Es war so kurz nach meiner Downphase Mitte der 2000er gewesen. Ich traute mich allmählich wieder unter die Leute, hatte das Einigeln mächtig satt. Gleichzeitig erlebte ich eine Art zweiten Frühling mit einem alten Steckenpferd – dem Fußball. Ich schaute wieder Berichte zu meinem einstigen Lieblingsverein, ging sogar mal wieder ins Stadion, wenn der Geldbeutel dies zuließ. Ja, gar die Nationalmannschaft schob sich mir wieder in den Mittelpunkt des Interesses, und damals dachte ich noch, das könnte was werden – diese Versöhnung mit Hormon-sprudelndem Fummeln, eine alte Liebe, die nach Jahren der Trennung wieder neu aufflammte.
Nur leider war das alles nicht mehr so wie früher. Es verlief ohne die Schmetterlinge im Bauch, wo all die Nebensächlichkeiten wie das Finden von Fehlern beim Partner noch gar keine Rolle spielt. Der Fußball hatte jetzt Karriere gemacht, schaute viel auf´s Geld, und was man so an Kick- und Fick-Engagement lieben gelernt hatte, war auch nur noch ein gezieltes Versenken in das Allerheiligste für den nächsten Werbevertrag, sei es zum Angeben bei Kumpel-Mädels und -Jungs in der Kneipe oder für den einstudierten Eckfahnenjubel im nächsten Nutella-Spot. Es roch in der Zeit trotzdem nach Sommermärchen samt romantischem Dinner bei Oettinger-Bier und Kartoffelchips.
Dass ich letztlich vor der Glotze mitfieberte, hatte einen ordentlichen Genickbruch beim Public Viewing zum Grund. Die Liebe wird dann zum Martyrium, wenn Nebenbuhler und alte Lasten die Beziehung bedrohen. Die Nebenbuhler waren hierbei viele andere, mit denen man zwar leicht beim öffentlichen Glotzen in die Röhre mit kennenlernt, aber was das mit Fußball zu tun hatte, konnte ich bis heute noch nicht beantworten. Was das angeht, bin ich gerne ein Purist, der Sport nur unter bestimmten Bedingungen gut findet. Dabei stört mich das Drumherum mehr als dass es mich mitreißen würde. Damals, als ich noch im Windelalter mit Fähnchen in der Fankurve saß und langsam lernte, wie Fußball im Detail funktionierte, gab es meist nur die 90 Minuten, das Runde, das Eckige und Zuschauer als audiovisuelle Staffage. Das Spiel war mein Steckenpferd, bis ins Philosophische hinein, und irgendwann hatte ich sogar den Ruf weg, voll die Ahnung davon zu haben.
Was hieß das für mich konkret? Ich kapselte mich vom Lieblingssport recht schnell ab, als mir das Angebot an Spielen über den Kopf wuchs. Irgendwann gründeten sie die Champions League und andere Exklusivklassen für die ganz Harten im grünen Fußballgarten, und da dämmerte mir schon, dass man mir nicht in den Schritt, sondern nur an den Geldbeutel wollte. Das und die Abstiegsdepression, die ich danach sogar im Alltag selbst durchleben musste, ließ mich einen Cut machen. Mit dem Sommermärchen wollte ich wieder zurück ins Leben geküsst werden, doch war der Kuss nur ein eklig feuchter Sabberschmatzer zum Abgewöhnen. Das in Form derer, die man da so kennenlernt, die offenkundig gar keine Ahnung von der Sache hatten, sich aber aufblähten wie ein Uwe Seeler mit mega Sachverstand. Den sie nur nicht hatten. Die hatten so viel Ahnung vom Sport wie ich vom Kühe-Umdrehen, und wenn du dir dieses Fachidiotenseminar antust, bekommst du schnell Schnappatmung und Blutarmut in den intimen Teilen. Da ist nichts mehr geil daran.
Der Rudelbums hatte nur noch Nachwehen zur Folge, es schmerzt am nächsten Tag so arg, dass man sich lieber den halben Tag frei nimmt, um das Leiden zu lindern. Und mittendrin in dem Gewimmel nahm ein Märchen seinen Lauf, das heute nichts mehr mit Sommer, Liebe und Leidenschaft gemein hat. Da dominierte schon der Kult um Marken und das große Geld, nur eben noch viel größer als zu meiner ersten Trennung. Zu der Zeit war dann auch der Kaiser Franz nackt. Das rehabilitierte Märchen von Hans Christian Andersen wurde zum Sinnbild für die Dekadenz im Profiußball, mit einem platten Blatter und sehr viel Pinke-Pinke, das man sich zuschob wie Liebesbriefe im Klassensaal. So verwegen und deswegen so spannend.
Irgendwann erträgt man aber die Schwafelbuhler und Eventmitnehmer nicht mehr so gut. Da lasse ich mir von mir aus auch den Vorwurf gefallen, ein wenig prüde zu sein, aber ich stehe eben mehr auf die klassische Nummer denn auf Gangbangs, die nur schnöde rein und raus gehen und sich nur darauf beschränken, einen YouPorn-geeigneten Cumshot herbei zu rammeln. Und schon gar nicht tue ich so etwas für Geld. Also habe ich mich das zweite Mal von ihr getrennt, es ging einfach nicht mehr.
