Der geschätzte Blogger-Nachbar Roberto De Lapuente hatte letztens einen Text veröffentlicht, der genau das wiedergab, was ich in letzter Zeit selbst an mir feststellen muss. Man wirft im Grunde ob der politischen Entwicklungen und den Reaktionen der hiesigen Politik darauf vor lauter Fassungslosigkeit nur noch mit Begriffen um sich, die die Sprachlosigkeit auch nur annähernd angemessen zum Ausdruck bringen können. „Wahnsinn!“ oder „Unglaublich!“ entfleucht es einem, wenn etwa die Kriegssituation von Seiten der Kriegstreibenden mit Sanktionen und Waffenlieferungen künstlich erhalten und verschärft wird. Es scheint, als wolle niemand mehr von denen vom eingeschlagenen Pfad abweichen geschweige denn umkehren, und da kommt wieder das Prinzip zum Tragen, dass, wenn der Mensch einmal etwas angestoßen hat, er nur noch eine Richtung kennt. Wenn das dazu ideologisch „geboostert“ ist – um so schlimmer. Denn dann ist der "point of no return" schnell überschritten.
Dabei dachte man, dass es nach Corona gar nicht schlimmer werden könne, mit all der Eskalation, sei es rhetorisch oder intervenierend, doch da scheint noch viel Luft nach oben zu sein. Das stimmt mich besonders sorgenvoll, weil wir wohl noch lange nicht am Peak dessen angekommen scheinen, was Spaltung und Eskalationsrhetorik angeht. Der breite Konsens hat sich nun auch zu anderen politischen Lagern verschoben, dass nun Schwarze, Gelbe, Teile der Roten und Grüne gemeinsam ins selbe Horn blasen und behaupten, dass Russland keinerlei Interesse an Verhandlungen hätte. Ein Scheinargument, mit der eigenen, aggressiven Linie fortzufahren. Man muss dagegen Olaf Scholz geradezu dankbar für einen seiner lichten Momente sein, wenn er mal von keinen Erinnerungslücken befallen ist, das Telefon in die Hand nimmt und zumindest versucht, mit Putin zu reden. Solche Aktionen sollten kein Strohfeuer sein, sondern konsequent weiterverfolgt statt im Umkehrschluss gebetsmühlenartig nach „Waffen, Waffen, Waffen“ (Anton Hofreiter) zu rufen. Denn: Waffen töten Menschen. Egal, wer sie in der Hand hält und egal, ob zum Angriff oder zur Verteidigung.
Dass Grüne dabei die Speerspitze in dieser wieder aufflammenden Kriegsindustrialisierung bilden, macht mich eben wie genannt so fassungslos. „Wahnsinn!“, kann ich nur wieder hervorwürgen, hat man doch deren Wahlplakat zur Bundestagswahl noch in Erinnerung: „Keine Waffen in Kriegsgebiete!“. Schon ein halbes Jahr später war dieser Wahlspruch (und auch die bisherige, pazifistische Parteilinie) für die Katz´. Dabei stand die Partei doch für Wandel, den sie vielleicht jetzt innenpolitisch künstlich herbeiführen will, verharrt in dem Ressort bei ihren Positionen, während die externen, außenpolitischen Einflüsse sie zum Umfaller des Jahres für ihre alten Werte kürt. Aus dieser Hybris vom widersprüchlichen Gesamtbild aus Anpassungsnot und gleichzeitiger Sturheit, die ausgerechnet dem eigenen Volk am meisten schadet, wird man letztlich nicht schlau, verzweifelt und lässt sich in dem Ausmaß zu Sprachlosigkeit und den oben genannten Begriffen hinreißen.
Wie immer bleiben die Bürger auf der Strecke, die im Sumpf der gebrochenen Wahlversprechen und gleichzeitiger, ideologischer Starrköpfigkeit das Nachsehen haben. Dass in einem Krieg Preise steigen, weil im globalen Weltmarkt Rohstoffe knapp oder wenigstens vertraglich umgeschichtet werden, wenn man den „falschen“ Anbieter hat, ist klar. Dass wir unter Merkel allzu sehr auf Russland zählten, was uns nun auf die Füße fällt, dürfte auch unstrittig sein. Doch ist nicht diese spezielle Situation der maßgebliche Faktor an der Wut, die sich nun teils zu kanalisieren versucht. Es ist der Umgang der hiesigen Regierung damit, die Umdeutung der Schuld auf den Kriegsaggressor, der emotionale Handlungseifer, sich umgehend von russischem Gas zu distanzieren und keinerlei Plan B in der Schublade zu haben. Dass wir indes derart abhängig von solchen Energien sind, die – im Gegensatz zu uns - andere unter der Erde ihr Eigen nennen können, sollte zumindest führenden Köpfen zu denken geben und nicht einbahnstraßenmäßig zu überstürzten Handlungen führen, ohne überhaupt mal die Folgen im zweiten Gedankengang vor der Entscheidung zu berücksichtigen.
