In der Film- und TV-Landschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten etwas gewandelt. Wenn Sie ein gewisses Alter haben und sich für Filme interessierten, daher die Frage: Fällt Ihnen auch auf, dass man Horror und explizite Gewalt in solchen Kunsterzeugnissen schon weit eher zu sehen bekommt als in Ihrer Kindheit?
Ich kann mich jedenfalls noch sehr gut daran erinnern, wie schwierig es war, an die verruchten Kultfilme heranzukommen. Weil der Staat noch die Zensurschere ansetzte und die Prüfer sich gar noch an „simplen“ Einschusslöchern stießen, wenn Arnie Schwarzenegger mit Schnellfeuerwaffen Leiber zersiebte. „Total Recall“ erhielt man etwa in zwei Versionen, eine völlig zerhackstückelt, die andere gab es nur in der „bösen“ 18er-Abteilung. Ja, gut, da wurden auch mal sichtbar Arme abgetrennt, was den Cut irgendwie rechtfertigt, aber war die Schere damals noch derart zwanglos zum Einsatz gekommen, dass man sich manchmal verwundert die Augen rieb.
Die wirklich Harten kamen damals noch nicht in den Garten, sondern unter die Ladentheke. Horrorkult wie „Hellraiser“ in einer ursprünglichen Version zu bekommen, war damals fast unmöglich, aber gerade auch deswegen ein Jagdspleen, den man sich gerne aneignete. Es machte schlicht Spaß, bei irgendwelchen Filmbörsen im Hinterhof zu stöbern oder im Filmladen etwas verdruckst und die Umgebung absuchend den Ladenbesitzer nach seinen versteckten Schätzen zu fragen.
Ich erzähle das auch, weil man zu der Zeit in dieser Hinsicht Tabus für sich selbst brach. Die Erträglichkeit auszutesten, wann die explizite Darstellung von Gewalt zu viel für einen selbst wird, aber muss man auch anmerken, dass die Kreativität der Filmemacher nicht unbedingt grenzenlos gewesen war. Die Branche hatte sich selbst Tabus gesetzt, sei es im Erzählerischen oder in Darstellungen, die man eigentlich nicht anrühren sollte. Kinder und Babys etwa, die nur in mystisch, fantastisch unterlegten Welten Verwendung fanden, vom Dämon besessen waren (also quasi als unschuldig gelten) und in reinen Splattermassakern wie „Braindead“ eindeutig nicht zu real dargestellt wurden. Das mag ich jetzt kaum belegen können, aber dennoch behaupte ich mal, dass selbst die beklopptesten Autoren und Regisseure eine Art Trennlinie im Kopf hatten, die sie nicht übertraten.
Schaut man sich das heute an, gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass die Horrorfilmindustrie so gut wie tot ist. Man braucht sie eigentlich nicht mehr. Man stelle sich vor, Serien wie „Game of Thrones“ wäre dem Zensurium der 80er und 90er vorgelegt worden, hätte man sie – mal übertrieben gesagt – auf zwei Staffeln stutzen können. Die Gewaltdarstellungen haben nun den Mainstream erreicht, und auch wenn die erfolgreiche Serie jetzt nicht neben den Rosenheim-Cops im Vorabendprogramm läuft, hat sich der Abstumpfungseffekt gegenüber gezeigten Zerfleischungen schon stark normalisiert.
Offenbar werden auch die Trennlinien neu ausgerichtet; Tabus brechen. Heute ist im Kino Foltern fast schon Normalität, weswegen die x-te „Saw“-Verfilmung eher den Charakter einer Folter-Gameshow inne hat. Szene um Szene irgendwelche Fallen und Aufgabenstellungen, schön aufgereiht wie Streckbänke und Eiserne Jungfrauen in entsprechenden Museen. Auch im Gaming ist das Töten ein bestimmendes Element, doch auch dort sollte man noch tunlichst unterscheiden, inwiefern Fiktion – also auch die Übertreibung und Abstrahierung – im Mittelpunkt steht. Nicht umsonst schwelte unter den Zockenden heiße Debatten darüber, wann man als Alter Ego Dinge tun soll, wenn sie allzu drastische Darstellungen und virtuelle Handlungen im Programm haben.
