Im Radio beeilte man sich, die Symbolkraft eines Absurdums abzufedern. Er hat britische Vorfahren, so hieß es in dem Kurzkommentar, in dem die groteske Szene in erträgliches Maß nachvollziehbar geredet wurde. Und so gleich natürlich eine Legitimierung mitlieferte, Campinos Auftritt beim obersten Royal von der Insel als etwas Gutes darzustellen.
So einfach kann man es sich natürlich nicht machen. Und um so mehr schmerzt es mich, solche Bilder zu sehen, in dem sich ein alternder, einst systemquerer Punkrockstar hals- und rückgratlos der Heuchelei hingibt. Für mich ist das besonders bedeutsam, weil ich die „Toten Hosen“ als meine erste Harttonband in nostalgischer Wehmut auf dem Pfad in den abgeschlossenen Elitarismus verfolgen muss.
Es darf indes nicht fehlen, inwieweit man die „Hosen“ in der Bandbreite von kontrasystemischer Musik noch als Punk definieren sollte. Vom Drei-Akkorde-Geschrammel in verranzten Locations waren sie höchstwahrscheinlich nie betroffen gewesen, auch nicht zu Zeiten des Debütalbums, das sich wenig plakativ mit politischen Ereignissen auseinandergesetzt hatte. Dem steht deren Durchbruch-Platte „Ein kleines bisschen Horrorschau“ entgegen, die musikalisch einen Quantensprung bedeutete und textlich in künstlerisch aufwändigem Gewand politische Statements aufarbeitete. Die auf „Clockwerk Orange“ basierende Hitsingle-Auskopplung „Hier kommt Alex“ wäre auch heute noch mein persönlicher Favorit, und ich bin froh, noch Teil dessen gewesen zu sein, als das noch frisch war und zu meiner musikalischen Sozialisation beigetragen hatte.
Natürlich hatten die Texte auch ein wenig Einfluss auf meine politische Willensbildung. Und doch sind die „Hosen“ keine typische „Bullenstaat“-Combo vom Schlage populistischem Extremismus weit links der Mitte, waren sie nie gewesen und hatten die letzten Reste davon Jahre später zugunsten der Zugehörigkeit zum Establishment aufgegeben. Nicht seitdem man sich im Smoking vor einem Royal bückt. Dabei war absehbar, wohin sich das mit Band hinbewegen würde, weil sie mit neueren Alben schon eher als Trendsetter für dieses unheimlich sinnentleerte Geklimpere, das heute die Radiostationen dominiert. Während Alex´ Horrorschau heute in Spartensendern noch zu Ehren kommt, servierte man dem Mainstream „an Tagen wie diesöööm“ eine phonische Worthülsenhymne mit pseudo-intellektueller Deutschtümelei auf dem Silbertablett.
Die Opel-Gang probt den Müßiggang. Ich trauere den Zeiten hinterher, in der Alex mit seiner Jugendgang dem Spießertum den Kampf ansagte, gerne auch Beiträgen mit Kultpotenzial, die man bei Bommerlunder und einem belegten Brot mit Schinken und einem mit Ei mitgröhlte. In meinem Denken sollte es nicht mal das „Bullenstaat“-Gepolter bedienen, sondern einfach nur ein bisschen zickig für eben dieses Spießertum sein. Stattdessen sackt man sich brav die Tantiemen der schlichten Hörerschaft ein, die Musik nur als Hintergrundberieselung versteht, um nicht im Büro an der bedrückenden Stille zu ersticken. Mit mehr Anspruch sollte man den gemeinen Radiohörer auch nicht überfordern. Und verbrüdert sich bis zum bitteren Ende mit den Philistern.
Der Preis ist eine deutliche Annäherung an eine Kanzlerin, die sowieso mehr linkes Denken offenbarte als ihre Partei zuließ, bevor sie sich selbst zerfleischte und das Symptom namens „AfD“ gebar. Selbstverständlich hat das anfängliche Ablehnungstheater mit der Verwendung des „Tage“-Songs auf einer Wahlparty zwischen C. und A. den Mehrwert einer künstlichen Grantelklamotte - da sind sechs Jahre eine lange Zeit vom Granteln zum Verbandeln, und schon sitzt man in trauter Zweisamkeit vor dem Insel-King. Der Weg von unbequem zu mondän war weit, aber nur noch eine Frage der Zeit.
