Zwischendrin, in diesem Chaos, das die Welt mit seinen Krisen zu ertragen hat und uns unweigerlich hineinzieht, bin ich immer noch auf der Suche nach meinem Platz darin. Es mag wirr klingen, wenn ich das so verkünde, weil „Chaos“ und „Platz“ in einem Atemzug wahrscheinlich ein widersprüchliches Bild ergeben mag, aber irgendwie bin ich der Ansicht, dass es doch möglich ist.
Es kann an mir selbst liegen, das Chaos mit den eigenen Händen zu ordnen, um mich standhaft darin festzusetzen, aber irgendwie glaube ich an den Sog natürlicher Kräfte, der aus Chaos eine neue Ordnung werden lässt. Dabei beziehe ich mich gerne auf die Erkenntnisse der Astrophysik, die immer wieder modelliert und bewiesen hat, dass aus Chaos Ordnung entsteht – früher oder später. Im Moment hilft mir meine aufkommende Phase der Sentimentalität, die ich gar nicht als belastend empfinde – das liegt auch daran, weil ich selbst und auch das Weltgeschehen ein bisschen dazu beigetragen haben, mich von einigem seelischen Ballast abzuwenden. Vor allem, wenn er nur in Sackgassen führt, in einem Labyrinth, das sich immer noch in der Gestaltung befindet und der Ausgang noch gar nicht festgelegt wurde. Der große Erbauer erfindet immer neue Irrwege, auf die man sich begeben muss, und nicht mal er hat eine Entscheidung getroffen, welcher dieser Wege denn nun zur erlösenden Tür daraus führt.
Fehlende Türen und Scheinidentitäten
Ich weiß ja nicht mal selbst, wie dieser Ausgang aussehen mag. Was verbirgt sich dahinter? Ich weiß es nicht – wie auch? Ich mache mir keine Illusionen darüber, was mich dort erwarten soll, und so stapfe ich weiter durch die Gänge, als wäre ich für diese Aufgabe geboren worden. Man kann sagen: es ist der ewige Weg des Lernens mit dem Erreichen von Oasen zur Stärkung, um den Weg weiter zu bestreiten. Man kann behaupten, dass ich mich wie der Easy Rider meiner selbst sehe, der in diesem Auf und Ab der Gefühle irgendwann auch mal Freude am Laufen entwickelt und den das Ziel ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach nicht mehr interessiert. Irgendwann sterbe ich, stoppe, verwese dort, wo mein Herz aufhört zu ticken. Mitten im Labyrinth, auf der Fahrt von Rednecks erschossen. Und ich würde nie erfahren, wie viel Weg ich denn hätte noch absolvieren müssen, um die zielträchtige Tür zu erreichen. Es wird sinnlos, darüber nachzudenken und falsche Hoffnungen zu nähren.
Der Ballast indes wird, und das wird mir immer gewisser, nie wirklich verschwinden. Es gibt keine ätzende Säure, die man drüberkippt, damit sich die Traumata, die bösen Erfahrungen, die Narben und Missstände in zischendes Wohlgefallen auflösen. Und schon gar nicht mache ich mir die Illusion zu glauben, dass ich mit einer neuen Persönlichkeit, egal wie erbaut oder erdacht, auch nur annähernd das ultimative Glück finden würde. Ich sehe da parallel eine Generation nachwachsen, die dieses Chaos erschafft und gleichzeitig zu leugnen versucht, und finde eigentlich nur die Generation der Selbstzerfleischung und Scheinidentitäten vor, die sich Tag für Tag selbst belügt. Es ist offenkundig. Sie suchen Ersatzhandlungen, sie wollen gut sein, sie wollen Helden sein, und wenn sie nicht Adonis-Körper und Charisma ihr Eigen nennen können, versuchen sie es mit Taten, die sie in ihrer ich-verleugnenden, defizitären Welt als Ausgleich als Geschenk an die Welt verkaufen wollen. Doch bringt sie ihr Eifer nur in weitere Dilemmata, etwa wenn ihr Engagement, die Welt vor dem Untergang zu bewahren, im gesellschaftlichen Kontext zu Kopfschütteln bis zum Hass gegen sie anwächst. Sie verzwergen sich somit bis zur Unkenntlichkeit und tragen diesen Zustand als Plakat in die Welt. "Bedauert uns!", "Ich will, dass mein Schmerz Beachtung findet." und ähnliche Parolen wabern als Gewissensfalle über uns.
