Wir haben neue Nachbarn. Vis-á-vis unseres Fensters hat sich eine junge Familie eingenistet, die mit ihrer Inneneinrichtung ein bisschen den ästhetischen Verfall nachfolgender Generationen dokumentiert. Der Wohnungsbesitzer hat schon zuvor an den Wänden herumgewerkelt, eine teils eingerissen, um daraus einen großen Küchen-/Wohnbereich zu zimmern, die untere Hälfte bis grob über den Hüftbereich betongrau gehalten. Gar nicht mein Fall, ich bin für warme Farben, und grau ist nicht gemütlich, sondern Marke Hausbesetzung für Geschmacksverirrte, die sich auch eine Chemiefabrik wohnlich einrichten würden. Die neue Mieterpartei hat dann noch ihr Mobiliar darauf abgestimmt, so dass man beim Blick durch´s Fenster an uralte Röhrenfernseher denkt.
Er ist hingegen die Kontrastversion zur Wandverzierung – bunte Hemden, einmal mit Cannabisblättern tapeziert, die ich lieber als Wandschmuck gesehen hätte denn als Stoffoberteil. Scheint athletisch zu sein, sie eher die zierliche Variante mit ordentlich Vorbau. Ziemlich ansehnlich und einladend, aber... ich hab meine eigenen zwei Möpse zuhause. Und ich rede jetzt nicht vom Haustier. Also bitte! Appetit kann man sich ja optisch mal holen – meine bessere Hälfte hat damit kein Problem. Natürlich so lange wie ich zuhause essen will.
Mal davon abgesehen hat sie drüben schon geworfen. Einen kleinen CR7 trägt sie durch den Hof, zumindest ist die Frisur schon mal voll weltstarmäßig, samt geschorenem Blitz im Haar. Die üblichen Lebenspläne von Papa, der nun als Fliesenleger schuften muss (keine Ahnung, ob das zutrifft), dem kleinen Prinz hoffnungsvoll Weltruhm in die Frisur hat vorritzen lassen. Optisch soweit unbedenklich. Jede Generation hat so ihre Helden, denen sie via Körperhaarmodifizierung nacheifert – bei mir war das damals der Wolfram Wutte-Look. Mittelscheitel und Muschischrubberschnorres. Herrje, das Foto klebt noch in meinem roten Führerschein. Ich muss bald mal zum Amt. Dringend. Wärmt schon mal den Shredder vor. Ich schweife ab.
Wo die ursprünglich herkommen, kann ich nicht raushören. Die Sprache ist mir unbekannt, gefragt habe ich nicht. Irgendwie osteuropasüdarabisch oder was weiß ich. Dunkler Haartyp. Hellhäutig. Von Bulgarien bis Syrien wäre alles möglich, für mich nicht auszumachen. Ist im Endeffekt auch wurscht. Hätte mich nur mal interessiert, weil sie im Grunde oft gut gelaunt sind. Viel lachen. Ungewöhnlich ist das schon a weng in Stoffeldeutschland. Irgendwas zwischen Frohnatur und Rauschmittelboost.
Umgeben sind die Neuen etwa von Frau Zynisch, unserer Vermieterin, die offenbar ihren Medikamentenplan umgestellt hat, weil sie plötzlich wieder mit uns redet. Und auch viel lacht, keine Ahnung wieso. Vorher hat sie sich demonstrativ mit jedem angelegt, der die Nachbarschaftsregeln brach oder sich erdreistete, sein Recht durchzusetzen. So wie wir, als wir im Hitzesommer eigenverantwortlich unsere Fenster mit Bettlaken probeweise verdunkelten und sie das „asozial“ fand. Und dann selbst was unternahm, was wir völligen Blödsinn fanden und nur unnötig Geld kostet – statt Rolläden spendierte sie uns Fensterplissees. Ich sagte auch deutlich, dass das nichts bringen würde (tut es auch nicht), da fauchte sie uns an, dass das ihre Fenster wären und sie damit machen kann, was sie will. Das war so nebenbei der Auslöser für ein paar Jahre Funkstille. Jetzt, plötzlich: alles vergessen. Sie fing selbst wieder an mit dem Schnackeln, wir beide völlig überrascht. Wasnmitderplötzlichlos?
