Nicht wenige Menschen sinnieren in zunehmendem Alter gerne oder oder wie aus dem Nichts über Sinnhaftigkeiten. Dann steht im inneren Monolog die nagende Frage im Raum, ob der Weg, den sie eingeschlagen haben, der richtige war. Gleichzeitig blickt man in eine ungewisse Zukunft, ob man diesen Weg noch weiter gehen soll oder ob gar eine Richtungsänderung doch besser für das eigene Selbst wäre.
Manche sehen sich inmitten einer Midlife-Krise wieder, so als wäre das eine Art zweite Pubertät, der man nicht entrinnen könnte. Und doch hat die Forschung nur Ahnungen davon, wenn sich die psychische Ebene in den Jahren zwischen 30 und 55 nicht eindeutig katalogisieren lässt. Aus solchen und artverwandten Gründen kann ich mich nicht komplett damit identifizieren, denn würden Sinnfragen pauschal in einem Altersrahmen festgesetzt werden, wäre ich völlig aus diesem Rahmen gefallen. Ich frage mich nämlich schon seit meiner frühen Jugend, ob mein gewählter Lebensweg völlig von meiner Persönlichkeit und somit von meinen tiefsitzenden Befähigungen weggeführt hat.
Solche Fragen stellen sich, zumindest aus meiner Perspektive, weniger in Dimensionen, inwiefern ich in das große Ganze hineinpasse. Sondern ob ich überhaupt in dieser Struktur Platz finde. Immer sah ich mich als das reine Ich – nicht im egoistischen Sinne, sondern als Sonderform, dem ziemlich bald klar wurde, dass sich das eigene Denkmuster vom allgemeinen Teil, der Mehrheit, ziemlich unterschied. In diesem Prozess der Selbsterkenntnis blieb noch auszuloten, ob man sich auch frei entfalten dürfe oder man gezwungen war, sich irgendwie in das Mehrheitsprinzip hineinzuquetschen und ob das überhaupt funktionieren würde.
Es gab nur wenige Menschen da draußen, die das erkannten. Ein weiteres Problem entstand dann durch das, was kollektiv als gut, produktiv und erfolgversprechend angesehen wurde. Wenn das eigene Denken kaum die üblichen Standards bedient, was in Deutschland grob die Erfüllung von Mentalitäts- und Identifikationsmerkmalen wie Pflichtbewusstsein oder die üblich germanische Akribie bedeutet, eröffnen sich schon Reibungspunkte. Verstärkt wird dieses Konfliktpotenzial, wenn das Ich auch noch schwer in der Lage ist oder sich weigert, sich in heuchelnder Art und Weise auf den Standard einzustellen.
Betrachte ich das heute, sehe ich zwei unterschiedliche Ichs, die in zweiter Betrachtung doch nicht so unterschiedlich sind wie es oberflächlich den Anschein machen mag. Grob gefasst sind das die zwei Welten, in denen ich mich bewege: die innere Welt und die äußere. Erste ist die, in der ich mich frei bewege und die ich nicht als Anstrengung verstehe. In der ich mich ungezwungen treiben lassen kann, von einem Interesse (wie etwa aus einer Laune heraus selbstbeschreibende Blogtexte schreiben) zum nächsten zu springen und mich daran zu versuchen.
Zweite ist dann die, die ich nicht selten als anstrengend empfinde. Die Regeln unterliegt, die ich nicht selbst definiere, die mit Erwartungen gespickt sind, einem nicht zu unterschätzenden Anteil an Fallstricken, die negative Auswirkungen auf einen selbst haben können. Wäre man so naiv wie ich damals war, würde man diese Vorahnungen gar nicht haben und sich dann sehr wundern und verletzt fühlen, welche Ungerechtigkeiten einen da in vielfältiger Weise überkommen. Man beginnt, dem in ambivalenter Weise zu begegnen – einerseits mit Trotz, andererseits mit Anpassung. Man schwingt sich selbst immer von Sturheit zur Selbstreflexion, fühlt sich unsicher ob dieser externen Einflüsse und der Unwissenheit über gute und schlechte Konsequenzen für einen selbst.
