Mit hoher Anteilnahme lese ich beim Blognachbarn quer. Erkenne mich wieder, andererseits wieder doch nicht. Ich leide anders, wenn etwas in mir passiert. Vieles davon stülpt sich nach innen, passiert unter der Haut, in den Muskeln, die arbeiten wie eine Ente. Wirke nach außen stoisch, beherrscht, aber ist es nur die Fassade, die irgendwo zwischen Gute-Laune-verbreiten-wollen und einem endoorganischem Kampf mit sich selbst laviert. Die Ente sieht auf dem Wasser so entspannt aus, strampelt aber unaufhörlich mit den Flossen, um vorwärts zu kommen. Ähnlich fühle ich mich dabei, die Muskeln sind meine Flossen, und sie strampeln oft, ohne dass ich es anordne.
So wirklich Burn-Out haben – was bedeutet das? Immer gehe ich mit dem Gedanken spazieren, ich wäre ein mega Sensibelchen und total anfällig für´s Ausbrennen. Breche schnell ein, scheue Konflikte, aus denen ich schon immer irgendwie einen Ausweg gesucht habe. Ohne aufrecht stehen zu bleiben... oder, sagen wir mal, selten. Vereinzelt stand ich schon meinen Mann, wuchs aber nicht an diesem inneren Erfolg. Dass ich mir wegen Corona so auf die Schulter klopfen konnte, blieb nicht an oder in mir hängen. Dann wieder Arbeitsärger, natürlich Stress, der Überstunden produziert, blöde Sprüche und Gerede hinter deinem Rücken. Du weißt es, auch wenn sie so offiziell tun, als wäre es nie passiert. Dabei haben sie in meinem Dasein so dermaßen über (Ex-)Kollegen abgelästert, dass du schon ahnst, dass dir das auch widerfahren wird.
Solches Gerede vertrauen sie dir wohl nur an, um dich selbst zu warnen. Mitmachen oder selbst zum Thema werden. Da ich aber auf das Denunzieren nicht ansprang und in den Kanon nicht mit einstieg, war ich wohl das nächste Opfer. Blablabla, was der wieder tut, was der wieder sagt, wie der sich bewegt, wie der aussieht, bliblablubb. Schlimmer wie Kinder und keifende Weiber. Meine Reaktion darauf wie immer: es innerlich verarbeiten und ein neutrales Gesicht aufsetzen. Daheim dann abledern. Es rauslassen. Das mag in der Form den Betriebsfrieden aufrecht erhalten, aber es verstetigt nur die gegenseitige Entfremdung, weil sie es so tun – und ich dann ja auch.
Ich habe es lange anders versucht. Meine Freude und Motivation nach außen zu kehren, ab und zu fast quiekend über die Stränge zu schlagen und zu hoffen, es würde andere anstecken. Tat es aber nicht. Nur entgeisterte Blicke und „Wie kann man nur???“-Gesichter. Stinkstiefeln. Deutschtümeln. Alter egal. Altklug und senil geben sich die Klinke in die Hand. Und ich immer wieder angefixt davon, sich dann halt doch zurückzunehmen, ernte darauf dann wiederum Kommentare, warum ich so miesepetrig wirke. Warum ich dann doch nicht so gute Laune habe. Doppelmoral galore. Irgendwann ist tuck. Reicht jetzt. Denkt, was ihr wollt, ihr Windnasen, die ihre Einstellung öfter wechseln wie ich meine Unterhosen. Ihr fragt, warum ich mal so, mal so bin? Schaut auch mal auf euch selbst...
Dieses ständige Hin und Her begünstigt Burn-Outs durchaus, unabhängig mal vom Arbeitsstress, der so häufig das Unglück füttert wie meine Schwiegermama jedes angelaufene Felltier. Kein Wunder, dass alle pappsatt sind und das Hirn anschwillt, bis die letzte Reserve geistiger Beherrschbarkeit verbraucht ist. An dem Punkt bin ich – Gott sei´s getrommelt – noch nicht gewesen. Nah dran vielleicht, aber irgendwie hat mich der innere Drang zur Vermeidung des Zustandes der evidenten Selbstaufgabe immer daran gehindert, am Abgrund aus Schwäche die Kraftanstrengung aufzugeben. Jeder Restdampf an Eigenreserve wurde noch durch die Benzinleitung gedrückt, dass ich noch bis zur nächsten Tanke gelangen konnte.
