Mitten im „myToys“-Laden. Ich weiß, ich bin hier zweckbedingt fehl am Platze, weil dieser Laden, in dem Werte von mehreren zigtausend Euros, aus Plastik, Karton und Stoff geformt, der Zielgruppe der Kinder vorbehalten ist. Ich stehe auch mitten in der „Baby Born“-Ecke, in der in Knallpink dem Nachwuchs das Handling ihres künftigen Nachwuchses nahe gebracht wird. Wahlweise in der „L.O.L. Surprise“-Produktpalette mit Manga-Glupschaugen, die dem Dauerbrennerduo Barbie und Ken den Rang ablaufen wollen. Dazwischen die neusten Lego-Technics-Bausätze und „NERF“-Wasserballermänner, und das einzige, was mich wiederum direkt interessieren würde: Brettspiele. Da ich aber keine Kinder habe, würde ich wohl nie aus freien oder privaten Stücken solche Läden betreten, und Brettspiele bekommt man auch woanders.
Nein, ich bin zu Höherem berufen. Also rein räumlich, nicht den Status betreffend. Ich stehe mitten im Laden, die dreiteilige Leiter im Anschlag und muss arbeiten. In der Decke, da gilt es, Mängel zu beseitigen, die ein Gutachter Wochen zuvor in einem ungewöhnlich langen Bericht aufgelistet hatte. Jetzt muss das weg. Kostet die Location viel Geld, weil die Erbauer und Errichter die Vorschriften nicht kennen oder ernst genug nahmen. Also ab durch die (abgehängte) Decke. Kollege und ich müssen uns erst orientieren, wie schon etliche Läden zuvor. Schmieden Pläne mit den Grundrissplänen – da hin und dort hin, die örtliche Lage checken und bei Bedarf Regale verschieben. Die Baby Borns und Legokisten stören nur. Wir sind beide kinderlos, und so wirkt unser Geschiebe wie die Geringschätzung von Kinderträumen. Schieben ihre „Wunschkisten“ weg, die vollgepackt mit Kleinkram sind, für die Emilie, den Torben-Finn und die und den sonst wie Heißende(n). Bestellt von den Kids selbst oder im Namen derer durch die Traumerfüllungserzeuger namens Eltern. Und wir werkeln dazwischen herum, schieben Träume weg, Regale mit darin aufbewahrten Geldwerten, die mir den nächsten Sommerurlaub finanziert hätten, hätte ich sie selbst verkauft.
Viel teures Zeug für die Kleinen. Ich fühle mich kurz zurückversetzt in meine eigene Kindheit, in den Karstadt in meiner Heimatstadt. Stand auch hier zwischen den Regalen, aber einen Meter kleiner und völlig fasziniert über das Angebot, das sich weit über meinen Kopf erstreckte. Meine Mutter hatte mir erlaubt, mir etwas auszusuchen, und da stand ich nun – starrte die bunten Sachen an, die man eher Jungs zurechnete. Matchbox-Autos, He-Man Actionfiguren, die ersten Transformers-Figurenimporte, Lego (damals viel weniger Fertigbausätze als es sie heute gibt). Heute überrage ich die Regalreihen und bin schon ein wenig geplättet ob des angewachsenen Angebots. Es sollte, gemessen an meiner Kindheit, noch ein paar Jahre dauern, bis das erste Toys´R´Us-Schlaraffenland in unsere Stadt einzieht. Und so blieb mir gerade mal der Karstadt und wahlweise Hertie, die schon immer nach dem Motto „von allem etwas“ ausstellten, aber noch lange nicht das Ausmaß eines Fachmarktes erreichten.
Abgesehen von der immer noch anhaltenden Beliebtheit der Marke Barbie, die schon eine Generation dazu trieb, auf dem OP-Tisch sich selbst zum Look-a-like umzuschnippeln, empfand ich die „neue“ Generation Puppen nun völlig aus dem Ruder gelaufen. Die oben erwähnten Glupschaugen waren zusammengenommen fast größer als der Kopf. Denke ich an die OP-Barbies in echt, wollte ich mir nicht ausmalen, wie das aussähe, wenn Kids sich jetzt an diesen Figuren orientierten und sich Augenprothesen ins Gesicht bauen ließen. Interessanterweise arbeitete ich gerade einen Tag zuvor im Nachbarladen, dem H&M, und entdeckte eine Belegschaft von Frauen, für die es völlig normal schien, sich im zarten Erwachsenenalter die Lippen aufblasen zu lassen. Natürlich denkt man an Promis wie Chiara Ohoven oder an das Barbie-Schema, die nach den Eingriffen eher wie eine künstlerisch verschandelte Parodie ihrer Vorbilder aussahen. Dazu eine mit künstlichen Wimpern, bei denen ich dachte, Theo Waigel wären die buschigen Brauen nach unten gerutscht, und sie schienen derart schwer zu sein, dass die Trägerin Probleme hatte, die Augen offen zu behalten.
