Mit aufgeschnittener Kehle und noch halb im Narkosedelirium lässt es sich zwar nur mit etwas Einschränkung denken, aber ich habe doch Bock darauf, mein Wochenpensum zu erfüllen. Also, ja, ich lebe noch, und ja, alles lief, so wie es ausssieht, wie geschmiert. Dort, wo zuvor noch eine dicke Beule herausragte, hängt da jetzt nur noch ein Hautlappen den Hals herunter. Zwei Tage musste ich im Patientenzimmer ausharren, aber als die Visite eintrat und ich als Subjekt der Begierde zur morgentlichen Beschau wurde, blickte ich nur in mordszufriedene Gesichter, die mir dauergrinsend ständig Däumchen hoch anzeigten. Alle ziemlich (selbst)zufrieden, was mich wiederum sehr beruhigte. OP geglückt, alles verlaufen wie geplant, bis jetzt keine bösen Überraschungen im Nachgang erlebt – und so durfte ich nach zwei Tagen schon wieder nach Hause.
Im Zimmer war noch jemand zugegen gewesen, den ich nun eher als Stichwortgeber ansehe. Der Patient zwei Betten weiter wurde wegen irgendeiner Magengeschichte eingewiesen und dümpelte eigentlich nur Tag ein, Tag aus, im Zimmer vor sich hin. Bewegte sich keinen Meter weg, schien alleine. Keine Angehörigen schauten mal vorbei. Er lag nur da, Oberkörper frei, in seinem Bett und schaute entweder ins Leere oder mich oder die Schwestern an. In einem Anflug von Redefreudigkeit zwischendrin musste er natürlich umgehend erwähnen, dass er schizophren sei. Tabletten nehme. Ich wäre zwar nie auf den Trichter gekommen, dass er so etwas hätte haben können (wie schätzt man denn Schizophrenie mit einem kurzen Blick ein?), aber seine offenkundige Einsamkeit hätte ein Indiz dafür sein können. Dass vielleicht in der Vergangenheit die Entfremdung der Gesellschaft geschehen war, dass er niemanden mehr hatte, an den er sich klammern konnte.
Irgendwie empfand ich Mitleid mit ihm, aber hatte nicht wirklich das Bedürfnis, einen auf gut Freund zu machen. Ich hatte genug damit zu tun, an mir selbst herumzudoktern, in mich hineinzuhören, was die OP denn für mich bedeuten würde. Bin ich jetzt irgendwie verkrüppelt (vorweg: nein)? Wie wird sich mein Gemütszustand verändern? Wir er sich überhaupt verändern? Ich fühle momentan nur den durch Pflaster beschwerten Halslappen vor mir hängen und denke an Halsketten von Thomas Anders. "Cherrie, Cherrie, Lady" in da hood. Drei Unzen Gold „NORA“ hängt an dicker Kette. Aber nein – es sind nur Pflaster, die ich im Spiegel erblicke, wo sie mir die Kehle aufgeschlitzt hatten und mir dann überdreht grinsend Däumchen hoch anzeigen. Ich lache in mich hinein bei dieser makabren Vorstellung.
Dann hast du einen etwas verwahrlosten Typen bei dir liegen, der wegen einer Magengeschichte auch noch die Klobrille entsprechend verziert. Gar nicht darauf achtet, was ihm noch in der Kimme hängen mag, noch weniger darauf achtet, dass das auch andere sehen und stören könnte. Ist einem das als Schizophrener so egal oder nicht bewusst? Da ich das nicht weiß und mich mit dem Gedanken ruhigstelle, zwei Tage später wieder zuhause sein zu dürfen, wische ich die Klobrille wortlos ab. Ich muss nicht bei ihm wohnen, da kann er Klobrillen verzieren, wie er will. Ärger? Ja, kurz. Aber was soll´s. Ich denke unweigerlich an die zahllosen Toiletten, die man in Firmen oder der Gastronomie benutzt. In denen häufig Hinweiszettel hingeklebt sind, mit diesem ärgerlichen Unterton – man möge die Toilette doch bitte so verlassen, wie man sie vorzufinden wünscht. Alternativ versucht man sich in lakonischen Sprüchen oder druckt die Klobürstenbenutzungsfibel mit Loriot-Männchen aus dem Internet aus.