Nun mögen Sie sich bestimmt fragen: Auf was will der Autor hinaus? Oder ganz profan: „Wat willer???“
Es ist meinen teils komischen Gedankengängen geschuldet, dass ich oftmals darüber mutmaße, wie der Medienkonsum auch das reale Denken und Handeln beeinflusst. Und da rede ich jetzt nicht über Ausreißerereignisse, dass Jugendliche nach einem Splatterfilm die Oma von nebenan zerstückeln, um zu erfahren, wie das sei. Wir kanalisieren in der Regel unsere niedersten Triebe bis zu einem gewissen Maß mit dem Konsum solch fiktiver Drastik, und wer noch psychisch einigermaßen beisammen ist, wird Grenzerfahrungen in diesem Metier nicht allzu sehr an sich heranlassen.
Doch nun herrschen wieder neue Kriege vor. Nichts, was man am Reißbrett als Planspielchen abstrahieren könnte, es ist die bittere Realität. Blut. Gewalt. Tod. Die in groben Zügen immer demselben Ablauf folgen und immer dieselben Auswirkungen haben. Es ist äußerst schwierig, geistigen Abstand davon zu halten, weil von simplen Einschusslöchern bis zu den schlimmsten Gräueltaten der unnötige Tod der alles bestimmende Faktor bleibt.
Deswegen halte ich es für unangebracht, Kriege unabhängig von Täter- und Opferrolle mit zweierlei Maß zu messen. Auch hier bestimmen Wenige über die Schicksale vieler, die Motive sind zuerst Nebensache. Und es negiert auch das ethische Dilemma von „Wer hat angefangen?“, um Rachefeldzüge irgendwie zu rechtfertigen. Dieses Dilemma ist so alt wie die Menschheit selbst, egal, ob Stichwerkzeuge oder modernstes Kriegsgerät zum Einsatz kommen. Das Prinzip bleibt von je her dasselbe.
Nur die Methoden für die Legitimation von Kriegen haben sich gewandelt. Unter dem Radar hat sich etwas ziemlich Perfides profiliert – nämlich die Wissenschaft der Psychologie, die eigene Bevölkerung einerseits für etwas zu begeistern und andererseits kritische Stimmen im Keim zu ersticken. Nicht durch proaktives Eingreifen, sondern sozusagen als Intervention über Bande. Es wird dann schwierig, evidente Kritik zu äußern, wenn die psychologische Kriegsführung gegen Freund und Feind gleichermaßen das Denken beeinflussen soll, was sich mittlerweile nicht nur über das Verteilen von Flugblättern im Feindesland darstellt. In den Nachkriegsjahren hat sich vor allem im kriegsindustriellen Dauerkomplex der Plan festgefahren und auch etabliert, Menschen durch subtilere Manipulationsmethoden zu heroischen Fürsprechern von Waffengewalt zu machen.
Das sind Mittel, die man sich vor allem bei den Geheimdiensten erdacht hat. Und dort scheinen im realen Rahmen so einige Tabus zu fallen, ob das nur Propagandamittel sind oder die Instrumentalisierung von optischer oder erzählerischer Drastik. Ein Tabu, das – nicht oft, aber zu gut gesetzten Zeitpunkten – gebrochen wird, ist wie zum aktuellen Hamas-Israel-Konflikt, die Verbreitung von der Extremvorstellung geköpfter Babys. Nichts davon wurde nachgewiesen. Nur die Behauptung verbreitet, die schon in Worten die schlimmsten Gedanken aktivieren, gleichzeitig auch die Legimitation zum Entgegenwirken verstärkt. Es gibt keine Bilder davon, nur die Verkündung, und die bleibt auch trotz Kritik in den Hinterköpfen hängen.
