing obendrauf kurzzeitige Aufmerksamkeit genehmigt. Solange der Rubel rollt, ist alles gut, aber wenn die Verkaufs-, Klick- und Buchungskurve sinkt, wirst du ganz schnell abserviert. Die Tantiemen gehen dann weiter an Dieter Bohlen oder den Songghostwriter, und du hast von dem, das du da selbst eingesungen hast, überhaupt nichts außer das traurige Erinnern an glorreiche Zeiten.
Wie gesagt: das Thema wurde gar nicht besprochen. Aber ich halte es für immens wichtig, wie prägend es sein kann, Kinder auf die Bühne zu schubsen, ihnen den Mund wässrig zu machen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es zu flüchtige Strukturen sind, die man sich herbeisehnt. Vor allem im westlichen Kunstverständnis und Kulturkreis, wo alles nur noch auf Marketing, Bilanzierungen und Kosten-Nutzen-Faktoren basiert. Wo man als Cashcow von Termin zu Termin geschliffen wird und nur selten von Annehmlichkeiten profitiert. Das trotzdem gut findet und dem Trott dann völlig erschöpft hinterher trauert, wenn andere sich entschieden haben, es abzustellen und anderen Cashcows zu genehmigen.
Ich bin mir sehr sicher, dass dies nun die Konsequenz daraus ist, Kinder zu Film- oder Gesangsstars machen zu wollen, was nur selten von längerem Erfolg gekrönt wird. Alle anderen werden wieder in der grauen Masse untergehen und mit ihr verschmelzen, einzig mit der kurzzeitigen Sondererfahrung aus ihr herausragend. Was letztlich nur den Frust nährt, die Aufmerksamkeit zu missen und dann doch wieder die graue Maus zu bleiben, die 40 Stunden ackern muss, um ihren Wohlstand zu erhalten. Das Lamentieren über fehlende Zeit ist dann nur auf zweiter oder dritter Ebene gerechtfertigt – dort, wo wie sie schon bei den Castingshows landete.
Nun ist sie mit einer anderen Hintergrundgeschichte wieder ein wenig in die geliebten Schlagzeilen geraten. Immerhin. Aber auch da wird sie schneller wieder in der Versenkung verschwinden als ihr lieb sein dürfte.
Kommentar schreiben
Publicviewer (Dienstag, 14 November 2023 07:46)
Auch hier heißt das eigentliche Problem "Kapitalismus"!