Ich weiß gar nicht, wie ich das richtig beschreiben soll – aber das Karma beglückt uns immer kurz vor unserem Sommerurlaub mit so vielem, das man als Hirnhypothek mitnehmen wird. Keine Ahnung, ob das nur an uns liegt, aber es passieren dann im Sommerloch und direkt danach so viele Dinge – politisch, gesellschaftlich, privat – als könne die Nation ihre Ferien und Auszeiten überhaupt nicht mehr positiv ausleben.
Es ist diese ominöse Teufelsspirale (Olaf Scholz kann davon ein Liedchen singen), in die man zu geraten scheint, und man denkt sich in einem Anflug von ironischem Erstaunen, Deutschland weiß zwar noch um die heilende Wirkung von Urlaub oder Ferien, sieht sie aber mittlerweile als Routinebrecher und damit als nicht mehr wertschöpfend an. Soll heißen: Man vermisst seine eigenen Anfälle von Empöritis und den gewohnten Blutdruck von 200 zu 120, der man am Strand oder sonst wo ja versucht zu entfliehen oder auf gesundes Normal herunterzufahren.
Kaum ist man von den Seenplatten oder von der Adria zurückgekehrt, bezieht sein Büro und macht sich wieder zu den Kunden auf, ist man schneller wieder auf Level, als der Bedarf nach Ruhe zulässt. Die Routine des Chaos ist wieder zur alltäglichen Essenz geworden, der Arbeitsalltag hat uns wieder, und wenn man wieder voll drin ist, nimmt man auch die Scheißlaune seiner selbst und anderen wieder mit hinein, anstatt mal etwas völlig anderes zu versuchen. Mit Freude an etwas zu gehen, Verhaltensweisen zum Guten, Hoffnungsvollen zu ändern – so etwas scheint in Beruf und im Diskurs heute nicht mehr denkbar.
Das ist natürlich etwas pauschal ausgedrückt, aber es wie so oft eine Tendenz, die sich immer mehr ausbreitet. Man muss schon Sonderschichten in autogenem Training eingelegt oder sich sonst im Denken so konsequent eingehegt haben, das in seiner Gesamtheit nicht an sich heran zu lassen. Nur gibt es heute kaum noch etwas, in das man sich effektiv flüchten kann, wenn man selbst dort mit Warnhinweisen, Fingerwedlern und Rassismusvorwürfen hirngefickt wird, wo man das nie für möglich hielt. Was mal überhaupt kein Thema war, wird heute mit Bullshit-Bingo-Volltreffern des 21. Jahrhunderts belegt. Es fehlt nur noch, das Wörter wie „und“ rassistisch sind. Und sowieso alles, was „recht“ und „rechts“ im Wort hat. Rechtsanwalt, Rechtsverkehr, rechtsdrehende Joghurtkulturen, das Recht...
Und es wird wirklich jede Banalität politisiert, mit Zweifelhaftigkeit bedacht, extremisiert. Wer jetzt nicht explizit auf TwiXter unterwegs ist, dem wird das und anderes zwar entgehen, aber werden entgeistert dreinschauen, wenn ihnen das irgendwann mal unterkommt. Und aktuell kommt wieder einiges – wenn nicht alles – komprimiert hoch. Ich wage nur schnell einen Blick hinein, und du stehst vor allen möglichen Hashtags. Ja, sogar #Covidisnotover trendet wieder. Digga, die geben nie auf...
Wenn man sich mal für zwei, drei Wochen selbst entlassen und sich noch eine Urlaubsreise leisten kann, wird man unweigerlich und, je nachdem, wie nachtragend man ist, von zwei Wochen Tapetenwechsel nicht automatisch gelassener. Ich denke, allen, die sich im Hamsterrad befinden und nicht schon überzeugt die innerliche Kündigung geschrieben haben, wird erst nach einigen Tagen die Last der Routine im Hirne vernebeln und unwichtig werden. Andere werden gar keine Ruhe finden, und wenn man noch so blöd oder existenziell abhängig davon ist, das Geschäftshandy oder den Labtop ins Reisegepäck zu stopfen, ist an Abstand gar nicht mehr zu denken.
Ich mag jetzt gar nicht den gefallenen Engel an die Wand malen, aber die Auszeiten scheinen immer wirkungsloser zu werden, je übergriffiger ein Staat werden will. Er pflanzt Dinge ins Gewissen, er trifft Entscheidungen zu eigenen Lasten – wie kann er da noch erwarten, dass man sich mit ihm identifiziert? Das kann man wohl nur, wenn man völlig realitätsbefreit an bessere Zeiten glaubt, die man selbst auf den Weg bringt. Selbst wenn das Bessere nur noch schlechter wird, redet man sich ein, dass es eben nur Zeit bräuchte und man durch Wiederholung und Sturheit irgendwann das Bessere herbeiführen wird. Wäre schön, wenn es so wäre, aber es bräuchte wenigstens Anzeichen und Effekte, die das bestätigen.