Wenn man Schizophrenie nun am Toilettenbenutzungsverhalten ausmachen wollte, wäre demnach die ganze Welt schizophren, irgendwie. All die Erfahrungsfetzen mit einschließend, dass Frauen manchmal die größeren Drecksäue wären, wie manche behaupten. Gut, lassen wir das, bevor es allzu plastisch wird. Aber es reichen auch die Schilder, die dich erahnen lassen, dass nicht nur die Kranken und Verhaltensauffälligen irgendwelche Probleme mit der Klo-Etiquette haben.
Während ich noch die Reste des Narkosemittels abzuschütteln versuche, vertreibe ich mir weiter die Zeit mit Nachrichten, Blogs und Tweets. Und muss unweigerlich den Vergleich wagen, wer denn irrer ist. Der Typ zwei Betten weiter oder die halbe Welt da draußen, die krisenbelegt die Kurve nicht mehr kriegen? Natürlich sind die nächsten Umfragen im Umlauf – AfD-Gestiere. Wo? Wie? Warum? Zwischendrin die Wagenknecht-Variante für Thüringen, und ich bekomme innerlich einen Lachanfall. Warum, können Sie sich ja denken. Ich fühle mich in jeder Faser meiner Einschätzungen bestätigt und lasse sie alle weiter im Nebel stehen. Dumpfbacken. Sie schnallen es immer noch nicht. Wir hätten es ihnen seit acht Jahren sagen können. Haben wir auch. Aber... egal. Die Endlosschleife geht weiter. Baden-Württemberg jetzt auch. Scheiße, jetzt auch noch die Wessis. Ganz klar: jetzt ist ganz Deutschland Nazi.
Dazu gesellt sich jetzt noch die neue Variante Corona-Panik, heute mal mit Klima. Unser aller Freund Karlchen macht dazu wieder den Vorzeigewarner und sich selbst zum Affen. Fliegt in der Sommerpause nach Bologna, macht dort Urlaub, kann es aber bei eitel Sonnenschein nicht sein lassen, sein Urlaubsland mit Klimapanik zu belegen, weil er mal wieder Berichte und Studien nicht richtig liest. Jetzt haben auch die Italiener mal erfahren, was wir drei Jahre lang ertragen mussten, sind aber wenigstens nicht so blöd, sich das einreden zu lassen. Deutschland: komm endlich zur Besinnung oder wir brauchen dringend Sonderlieferungen an Psychopharmaka. Vorrangig adressiert an die Grünen-Parteizentrale, Willi-Brandt-Haus, das Bundesgesundheitsministerium und das ARD-Hauptstadtstudio/Heute-Journal. Derweilen kriegt Karlchen von den Bergamo-Gebeutelten eine gewischt, sehr souverän sogar. Ich feier das so hart, das können Sie mir glauben.
Bleiben noch einige Sommerloch-plus-Bonusloch-Geschichten übrig, die du mittlerweile nur noch ins Sammelalbum des Wahnsinns einkleben kannst. Obszöne Eisschleckerei und ein linksextremistisches ACAB-CSD samt Bundesinnenministerin in bester Freibadlaune. Eine Uni „cancelt“ die Skulptur eines „gebärfreudigen Beckens“. Ich kann nicht mehr. Mir steigt das langsam zu hoch. Entweder geht die Welt bald am Klima zugrunde oder an diesem kollektiven Wahnsinn, der noch am Harmlosesten in einem Mangel an Medikamentation Klobrillen verziert. Und selbst da muss ich noch überlegen, ob ich die arme Type eher ertragen will als diese „gestandenen“ Figuren, die sich intellektuell schimpfen und weit mehr kaputt machen als ein armer, einsamer Tropf am Tropf, der wohl nicht mal richtig bemerkt, dass er alleine ist.
