„Alle Untugenden, die gerade modern sind, gelten als Tugenden.“ -Molière
Als kürzlich eine neue Kuriosmeldung aus den Hippie-Hipster-Kellern neo-dekadenter Universitätsdenkblasen deren Lendentriebigkeit und gleichzeitig die Gemüter der allgemeinen Prüderie erregte, entlockte mir das durchaus ein belustigtes, aber auch nachdenkliches Grunzen.
Wenn ich mich auch nicht unbedingt als einen prüden Menschen betrachte, was wahrscheinlich den Querschnitt des Durchschnittsdeutschen in Sachen Umgang mit Sexualität abbildet, gesellte sich zum Grunzen noch ein Kopfschütteln, als ich davon las, welche Idee in der Uni Augsburg gerade den Weg in Konventsitzungen gefunden hatte. Es gab mal Zeiten, da hätte man vielleicht noch den Vorschlag einer Schlafcouch in der Mensa erwarten können, eventuell noch die Bestellung eines anderen Kaffeeautomaten, weil es nicht die Geschmacksnerven befriedigte. Aber „Gloryholes“ - das ist schon ein ganz anderes Kaliber.
Daher lohnt sich durchaus ein Blick zurück, von den ganz alten, prüden, partiarchalischen Zeiten bis hin zu dem Heute, in denen man den allzu zwanglosen Umgang mit Pornografie nun in die öffentlichen Räumen zu drängen versucht. Und natürlich spielt dort wieder der Wokismus eine Rolle, der ein sehr seltsames wie gefährliches Verständnis von Freiheit offenbart.
Internetphänomen
Wagen wir doch einen Schwenk in die (Un)Tugenden des Internets jüngerer Tage, in dem schon definiert wird, welche Nachrichten als legitim gelten und welche nicht. Wenn Sie nach Themen googlen, kann es passieren, dass Ihnen nicht das Ergebnis geliefert wird, nach dem Sie suchen. Plattformen der sozialen Medien sind gleichzeitig eigenaktiv wie von staatsseitigen Dekreten dazu verdonnert worden, Inhalte mit Warnhinweisen zu versehen oder gleich zu löschen und somit unauffindbar zu machen.
Bis zu einem gewissen Maß ist das sogar verständlich, auch wenn es mittlerweile einen zweifelhaften Charakter erhält, wenn ausgerechnet die staatlichen Institutionen sich das, was sag- und verbreitbar ist, heute selbst herbeiregulieren und somit die Internetplattformen derart korrumpieren.
Doch sollte auch eine andere Frage gestattet sein: Warum wird dann dieser Zensureifer nicht bei der Pornografie so stringent durchgesetzt? Natürlich lässt sich darüber streiten, ob das Zeigen von pornografischen Inhalten pauschal verboten oder es wie noch vor der Jahrtausendwende mit strengen Altersbeschränkungen versehen werden sollte. Unser ethisch-moralischer Kompass und wie es damals im gesetzlichen Rahmen geregelt war, empfand ich zumindest in der Pornografie nachvollziehbar. Doch als das Internet das Maß aller Dinge wurde, widmete sich die Staatsmacht konkret, offenbar auch unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen, lediglich um die strafbaren Strukturen dieser versauten Subkultur, etwa bei pädophilen Neigungen. Die sonstigen Praktiken und expliziten Bewegtbilder sind hingegen heute durch kurzes Googlen frei verfüg- und ungefiltert betrachtbar. Bedeutete also in diesem Punkt eine schleichende Abkehr von üblichen Regularien.
Demopornografische Grundordnung
Dabei hatten die Nachkriegsgenerationen schon eine wilde Zeit sexueller Freizügigkeit durch- und sich nach einem Zeitraum esoterisch und drogenvernebelten Freisprengens einen neuen Typus Bürger hervorgebracht. Von Batik- zu Jeansstoffschlaghosen lebte die westliche Gesellschaft einen recht freizügigen Lebensstil aus – vorbei war die streng-christlich dominierte Rollenzuteilung mit der lebenden Sex Doll am heimischen Herd. Feminismus und sexuelle Selbstbestimmung schritten voran, bis dato auch im nachvollziehbaren Rahmen gehalten und ein paar wichtige Tabus ständig im Auge behaltend.