Natürlich wird das, was danach folgt, im kalten Kalkül nicht mehr mitgesprochen. Dass Raketen unschuldige Menschen töten, dass Kämpfe an der Front das liebende Kind, gerade erwachsen geworden oder gar erst noch mittendrin ist, für den höheren Zweck verheizt. Opfer oder Täter – egal. Und über allem thront vielleicht sogar eine verbreitete Lüge. Denn denke ich an geköpfte Babys, triggert mich das im ersten Moment gar nicht; erst recht nicht, wenn man das einfach so rauspoltert und nicht unterlegen mag.
Mein erster gedanklicher Impuls war: Brutkastenlüge.
Da fällt es offenbar leicht, wenn Geheimdienste am runden Tisch darüber sinnieren mögen, wie man den Feind schlechter dastehen lassen kann als er vielleicht im allgemeinen Bewusstsein ist. Da wird man zuweilen ziemlich kreativ, ohne es allzu absurd werden zu lassen, und wenn Krieg droht, dann kann man auch leichter fiktive Gräuel implantieren und sie als etwas Reales zu verkaufen. Das ist durchaus der große Zweck, Pläne – sind sie noch so inhuman – mit Zustimmung zu belegen, und wenn schon die rhetorisch harmlosen Anlässe das nicht erreichen, kramt man eben schon mal unter der Ladentheke etwas hervor, das die schlimmsten Befürchtungen bei den Unbedarften weckt. So spielen die Geheimdienste durchaus mit dem Moralkompass einer friedlichen Bevölkerung, die eigentlich in der Vorstellung lebt, man würde für den Frieden regiert – doch wenn eine global relevante Konfliktsituation eintritt und das auch die eigenen Werteinteressen berührt, ist man sich für gar nichts mehr zu schade und triggert das eigene wohlstandsverwöhnte Volk allzu wirksam und simpel dafür, Rachegedanken auch in die Tat umzusetzen.
Das ist kein Spiel oder Film mehr, und man ist gut beraten, das grundsätzlich zu unterscheiden. Tut man das nicht, gefüttert von abgesäbelten Schädeldecken im Dark-Fantasy-Universum der beliebten Thronspiele (was durchaus Parallelen zu alten Gladiatorenscharmützeln zulässt), sollte man an sich selbst mal eine Psychobeschau anwenden. Ob man überhaupt noch in der Lage ist, Realität von Fiktion zu unterscheiden. Und das ist, wenn dem nicht so ist, genauso irrsinnig wie beeinflussbare Jugendliche, die für die Eigenerfahrung die alte Nachbarin abschlachten. Deswegen halte ich bei aller Nachvollziehbarkeit für den Gegenschlag gegen die Hamas die israelischen Brachialankündigungen zum Einmarsch für ziemlich gefährlich, vor allem, wenn unsere Hampelampel sich mal wieder undifferenziert positioniert und gleichzeitig „an der Seite“ von irgendwem wie ein braves Hundchen Beifall spendet.
Vielleicht ist es auch diese Mischung aus Faszination und Abscheu, die das gutbürgerliche Klientel dazu treibt, ihren Realitätsschock spielerisch zu erfahren – so als wäre es tatsächlich eine verspätete, pubertäre Entwicklung, im Videoladen von CIA und Co. allen Mut zusammenzunehmen, um mal selbst Grenzen auszuloten und nach verruchtem Zeug anzufragen – nur mit dem Unterschied, dass man das nicht mit billigen Filmchen durchlebt, sondern letztlich an realen Ressourcen.
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Juri Nello (Samstag, 21 Oktober 2023 12:02)
Ich frag mich ja immer noch: "Watt will er?"
Da geht mir viel zu viel durcheinander.
Snuff ist ein Wort der 80er und bedeutet, dass ab dann schon jede Form des gewaltvollen Tōtens bereits filmisch dargestellt wurde. Allerdings nicht vom o. a. Hollywoodkino.