Klar, dass man zuerst entsetzt ist, wenn Campinos von Live-Auftritten gestählter Schwabbelhals aus dem Kopfloch schaut. Aber dann kennt man auch die Entstehungsgeschichte nicht, die zu diesem Entsetzen führte; die hätte man nur wie Brotkrumen im Märchenwald ablaufen müssen. Alles aufzuzählen würde jetzt wohl zu weit führen, aber erinnern Sie sich nur an #impfenschützt und dass er am liebsten altersmilde (oder doch von der moralischen Midlife-Crisis befallen) den Grundwehrdienst nachgeholt hätte, um „unsere Werte“ aktiv zu verteidigen. Im Dienste des Staates, versteht sich. Und sich auch noch für einen nicht unerheblichen Teil Nazis stark und solidarisch zu machen, was hierzulande natürlich gar nicht geht und man in „Sascha“ den typischen Brandbeschleuniger erkannt haben will. „Sascha“ ist übrigens die Koseform von „Alexander“ und russischen Ursprungs. Und Herr Frege war schon bei der Bundeswehr, was also kein Neuland für den Halbbriten wäre, egal wie er sich jüngst als Kriegsdienstverweigerer rahmte. Da verwechselt man vielleicht auch mal das Kürzel „RAF“, statt in der „Roten Armee Fraktion“ in der „Royal Air Force“ zu landen.
Natürlich bin ich nicht beleidigt, dass man ausgerechnet diesen Namen als Nazi-Synonym aus dem Köcher zog, allerdings hätte der Anti-Nazi-Song einen üblen Mehrwert erfahren, hätte die Band den arbeitslosen Flaschenwerfer „Uwe“ getauft. Noch mal Glück gehabt. Gleich zweimal.
Auch sonst ist Campino nie wirklich als subversiv aufgefallen, also nichts mit „Haste mal ´ne Mark“, Patronengürtel oder Sicherheitsnadeln. Eher stellte er sich schon früh als der Prototyp heutiger Linker dar, die genau denselben Status inne haben – die des systemgetreuen Heuchlers in neonleuchtender Haarpracht. Also auch jener Bildungsbürger, der Klassenkampf nur simuliert und im entscheidenden Moment den Schwanz Richtung Machtetagen ein-... nein, eher langzog. Und dann auch prompt in der Hochkultur von Theater und Medien zu landen, natürlich gesättigt vom Maulheldentum, den Grönemeyer des Beethov´schen Punkrocks abzugeben und ach so bedeutungsscheinschwangere Feuilleton-Interviews zu geben. Die Gazetten lieben das abgöttisch, und dazu läuft standesgemäß der Soundtrack aus dem Vollbartmilieu, wo die Gitarren dissonantes Geklimper in stocksteifem Max Giesinger-Ambiente herunterschrubben. Da ist man doch gern die Muße, wenn sich die Konsenspampe monetär und massenhaft potenziert.
Mit Beethoven bin ich selbst nicht im Clinch. Auch mit der Frühphase der „Hosen“ nicht, auch weil ich ihnen den Einstieg in die Hartwurstmucke verdanke. Allerdings trennten sich schnell unsere Wege, der sie in die Fänge des Opportunismus trieb, mich im Gegenzug in all die gitarrenlastigen Abgründe harter Musik und subversivem Politikverständnis. Das einzige Extrem, dem ich mich jemals wirklich und vollends ergeben hatte, und heute stehe ich unter anderem auf allerlei Genres, die nicht mal einen Akkord ins Radio schaffen würden. Geschweige denn zu einer Audienz beim britischen Oberkarl.