So wuchsen Boomer und folgende Generationen in Zeiten auf, die durchaus ein relaxtes und nach einhelligen Maßstäben Nachkriegsgeborener ethisch-moralisch ausgewogenes Verhältnis zur Sexualität haben. Zwar heftet der Pornografie immer noch etwas Verbotenes, Verruchtes an, aber man war sich unausgesprochen einig, dass Pornokonsum und das sexuelle Ausleben zuallererst Privatsache ist und das auch nicht in den öffentlichen Raum gehört. Das Zeigen sexueller Handlungen oder die Implementierung sexueller Praktiken in öffentliche Lebensräume hingegen sollten eigentlich keiner Rede wert sein.
Das mag zwar in einem sich dynamisch angepassten Zeitgeist durchaus etwas freizügiger werden, aber wenn sich Entwicklungen verselbstständigen, bis sie die gesetzlichen und ethischen Hürden wie im Augsburger Auf(er)reger angreifen, streift das schon absolute Grenzen und nährt auch Befürchtungen, noch weiter gehen zu wollen. So diskutieren wir heute schon in Grenzregionen einer demokratischen hin zu einer demopornografischen Grundordnung.
Yo!-Porn
Sexuelle Revolutionen in Verbindung mit dem Internet und der Verselbstständigung von Konsum und Regulierung haben einen massiven Effekt der Abstumpfung sowie zu einer Verzerrung des eigenen Bewusstsein gegenüber der Sexualität geführt. Sex ist alleine dadurch, dass das Internet mal so eben die alten Ab-18-Videotheken-Ecken und gleich das ganze Ladenkonzept unter sich begrub, zu einem überall verfügbaren Medium geworden – auch weil Google und Co. zu wenig dagegen vorgehen (müssen).
Massenkonsum beeinflusst nebenbei noch das Kulturbildende, und wenn Porno kein Schmuddelkind mehr bleibt, wird es auch zwangsläufig in Umgangs- und Sprachformen assimiliert und verliert so auch seine klandestine Faszination. Natürlich hat sich noch nicht durchgesetzt, dass man in der Einkaufsstraße an zahllosen Quickies vorbeiläuft. Auch in der Partykultur gibt es einen viel lachseren Umgang mit der Sexualität, was aber eher das ungeschriebene Gesetz berührt, im grauen Alltag die Dinge(r) von der geschlossenen Hose oder vom Oberteil unbenutzt bedeckt zu halten.
Apropos Kultur – es fällt heute schwer, den schwülstig-romantischen Charakter von Lovestories und zweideutigen Andeutungen, vorrangig zu beobachten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, noch ernst zu nehmen. „Dirty Dancing“ mag zwar ein wenig damit kokettiert und ganz leicht über normative Stränge geschlagen haben, würde aber heute wohl kaum noch Hüften in Wallung bringen, wäre es erst gestern in die Kinos gelangt. Das Kino (allem voran das amerikanische) ist heute durch die forcierte Selbstregulierung wieder prüder geworden, gleichzeitig hielt mit Rap und HipHop auch die Pornografie als dessen kulturelle Begleiterscheinung neben dicken Goldketten und Baggypants schleichend Einzug in die Allgemeinkultur. Es scheint etwas grotesk, dieses gleichzeitige Auseinanderdriften von Filmprüderie und Yo!-Porn-Attitüde der einstigen Ghettorapper zu beobachten. Statt Armut und Battlerap gibt es jetzt Prunkvillen und Pornoproduktionen.
Nur Subkultur?
Der subkulturelle Ansatz sexuellen Auslebens ist heute noch nicht vorbei. Doch hat selbst der öffentlich-rechtliche Mainstream Lunte gerochen, nachdem Schmuddelsender wie RTL II ihre Filmstudiobesuche im seriösen Gewand zum Quotenrenner machten. Heute sind es gerade die jugendlichen Formate von ARD und ZDF, die ein noch scheinseriöseres „Beiwohnen“ von Party- und Pornoexzessen konstruieren. Offenbar wird – wenn es dem Kamerateam nicht zur eigenen Aufgeilung dient – hier versucht, neuerdings der Queerness zu einem Normalisierungseffekt in der Bevölkerung zu verhelfen. Dass man das unter anderem mit beigewohnten Drogen- und Sexexzessen erreichen will, hat etwas doch schwer Satirisches an sich.