Wenn das schlecht für einen ausgeht wie es in der Vergangenheit bei mir häufig der Fall gewesen war, zweifelt man schnell an sich selbst oder zur Abwechslung an „allen“ anderen. Die Schuldfrage kommt auf. Bin ich schuld oder andere? Und wie kann man die abtragen? Dann kommen all jene auf den Plan, die dir wechselweise das Selbstbewusstsein stärken wollen oder im Gegenteil anmahnen, sich mal richtig anzupassen. Beides zusammen funktioniert aber nicht so richtig (oder gar nicht?), also sitzt man ständig zwischen den Stühlen und eben nicht bequem. Das geht über von Grundeigenschaften wie dem eigenen Anstandsdenken und basierter Verhaltenskodize zu harten wie verkopften Realitäten, die Politik, den Arbeitsalltag und sozialen Statuten betreffend, überführen, die heute keine Selbstläufer mehr zu sein scheinen, sondern nur noch schnödem Abarbeiten irgendwelcher schriftlich festgelegten Konventionen folgt.
Häufig erwische ich dann dabei, wie ich diesen Konventionen – ohne böse Absicht – zuwider laufe und schon in eine Schublade gesteckt wurde, die - je nach Toleranzgrad der Anderen – irgendwo in den Kategorien „komisch“ bis „abzulehnen“ landet. Man braucht in diesem Reaktionsradius auch nicht zu erwarten, dass Geduld und neutrale Einstellung die zuerst spontanen Reaktionen relativieren würden, weil nicht jene die Geschicke lenken, die abwarten und viel Zeit verstreichen lassen, um eine Bewertung vorzunehmen. Es sind eben die Lauten und Spontanen, die den Zeitgeist formen. Das betrachte ich selbst als gefährlich oder zumindest kurzsichtig, aber kann ich auch nicht darauf hoffen, dass die Lehren aus der Menschheitsgeschichte ein anderes Kollektivdenken etabliert hätte. Banal ausgedrückt: das Dumme von heute ist dasselbe wie das Dumme von damals. Auch wenn es ein anderes Bild ergeben mag und man behauptet, man hätte aus Fehlern gelernt.
Dieses Denken ist nicht neu. Man erinnere nur an das Ketzertum alter Epochen, in denen man für teils weit weniger als heute auf dem Scheiterhaufen landete. Was die Geschichte jedoch lehren kann, ist eine dogmatisierte Basis aus Moral und Überzeugungswut. Wenn Ansichten religiöse Züge annehmen, steigt auch die Bereitschaft zur harten Sanktionierung im Falle der Gegenrede. Es liegt auch ein wenig daran, dass ich mir abgewöhnt habe, mein Inneres nach außen zu lassen. Es wurde früher schon als seltsam empfunden, und in Zeiten multipler Krisen sind die Hürden viel leichter übersprungen, es als etwas Blödsinniges abzutun oder es gleich als Staatsgefährdung zu brandmarken. Also bleibt einem eigentlich nur der reine Selbstschutz.
Hier wirkt also ein staatliches Bewusstsein auf jeden Einzelnen ein, in der Persönlichkeitsmerkmale keine Rolle spielen. Das passt natürlich nicht in die Dogmen, diversitätsfördernd und minderheitenbewusst sein zu wollen, weil man sich nur Einzelgruppierungen herausgepickt hat und ihnen selektiv allerlei Unterstützung zukommen lässt. Und ihnen auch noch die Gewissheit versichert, dass alle zur Rechenschaft gezogen werden, die sich gegen diese Gruppen aufstellen oder sich sonst wie „kontra“ äußern. Dass ich darunter nicht falle, weil ich dem Zeitgeist geschuldet keinen besonderen Anspruch auf solchen Schutz habe, macht die Sache sicherlich nicht einfacher.
