Manchmal reichen kleine, aber symbolträchtige, Ereignisse, um dir vor Augen zu führen, wie alles den Bach runtergeht. Ähnlich eines komplizierten Beinbruchs, der dem bisherigen Marathon-Star sein Leben lang im Weg stehen wird, zu alter Form zurückzufinden.
Nun war die deutsche Bürokratie und das Verhalten ihrer gemäß bisher nur Ausdruck von Bräsigkeit und Übervorsicht gewesen, die für Seufzer sorgte. Das ist kein komplizierter Beinbruch, sondern nur ein Pferdekuss des Schienbeins mit einer blöd hervor ragenden Betonkante. Schmerzt kurz, sorgt für eine blöde Wunde, aber noch lange kein Grund zur Aufgabe der Profession oder zur großen Verzweiflung.
Nun ist bei meiner Schwiegermutter so eine Sache passiert, die das Empfinden über die Problemlösungsfähigkeiten aller Beteiligten ins Lächerliche zieht. Sie litt eines Morgens unter Atemnot und brauchte natürlich Hilfe. Jetzt hätte das alles den normalen Ablauf nehmen können – man ruft einen Hausarzt, den Rettungsdienst wie gewohnt oder via Notrufschalter mit Direktverbindung eine Hilfe leistende Stelle. Doch ab hier wird es schon kompliziert, was ich erstens nur am Rande mitbekam und zweitens auch nicht ganz im Detail wissen wollte, weil ich gerade selbst auf der Nase liege wegen starker Erkältung. Also blieb nur meiner Freundin die Last, sich um den Scheiß zu kümmern. Es stellte sich heraus, dass die Ärztin (die kurz vor Renteneintritt sowieso nur noch durch Nichtstun auffällt) eine Notiz, ihre Patientin anzurufen, völlig ignoriert hat. Die zweite Fehlerquelle war die Arzthelferin, die ebenso planlos den Ablauf gestaltete, und dann war da noch meine Schwiegermutter, die erst mal wieder einen ihrer hypochondrischen Übertreibungen freien Lauf ließ und natürlich alle Beteiligten narrisch machte.
Es ist nichts Ungewöhnliches bei ihr, wenn sie alle Welt periodisch verrückt macht – kein Wunder, dass Sohne- und Ehemann da eher stoisch abwinken und diesen Phasen eher mit Flucht begegnen, als ständig auf der Matte zu stehen und sich künstlich oder überschwänglich um die Frau zu kümmern. Natürlich erzeugt das nur Ärger und das Beleidigte-Leberwurst-Syndrom bei ihr, also muss meine Freundin dafür herhalten. Der Lohn des Ganzen war ein Gezeter und Gezerre um die wahren Umstände der Geschichte und mega Stress bei meiner besseren Hälfte. Ich lag da also auf der Couch, war noch sehr benebelt von Krankheit und Medikamenten und konnte nur so halbwach bezeugen, wie da ein Flummi durch die Wohnung dotzte, wieder fast am Ende mit der Weisheit und den Nerven. Als sie mir in einem ruhigen Moment sehr lautstark über die Ereignisse berichtete, sagte ich eigentlich nur kopfschüttelnd „Dei Mudda.“
Ja, typisch. Sie wieder. Wir machen schon seit längerer Zeit alles Mögliche mit ihr mit, vor allem ihre schon jahrelang vorherrschende Hypochondrie mit Aufmerksamkeitssyndrom samt Dauerlaberitis, die ohne Punkt und Komma vom eigentlichen Problem schnell zu Schildkröten im Tierpark irgendeiner RTL-Sendung oder so übergeht. Auch da vollstes Verständnis, wenn das Nervenkostüm meiner Freundin schnell an Grenzen gerät. Nun muss ich aber auch zugeben, dass meine Schwiegermutter nicht nur hypochondrisch veranlagt ist, sondern auch echte, gesundheitliche Probleme mit sich herumschleppt. Bei der Menge blicke ich zwar nicht mehr durch, die sie uns jetzt in all den Jahren so aufgezählt hat, aber ist das erste Verwertbare ihre Diabetes, das zweite ihr auffälliges, körperliches Abbauen seit dem ersten Booster. Ja, da ist es wieder, das C-Thema, über das man nicht sprechen darf. Es ist diesbezüglich auch noch nichts angegangen worden, aber sie kann seitdem immer schlechter laufen und klagt über unerklärliche Entzündungsherde. Letztens wurde ihr schon mal vor den Latz geknallt, sie hätte Lungenkrebs, dabei waren es keine Karzinome, sondern entzündliche, rote Flecken auf der Lunge. Das führte übrigens auch zur jüngsten Atomnot. Lungenentzündung. Mit dem Unwillen oder der Unfähigkeit, medizinisch korrekt darauf zu reagieren und Medikamente zu verschreiben, war das Chaos in der Causa Schwiegermutter natürlich perfekt.
