Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendein Landstrich zum bundesweiten Hysteriehöhepunkt werden würde. Da haben sie sich doch so sehr angestrengt, sich zu distanzieren, zu brandmarken und jedem allen Anstand abzusprechen, sollte auch nur der Gedanke aufkommen, sich in irgendeiner Weise pro AfD zu entscheiden – und jetzt das. Da entscheiden die sich auch noch mehrheitlich dafür, einen Landrat entsprechend zu wählen. Schande. Geht gar nicht. Alles Nazis.
Und wie immer kann ich das nur noch abseits als Genugtuung empfinden, wenn die selbst definierte Demokratie anno 2023 sich in rhetorisch totalitärem Angemahne verliert und sich dann völlig aufgelöst gibt, wenn man das eigene, abzusehende Symptom betrachten muss, wie die Saat aufging und wie sie gedieh. Gibt´s ja gar nicht. Wie kann das nur sein?? All die dumpfen Sprüche und Vergleiche, die man jetzt heranzieht, klingen immer noch wie Selbstverleugnung vor dem eigenen Versagen. Jahrelang versuchte man sich in derselben, schnöden Taktik, und selbst wenn es sichtbar wird, wie wenig das gebracht hat außer das Gegenteil, übt man sich immer noch im Sündenbockgeschiebe, das wirklich jeden als Schuldigen identifiziert haben will außer sich selbst.
Wir sind jetzt im Zeitalter, wo das Bashing á la „Ich bin ja kein Nazi, aber...“ zu „Du bist ja kein Nazi, aber...“ geworden ist. Von Selbstentlarvung zu Fremdbestimmung gewandelt, definierst du dich heute kaum noch selbst, sondern wirst definiert. Durch Verdachtsmomente, Indizien, Konjunktive. Nichts wirklich Greifbares. Doch es reicht schon aus, den politischen Diskurs derart zu bestimmen, dass ein Weißer schon rechts ist, weil er weiß ist. Na ja, es ist schon zur Genüge durchgenudelt worden, aber man gießt ja eigentlich nicht noch ein zweites Mal Öl ins Feuer, weil durch das erste Mal die Flammen höher flackern. Während dann die Flammen schon die Bäume erfasst haben, gackert man jetzt schrill in einem Mix aus Hypermegaentsetzen und dem schon lange überfälligen Groschenfallmoment nach der Feuerwehr – ja jetzt ist sogar die einzig realistische Alternative Wagenknecht und ihre Hängepartie um eine etwaige Parteigründung. Ausgerechnet die. Man wollte das doch alles alleine machen, weil es doch so viel besser weiß... hrrrmpffff.
Natürlich ist das nur ein Thema von vielen, und mittlerweile geht gar nichts mehr ohne dieses Links-rechts-Gerede. Irgendwas mit Moral muss immer mit reinspielen, und ich bin dieses Moralgeplärre so dermaßen satt – vor allem wenn es auch noch definieren will, was richtig sei. Wobei „richtig“ allzu oft „vermeiden“ bedeutet, vielleicht auch „tilgen“, neudeutsch „canceln“. Wer Schlechtes völlig dezimiert, ist moralisch wertvoll, mit Prädikat und Bundesverdienstkreuz und Grimme-Preis.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man sich nur bequem gar nichts mehr Riskantem, Gefährlichem, Unangenehmem angemessen stellen will. Vom bösen Nazi im echten Tête-á-tête über Blasen an den Füßen bis zu rassischer Paranoia vom Wandern (woran dann natürlich nur Weiße schuld sind) bis zur Angst vor Hautkrebs, weil man 28 Grad bei Sonnenschein nicht verträgt, wenn man mal in halbnacktem Fetischoutfit nach draußen zum CSD will. Die Temperaturtoleranz ist dann ungefähr so ausgeprägt wie der allgemeine Gesinnungskorridor, den man noch zulässt. Wer weiß, was ihnen noch in den Sinn kommt, um die Welt so zu verändern, dass sie ihnen genehm werden würde. Geoengineering betreiben, Aerosole in die Wolken spritzen, die Sonne mit einer Atomrakete und einem Spezial-Cocktail beschießen, damit die mal aufhört, bei uns im Sommer dreißig Grad zu fabrizieren. Ja, alles Blödsinn, was ich da rede, aber der Blödsinn wird – wie so vieles in letzter Zeit – von abwegiger Satire allzu schnell zum ernsthaften Gedanken. Bis dahin kann man die pralle Sonne ja schon mal als „rechts“ markieren und sich den Alltag erträglicher machen.