Ich will jetzt nicht suggerieren, dass ich fehlende Hilfe jetzt bejammern würde, weil ich so viel Bedarf daran hätte. Auch das ist ein Unterschied, den ich mir selbst zuschreibe – nämlich dass ich Dinge zuerst versuche selbst zu lösen statt gleich nach Kollegium, Institutionen oder dem Staat schreien zu müssen. Vielleicht verliere ich in diesem Eigenbrödlertum den Blick für den Zeitpunkt, ab wann das unvermeidlich ist, aber immerhin kann ich mir auf die Fahnen schreiben, es wenigstens selbst versucht zu haben. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch möglich, doch in gewissen Bereichen, wenn es hart rechtlich oder etwa ein ungeschriebenes Gesetz berührt, ist die Eigeninitiative sogar kontraproduktiv. Deswegen ist dieses Psychogramm kein allgemeingültiges wie absolut legitimes mehr, wenn Vorschriften und dominierende Erwartungshaltungen der Selbstentfaltung zweck- und situationsbedingt im Wege stehen.
Doch zurück zu meiner Richtungsfrage.
Ich stehe schon ein wenig am Scheideweg, eine Entscheidung zu treffen, ob ich den bisherigen noch weiter gehen will oder mich doch noch umorientieren soll. Ich gerate jetzt in ein Alter, in dem mein körperintensiver Berufsstand ersten, ernsthaften Verschleiß erfahren. Die Knochen, andere Körperteile und auch manchmal psychische Wehwehchen stehen dem immer häufiger zuwider. Ich gerate an den Punkt, ab dem man sich ernstlich eher der Pflege und Rehabilitierung widmen sollte statt die eigene Leidens- und Toleranzfähigkeit auszureizen. Das Ich von heute ist nicht mehr genau dasselbe Ich von damals. Es kann ein Trugschluss werden, sich selbst als noch jugendlich zu empfinden, wenn Verschleiß und Lebenserfahrungen zur Erkenntnis drängen, dass man doch lieber einen Gang zurückschaltet als sich noch auf demselben Niveau 20 Jahre zuvor zu versuchen.
Vielleicht dränge ich auf die Zeit, in der man altersbedingt die Kontrolle verliert oder sie nicht mehr braucht. Wo man die Dinge laufen lassen kann, ohne dass dir ständig jemand im Nacken steht und dir Koventionen, Erwartungen und Vorschriften vor die Nase hält. Wenn man mal ehrlich ist, gibt es grob nur drei Phasen im Leben: die relative Freiheit, bis man eingeschult wird, danach unterschiedlich vom Bildungs- und Arbeitsweg dominiert und schließlich im Rentenalter nach zig Jahren in dieser Mühle von der Routine derart übermannt ist, dass man nach Eintritt der Rente nicht mehr davon lassen kann. Leute, die sich ihren Alltag über den Beruf hinaus auch noch vollständig durchtakten, werden noch in der Rente aus reiner Gewohnheit Hummeln im Hintern haben und dann irgendwann selbst an den altersbedingten Wehwehchen verzweifeln. In sich zusammenfallen und letztlich einen unwürdigen Abschluss erleben.
Das will ich in der Form nicht. Eher mag ich jetzt schon eine Basis legen, damit ich, wenn gar nichts mehr geht, nicht nur dazu fähig bin, mich von der Glotze berieseln zu lassen, nur um den Tag irgendwie rum zu kriegen. Andererseits kann es auch ganz anders kommen und ich muss ackern, bis ich umfalle. Vielleicht gebe ich früher als der Durchschnitt den Löffel ab, und ich muss noch arbeiten, weil dieses Land von Trotteln und Selbstbedienern ausgesaugt wird. Man weiß in heutigen Zeiten schlicht nicht, was kommt, und man muss mit dem Schlimmsten rechnen, weil sie ständig was von Veränderungen faseln, die, so wie es sich abzeichnet, keine Verbesserungen vorsehen. Und du selbst kannst dir Pläne schmieden wie du willst – diese Veränderungen machen dir ständig einen Strich durch die Rechnung, und sei es nur, dass du von deinem Erbe immer weniger hast, von dem du dann in 20 plus x Jahren zehren könntest. Eine rollende Wohnung davon anschaffen und die Heimat am Arsch lecken. Auf zum letzten Roadtrip und irgendwo abnippeln – mir wäre es egal. Was soll dieses Klammern an Gewohntes, was dich irgendwann mehr nervt als wohlfühlen lässt?