„Unglaublich!“
Momentan drehen sich die Debatten hauptsächlich um Teile des Konfliktes und den hellen Aufschrei über ukrainische Rückeroberungserfolge. Aber auch hier wird nur in Scheuklappen gedacht, man rankt sich um das Momentum und nicht das Gesamtbild, das sich unweigerlich auftut, würde man auch nur annähernd die eigenen Gedanken hinlenken wollen. Auch in dem Punkt wird allzu deutlich, welches Problem an mancher Stelle zu Verwerfungen geschweige denn unnötig hoher Inflation führt, nämlich die mehrheitliche Unfähigkeit, um die Ecke oder wenigstens einen Schritt voraus zu denken. Gerne auch Querdenken. Es ist nicht so, dass wir als Menschheit unseren ersten, großen Krieg führen oder mit ihm umgehen müssen, und da müsste normalerweise die Expertise darauf weisen, dass Sanktionen gegenüber einem anhängigen Staat (wie eben durch die russische Gasversorgung) ganz schnell nach hinten losgehen dürften. Dabei ist es egal, ob nun Habeck den Schließbefehl zum Gasbezug gegeben hat oder Putin uns mit Vorenthaltung von Gaslieferungen triezt – beides schadet uns gleichermaßen. Und man hätte beides berücksichtigen können und entsprechend vorsorgen. Außer, es wäre so gewollt.
Zum Drehkreuz der schändlichen Debattenkultur werden dabei diejenigen, die tatsächlich Waffenlieferungen ablehnen oder auf Alternativszenarien hinweisen wollen, wie etwa der „Wagenknecht-Flügel“ der Linkspartei, der von den sonstigen Altparteien aus dem Diskursrahmen geschmissen wird wie zuvor bei Corona die „Querdenker“. Ebenso sprachlos musste ich jene Debatte im WELT-Sender zur Kenntnis nehmen, wie schnell Hofreiter und Spahn unisono Wagenknecht mit der Rechtskeule traktierten, weil es inhaltliche Überschneidungen gibt. Es hat sich demnach das verfestigt, was wir bisher so vehement bekämpfen mussten: inhaltliche Nähe zu einer Partei, die im politischen Berlin als verbranntes Gebiet umrahmt wird. Es wird in keinster Weise berücksichtigt, dass die AfD häufig nur das aufhebt, was die Altparteien in ihrer ideologischen Beschränktheit angeekelt oder der Agenda geschuldet wegwerfen. Dass dies jedoch Themen sind, die auf der Straße gewichtig sind und in der Relevanz in den Machtetagen gerne als Blödsinn abgetan wird, macht die Frontensituation nicht besser. Der klägliche Versuch, mit Durchhalteparolen, Einmalzahlungen und Pseudoverständnisfloskeln die Gemüter ruhigzustellen, scheint jedoch nun an einen Kipppunkt zu gelangen, weil es jetzt nicht wenigen Menschen direkt an die existenzielle Substanz geht. Die Folge: Bäckereien und anderes Kleingewerbe müssen schließen, Unternehmen denken an Auslagerung ihrer Produktion ins Ausland, Menschen weinen über horrend angestiegene Abschlagszahlungen für Gas und Strom.
Wir sind also wieder an dem Punkt wie 2020 angekommen, wo die breite Mehrheit willfährig eine Agenda unterstützt, die höchstens moralisch einwandfrei vertretbar erscheint. Doch wie immer setzt die Realität die Wegmarken, die man nicht wegschweigen oder -schreien geschweige denn aktivistisch umlenken kann. Dass „Schwurbler“ dabei die häufig zu beobachtenden, historischen Abläufe als Planspiel vorzeigen, um auf die Gefahren hinzuweisen, wird natürlich ignoriert und diffamiert. Hier hat sich ein effektives Mittel etabliert, wenn man solche Zaunpfähle nicht sehen will. Kontaktschuld als gemütliches Abschiebeinstrument – und dann die Frage: was wäre, wenn Linke und AfD eben nicht da wären, um als Mülleimer für unliebige Gedanken und Entwicklungen zu dienen? Denke ich an Deutschland vor 1990, als die Parteienwelt noch einigermaßen in Ordnung war, hätten sie den Mülleimer nicht parat und müssten sich wohl viel präsenter damit auseinandersetzen, auch innerparteilich. Doch mittlerweile sind die weit ausgescherten Parteiflügel ein dankbarer Schlund für Dinge, die man in der „unfassbar“ ausgeprägten Ignoranz von Realitäten lieber gänzlich tilgen und verleugnen würde. Dabei sind sie nur deren eigenen Geistes Kind.