Irgendwie bezeichnend, dass dann Brian May zum Ritter geschlagen wurde und nicht Herr Frege, der in dieser Riege von Eliten und Hochkultur trotz seiner penetranten Tuchfühlung damit nur die zweite, wenn nicht dritte, Geige spielt. Und auch mehr Kommentare einer Ekelbezeugung erntet, während man sich – und da schließt sich der Kreis – vom Radio sogleich in der Ehre gerettet werden muss. Er hat ihnen so viel gegeben, und sei es nur die Konsenspresswurstscheibe für das schlichte Hörergemüt. Und dort versammelt sich dann die Philister-Meute in ihrer dissonanten Deutschpopecke – kaum auszudenken, wenn das schon in den 80ern so gewesen wäre, als „Synthie“ noch Mainstream war und jede verzerrte Gitarre noch die Gemüter erhitzte.
Doch auch den Verzerrer haben die „Hosen“ in die Ecke geschmissen, um sich den regelmäßigen Tantiemenscheck zu sichern. Daran ist erst mal nichts Verwerfliches, aber wenn sie dazu noch die heuchlerisch-opportunistische Moral transportieren, was bis dorthin reicht, zum „Großohrenzombie“ vorgelassen zu werden, weißt du, dass deine früheren Überzeugungen, die du mit ihnen verbunden hast, für die Tonne sind. Hätte man mir das damals schon offenbart, was dreißig, vierzig Jahre später passieren würde, wäre ich wahrscheinlich den Weg meiner eigenmusikalischen Erziehung nicht eingeschlagen.
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Holgi (Dienstag, 04 April 2023 18:40)
Ich vermute, dass Pispers und Co deshalb nicht mehr auftreten, weil sie wissen, dass sie gekreuzigt werden, wenn sie es tun.
Jetzt geben sie sich jovial, sagen ihre Zeit sei eben um, wollen Ruhestand genießen, etc.
Wahrscheinlich brodelt es bei denen noch. Aber sie wissen: Es wäre umsonst. Sie würden verlieren.
Juri Nello (Mittwoch, 05 April 2023)
Ülüssü vom gleichen Album wäre auch ohne Probleme als OI durchgegangen. War der Partyschlager damals in NRW, aber sicher nicht, weil die Leute das satirisch verstanden wussten.
Von daher könnte man schon erahnen, dass sich die Entwicklung eher opportunistisch verhalten wird.
Aber die Sauf- und Gröhllieder waren halt der Bringer. Absolute Musikpropaganda.
Und ja...Alex war eine außergewöhnliche Nummer. Fairer Weise muss man wohl sagen, dass die Nummern es sogar in Südamerika geschafft haben und das der Sascha sogar von den Ärzten intoniert wurde, allerdings am sächsischen Elbufer.
Die stammmelden Heimkinder hatten es da schwerer.
Mutant77 (Freitag, 05 Mai 2023 13:39)
Es gibt von den Toten Hosen ein Videoauschnitt 2009 wo sie massiv gegen die Impfung brüllen https://www.youtube.com/watch?v=wPhkQFekWvQ
Ich hab die Hosen 83 und 87 gesehen, soweit ich mich erinnern kann war es gute Laune und Pogo. Aber mir wurden die Lieder damals zu poppig und Alex hat mich nur genervt.
Das Problem damals war, dass diese Rock Attitude "vom unverstandenen einsamen Kämpfer gegen das System" - auch von der rechten Seite gut genutzt wurde. Ich kann diese Haltung verstehen und wenn sie nicht als Antrieb gegen andere genutzt wird, finde ich sie auch nicht schlimm.
Mir persönlich war das aber immer zu jammervoll. Ich hatte deshalb Ende der 80'er vor allem den Funpunk für mich entdeckt (an dem es auch viel zu kritisieren gibt). Ich habe dieses pauschale Anklagen und Jammern das andere an etwas Schuld sein sollen, was man selbst als schlecht empfindet nie nachvollziehen können. Es muss doch grundsätzlich darum gehen, dass jeder versucht selbst sein Leben zu meistern und damit zufrieden ist.
Der Edgar von den stammelnden Heimkinder war auch nie zufrieden und ihm passierte schlimmes :-)