Während ich mir selbst ohne Arztbesuch einen Gelben für drei Tage abholen durfte, wirkt das alles wie eine Kaskade von Ereignissen, die den bisherigen Ablauf völlig auf den Kopf stellt. Kein Stein ist mehr auf dem anderen geblieben. Alles geht abwärts, nichts wird verbessert. Ich werde den benebelten Gedanken nicht los, dass wir uns noch nicht mal mehr auf geplante Veränderungen im zivilisatorischen Gefüge einstellen sollen, sondern dass man alles, in jedem Metier, in jeder Phase unseres Lebens einfach aus Resignation fallen lässt. Soll ein Anderer den Scheiß doch machen. Kommt Ihnen bekannt vor? Ja, ich schätze, Sie haben das auch schon häufiger erlebt, wenn Sie mit einem Problem beim Kundendienst oder im Amt aufschlagen und schließlich nur noch mit mehr Problemen nach Hause gehen denn zufrieden sein zu dürfen über die Lösung solcher.
Vielleicht hat man Ihnen auch etwas über Schildkröten erzählt, wie sie in der Sendung so süß und schwerfällig durch das Bild stapften. Es ist dieser Verdrängungseffekt, der eintritt, wenn aus Unwissen oder Unwillen ein Problem nicht angegangen werden will oder kann und man sich schließlich nur noch mit Verdrängungsmechanismen via positive Assoziationen zu helfen weiß. Man bleibt als abhängiger Kunde/Patient auf der Strecke, immer häufiger hilft nur noch Do-It-Yourself. Das ist natürlich in den Fällen fatal, wo Selbsthilfe gar nicht möglich ist, sei es komplizierte Elektronik (früher ging das noch, nicht wahr?) oder in den inneren Medizin. Hier ist Hilfe unabdingbar, ein Anspruch auf Engagement und Expertise zwingende Voraussetzung. Und doch herrscht eine LMAA-Einstellung vor, die mich erstarren lässt.
Nun habe ich, als Side-Story, noch über Ecken erfahren, dass Hausärzte sich Tage freigeschaufelt haben, um sie zu Impftagen zu ernennen. Ich hatte mich bei meinem schon gewundert, dass er mir ständig die C-Impfung aufschwatzen wollte, ich mich natürlich geweigert habe, aber er hatte mir nie eröffnet, dass er Mittwochs keine Patienten mehr annahm, weil er eben den einladenden Zuverdienst durch etliche Piekse aufbessert. Laut einer Aussage erinnere ich mich noch an den Scheingrund, sie wollten die Bürokratie in Ruhe abarbeiten. Da ist sie wieder, die heuchlerische Hinterzimmerprofilierung, und man wird schnell gewahr darüber, dass Ärzte als eine Art Neo-Raubtierkapitalisten durchdringen, die Gesundheit auch nur noch nach dem eigenen Geldbeutel richten. Keine komplett neue Erkenntnis, aber in dem Fall der großzügig vergütete, verlängerte Arm von Karl Lauterbach (vorher Jens Spahn), denen die moralischen Grundsätze, auf den fucking Grüne und Regenbogenmoralisten so pochen, für den süßen Arsch sind. Eine neue Qualität rektalen, opportunistischen Gerammels, der neue Olymp sexuell-dekadenter Ausschweifungen.
Das kann man natürlich auch mit Schildkröten-Geschichten versuchen zu kaschieren, oder man geht dummdreist in die Offensive – beides hat nur den Zweck, die Realität zu verleugnen. Heuchelei geht heute über alles, sogar die geliebte Bürokratie, die wir seit der Kohlepapierzeit so exzessiv betreiben, wurde von ihr mit Anlauf überholt. Jetzt ist das alles nur noch das Prinzip des persönlichen Profits, irgendwo noch eingenordet zwischen Resignation, Unlust oder dem Abwälzen von Verantwortung.
Doch ist die Welt noch in Ordnung, wenn Schildkröten süß durch die Walachei stapfen. Da muss man sich nicht mehr mit dem Leid des Marathon-Läufers auseinandersetzen.
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