Das ist jedoch das Wesen, das sich aktuell bei vielen Menschen auftut. Konflikte vermeiden, Verstörendes canceln – das kommt uns alles bekannt vor: in der woken Community, die sich lieber in Bunker schließt, wenn die rhetorischen und gesellschaftspolitischen Einschläge immer näher kommen. Das ist ein Nebenkriegsschauplatz, der vielleicht lange nicht so bewusst präsent ist wie Putins Raketen, aber uns konsequent und klammheimlich krank, defizitär und hypersensibel werden lässt. Problemvermeidung durch Verleugnung. Und diese Mischung ist weitaus gefährlicher als jeder direkte, kriegerische Konflikt, weil dieser in der Sache klare Verhältnisse schafft. Der Wokeness-Krieg ist jedoch ein paar Grade perfider und schwerer erfassbar, weil er aus schon sensiblen Gemütern tickende Zeitbomben machen kann und gleichzeitig eine spezielle Zensurkultur etabliert, die auch in die Bereiche hineinreicht, die kein physischer Krieg je berühren würde. Durch die Rahmung eines Krieges bleibt selbstredend auch die Informationsfreiheit auf der Strecke, und die Propagandamaschine nimmt an beiden Fronten ihren Lauf. Die Wokeness hingegen geht tiefer, wirkt – etwa durch Sprachregelungen - einschneidender und arbeitet dabei noch dazu mit dem Opferkult, den sie jetzt der Ukraine zuschreibt, um ihnen einen Sonderstatus zukommen zu lassen und jedes Mittel zur Gegenwehr legitimiert.
Überhaupt beschleicht mich das Gefühl, dass die Ukraine sowieso nur der Spielball der Westmächte für deren globalen Machtanspruch ist. Es ist egal, wer da Opferstaat gewesen wäre, selbst Lettland hätte hier als solch besonders aufgebautes Opfersymbol hergehalten, hätte Putin es überfallen. Es geht also nicht um die Interessen souveräner Staaten, sondern um den größeren Krieg im Hintergrund, in dem die USA etwa aus Langeweile durch den Mauerfall und Weltmachtsanspruch neue globalstrategische Spielchen spielen wollten. Es geht rein um die Dämonisierung Putins, was sich leicht an der jahrelangen Drucksituation seit der Krim-Geschichte 2014 ablesen lässt. Derweilen tobte man sich etwa im Nahen Osten aus, mit zweifelhaften Erfolg. Nun aber flammt der alte Konflikt West gegen Ost erneut auf, und die USA wird medial aus der Schusslinie genommen. Anders als im Irak-Krieg, den wir ja unter Zuhilfenahme der Medien tagtäglich serviert bekamen, indem man damals sogar Live-Bilder von Raketeneinschlägen in Bagdad sendete. Die Wirkung dieser Bilder zusammen mit den Wikileaks-Enthüllungen ergeben nun mal kein besonders gutes Bild der USA.
Subjektiv betrachtet und als Zwischenfazit benenne ich hier die vordergründigen Scharmützel als Nebelkerze vor den Kriegen, die im Hintergrund weit mehr anrichten als russische Panzer auf ukrainischem Gebiet. Unter der Oberfläche grassiert ein weitaus folgenschwererer Krieg, der keine Raketen in Häuser lenkt, sondern Gedanken und Ideologien, unsere Wahrnehmung verändern, um solche plakatierten Moralvorstellungen einzupflanzen und wirkungsvoll verkünden zu können. Und darin wird das, was wir so stolz als westliche Werte verkaufen, klammheimlich abgesetzt – wie bei Moskitos, deren Stiche wir in der Regel erst bemerken, wenn das Blut schon lange abgezapft wurde.
Derweilen läuft so vieles nebenher, die angeblichen Desinformationskampagnen, die systemischen Zerwürfnisse der Vergangenheit in Verbindung mit der angepeilten „Zeitenwende“, die letztlich auch nur ein Schlagwort ist, das man in seinen Ausmaßen nicht vollständig erfassen soll. Es ist nur eine These, aber hier passiert gerade auf so vielen Ebenen so viel Veränderung, dass man nur wegen des schleichenden Tempos und der Salamitaktik kaum Notiz davon nimmt. Aber leben wir nicht mehr in einem Normal weiter, das ein Ereignis mal kurz aussetzen und wir uns in die alte Spur zurückführen würde – wir werden gerade weitreichenden Veränderungen unterzogen, und dies soll aller Voraussicht nach auch als unwiederbringlich und alternativlos beibehalten werden. Deswegen ist dieser Herbst wegen Corona so eklatant wichtig – wird Deutschland wieder alle Maßnahmen anpacken? Und was macht das Ausland? Sollte es wie die beiden Jahre zuvor genau so weitergehen, können wir uns wohl vom „alten Normal“ gänzlich verabschieden.
Und es macht fassungslos und schnürt die Hälse zu, wie selbstverständlich sie uns das transportieren. Jede Beschwichtigung wird mit einem „aber“ obsolet, Mitgestaltung ist nicht vorgesehen. Und hier gelangt man an den Punkt, an dem man nicht mal mehr mit diesen Fühlbegriffen ausdrücken kann, wie schnell man jetzt einer „Zeitenwende“ unterworfen wird, die keine „roten Linien“ mehr kennt. Die Stärke der Drohbegriffe wird immer größer, der Weg wird mit aller Macht aufgezwungen. Und das ist der wahre Krieg, der uns noch beschäftigen wird, ob wir wollen oder nicht. Denn der tobt nicht weit weg von uns, wo er uns nicht real bedroht und zum „Wertekonflikt“ verniedlicht und infantilisiert werden kann, sondern hier, mitten unter uns.
Und das macht mich so sprachlos.
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