Kann man das beneiden oder bemitleiden? Nun, wenn sie es ohne Einfluss auf ihre Umwelt tun würden, bestimmt. Sie könnten aus völliger Überzeugung in den Hungerstreik treten, aber konterkariert es deren Wille und die Wahl der Mittel, wenn man für eine halbe Stunde pausiert, um zu essen. Ihr Protest für die gute Sache wird zur Farce, wenn sie die Kunst nur instrumentalisieren und sie gar beschädigt. Es wirkt völlig unglaubwürdig, wenn sie einfach mal eine Aktion durchziehen und sich die Argumente erst später offenkundig zurecht gedacht haben. Das kann ich nicht mit innerster Überzeugung verbinden, sondern nur als weiteres, übertriebenes Mittel der Selbstinszenierung, für die fünfzehn Minuten Fame, die man als Zeitungsausschnitt ins Album klebt. Und nicht, der größeren Sache einen Dienst zu erweisen.
Ich, die Jugend und der Respekt
Ich habe auch drei Zeitungsausschnitte an der Wand hängen: zwei aus dem Kulturteil der lokalen Zeitung meiner Heimatstadt, als ich noch Musik gemacht hatte und einen von später, als ich noch sehr lernversessen meinem Hobby als Fotograf nachging, was es letztlich sogar in ein Fachmagazin schaffte. Letztes mache ich zwar immer noch, aber der unbedingte Wille, ein Profi zu werden, ist mir heute abhanden gekommen. Ich nutze nur noch Gelegenheiten und bestimmte Ziele, die Kamera wieder zu entstauben und mich auf die Motivfährte zu begeben, aber ich stehe kaum noch extra auf, um mich morgens an bestimmte Stellen zu bemühen. Momentan ist es dieser Pfad, den ich eingeschlagen habe – wohlwissend, dass auch der vielleicht bald wieder zu einer Sackgasse führen kann. Ich habe ferner noch eine Staffelei im Schlafzimmer stehen und ein Malkit im Wohlzimmerschrank, angerührt habe ich es aber seit Jahren nicht mehr. Einfach, weil der Wille fehlt. Weil ich ein Purist in der Sache bin: wenn du etwas wirklich beginnen willst, tu es ganz. Egal, ob du bald dein Interesse daran verlierst, aber erst halbgar starten ist nicht Sinn der Sache.
Zögern und Zaudern hat mein Leben viel zu lange dominiert, zu viel Trauma und Misstrauen standen im Weg, auch wenn es kaum zum Stolperstein taugte, dass es zu anstrengend würde, da drüber zu steigen. Nein, da stand ich mir oft genug nur selbst im Weg, machte aus Häufchen Berge, aus Einzelereignissen ein strukturelles Problem. Ja, ich gebe nun zu, dass ich das verkörper(t)e, was ich der Jugend heute vorwerfe. Sie und ich, wir sind an derselben Stelle verhaftet worden: im Dilemma, sich selbst oder nur andere retten zu wollen, bis zur zerstörerischen Selbstaufgabe. An zweites hatte ich jedoch nie gedacht, und das macht den Unterschied zwischen mir und ihnen aus. Und hier zieht auch wieder ein Leitspruch aus der Psychologie, dass man andere so behandelt, wie man sich selbst behandelt.
So kann ich behaupten, dass ich mich selbst immer noch mit einem letzten Rest Respekt sehen konnte, wo andere das nicht mehr sahen. Immer behielt ich mir eine Restwürde, die mir andere absprachen. Und was sie mir nicht mehr gewähren wollten, gewährten sie sich demnach auch selbst nicht. Ich kann also noch Menschen mit Würde und Respekt sehen, weil ich mir das selbst noch zugestehe. Und selbst nach diesen drei Jahren, in denen mir zwar weniger direkter Hass entgegen schlug, jedoch eine spürbare Abwertung des sozialen Status wegen Nichteinhaltung gewisser Standards. Als diese Abwälzung meiner angeblichen Defizite auf mich selbst geschah, wird irgendwann klar, dass dies nur ein Psychotrick sein konnte, der weiterführend nur der Selbstbetrug der eigenen Willfährigkeit ist. Vielleicht bin ich in meiner Unbedarftheit und Unlust, mich in irgendeine Richtung drängen zu lassen, weitaus geistig gefestigter als all die anderen – aber auch zu blöd, mir dessen Zwänge anzuhören, um mich auf irgendeine Seite schubsen zu lassen. Ich müsste vielleicht nur noch lernen, nicht jeden Schubs gleich in die Glieder oder die Denkmuster abzuleiten, der mich dann automatisch in eine Richtung laufen lässt. Dazu fehlt mir in letzter Konsequenz die Wachheit, einfach stehen zu bleiben und nicht erst später einen viel anstrengenderen Rückzieher zu machen.