Da ist aber nichts. Wenn man sich die Hochtechnologie herbeikaufen muss, ist das kein Erfolg, sondern das Herbeibiegen des Erfolgs, und der kostet mehr als er einbringt. Für ein paar tausend Arbeitsplätze gehen dagegen gerade zig tausend den Bach runter. Ähnlich das Selbstbestimmungsgesetz – für die Besserstellung ein paar weniger stellen wir andere schlechter oder drohen ihnen, bloß nicht ihrerseits wieder eine Besserstellung einzufordern. Man stattet sie mit staatlichem Schutz aus, droht den anderen, und heute reicht nur ein zweifelnder Gedanke oder Meinungsäußerung zur Sanktionierung.
Wenn du dem nicht permanent ausgesetzt bist, am Strand liegst und chillst, denkst du ernsthaft darüber nach, dort liegen zu bleiben. Dem Alltag, dem Beruf und dem Staat den Mittelfinger zu zeigen. Klar – so einfach ist das alles nicht. Ohne Netz und doppelten Boden wird das kaum möglich sein, und die gedankliche und existenzielle Abhängigkeit wird uns schon wieder nach Hause treiben. Trotzdem wäre es mal geil, die Chance zu bekommen, es so zu tun wie die Schlüsselindustrien: bei Bedarf abwandern. Macht euren Scheiß doch alleine, wenn ihr denkt, dass ihr es besser könnt. Wenn ihr denkt, ihr könnt auf einen Großteil von Menschen verzichten, weil sie euch im Gefühlszentrum quer liegen, dann können wir auch wegbleiben.
Das wär´s doch. Einfach die Zelte abbrechen, wenn es nur möglich wäre, sich außerhalb der Grenzen an den Strand legen und zuschauen, was zuhause passiert. Dann haben sie zwar alles und alle, die sie als demokratiegefährdend und übel und ganz böse betrachten, weggeekelt. Aber dann wäre ich wirklich sehr interessiert, wie sie in ihrem Reinheitsstaat zurechtkommen wollten. Sie haben zwar schon die ersten Realitätsschocks hinter sich, aber sie reagieren weiter korrigierend engstirnig, höchstens mit Minimalkonsens auf sie – etwa mit dem Industriestrompreis. Der Mittelstand tobt. Nicht nur, dass Energie sauteuer geworden ist, bekommt der Mittelstand vom Preiserlass gar nichts ab.
Es ist also das eingetreten, was ich zuvor vermutete. Wenn es der Mehrheit und Säulenindustrien empfindlich an den Geldbeutel geht, werden Menschen wach ob dieses Unrechts und Selektivgebarens. Nun sehen wir ja die Effekte der Vision, der höchstens moralisch Nutzen generieren würde. Beim Geld allerdings bleiben nur harte Kosten. Sondervermögen. Bankrotterklärungen. Niemand mehr außer die Entscheider selbst redet diesbezüglich davon, auf „einem guten Weg“ zu sein. Nur ein paar wenige Visionsgeplagte, die es lustig finden, wenn man Frieden will und im zweiten Atemzug die selbstzerstörerische Kraft der falschen Ideale verhindern will. Man könnte sich natürlich weiter über diese Hochnäsigkeit aufregen, aber wäre ich dafür, es so zu tun, wie ich es letztens nachgelesen hatte: wir sollten uns nicht mehr empören, trotz der Gefahren für unseren Wohlstand. Wir sollten uns unsererseits lustig über sie machen, gerade auf den Wahlkampfveranstaltungen und öffentlichen Auftritten. Und wir sollten ein wenig Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte haben, die zwar nicht verhindern, dass die Regierung gleich morgen weg wäre, aber uns in den drehenden Wind stellen und die Defensivhaltung aufgeben. Und lachen. Sie selbst verächtlich machen. Nase hoch, Brust raus und ein herzliches Ha-ha.
Mit einer positiven Grundhaltung, seinen Job zu lieben und sich schon auf den nächsten Morgen in der Firma freuen – das ist für die meisten nicht mehr drin. Ich kann es sehr gut nachvollziehen und bin auch selbst so drauf, kann höchstens noch hoffen, dass man gute, produktive Tage erwischt, die man auskosten kann. Dann aber nicht hoffen, dass es am nächsten Tag auch so sein würde, denn oft steht dem etwas dazwischen. Hürden in den Aufgaben; Launenhaftigkeit vom Kollegium, die man dann selbst abkriegt; die Stoffel-Kassiererin im Supermarkt; irgendwer, der dich auf der Straße anrempelt und die Welt hasst; politischer Alarmismus.
Vielleicht sind sie ebenso in dieser Routine des Chaos gefangen, oder sie sind sogar der Auslöser. Im Einzelnen wird mir die Spurensuche zu komplex, aber es reicht auch, mittendrin sein zu müssen. Und deshalb erträgt man es. Bleibt nur noch die Ungewissheit, wann es einem zu viel wird.
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Publicviewer (Sonntag, 27 August 2023 15:02)
Wovon träumst du eigentlich?
Es ist schon lange viel zu viel. auch schon vor Corona!
Polemicer (Sonntag, 27 August 2023 17:47)
@PV
Ich muss mir deine destruktiven Ansichten sicher nicht aneignen. Mit Gemoser kommt man auch nicht weiter.