Als die Weimarer Republik zusammenbrach, war dies nach einem Putschversuch keine eigenmächtige Okkupation, die die NSDAP gewaltsam und eigenmächtig durchgesetzt hätte. Die Sache mit den Wahlergebnissen sind häufiger der Ausdruck von Politikbewertung seitens der Bürger und weniger ein Akt der Überzeugung. Und als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, lag die damalige Demokratie durch Hyperinflation in wirtschaftlichen Trümmern – kann man nachlesen, wird sogar im Schulunterricht gelehrt. Oder wurde, muss ich ja fast sagen, denn ich kann nur mutmaßen, dass im heutigen Schulunterricht scheinbar nur das vermittelt wird, was Deutschlands besonderes Negativmerkmal ist und immer sein wird.
Die Vorstellung, dass man einen Völkermord begeht, ist eine der schlimmsten Vorstellungen für das gesellschaftliche Leben oder den persönlichen Wertekompass, was nur halbwegs empathische Menschen an den Rand der Verzweiflung führen dürfte. Nun stehen wir an dem Punkt der Geschichte, in diesem Wissen „nie mehr“ zu rufen, um solch düstere Zeiten auch nie wieder heraufzubeschwören.
Das Problem an der heutigen Episode ist eine Verkürzung des historischen Wissens und die Auslassung von subtilen Prozessen. Es ist einfach nicht krass genug und wohl zu trocken, um fokussiert zu werden, und das Wahlergebnis von einst mitsamt seinen zu evaluierenden Gründen müssten ebenfalls zum Basiswissen gehören, um die Sache im Kern ersticken zu können. KZ-Bilder sind dagegen leider zu wirkungsvoll, um das „Vorgeplänkel“ überhaupt interessant zu machen, und wenn in der Schule genauso hantiert wird (für entsprechende Beispiele wäre ich sehr dankbar), dürfte es nicht verwundern, wenn die Kinder nur mit einer entsprechenden Teilwahrheit sozialisiert worden wären. Und das ist brandgefährlich.
Nun ist ein kleines Beben auf EU-Ebene ausgebrochen, nachdem die Wahlergebnisse in Italien neben Schweden einen deutlichen Rechtsruck verzeichnet haben. Nun laufen wie erwartet die selbsternannten Wertebollwerke Sturm gegen diese Wahlentscheidung, aber gibt es einige Gründe, die den Wahlausgang erwartbar gemacht haben - die da wären:
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Das italienische Wahlverhalten ist mit dem unseren schlecht zu vergleichen. Mit Bunga-Bunga-Silvio ist wohl der Rekordhalter unter den Wiederkehrenden zu nennen, der es insgesamt drei Mal auf den obersten Stuhl geschafft hatte. Nun wird er mit dem neuen Rechtsbündnis zwar kein viertes Mal auf´s Podest steigen, aber wieder politisch relevant werden können.
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Der nächste Grund ist kein landestypisches Phänomen. Gerade der „wertebasierte“ Teil der EU verrennt sich schon seit Jahren in dem übertriebenen Bestreben, einen Rechtsruck zu verhindern. Dabei scheinen linke, linksliberale und selbsternannt Mittige völlig den Blick für den eigentlichen, politischen Horizont verloren zu haben und wittern Nazis unter jedem Stein. Das wäre halb so wild, wenn sie sich in diesem Kampf selbst reflektieren und ihren Aktivismus zumindest dort hinlenken würden, wo sich stramm rechts auch wirklich befindet. Stattdessen werden gar unbedarfte Bevölkerungsgruppen als undemokratisch markiert und verdächtig gemacht.
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Das führt weiter gedacht nicht zum Ergebnis wie beabsichtigt: Ein schlechtes Gewissen, sich Themen anzueignen, die vorher als rechtsextrem vergiftet worden sind. Eher entsteht eine Trotzreaktion und Egal-Einstellung, die solche Sachthemen ungeachtet der geframten Gefahr für sich selbst einnehmen. Dabei spielt die politische Färbung zuerst keine entscheidende Rolle.
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Solche Themen werden allzu schnell in ein Gut-Böse-Schema gezwängt und sind kaum noch offen diskutabel. Chancen, aber auch Gefahren einer Sache werden allzu leichtfertig von sensiblen Gemütern bei den Negativmerkmalen als verstörend wahrgenommen. Rechte Nutznießer müssen gar nicht viel dafür tun, die Themen und somit betroffene Wähler auf ihre Seite zu ziehen, wenn man heikle Ereignisse durch moralische Entrüstung allzu schnell in einen rhetorischen Absolutismus rückt. Wer also bei Reizthemen wie Flüchtlingen nicht pauschal für die ungebremste Einwanderung ist, wird schon schnell als faschistisch betitelt. Sorgen über Sicherheitsbedenken und Selbstbedienungsmentalität werden nicht beachtet, ignoriert oder ebenso pauschal diskreditiert.