Ich merke in dem Moment, dass ich mich allzu sehr von der hippen Szene entfremdet hatte. Sonst bin ich nur in Läden oder unter Leuten, die meinem Interesse entsprechen, dazu gehören nicht H&M oder myToys, in denen die Grenzen der neuen Schönheitsideale zwischen Puppen im Regal und denen an der Kasse immer mehr verschwimmen. Dieses Haute Couture-Gehabe des Klamottenladens wurde bisher nur in den Spielzeugläden als Simulation an Figuren und Puppen angeboten. Die Kids dort sind fast ausschließlich noch natürlichen Ursprungs und in der Regel mit normalem Aussehen sozialisiert worden. Aber, und das lässt sich gerne an einem Teil der Kundschaft ablesen, wird schon mal ein bisschen an ihnen herumgestylt, die die Annäherung an die Püppchen auf einen frühen Weg bringen. Muttis glitzern dabei fast noch mehr als ihre Kids, Kids sind nur bemüht bunter bekleidet als ihre Muttis.
Papis laufen dauergrinsend und stolz wie Bolle um ihr sexuelles Erzeugnis im Kinderwagen durch die Regale. Viele Papis sind es unter der Woche allerdings nicht – da zieht noch das alte Rollenbild vom Familienversorger, während die Muttis den Nachwuchs hüten. Und natürlich shoppen gehen. Zuerst durchstöbern sie ihr eigenes Klamottenparadies bei H&M, wo morgens die Kundschaft zu 95 % weiblich ist, danach bekommt das Kind im myToys nebenan leuchtende Augen. Ab und zu schauen sie aus ihren Rollsitzen zu mir hoch – aber bin ich in dem Moment uninteressant geworden, sobald die Masse an Spielzeug wieder ihren ganzen Charme ausbreitet. Wie das bunte Zeug aber auch Kinderherzen so zielgenau treffen kann - dafür vergessen sie alles um sich herum.
Zum Rollenbild noch etwas: in der Spielzeugindustrie ist alles noch sehr klassisch. Mädchenecke, Jungenecke. Nichts ist hier wirklich divers, eine „Ens“-Ecke gibt es nicht. Irgendwie beruhigend zu wissen, dass dieser woke Elfunddrölfzig-Geschlechterblödsinn noch nicht im Spielzeugland Einzug gehalten hat – dabei kenne ich noch Debatten von vor 30, 40 Jahren, als Jungen mit Puppen spielten oder Mädchen echte Jungensachen mochten und wie sich die Eltern dadurch selbst zerfleischten. Progressive gegen Konservative und der bis dahin ewige Kampf um eindeutige Geschlechterzuordnung bei Spielsachen. Auch ein späterer Blick auf deren Webseite zu Recherchezwecken entdeckt nur streng Binäres. Jungen. Mädchen. Ende. Bei den Kindern herrscht noch weitestgehend die Unantastbarkeit der zwei Geschlechter vor. Noch. Bis die Pubertätsblocker kommen und der Moment, in dem sich der Spleen woker Eltern durchsetzt und die ihren Zweieinhalbjährigen schon mal die Geschlechterwahl vorindoktrinieren.