Wie die Gier nach Ruhm die Aufrichtigkeit vergiftet
Bei ihnen jedoch sehe ich viele Selbstzweifel und diese Projektion auf andere. Da ist nichts mit Respekt, nur die Entmenschlichung des geistigen Gegners und die unaufhörlichen Fußtritte, liegen die erst mal am Boden. Manchmal wundere ich mich darüber, ob sie mich bzw. uns in die Steinzeit zurück denunzieren wollen, bis kein Gras mehr nachwächst – keine Ahnung, aber es ist wirklich so abscheulich, derart nachzutreten, bis auch der letzte Zahn wackelt. Diese Orgie der Gewalt war in meinem Leben noch nie ein Thema gewesen, und jetzt wird das sogar innerhalb einer Bevölkerung zum „neuen Normal“ ernannt. Und wenn man sie beim Treten erwischt, verleugnen sie immer noch ihre Mitwirkung an solchen Untaten.
Das ist für mich vielleicht noch das Schlimmste daran. Nicht die Tritte selbst, aber nicht mal den Arsch in der Hose zu haben zuzugeben, getreten zu haben. Trotz Zeugen. Trotz ihrer moralischen Überhebungen, die sie sich selbst zur Gewaltlegitimierung vorschalten, und jetzt, wo das alles in die moralische Zweifelhaftigkeit führt, wollen sie es nicht getan haben. So verlogen. So hasenfüßig. Man ist eher stolz auf diejenigen, die die Prügel eingesteckt haben und sich nicht haben verbiegen lassen. Habe ich auch nicht getan. Kurzzeitig taumelte ich noch, mich dem zu fügen, doch immer folgte eine Motivationsspritze, ungespritzt zu bleiben. Und weiter den Ekel zu ertragen. Und manchmal hatte ich das Gefühl, dass mich das weiterbringen würde. Abhärten, Lernen, mich entwickeln, und ja nicht in Starre zu verbleiben, weil man daraus nichts lernt – außer, dass Prügel weh tun. Die körperlichen wie psychischen gleichermaßen. Da bleibt nur noch die Wahl zwischen dem würdevollen Abgang (der sie massiv verärgert) oder Zurückschlagen (was ihnen mindestens so weh tut wie mir). Beides erscheint mir heute legitim.
Dabei geht es mir nicht um den Ruhm. Der ist mir egal. Wer den braucht, geht auch zum Äußersten, wenn er weiß, dass der Applaus auch folgen dürfte. Jetzt, wo der Applaus gar nicht mehr so laut durch die Gänge töst, werden sie plötzlich kleinlaut. Irgendwas zwischen „War ja nicht so gemeint.“ und „Ich war´s nicht.“. Doch, doch, Jungchen, Frauchen, Ens-chen: ihr wart es. Kann man nachlesen, und wenn man die Wayback-Machine dafür braucht. Ihr wart es. Dürstet es mir dann nach Rache, Mitleid, Handschuh ins Gesicht? Nein. Am besten, man tut nichts, außer man klebt frei von irgendwelcher Mimik ihnen und allen anderen die Aussagen ins Netz oder als großes Poster in die Fußgängerzone – das ist die beste Demütigung ever. Alles hat Konsequenzen. Alles. Jedes Wort. Jede Handlung. Ich halte mich da an die Klingonen: „Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.“.
Die zweifelhafte Macht der Wiederholung
Gut, das war dann mal Corona. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man zwar, aber ich denke, da wird bald noch ordentlich nachgeritzt. Da soll nichts heilen, es soll noch mehr verletzt werden, noch mehr selektiert, bis irgendwann nur noch der harte Kern der Hardcore-Moralisten übrig bleibt, der im Grunde nur noch dem Asketismus huldigen kann, um sich unangreifbar zu machen. Ob man so leben will, wage ich bei der großen Mehrheit jedoch sehr zu bezweifeln. Und wird auch aktuell meine Genugtuung derart genährt, weil – selbst wenn wir noch regelmäßig welche sehen – die gegenseitige Akzeptanz von der Eigenverantwortung endlich fruchtet. Es mag ein spröder Triumph sein, keiner mit Witz oder Knalleffekt, aber mir zeigt es, dass das Zusammenleben der Vorsichtigen mit den Alten-Normal-Fans auch funktionieren kann. Und meine Hoffnung wurde bestätigt, als man wieder mal im schrillen Warnton der Inzidenzen, Oktoberfest-blabla und Intensivstationsgewarne ankam, dem üblichen Sprung in der Schallplatte in den Forderungen nach irgendwelchen Pflichten zum Rohrkrepierer wurden. Eure Twitter-Dominanz war nur ein Strohfeuer. Nun seid Ihr im Hintertreffen.