Witzige Erinnerungen werden mir bei dieser Anekdote wach: Als wir in Apulien des Nachts mitten im Nationalpark schon lange im Reservemodus durch das Dunkel kurvten. Der nächste Ort, die nächste Zapfsäule laut Maps noch 15 km entfernt, der Bordcomputer zeigte eine Restentfernung von 11 km (!) bis zur kompletten Leere. Irgendeine diffuse Eingebung verriet mir in der Not, wo wir tatsächlich waren. Oben, auf einem Berg an einer einsamen, dunklen T-Kreuzung, die ich – warum auch immer – im Kopf gespeichert hatte. Ich schöpfte wieder etwas Hoffnung, weil: Rollen lassen, es geht nur noch bergab. Ich also Gang raus und die Physik machen lassen. Im Leerlauf verbrannte der Motor nur das Nötigste, während wir die Serpentinen herunterkullerten. Das Ziel erreichten wir tatsächlich bei einer Restanzeige von 6 km; eine 24-Stunden-Tankstelle, wo wir allerdings an der Bedienlogik des Kartenautomaten, die ständig „Bezahlvorgang abgebrochen“ meckerte, verzweifelten. Nach mehreren Versuchen, dem Apparat sein Geheimnis zu entlocken, klappte es dann endlich, und so kamen wir letztlich doch noch zuhause an, ohne schieben zu müssen.
Das Erlebnis steht für so vieles, was mir im Leben widerfuhr und wie ich damit umgehe. Selbst wenn es ausweglos scheint, selbst wenn die Restkilometer irgendwie nicht ausreichen, bis man wieder aufladen kann – in solchen Momenten laufe ich seltsamerweise zur Höchstform auf. Und häufig half mir da die Physik. Im esoterisch-spirituellen Sinne: das Karma. Vielleicht auch ein Gott, wer weiß. Das ist auch das Urvertrauen, das ich der Welt, dem Universum und seinen Kräften gebe, weil es unangreifbar ist. Und selbst wenn wir als Menschen uns daran vergreifen, weil wir sie angeblich vollständig verstanden haben wollen, gibt es immer noch eine höhere Macht oder Kraft, die uns am Weiterkommen hindern. Unsere Arroganz, alles kontrollieren zu wollen, um selbstsüchtig daran zu wachsen, wird von dieser höheren Instanz immer gebremst. Immer.
Dass sich bei mir trotz dieser Erkenntnis eine sozialphobische Abwehrhaltung eingeschlichen hat, mag an der Angst vor deren ausgeprägten Machtansprüchen liegen. Allzu häufig wird zuerst abgesteckt, wer die Hosen an hat. Im Job, auf der Straße, auf Versammlungen, in Grüppchen, die absichtlich oder unabsichtlich zusammentreffen. Das ist überall auf der Welt so, aber die Deutschen haben noch dieses Quäntchen Arroganz mehr drauf, das von den üblich-menschlichen Eigenschaften einen übermenschlichen Anspruch mitdenkt. Fehlerfrei zu werden, etwa. Computerhaft, der nur in reiner Logik agiert, so kann doch der Mensch auch werden, wenn er sich nur mehr anstrengt. Sind Grenzen erreicht, werden noch mehr Anstrengungen bemüht, bis letztlich alle externen Kräfte oder eben die allerletzte Reserve von Benzindämpfen das Fahrzeug nicht mehr antreiben kann. Ähnlich funktioniert die Psyche, die dann irgendwann komplett dicht macht.
Nicht selten wiegelt man ab, sagt, man müsse nur die eigene Einstellung dazu ändern. Dann wird’s schon klappen mit schonendem Fahren, dass man eben nicht irgendwo im Dunkeln steht, die Maps-Kilometer gegen den Bordcomputer aufrechnen und sich irgendwie das Erreichen der Tankstelle herbeimogeln muss. Dass aber nicht ich vorher am Steuer saß, sondern all die Selbstoptimierer, die in die falsche Richtung denken und so mit Bleifuß die Wirtschaft leerfuhren, auf der linken Spur im Dauerlichthupenmodus, nur um fünf Minuten vor anderen anzukommen.