Ich entdeckte einen der Papis, die nicht mit bemüht getrimmtem 3-Tage-Bart (hat lichtes Haar und festen Stuhl) ihre Brut angrinsen. Verlief sich in die Mädchenecke und zerrte sichtlich bemüht Baby Born-Kartons über sich aus der Regalreihe. Mami und Kind verweilten etliche Meter dahinter und durchforsteten die Aufsteller im Eingangsbereich. Papi der Typ reiches Muttersöhnchen im weißen Strickpulli und Polohemd, dazu Knackwurst-Jeans (da siehst du jedes Fettpölsterchen) und Dünnschiss-braune Wildlederslipper. Pausbacken und strenger Seitenscheitel bei einer rotbraunen Haarpracht, die mich dazu bewegt hätte, ihm mit dem Finger zum nachbarlichen Friseur zu schicken. Das auch nur als erdachte Retourkutsche zu seinem arroganten Blick, den er mir schenkte, während ich den Wetterfrosch machte, Leiter hoch, Leiter runter, Schmutzhände, Schwitzen, Räuspern wegen des ansässig gewordenen Staubs da oben. Und dreisterweise die Wege blockiere. Und dann der Kulturschock mit Knackwurst-Philipp, der wohl noch nie ernsthaft körperlich gearbeitet hat. Ich spiele mit dem Gedanken, ihm die schmutzige Hand geben zu wollen, damit er auch mal aussieht wie ein ordentlicher Handwerker.
Passiert natürlich nicht. Man wird häufig nur als Bremsklotz im anvisierten Shopping-Flow wahrgenommen. Das störende Momentum im Schlaraffenland. Natürlich ist es mir egal, was sie denken. Ich verdiene mir hier angestrengt mein Geld. Muss das tun, will das tun. Es macht mir in der Regel Spaß, auch wenn es schweißtreibend ist, auch wenn es das lästige Nachbessern alter Sünden anderer Dienstleister ist, die ihre Aufträge verloren haben, weil sie eben zu viel Scheiße gebaut hatten, die jetzt dazu führten, dass wir 42 Seiten TÜV-Mängel abtragen müssen. Das ist schon eine Bank und nicht normal.
Manchmal erwähne ich das in den Läden sogar, im H&M etwa, weil die Schicksenchefin uns ebenfalls etwas geringgeschätzt hatte. Da muss man die Bedeutung unserer Arbeit rot unterstreichen, Vorschriften, DIN-Norm, VdS, Feuerwehr. Dann sind sie ernsthaft beeindruckt und helfen, wo es geht. Wenn du das nicht erwähnst, bist du eben der Schandfleck in der bunten Shopping-Welt, die auf dem Verhältnis bester Präsentation von Mensch und Material gegenüber dem Kunden basieren. Manche nehmen das derart ernst, dass sie dich im Vorweihnachtsgeplänkel nur als störendes Glied in der Vermeidung des Niedergangs des Einzelhandels betrachten. Wie etwa der alternde Gegenentwurf zu den Schicki-Mickis bei H&M: der Geschäftsinhaber von Lederwaren und Reisekoffern. Der klassische Stinkstiefel-Chef, der seine sehr kleine Ladenklitsche mit Waren vollgestopft hat, dass man schon als Kunde Mühe hat, dort ordentlich zu flanieren. Zwängt sich quer durch die Wühltische und noch querer durch die Kofferecke, die unweigerlich dazu führt, dass man ab Schuhgröße 44 einen Trolley touchiert und Domino Day spielt. Der Inhaber der klassische Entwurf des Ekelnachbarn, der dir bei jeder Gelegenheit den Vorwurf vom Gartenzaun aus rüberspuckt, dass der Bürgersteig nicht gekehrt ist.
Dabei quälst du dich samt übermannshoher Leiter penibelst genau durch seine Trampelpfade im Laden, verlierst Zeit, weil du ständig aufpassen musst, keinen Domino Day auszulösen. Dann noch der Gartenzaun-Moment, wo er dich anpfeift, dass dein Material den Blick auf sein Schaufenster blockiert. Das stört ihn und vergrault Kunden, meinte er. Alter, du störst mich, Ekel-Alfred. Sage ich natürlich nicht. Nur ein passiv-aggressives „Okay.“, schnappe mir die Kiste und stelle sie wie verlangt woanders ab. Natürlich passt ihm mein Ton nicht, kann ich in seinem Gesicht ablesen. Mir egal. Ich hatte zu dem Zeitpunkt so viele kleine Läden abgeklappert, und da war niemand so drauf gewesen. Fast alle sehr freundlich und hilfsbereit, boten sogar Kaffee an. Ekel-Alfred war die Ausnahme, zusammen mit der Chefbarbie aus dem C&A.