So ist es zumindest angedacht, doch das zerrieselt langsam auch noch durch meine Finger. Und ich kann gar nichts dran machen, ohne straffällig zu werden. Vielleicht wird es noch schlimmer werden, und auch wenn es noch Zukunftsmusik ist, darüber zu spekulieren.
Abschließend wird man selbst auch mal senil und wunderlich werden. Ich bin in solchen Dingen nicht gut bewandert, aber ich bin in vielen Dingen nicht gut bewandert. Mein Wissen und meine Fähigkeiten kommen meist auch von einem zweckdienlichen Interesse, wenn es nötig wird. Wirklich nachweislich Experte in irgendwas war ich noch nie gewesen, den Rest habe ich mir quasi selbst zusammengereimt. Und sei es nur durch das Denken in eigenen Logikketten, ohne zuerst nachzulesen, wie „man“ es richtig macht. Das kann eine Nettiquette sein, eine Doktorarbeit über das Altwerden oder der Bau von technischen Geräten.
Ähnlich sieht es auch im Gesamtpaket aus, wenn Sie meine Texte lesen. Vieles ist Bauchsache, ein emotionales Einschwenken auf Themengebiete, die mir wichtig erscheinen und die ich da draußen in der Welt mit mir selbst herumschleppen muss. Es gibt immer welche, die wollen es nicht hören, haben eine festgefahrene Meinung zu etwas, wollen nur ihren Senf beitragen und lassen einen kaum ausreden. Solchen Dingen sehe ich mich ständig ausgesetzt, und trotz aller Vorwürfe über Narzissmus oder Kaltherzigkeit schlummert in ihnen eigentlich dieselbe, defizitäre Denkbasis und Persönlichkeitswahrnehmung, nur mit dem Unterschied, dass ich dann die Klappe halte, während andere das mit Ich-Geschichten fluten.
Mir bleibt dann also mehr oder weniger nur noch dieses Portal. Das mag für manche tragisch klingen, für andere schäbig, unnötig, feige oder sinnlos, aber für mich ist das seit einiger Zeit okay geworden. Einfach von der Leber weg tippen, ohne allzu sehr auf andere Acht geben zu müssen, ist schon ein extra Maß an Freiheit. Auch bei der Form, dem Stil, halte ich mich nicht gerne an ein strenges Konzept, selbst wenn ich Leute darum beneide, wie sie Zitate aus dem Ärmel schütteln. Es mag Ihnen schon aufgefallen sein, dass es eine Mischung aus emotionalen, flapsigen Artikeln und angestrengt journastisch hochwertigeren Texten geworden ist, was sich eventuell von den Schreibnachbarn unterscheidet. Dabei bin ich nicht mal besonders belesen, habe kein exklusives Steckenpferd, das in die Worte einfließen würde. Vielleicht wird dieser Wechselstil deswegen auch etwas sprunghaft wahrgenommen, nichts, an was man sich klammern könnte – was dann weiterführend dazu passt, wie meine Persönlichkeit aufgestellt ist. Überraschungen sind für Pläneschmieder und Sich-Einhaker, für Rationalisten und Strukturfans oftmals ein Graus. Wahrscheinlich schon überfordernd und gar abstoßend.
Zum Glück ist das in Kleinbloggersdorf weniger der Fall. Ich freue mich immer und bemerke ein hochkriechendes Hochgefühl in der Brust, wenn Leute meinen Kram tatsächlich lesen, kommentieren oder gar für gut befinden. In diesem Geschlinger durch Off- und Onlinewelten seit langem wieder etwas, was mich zu binden scheint. Und vielleicht das Erste seit langem darin bekräftigt, um meine restliche Lebenszeit etwas besser zu verplanen und den Weg etwas optimistischer einzuschlagen. Es klingt immer etwas billig, das lediglich durch das Texten zu versuchen, aber es bedeutet mir so viel – das können sich andere gar nicht vorstellen. Da draußen habe ich nämlich abseits meiner eigenen vier Wände kaum etwas, was mich beschäftigen würde, damit man auf andere Gedanken kommt.
Das sind Hoffnungen, Befürchtungen und hat bestimmt keine Garantie auf Lebenszeit, aber es hilft in dieser Phase, wo alles um einen herum aus den Fugen zu geraten scheint, etwas entspannter in die Zukunft zu blicken.
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