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Richtig gefährlich wird der Rechtsruck, wenn diese in Regierungsverantwortung Erfolge für die Bevölkerung durchsetzen können. Menschen fühlen sich dadurch ernst genommen, umsorgt. Dies ließ der „Wertewesten“ immer häufiger vermissen und achtete dabei nur auf einen sehr geringen Teil einer bestimmten Klientel, wie die von Sahra Wagenknecht genannten „Selbstgerechten“. In diesem Fall sind etwa Handwerker und prekär Beschäftigte die Verlierer in dieser mittlerweile schon Jahre dauernden Abwärtsspirale des Wohlstands und sozialen Sicherheit. Und wenn die dazu als Gefährder eingestuft werden, muss man sich doch nicht wundern, wenn die auch noch zweifelhafte Parteien wählen.
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Die deutsche Ampel ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Weltgeschehen zu Kurzschlusshandlungen und unüberlegten Entscheidungen führt. Dabei ist das Weltgeschehen nicht als die Schuldige auszumachen, sondern die Reaktionen darauf.
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Die Entwicklungen des Marktes und der damit affinen Politik hat vor allem die Basis des Volkes entfremdet und in Teilen auch entmachtet. Jedes politisch legitime Mittel zum Ausdruck von Kritik und der Forderung nach Veränderung wurde ebenso vergiftet wie die Argumente. Die Methoden sind dabei derart niederträchtig gewählt, mit Nazi-Framing oder aus angeblich egoistischen Motiven heraus verächtlich gemacht, dass so eine Überdramatisierung entstanden ist, die aus jeder Mücke einen Elefanten macht.
Es gibt noch weitere Gründe aufzuführen, die stellvertretend dafür stehen, was mit dem „Wertewesten“ nicht mehr stimmt und warum das Gegensteuern zu eben solchen Strömungen in der Politik führen. Die aktuelle Bedrohung des Wohlstands, der nebenbei schon Jahre vorher eingeleitet und immer kreativere Wege ging, bietet allzu viel Potenzial, einen zweiten Untergang der Demokratie einzuläuten. Rechte sind dabei nur Nutznießer der globalen Entwicklungen. Gleichzeitig muss der SPD als zentrale Machtspartei als Dreh- und Angelpunkt zugesprochen werden – sie läutete eine Ära des ungezügelten Neoliberalismus ein und ließ als Haushund in selbstzerstörerischen GroKo-Jahren willfährig von ihrem Markenkern ab. Dieses neue Links, das die SPD später in Gestalt der Grünen und Teilen der westlich geprägten Linke-Partei schnell überholte, zerschellt gerade an ihren Moralvorstellungen, ideologischen Wunschträumen und einer Staatsdoktrin, die offenkundig immer totalitärere Blüten treibt.
Der freiheitsliebende Bürger wird sich damit allerdings nicht abgeben. Er sucht eine politische Alternative, die seine Freiheit verteidigt – ob nur auf dem Papier oder wirklich, ist in der aktuellen Lage nebensächlich geworden. Es geht häufig nur um die politische Legitimation, sich vom totalitären Duktus zu lösen, und dazu reichen oftmals Parolen und Schlagzeilen, die die eigene Sehnsucht nähren. Rechte können, wenn sie ähnlich der NSDAP es tat, auf die bürgerliche Karte setzen, sich so eine breitere Basis aufbauen. Nun sind wir in der Konstellation verortet, die diese Entwicklung wieder begünstigen würde.
Doch tun auch die Linken viel dafür, die „verlorenen Seelen“ in die Hände der Rechten zu treiben. Die Linken und der „Wertewesten“ müssten zuerst wieder lernen, Sorgen und Nöte der Bürger ernst zu nehmen, diese zu hören und nicht angewidert wegzuschieben oder gar zu bekämpfen. Allzu häufig weiten sie ihre eigene finanzielle Sorglosigkeit auf die Allgemeinheit aus und verniedlichen so reale Ängste. Damit wäre ein wichtiger Baustein in der Wahrung demokratischer Grundsätze gesetzt worden, der vieles an Schärfe aus der Debatte um einen Rechtsruck nehmen würde. Doch wird weiter mit einer beinahe spielerischen Extremstempörung distanziert, denunziert und überemotionalisiert, dass man diese Auswüchse kaum noch zu steigernder Kreischkanonaden auch anderseitig kaum noch ernst nimmt und diametral instrumentalisiert.