Dass sie jetzt ein neues Moralthema suchen, soll mir nur recht sein. Ich sehe vor allem Corona als einen globalen Feldversuch über die Akzeptanz von absolutistischen Maßnahmen, vor allem wenn sie so schlecht austariert sind wie aktuell dieser ganze Ukraine-Russland-Mumpitz, der dazu noch nach demselben Muster angewandt werden. Die Mittelchen und Bausätze aus dem so ominösen Instrumentenkasten sind natürlich die selben geblieben, weil sie vielleicht in der Wucht erst gewirkt haben mögen – aber du weißt, wie kurzlebig der Wertewesten plant, und wenn er sogar den Ursprungsplan versemmeln sieht und die Sanktion so massiv nach hinten losgehen, macht mir das keine Angst mehr. Eher sorge ich mich, wie man den gesetzlichen Rahmen klammheimlich verschiebt. Man hat schon die heilige Bibel der Grundgesetze mit einem Sperrgitter versehen, nun basteln sie auch schon am Strafrecht herum, zu ihrem massiven Vorteil. Und du weißt, dass es vor allem für kritische Geister ein aufwändiger Akt der evidenten Relativierung bedeuten würde, vom staatlich gerahmten Vorwurf freizukommen, man würde angeblich Kriegsverbrechen verharmlosen. Schon der Umstand, die Gesetzesverschärfung heimlich zu beschließen, unterstreicht die Unaufrichtigkeit des Establishments in der Kriegsfrage und macht Deutschland gegenüber Putins Politik immer indifferenter.
Wir sind nun endgültig in die Spirale dessen gezogen worden, die ein Abdriften vom Prinzipienpaket des Vertrauens, des Aufklärens und der gelebten Streitkultur in die Peitschenpolitik von Simplifizierung, Infantilisierung und Totalitarisierung von Staatsmacht und den demokratischen Machtsäulen unwiderruflich macht. Mittlerweile kann man das übergreifend betrachten, wo die staatlichen Verlautbarungen die Richtung vorgeben, egal wie hirnrissig und selbstschädlich sie sein mögen. Es scheint schon wieder so, als wolle man mit dem Kopf durch die Wand, um nur einmal die Freuden eines Erfolges durchleben zu können, scheitert aber ständig an der eigenen Unfähigkeit, ohne dies irgendwann mal wahrnehmen zu können.
Der einzige Erfolg ist die Niederlage
Und wieder wird es einen Verarbeitungsprozess bedeuten, irgendwie damit klarkommen zu müssen. Einerseits sich nicht allzu sehr in dieses Debattenchaos allzu naiv hinein zu stürzen, andererseits die richtigen Wegmarken zu setzen, wenn man es doch tut. Und wieder mal ist die Informationslage derart dünn und widersprüchlich, dass es ein Leichtes ist, Überdenkenswertes als Gegenargument in den Ring zu werfen. Doch auch so wird wieder alles davon torpediert werden, wird im besten Fall nur ignoriert – der Rest dürfte ja mittlerweile bekannt sein. Entmenschlichung, schärfste Rhetorik in hohen Kreischoktaven, und so weiter.
Und trotzdem bin ich heute so wenig verwundert und erschrocken wie selten. Man stumpft tatsächlich ab, und selbst wenn sie immer lauter werden, kann mich deren Dauerfeuer der Empörung irgendwie nicht mehr beeindrucken geschweige denn einschüchtern. Sie haben sich selbst einen Bärendienst und mir die beste Therapie erwiesen, meine Konfliktscheu und meinen Hang, mich selbst zum Opfer zu reduzieren, endlich abzulegen. Und dem mit einer neuen Herangehensweise zu begegnen, die ihnen am wenigsten schmecken dürfte: mit Freundlichkeit, Aufrichtigkeit, Selbstvertrauen. Ich spüre diese neuen Eigenschaften sehr deutlich an mir, und ich habe kein Problem damit, mich durch dieses tiefe Tal gekämpft haben zu müssen. Denn sind Gefahren, Traumata und Fehler gar die besten Lehrmeister für das Leben, wenn man sie entsprechend akzeptiert und mit ihnen wächst, statt sie nur bekämpfen und sie in die Klagemelodie des Selbstjammers einflechten zu wollen.
So wird man viel weniger empfänglich für Fremdeinwirkung und Manipulation. Und wenn ich sehe, wie sehr einige in diese Falle der Eigenverzwergung und die anschließende Fremdindoktrinierungssstrategie tappen, kann es nur sehr stolz machen, wie ein selbst gebautes Haus, wie das Wissen, im Labyrinth des Lebens auch mal eine Tür gefunden zu haben statt nur Sackgassen.
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