Andersrum wird ein Schuh draus, wenn man Minderheiten auf Persönlichkeit, sexuelle Orientierung und dessen Auslebungsriten reduziert, um Akzeptanz und Normalisierung im gesellschaftlichen Ausmaß erzeugen zu wollen. Die Banalisierung der Pornografie trägt ihres dazu bei, es zum Themenschwerpunkt zu machen – doch interessiert es da draußen die „heteronormative“ Mehrheit überhaupt? Hier gerät wieder etwas in den Fokus, das beim Wokismus und wie man ihn versucht zu etablieren, schnell lästig wird: ihn mit aggressiver Penetranz bewerben. Existenzrecht und Gleichberechtigung sollte sich schon lange durchgesetzt haben, also steht fast der Vorwurf im Raum, man würde Andersartigkeit als eine Art Superkraft gegenüber den „Spießern“ in den Mittelpunkt rücken.
Ein subkulturelles Merkmal wird demnach instrumentalisiert, um sie dem Durchschnittbürger aufs Auge zu drücken. Im Grunde machen FUNK-Formate etwa nichts anderes, als Andersartigkeiten eine Bühne zu bieten und ihnen auch in nach draußen anklagender Manier einen Opferstatus zu spendieren. Und so eine Subkultur zur Allgemeinkultur pushen will, was letztlich nicht auf Gleichberechtigung abzielt, sondern auf Besserstellung und ebenso aus dem „kinky“ Guckloch ein offenes Scheunentor macht.
Don´t worry, have glory
Es mag sein, dass Selbstzweifel und psychische Auffälligkeiten dazu führen, dem künstlich auf die Beine zu helfen. Doch schießt dieser Akt der Hilfestellung darüber hinaus, wenn er gleichzeitig die Mehrheit anklagt und seinerseits diffamiert. So werden aus Selbstzweifeln schnell Selbstüberschätzung und Arroganz, würde man das unwidersprochen übernehmen. Die abstruse Idee von Gloryholes ist schon schwer um die Ecke gedacht - die Argumente sprechen auch wieder für sich selbst, Selbstbestimmungsabsichten zu hypen.
Dabei geht es offenbar nicht um die Befriedigung von Urtrieben, sondern auch einen faulen Kompromiss zu finden für all diejenigen, die vielleicht Probleme im Finden von Partnern haben und umgeht zusätzlich etwas noch Grundsätzlicheres – nämlich das Optische, das darüber entscheidet, ob man überhaupt sexuell zusammenkommt. Was, nebenbei bemerkt und doch ziemlich wichtig ist anzusprechen, eine Sache individueller Vorlieben ist. So kann selbst der dickste Schmutzfink seinen Penis durch das Loch stecken, den man – hätte man ihn in Gänze gesehen – vielleicht nie an sich ran gelassen. Das als „Kink“ zu verstehen, geht letztlich an der eigentlichen Sache vorbei, denn ist das Gloryhole vielleicht im Pornouniversum oder ursprünglich im Schwulenmilieu als lustige Spielart zu verstehen, aber sicherlich nicht alltagstauglich wie das Flirten und den ungeschriebenen Regeln, denen es unterworfen ist.
Klar mag es hilfreich sein, auch jenen ein bisschen Spaß zu geben, die keine Adonisfigur haben oder sonst wie in ihrem Erscheinungs- und Verhaltensbild Schwierigkeiten bekommen. Doch zäumt man solche Pferde von der falschen Seite auf, übergeht Ursachen und geht sie nie wirklich an. Es mag zwar sehr bequem sein, nur sein Geschlechtsteil ans Loch zu halten, bekommt dann ein bisschen Glory, die man im normalen Rahmen nie oder nur schwer erhalten würde. Dieser Aspekt wurde zwar nicht konkret benannt, dürfte aber auch eine Rolle spielen. Doch hat der Loch-Akt genau denselben Effekt wie Drogenkonsum – er befriedigte nur für kurze Zeit, danach ist man wieder das alte Ich, wenn man daran scheitert oder nicht gewillt ist, es langfristig zu verbessern.