Da sie momentan so viel zu tun haben, die halbe Welt als böse zu markieren und den Textmarker zum Glühen zu bringen, bleibt mir im Grunde nur noch abzuwägen, dass es keinen Sinn macht, sich auf eine Seite zu schlagen. Ob da jetzt „Pride Month“ oder „Stolzmonat“ draufsteht, macht letztlich keinen Unterschied mehr, weil beides gleichgewichtete Kampagnen sind. Wer damit angefangen hat und wer wann was kapert, ist mir mittlerweile auch flutsch.
Natürlich passt es mir nicht, wenn die AfD momentan so derbe vom Dünnpfiff der moralgedopten Altparteien profitiert. Immerhin haben wir es mit einer mindestens stramm neoliberalen Partei zu tun, wenn sie mal nicht in Teilen als gesichert rechts gilt. Würde sich irgendwann noch der restbürgerlich annehmbare Flügel der AfD im Bund durchsetzen, müssten wir kleinen Leute uns auf wirklich harte Zeiten einstellen, auch ohne Faschismus. Und das kann mir armer Wurst nun wirklich nicht recht sein. Trotz allem will ich mich nicht auf die Gegenseite schlagen, weil die ja in Zügen genauso sorglos bis kühl-arschig drauf sind und diese Empathie-Blabla so viel Beweiskraft hat wie die Behauptung, die Wissenschaft hätte herausgefunden, dass Jesus bald reinkarniert würde. Dieser Jesus hieße dann – was weiß ich – Wagner-Gruppe, Windkraft oder die ultimative Wokeness. Diesen Quatsch mit Soße können sie ihrer dementen Oma erzählen, selbst wenn er mal nur im Anflug schlüssig gewesen wäre.
Mir will nur nicht in den Kopf, wie man von vornerein Widersprüchliches als Heiland aufplustern kann. Es ist ein ständiges On-/Off-Denken pro und kontra irgendeiner So-ists-mir-recht-Entwicklung. Kaum machen die Wagners etwas kontra Putin, sind sie episodische Helden. Was kümmern dann noch die bösen Medienkommentare vorher, in denen die Söldnertruppe als die genozidalen Bluthunde gegen die armen Ukrainer geframt wurden? Das ist alles so durchschaubar und ekelhaft fahrtwindmäßig wie ein Söder während und nach Corona. Es ist dann kaum noch verwunderlich, dass immer mehr Menschen abwehrend die Hände heben, auf dem Absatz kehrt machen und sagen: „Alter, spielt euer Theater alleine. Ich komm da nicht mehr mit, und ich bin nicht bereit, mich da jedes Mal komplett umzupolen, weil die Erzählung das gerade voll supi findet.“. Ja, auch mir kommt das zuweilen vor wie ein überambitionierter Blockbuster, der innerhalb von 90 Minuten mit mindestens drei absurden Storytwists aufwarten will und sich dann auch noch verdammt schlau vorkommt.
Wer sich aus diesem Schauspiel verabschiedet, ist sicherlich auch jemand, der sich alles Schlechte vom Leib hält. Man muss aber auch ein wenig unterscheiden können, weil die Betonköpfe lange nicht akzeptieren oder adaptieren. Sich Dinge herbeizubiegen hilft bei gewissen Dingen – bei allzu vielen Dingen – halt nichts. Mittlerweile gehe ich schon dazu über, Kindergartengruppen für intellektuell beschlagener zu halten als die üblichen Plärrbojen – und das trotz der nachgewiesenen Lernschwächen.
Kurzer Abstecher zu Twitch.