Wer das nicht mitbekommen hat, hat einen Teil der 80er verpennt.
Ob das abstumpft? Den einen bestimmt, den anderen nicht. Dem Rest ist es eine Lehre und er meidet bestimmtes Filmmaterial.
Ob das auf den Krieg vorbereitet? Nein!
Was der nahôstliche Konflikt damit zu tun hat?
Nix!
Was das mit den Geheimdiensten zu tun hat?
Vielleicht gibt's da neben Thriller- auch Horrorfans.
Aus jeder Beziehung erwächst mindestens ein potentielles Mordopfer.
Und es gibt nicht gerade wenig Menschen, die gerne töten und / oder Gewalt ausüben.
Das kommt indes nicht vom Film.
Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin.
"Aber es geht doch um mein Land und meinen Arbeitsplatz, meine Heimat und mein Zuhause." "Aber jemand muss doch was gegen diese Mistmaden unternehmen."
Und: Nein! Ich werde mich da nicht locker auf einer Seite positionieren.
Wenn sich Leute so hassen, dass sie sich gegenseitig massakrieren wollen, kann man dagegen wenig tun. Nur maximal separieren, falls man den Platz dafür hat.
Polemicer (Samstag, 21 Oktober 2023 16:26)
@Juri Nello
"Da geht mir viel zu viel durcheinander.
Snuff ist ein Wort der 80er und bedeutet, dass ab dann schon jede Form des gewaltvollen Tōtens bereits filmisch dargestellt wurde. Allerdings nicht vom o. a. Hollywoodkino.
Wer das nicht mitbekommen hat, hat einen Teil der 80er verpennt."
Vielleicht ist nicht deutlich geworden, um was es mir wirklich geht, aber Snuff habe ich bewusst ausgespart. Es geht um die Symbolwirkung des Verruchten und wie unbedarft das heute mit der Realität (Grüne und Kriegsgeilheit, Gutbürgerliche und ihr selbstüberschätztes wie infantiles Auftreten) sich so darstellt. Ich habe manchmal das Gefühl, die ergötzen sich gerade verspätet über das Nachholen pubertärer Grenzauslotungen und finden das noch witzig - dabei sind sie in einem Alter, wo man das eigentlich schon lange wieder abgelegt haben müsste. Das noch verbunden mit dieser "Stand with"-Unrhetorik, was auf mich dann völlig irre wird. Wenn es aber drauf ankommt, stehen sie da wie die Ölgötzen und wirken dann schnell überfordert.
Juri Nello (Sonntag, 22 Oktober 2023 08:32)
Das klingt für mich eher, wie die äußerliche Empfindungsbeschreibung des Narzissmus. Da gibt es natürlich viele, aber über vielen Narzissten steht ein Psychopath, der die Dinge in seinem Sinne regelt. In den Firmen, wie in der Politik.
Die Karrierebibel liefert eine ganz gute Basis zu dem Thema.
So verrückt das Ganze auch wirken mag, die verfolgen alle konkrete Ziele, meist, was das eigene Fortkommen angeht. Dumm & doof sind die trotz geschönten Lebensläufen seltener, was sue aber auch nicht zu Überfliegern macht. Folge der Spur des Geldes, der Belohnungen und der Möglichkeiten, die sich nach der Karriere für sie ergeben sollen.
Polemicer (Sonntag, 22 Oktober 2023 14:59)
@Juri Nello
Das spielt richtigerweise eine Rolle. Aber auch in der Karrierebibel stehen Anmerkungen drin, dass die Angesprochenen das nicht wahrhaben wollen und ihre eigentlichen Ziele doch keine Rolle spielen sollen - sie wissen ja am besten, was für andere gut sein soll. Dabei haben sie nur in den Mitteln, in den Mittelpunkt zu drängen, überzeugt, und nicht in wirklichen Handlungen, die sich letztlich positiv auf alle auswirken.