Sie sonnen sich dann in dieser Fünf-Minuten-Zeitersparnis und prangen es als neuen Weg für alle an. „Ihr könnt das auch! Ihr müsst es nur wollen!“, rufen sie dann. Vielleicht kommen Ihnen jetzt Assoziationen hoch: damit kann der Autor doch nur die Reichen, die Chefs und Erfolgreichen meinen. Ja, das auch, aber eigentlich meine ich jede und jeden, der/die meint, anderen einen Weg aufzuzwingen, den man selbst gar nicht einschlagen kann. Also meine ich auch die, die jetzt Verzicht predigen. Selbstverzwergung, sich deindustrialisieren, weil das besser für alle wäre. Ich habe zwar nichts gegen Verzicht, aber was man uns da jetzt aufdrücken will, ist im Kern nichts anderes wie die Tellerwäscher-zu-Millionär-Karotte. Wird ganz toll werden – für dich und für uns alle, wenn man es nur beginnt. Nur mit dem Unterschied, dass sie noch gar nicht wissen, ob es ganz toll werden wird. An „Progressiven“ merkt man etwa sehr schnell, dass deren Verzichtsaufrufe schon daran scheitern, wenn ihnen der Saft am Smartphone ausgeht. Wie wollen die denn überleben können, wenn wir wieder mehr wie im Mittelalter leben würden, gleichzeitig digitalisiert werden sollen und jede Möglichkeit nutzen, uns selbst pyhsisch zu transformieren?
Momentan passiert nur Mist. Wenn die Hypermoral die richtigen Probleme benennt, denkt er nur leider zu pauschal und lässt alle mitleiden. Reichen das Oberwasser abzugraben ist ja per se mal nötig, aber werden dann Gesetze beschlossen, die alle zur Kasse bitten. Klimaschutz geht alle an – von mir aus, aber bitte nicht auf dem Existenzrücken jener, die sich keine Spritschleudern leisten können. Und schon gar nicht müssen wir Waffenlieferungen und Kriegsgerät befürworten, wenn sie alleine schon unter dem Aspekt des Klimaschutzes der schlimmste anzunehmende Fall bedeuten. Mit all diesen Widersprüchen und Doppelstandards leben zu müssen, ohne schuldig zu sein, ist per Definition schon undemokratisch. Und sehr stark Burnout-fördernd.
Das soll jetzt keine Verharmlosung des Verlustes von bekannten und geliebten Menschen bedeuten. Dass ausgerechnet so etwas beim Nachbarn für den geistigen Kontrollverlust verantwortlich ist, ist zu berücksichtigen. Derweilen muss ich mir zuhause anhören, dass der Sohn eines Kollegen im Betrieb meiner Partnerin sich kürzlich ebenfalls suizidiert hat. Mein Vater ist ein wenig zu früh verstorben. Mein Onkel dito. Der Krebs ist schon ein Arschloch sondergleichen, aber wenn Menschen nichts mehr Lebenswertes sehen, ist das noch mal etwas besonders Besonderes. Und es scheint sich zu häufen. Ein westliches Land, das so etwas begünstigt, sollte sich schleunigst selbst auf die Finger klopfen – aber da ist nur ein „Weiter so“, übelster Zynismus, der sich in zu vielen Situationen zeigt, und der Freitodgedanke ist wohl die allerletzte Option, die sie sehen.
Vielleicht, weil sie nicht auf die Physik vertrauten. Das Karma, das in ihrer Ungeduld und auf dem Weg ins Verderben noch nicht eingetreten war – weil alle anderen dafür gesorgt hatten, dass es noch nicht griff. Das ist der menschliche Einfluss auf die natürlichen Heilkräfte; sie werden taub gestellt, stumm geschaltet. Und solange der Mensch noch den Einfluss seiner selbst auf die Geschicke leiten kann, wird er sich mächtig fühlen, als jemand, der der Welt seinen Stempel aufdrücken kann. Es ist also bald keine Einstellungssache mehr – kein „selbst schuld“, sondern andere, die dich vielleicht in voller Absicht bis an den Punkt getrieben haben. Dann hat man eventuell sogar Verständnis für diesen letzten Ausweg.
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epikur (ZG Blog) (Samstag, 07 Oktober 2023 10:52)
Auch auf die Gefahr mich zu wiederholen: man kann diesen kafkaesken Wahnsinn nur mental, emotional und körperlich überleben, wenn man sich Freiräume schafft. Wo man Lebensfreude, Neugier, Liebe und Lebenslust erfahren kann.