Manche haben eben keinen Sinn dafür, wie anstrengend es sein kann, durch ihre Warenmüllhalden zu waten, ohne die Waren zu beschädigen. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass Malls logistischer Unsinn sind. Wenn du hinter die Kulissen musst, in die Lagerbereiche und Büros, haben die oft nur eine Fläche eines Ministudentenzimmers zur Verfügung. Müssen da ihre Lieferungen abstellen, gleichzeitig verbringen sie da ihre Pausen. Und da müssen wir auch noch rein. Leitern abstellen, hochkraxeln. Häufig bist du darinnen mehr damit beschäftigt, die Leiter sicher aufzubauen denn in der Decke Arbeit zu erledigen. In den größeren Shops wird es mit dem Zugang mitunter kreativ, Flure erstrecken sich im Hintergrund kaum ersichtlich an zwei, drei anderen Shops vorbei in den Lagerbereich von H&M, C&A oder New Yorker. Die haben auch Rolltreppen ins 1. OG und dort auch noch mal Mitarbeiterbereiche, die sich gar über ganze Gebäudeflügel erstrecken. Verwirrend, wenn man wirklich überall hin muss.
Letztlich denke ich noch über den Ist-Zustand des sich hier erstreckenden Einzelhandels. Noch läuft die Chose darin erstaunlich gut. Ich kenne die Mieten nicht, aber Malls sind regelmäßig sehr teuer. Und ich kenne die Auswüchse dessen, was passieren kann, wenn das Konzept Mall scheitert. Natürlich zu beobachten bei unseren Freunden in den US of A. Dort floriert nur noch das Phänomen der Dead Malls. Es ist der erwähnte Niedergang des Einzelhandels, der sich immer mehr ausbreitet. In „meiner“ Location ist das noch nicht so zu beobachten, aber ich erfahre von Ladeninhabern in Gesprächen auch, dass die Fluktuation der Einzelläden hoch ist. Ein Kommen und Gehen. Träume, Schäume und Abstürze. Insolvenzen und Neueröffnungen.
Mein Blick geht abschließend zur Postfiliale am anderen Ende der Passage. Dort ist groteskerweise das gang und gäbe, was man als Bedrohung für den benachbarten Einzelhandel sieht. Dort gehen die Pakete von der Post-Christel an die Kunden über, die ihre Bestellungen abholen. Für die Sofa-Shopper, die nur digital stöbern, die sich den Aufwand sparen, real shoppen zu gehen. Ein Paralleluniversum, das so viel bequemer ist und die Postangestellten mit Arbeit zuscheißt und gleichzeitig eine ganze Packung Sargnägel für diese Einkaufspassagen mitliefert. Und das in einer schon abstürzenden Kleinstadt, in der schon die kommunale Infrastruktur ähnlich verrottet, weil sie nur am Rande eines Ballungsgebietes existiert und damit der großstädtischen Konkurrenz hoffnungslos unterlegen ist.
Während ich dort gefühlt tausend Mal hoch hinaus bin, bedroht sie der Untergang, der tiefe Fall. Die Sorgen sind spürbar, aber so lange der Laden noch läuft und die Pachten bezahlbar sind, wird die Bedrohungslage noch mit bemühten Floskeln schöngeredet werden. Bis dahin kann man noch im „myToys“ flanieren gehen und Kinderherzen höher schlagen lassen. Es ist letztlich doch etwas anderes, diesen Warenhaufen real vor sich zu sehen statt ihn nur online und apathisch im Touchscreen durchzuwischen. Das kenne ich auch noch von Musik auf Vinyl, die du wie einen Schatz behandelst. Oder Kleidung, die man vor Ort ausprobierte und sofort weiß, was einem liegt oder nicht. Man hofft, dass dieses Verkaufsprinzip nicht stirbt, sieht aber auch, wie es abnimmt und zur Existenzbedrohung anwächst, weil die digitalen Monster jeden Aufwand schlagen, sich adrett in die nächste Mall zu begeben und aufwändiges Realshopping zu betreiben. Irgendwann hast du nur noch den Gang zur Post-Christel, die deine Bestellung hortet.
Das würde indirekt auch bedeuten, dass ich einen Großkunden nicht mehr bedienen kann. Wenn die Gerippe vor sich hin faulen, alles Einkaufs- und Wirtschaftsleben ins Digitale verschoben wird, ist das Dienstleistungsgewerbe ebenfalls dem Untergang nahe. Vielleicht tangiert es mich deswegen schon, über solche Erlebnisse zu berichten – quasi als alles überblickender Beobachter über die Prinzipien, die dem Einzelhandel zugrunde liegen. Und denke: wenn das verschwindet, dann verschwindet auch ein großer Teil wohlstandsbasierter Lebensqualität.
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