CR7-Family ist wohl grundsätzlich so drauf. Vielleicht spricht die Hanftapete auch Bände. Manchmal erscheinen sie mir auch ein bisschen überdreht. Ich würde diese Zeilen nicht bemühen, wären sie eher ruhigere Zeitgenossen, aber sobald sie den Mund aufmachen und das Fenster öffnen, ist es vorbei mit der Hofruhe. Ständig am Plappern, was ich beim Alltag mit Kind samt Beschäftigungsauftrag noch nachvollziehen kann, aber vor allem sie ist da eine ganz besondere Marke. Miss Mops hat ihren Vorbau offenbar noch als Resonanzkörper für eine ziemlich laute, hochoktavige Stimme. Wenn sie loslegt, stimmt sie ihren Singsang an und klingt wie eine Blöckflöte, der man beim Spielen zu viel Luft hineinbläst und sich dadurch die Töne überschlagen. Fiiiiiiep! Quäksonate, 2. Satz von Motzhart – Ihr Einsatz bitte. Fiiiiiiep!
Natürlich hat sie das in der Hand, was bei jungen Leuten manchmal festgewachsen ist. Dauerschalte via Smartphone, sie das Ding überall mit sich herumtragend. Selbst wenn sie sich am Fenster eine Fluppe ansteckt, wird Mini-Ronaldo mit einem Arm geschleppt, in der anderen wahlweise mit Glimmstängel und Plappertuba gefummelt. Und so quäkt sie ihre Dauerarie natürlich schön resonanzverstärkt über den ganzen Hof, das würden die quer gegenüber im entfernten Wohnblock unseres Hofdorfes noch verstehen, da könnten sich Klein-Missy und Miss Mops locker miteinander austauschen. Die Kleine steht als mal auf dem Balkon und muss „sich entfalten“, fängt an schief zu singen und hat schon so einige Nachbarn ans Fenster gelockt und sich Kopfschütteln und wütende Kommentare eingefangen. Ungefähr so hochfiepsig wie die neue Quäke, nur Luftlinie ca. 300 Meter entfernt, schmettert sie ihre Blutohrenarien in die Hofarena, was ein bisschen wie das gesummte Liedchen von Gizmo aus „Gremlins“ klingt; nur in schrill-schief.
Da krieg ich Zustände. Ich, El Phlegmato, der Superheld unter den Zeitlupenzeitgenossen aus der „Mehr Bass!“-Fraktion, kriege dann einen Ritalinschock in Bergspitzen-Cis-Dur von Gegenüber verpasst. War schon immer so gewesen, dass ich bei der Stimmlage das Gesicht verziehe. Dann krieg ich auch Assoziationen – etwa wenn sie mit ihrem Smartwurmfortsatz am Küchenfenster vorbeihuscht und ich spontan an Ellen Barkin in „Gnadenlos schön“ denken muss. Der ist nämlich nach einem Brandanschlag die Bierdose in der verbrannten Hand festgebacken. Den Film habe ich lange nicht mehr gesehen, aber die Dosenbilder waren plötzlich wieder in meinem Kopf. Ultrawitzig, was das angeht: letztens stöbere ich etwas unmotiviert in Waipu rum, ob es mal etwas zu gucken gibt, und was finde ich ausgerechnet? Sie ahnen es schon. Der Film ist unterhaltsam böse Satire, wäre eine Empfehlung.
Das Möpsegucken macht dann, wenn sie den Mund aufmacht, keinen Spaß mehr. Der Appetit ist weg. Eher macht mein Schlong einen Rückzieher, bis er sich fast nach innen stülpt. Apropos: Wäre sie dann nicht geeignet, Therapiestunden für Transidentitäre anzubieten? Ich gebe ein bisschen was von meinem Mindset ab, das man ihnen in die Festplatte kopieren könnte, und wenn Miss Mops einen Monolog startet, wird aus dem Penis automatisch eine Vagina. Pflump. Fertig. Ohne OP-Narben, ohne Hormonbehandlung. Transformation alleine durch nervige Stimmlagen - das wär´s doch...
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