Das war 2006, wohlgemerkt. Mein moralisches Denken hatte schon länger bei dem Missverhältnis Alarm geschlagen, wo der Fußball durch die Masse der Spiele und den offenkundigen Monetarisierungswahn mit globalwirtschaftlicher Schlagseite seinen charmanten Kern verlor. In solch toxischen Beziehungen wollte ich nicht weiter ausgenommen werden, wenn du ständig damit rechnen musst, dass die Partnerin dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit ausnimmt. Den Sprung habe ich also geschafft.
Doch haben sich sehr viele solchen Beziehungsstrukturen noch lange danach untergeordnet, es sich schöngeredet – sie würden ja etwas davon haben. Doch ab einem bestimmten Punkt werden auch die Restaurantbesuche teurer, ja, gar zu einer teuren Obsession. Es reicht irgendwann nicht mehr, nur in der Stammkneipe beim Schnitzel für zehn Euro zu bleiben. Mit dem Geld wuchs auch der Wunsch, die ganz schnieken Läden abzuklappern, und ab dann ist nicht mehr das Essen wichtig, sondern der Rahmen, in dem man sich bewegt. Mit Mehr-Gänge-Menü, pro Gang kleine Häufchen Essbares, Exotisches, übertrieben Drappiertes. Viele ließen und lassen sich davon immer noch blenden.
Nun haben wir 2022, und schon die Idee für Katar waren ein Affront gewesen. Man wollte ja nicht im Hochsommer hin – zu heiß, zu sandig, zu unwirtlich. Nichts für die teuer Créme-geglättete Haut von Schatzi, aber sie wollte ja unbedingt mal hin. Zuerst ist es schweineteuer, dazu würde es kein freiheitlich reiner Trip werden, mit all den Gesetzen und Verboten, denen man dort ausgesetzt ist. Doch wie immer lockte das Geld, der Prunk, alleine der Umstand, dass einem dort ein reicher Scheich über den Weg laufen könnte. Man verwirft den Gedanken gleich wieder, bei deren Umgang mit Frauen, der dort lediglich Unterdrückung bedeutet. Und doch haben die Nebenbuhler ihrem Drang nach Befriedigung nachgegeben, hinzureisen oder sich an die Mattscheibe zu kleben. Es ist dazu bestimmt besser, wenn das TV-Bild sich auf das Grüne fokussiert und man weniger von den Frauenverachtern sieht, die um das Grün herum sitzen.
Hier hat also die „bessere Hälfte“ eine Affäre mit einem steinreichen Sack in eben solchen Klamotten. Seine Flirtkünste sind legendär, er weiß, wie man Frauen rumkriegt – um sie dann in ihrem Harem nur noch bei Bedarf hervorzukramen. Rein, raus, einmal pro Woche, vielleicht auch öfter, wenn´s flutscht. Dann aber wieder abgestellt in die Kammer der Bedeutungslosigkeit, bis man wieder dran ist. Mit Liebe hat das nichts zu tun. Man hätte es wissen müssen, wenn man schon hinreist, und man muss sich auch nicht wundern, dass man auf die Schnauze fällt, wenn man sich arrogant aufbaut und mit der Moral der westlichen Werte wedelt. Dann sollte man sicherlich nicht erwarten, dass die Scheichs einknicken und plötzlich monogam (geschweige denn feministisch) leben würden. Entweder man akzeptiert die Sachlage, wie sie ist, und hält die Klappe, oder man geht den konsequenten Weg und reist gar nicht erst hin.
Doch muss erst derart viel passieren - so viel bis zur totalen Entwürdigung einer dekadent lebenden Person, die bisher nur Vorteile und Kurzzeitbefriedigungen erfuhr, diesen Lebensstil jedoch eine lange Zeit genüsslich lebte. Wer sich vom ganz großen Geld blenden lässt, seine paar Milliönchen gegenüber streng religiös lebenden Öl-Milliardären aufwiegt und denkt, damit den Fuß in die Tür zu schieben, sollte schon wissen, auf was man sich da einlässt. Dann bleibt man eben in den niedrigeren Ligen hängen, spielt um des Spielens willen, während irgendwo da oben das große Geld fließt statt der Charme für das Wesentliche. Letztlich ist man zwar nicht reich, aber glücklich. Nur ist das im neoliberalen Westen und vor allem in Deutschland immer noch nicht durchgedrungen, der für sich so vieles beansprucht und trotzdem keine klare Kante zeigen kann.
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Publicviewer (Donnerstag, 24 November 2022 23:51)
Fußball ist ein unfaires Spiel, gespielt von Spielern die sich benehmen wie Nutten auf dem Laufsteg.
Polemicer (Sonntag, 27 November 2022 06:22)
@Publicviewer
Wenn das grundsätzlich gemeint ist, widerspreche ich dir natürlich.