Trotzloch
Die Argumentationskette der Studenten der Uni Augsburg trieft dazu von Trotzkopfbegriffen. „Heteronormativitätskritischer Raum“ und „abweichend“ klingt stark nach infantilem Rebellismus durch übertriebene Grenzauslotung. Das kann allerdings wohl kaum übertünchen, dass hier ein paar Studierende regelrecht „pornogeschädigt“ sind, also nun das Ergebnis einer viel zu lasch regulierten Internet-Unart ist, Pornografie überall verfügbar gemacht zu haben. Und dann tatsächlich den Irrsinn in höhere Bildungsanstalten zu transportieren, vor allem, wenn man den in einen für alle zugedachten Zugangsbereich aufzustellen statt einen extra Raum dafür zu bereiten. Und so diese „Trotzlöcher“ und somit das absurde Rebellismusdenken schon ausgewachsener Menschen in den öffentlichen Raum zu überführen.
Was wäre, wenn das wirklich Realität würde? Wie wir wissen, drängen diverse Uni-Irrsinnigkeiten schon seit geraumer Zeit nach draußen, in die Welt, die in erster Konsequenz andere Probleme zu lösen hat denn die Frage, wo man seine Geilheit loswerden könne. Würden dann in naher Zukunft über „Gloryholes“-Kabinen aufgestellt wie öffentliche Toiletten, die ja ebenfalls ein menschliches Grundbedürfnis bedienen? Die Krux besteht dann aber eher darin, etwas, was bisher als privates Vergnügen galt, noch mehr zu banalisieren als es YouPorn und Co. schon geschafft haben. Zugleich bedient es auch den Unwillen, sich dem Arbeits- und Lernalltag selbstregulierend unterzuordnen. Und irgendwie passt das auch zu einer Influencer-Generation, die sich gerade ziemlich darüber beschwert, dass die üblichen Statuten wie 8-Stunden-Tage und 30 Urlaubstage ihnen die Lebensqualität stehlen würden. Und da haben sie noch nicht mal über ihre (Be)Triebsamkeit geredet, und da ist die Forderung nach Gloryholes im Büro oder Betrieb vielleicht gar nicht mehr so abwegig.
Auch das ist nur eine Zurschaustellung einer Trotzigkeit, die sich in diesen Teilen der Generation Spaßgesellschaft durchgefressen hat. Was wiederum nur einer Betäubung der eigenen Unzulänglichkeit bedeuten kann und um sich dem Leistungsprinzip zu entziehen. Der Wokismus scheint ein grundsätzliches Problem mit Leistung an sich zu haben, weil es Anstrengung bedeutet und kaum kurzfristige, positive Effekte.
Löcher noch und nöcher
„Geduld ist eine Tugend.“, hieß es früher mal landläufig, aber diese Geduld ist dieser schnelllebigen und aufmerksamkeitsdefizitären Generation etwas abhanden gekommen. Und so wird die Untugend, wie sich mannigfaltig in Sphären von Pornografie, sexueller Entfaltung und die Absicht, es immer und überall verfügbar wie YouPorn-Videos zu machen, zu einer Tugend erkoren, die letztlich nur das bestätigt, was man dieser Generation vorwirft: dass sie dadurch viel zu kurzlebig denkt und ist.
Und sich einen Ruhm (engl. „glory“) zuspricht, der ein bisschen zu dreist eingefordert wird wie ein paar Schmuddellöcher, die für sie Rebellismus und Selbstentfaltung bedeuten. Man sollte vielleicht erst mal andere Löcher stopfen als die üblichen, dann würde diese Vorstellung eventuell gar nicht aufkommen, in der Fakultätslobby „gemeinsam einzusamen“.
Kommentar schreiben