Mir hilft beispielsweise die Arbeit mit Kindern sehr. Diese authentische Lebensfreude und das im "Jetzt leben" steckt mich an. Erwachsene sind häufig nicht nur viel zu verkopft, sondern auch schon mental völlig durchgebraten. Zuviel Tagesschau, Drosten, Böhmermann, Lauterbach und Bundespressekonferenzen.
Pascal (Samstag, 07 Oktober 2023 23:57)
Ich weiss nicht, ob man uns noch die Tellerwäscher-zum-Millionär-Karotte vorhält; eher ist es doch so, dass man uns seit sicherlich bald einmal 20 Jahren erzählt, dass wir den Gürtel enger schnallen müssen, dass es uns schlechter gehen wird als zuvor, Jahr für Jahr für Jahr. Das ist doch der gesellschaftliche Usus.
Kann sich noch jemand an Zeiten erinnern, wo es den Menschen jedes Jahr ein wenig besser ging? Als es jedes Jahr ein wenig mehr Lohn gab, vielleicht mal etwas mehr bezahlten Urlaub? Zeiten, in denen nicht immer alles nur teurer bis unerschwinglich wurde, sondern in denen die breite Bevölkerung an Dingen partizipieren konnte, die zuvor nur der Elite vorbehalten waren?
Das gab es mal, allerdings war das weitestgehend vor meinen Lebzeiten.
Nicht nur sind diese Zeiten offensichtlich unwiderbringlich vorbei; es wird auch noch so getan, als wäre es gut so.
Stellt man sich nämlich heute hin und sagt, dass es einst Zeiten gab, in denen ein Einkommen für eine 4-köpfige Familie samt Auto und Urlaub locker ausreichte, entblösst man sich damit nämlich in diesen Tagen als Sexist und Chauvinist, der es gut fände, wenn man die Frauen weiterhin zuhause am Herd und bei den Kindern geparkt liesse.
Schon gemerkt?
Es ist nicht so, dass es schlecht wäre, dass eine Familie schon mit einem Kind und ohne regelmässigen Urlaub 2 Einkommen benötigt um irgendwie so halbwegs über die Runden zu kommen.
Nein i wo! Das sehen wir nur so negativ, im Gegenteil ist das doch ganz toll; denn nun können sich die Frauen endlich voll und ganz beruflich entfalten und sind nicht mehr länger zum Heimchen am Herd degradiert!
Sorry, das war Sarkasmus.
Ich denke nicht, dass uns noch jemand vormachen will, dass wir wirklich etwas erreichen können. Hier hat sich das besagte neoliberale Dogma bereits zu sehr enttarnt, als dass hier noch die Massen drauf anbeissen würden.
Es ist vielmehr so, dass man uns ganz zynisch auf düstere Zeiten einstimmt, und das sogar ohne wirklich gute Gründe, ohne eine 'gute Sache', die es wert wäre, zumindest vorübergehend zu leiden.
Wenn sich angenommen jemand die Mär von der unbedingten Unterstützung der Ukraine als sinnhafte Begründung für die eigene Misere anheftet, ist demjenigen vermutlich ohnehin mit nichts mehr zu helfen. Die meisten werden sich über kurz oder lang in Agonie ergeben und erdulden, was mit ihnen gemacht wird.
Und danke Epikur für dein Mutmachen, immer und immer wieder. Ich weiss, du hast recht, aber es fällt schwer; immer schwerer, die Realität wird immer weniger unterdrückbar, sie zwängt sich durch jede sekundenandauernde Leere wieder ins Bewusstsein, leider.
Polemicer (Montag, 09 Oktober 2023 06:45)
@epikur
Auch ich wiederhole ich gerne mal in meinen Ausführungen, wenigstens macht man sich dadurch deutlich, dass man selbst sicher genug ist, die Aussagen zu stützen und nicht zu stutzen. Und man hat so die Basis, sich die Freiräume besser zu einzuplanen.
@Pascal
Die Tellerwäscher-Karotte habe ich auch nicht explizit gemeint, sondern auch das Verzichtsdenken, das man uns jetzt vorsetzt. Das ist genauso dogmatisch wie das Neoliberale, nur eben in der Umkehrung der propagierten Lebensziele. Vorher war´s noch: "Du kannst alles erreichen, wenn du dich nur genug anstrengst." - heute: "Du kannst für alle und den Planeten was erreichen, wenn du dich nur genug anstrengst."
Beides völliger Humbug, weil kaum oder gar nicht schaffbar. Es ist schlichtes All-In mit der Gewissheit, dass wenigstens etwas hängen bleibt.