Letztens habe ich mir ein 3-Stunden-Video angetan. Halten Sie mich ruhig für rückständig, aber ich habe mich bisher erfolgreich vom Zeugentum geschweige denn Selbsterfahren ferngehalten, die Twitch-Plattform in mein Wahrnehmungsuniversum einzulassen. Ich habe zwar einzelne Storys zum kontroversen Kuchen-Blondie oder ähnlichen Influencern mitbekommen, aber das bot mir persönlich nur genug Gründe, mich bisher und auch in Zukunft von der Plattform fernzuhalten. Mir ist dieses Online-GZSZ echt zu anstrengend, was die da an Energie in ihre Scheindebatten im Ideologiekostüm stecken, wenn sie mal nicht auf Games eingehen und dann irgendwelche Grundsatzdebatten beginnen.
Davon mal abgesehen, reichten mir die drei Stunden als Zuschauer völlig aus, sozusagen das getippte Chaos aus Twitter auch mal mit echten Stimmen zu erleben. Wenn ich das richtig deute, war Twitch etwas wie die Keimzelle der virtuellen Undebatten, weil die Gamer-Empörten ja schon lange einem wokistischen Eifer erlegen sind, wo Sexismus- oder Rassismusgedöns, bevor es den Mainstream erreichte, im Special-Interest-Universum zum allgemeinen Kopfschütteln einlud. Nun kabbelten sich ein Lili (kurz für Linksliberaler, wie ich kürzlich lernte) und ein Altli(nker) um den Ukraine-Krieg. Lili, völlig vollgepflastert mit Regenbogenflaggen im Profil, dazu flankiert von zwei Ideo-Buddys, holen sich den Altlinken ins Gespräch. Es war abzusehen, wohin das führen würde, es war dieselbe Konstellation wie in den gängigen Talkshows – Verhältnis 4:1.
Der Altlinke hatte das Video im Nachgang nochmal eingestellt und sich autark darüber ausgelassen. Mich interessierte aber das Anlassvideo mehr, weil es ungefiltert die Debattenstruktur wiedergab, und dass der Lili kaum mit Argumenten überzeugte, im Verlauf auffällig laut, abwertend und diffamierend wurde, war augenscheinlich und kaum überraschend. Ich dachte schlicht, dass man allgemein völlig unbeschlagen in die Debatte ging, der Altlinke spontan als Gegenpart zugeschaltet wurde und die „Safe Space“-Ruhe der Gleichgesinnten alleine durch die andere Meinung strubbelisiert wurde. Lili war auch offenkundig schlecht informiert und musste sich spontan durch Google suchen, um überhaupt zu wissen, welche Aspekte des Irakkrieges 2003 (was dann schnell Thema wurde) denn verifizierbar ansprechbar wären. Redete sich dabei teils um Kopf und Kragen, stottert, winkt dann auch ab. Egal, Altlinker hat sowieso keine Ahnung. Man kennt es mittlerweile.
Es war wieder nur stellvertretend, und diesmal auch kontextuiert und kaum durch die Kurznachrichtendynamik zu kaschieren, dass mir die Lilis in ihrer Klugscheißerei einfach suspekter sind als irgendwelche Stolzmonat´ler. Da schwingt meine Tendenz schon ein bisschen ins Konservative, auch weil ich mir von keinem frisch aus der Uni geschlüpften Blasen-Lili erklären lassen muss, wie etwas zu sein hat. Ich denke da an meine Zeit als Mittzwanziger, da klang ich auch nicht so altklug und überdreht wie diese Regenbogen-Hans:inn:ens, selbst wenn ich mich in irgendeiner Weise gegenüber Älteren im Recht fühlte.
Heute – nun ja – da halte ich es so, wie mein geschätzter Blognachbar das mal formulierte: „Früher war ich links, heute bin ich erwachsen.“. Ist natürlich mit bissiger Ironie versetzt, aber das kann man den Berufsempörten auch kaum begreiflich machen. Zum Abschluss, abseits meiner Gewohnheiten, ein Video, das ich unbedingt empfehlen möchte und meiner Meinung nach das linke Dilemma fast lückenlos gut kommentiert (bitte bis zum Schluss schauen!).
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