Warum tun wir uns das eigentlich noch an? Den ganzen Schwachsinn kommentieren und uns empören und darüber neunmalklug philosophieren? Weil es so unwirklich erscheint. Die Sphären des Erfülltseins verlässt, eine Stimmung von Niedergeschlagenheit erzeugt, eine Entkernung des Lebenswerts befördert. Und was sie uns als Austausch anbieten, sieht noch schlimmer aus, fühlt sich noch schlimmer an. Man liest davon auch bei den Blognachbarn, die selbst nicht mehr wissen, was da gerade über uns schwappt. Eine seltsam-gefährliche Mischung einer „besseren Welt“, bei der ich allerdings weiß, dass ich die nicht adaptieren will. Dinge, die früher als unanfechtbar definiert waren, werden gerade in den Grundfesten erschüttert. Und eine Zeit lang sah es so aus, als ob alles zusammenstürzen würde. All die Gewissheiten, das, an was man sich bisher klammerte, die Sicherheit boten, ein Lebensplan, der bisher immer aufging. Heute nennt man das plötzlich Kulturkampf. Als hätten wir auf Basis einer riesigen Lüge Zufriedenheit empfunden, hätten die schlechten Dinge zu sehr vernachlässigt.
Natürlich befördert das eine Depression. Nicht nur meine eigene, sondern die kollektive. Die Sprüche, sich selbst zu belügen und zu beruhigen, ziehen bald nicht mehr. Und doch, in dieser Trostlosigkeit, sich an die Wand gedrückt zu fühlen, glaube ich auch fest daran, dass sich nun etwas wieder richtigstellt. Viel zu langsam, immer nur vage und mit vielen Rückschlägen, aber dies ist nicht mehr die große Fassungslosigkeit, mit der wir uns zu Corona ausgesetzt sahen. Diesmal wissen wir, dass diese umgestülpte Weltsicht nicht mehr alle so mittragen oder ertragen. Diesmal wissen wir, dass dieses ganze „Rechtsnazischwurbler“-Geblubber nicht mehr dieselbe Wirkung entfaltet. Der Storytwist kann kein zweites Mal überraschen.
Mir ist bewusst, dass ich zu viel Zeit habe, mir darüber Gedanken zu machen und in der Sackgasse der Ausweglosigkeit den Ist-Zustand zu kommentieren. Wären wir noch im Corona-Modus gewesen und hätten keine neuen Krisen und Kampagnen zu schlucken, würde ich dem spätestens jetzt zustimmen. Doch laufen schon die nächsten Großprojekte des Totalitarismus an, und die Schnittmengen mit Corona sind viel zu offensichtlich, dass man jetzt abwinken könnte und alle Fünfe gerade sein lassen dürfte. Nein, diesmal ist es gar eine Nummer größer, und da kann ich sogar verstehen, wenn man nach dem 3-Jahre-Kraftakt keine Lust mehr auf Kampf hat. Es ist schlicht die Rückkehr zum Wahnsinn, den man einzuhegen versucht.
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Pascal (Samstag, 22 Juli 2023 18:55)
Schön, dich zurück zu haben!
OP per se ist nicht schön, aber wenn man an deren Ende wenigstens noch nen schönen Propofol-Fentanyl Flow hat, sieht man vieles, zumindest für ein paar Stunden, etwas lockerer.
Im Italienischen sagt man (Urheber mir unbekannt): 'se non è vero, è ben trovato'
sinngemäss: Selbst wenn es nicht wahr ist, hat es sich jemand gut ausgedacht.
Wenn ich 'Bonusloch' lese, kommt bei mir der Verdacht hoch, dass da irgendwelche Verlage von Schundromanen auf dem intellektuellen Niveau von 'Dr. Stefan Frank - Der Arzt, dem die Frauen vertrauen', ihre Talente und Fachkenntnisse neuerdings an Genderaktivisten untervermieten.
Wenn das die Realität ist, wär's wirklich am besten, sich gleich permanent an den Fentanyltropf anschliessen zu lassen.
Polemicer (Dienstag, 25 Juli 2023 07:15)
@Pascal
Danke für den netten Empfang :-)
Also, ich sehe das Bonusloch-Gedöns bald nicht mehr nur als Einzelphänomen, es passt einfach in diese kollektive Verkopftheit, die unterm Strich nur Schwachsinn zur Folge hat. Ich weiß nicht, ob ich dann noch um den Tropf betteln will oder lieber das Popcorn auspacke. Wenn man das abstrakter betrachtet, ist es ja schon verdammt lustig...