Nur zur Erinnerung: In der Weimarer Republik waren bis zu 7 Millionen Menschen arbeitslos, bei einer Einwohnerzahl von 63,2 Millionen. Die Hyperinflation ließ Lebensmittelpreise ins Astronomische steigen. Die Bürger hatten genug von der Politik, wanderten ab zu KPD und NSDAP. Wie das mit heute zu vergleichen ist, liegt auf der Hand. Die künstlichen Abgrenzungsversuche zu den politischen Rändern und die gleichzeitige Verleugnung globaler Entwicklungen und Ereignisse haben die Sprengkraft, eine zweite postdemokratische Phase innerhalb von 100 Jahren einzuläuten, die zwar momentan noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat, aber stehen die Zeichen allerseits auf Sturm. Und wer dann extremen Lagern das Futter hinwirft, darf sich nicht wundern, wenn die Wähler und Themen dankbar aufgreifen und mit jenen Politik betreiben, die andere wie einen Griff in Brennnesseln behandeln.
Das war kein astreiner Putsch der Rechten, sondern nur noch Formsache durch formale Finten. Den Rest haben jene zu verantworten, die nicht mehr weiter wussten und nötiges Gegensteuern nur mit Schockstarre beantworteten. Und diese Voraussetzungen sind im Moment wieder allzu deutlich geworden. Während in und über Italien ein „Oh mio dio“-Entsetzen immer weiter eskalierend solche Gründe leugnet und die Wahlgewinner immer weiter pauschalisiert, gewinnen genau die weiter Stimmen. Es scheint, als wäre das kaum zu verhindern, weil man mit falschen Mitteln dagegen angeht.
Im Grunde sind die Warnungen eines Rechtsrucks eben richtig und wichtig, allerdings zeigt sich nicht nur in Deutschland oder eben in Italien, dass das Wählerverhalten nicht auf Eigenverantwortlichkeit begründen lässt, sondern schlicht nur die Konsequenz aus dem folgenschweren Versagen der Regierenden und selbsternannten Demokratieverteidiger sind. In Italien kann man nun folgend beobachten, wie Mario Draghi als parteiloser Hoffnungsträger keinerlei Veränderung zugunsten des Volkes durchsetzen konnte (oder wollte?), dazu Ungeimpfte öffentlich verächtlich machte, die Maßnahmen lange hochhielt und somit zu den globalen Entwicklungen auch noch innerstaatliche Verwerfungen zementierte.
Ob nun durch Meloni und Co. eine echte Veränderung eingeläutet wird, lasse ich offen. Doch jetzt schon scheint klar, dass sie in den Schlüsselpositionen wie der Bekenntnis zur NATO keine herbeiführen will. Und so ebbte auch das Schreien schnell wieder ab.
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Struppi (Donnerstag, 06 Oktober 2022 12:20)
Nein, als die Nazis an die Macht kamen gab es keine Hyperinflation mehr, da hast du vermutlich in der Schule was falsch beigebracht bekommen. Die war 1923, also 10 Jahre früher https://www.planet-wissen.de/geschichte/deutsche_geschichte/weimarer_republik/pwiediehyperinflationvon100.html
Die wirtschaftlichen Probleme waren ausgelöst worden durch den Börsencrash 1929. Der verursachte keine Hyperinflation, aber Massenarbeitslosigkeit, die 1932 ihren Höhepunkt hatte und bei der "Machtergreifung" auch schon wieder am abnehmen war.
Wenn man sich nicht nur mit Schul- und Uniwissen beschäftigt, sondern auch Arbeiterliteratur aus der Zeit liest und einen zeitgemäßen Blickwinkel auf die Entwicklung damals macht, dann zeigt sich das wohl die Hauptursache in der damaligen Gewalt überall zu sehen ist.
Das Bürgertum hatte genug von den ständigen Strassenschlachten und den renitenten Arbeiter und wollte das "Ruhe" in's Land eingekehrt. Was die NSDAP anfangs auch erreichte, in dem die Arbeiterführer schnell in KZs kamen und die Arbeiter an sich mit zahlreichen Verbesserungen belohnt wurden. (z.b. der gesetzliche Urlaubsanspruch https://www.geschichte-lernen.net/arbeitertourismus-kraft-durch-freude/).
Die Idee das die Machtübernahme erkämpft wurde und mit noch mehr Gegenkämpfe verhindert hätten werden können, ist daraus nicht erkennbar. Im gegenteil, damals gab es das gleiche Problem wie heute. Es gab viele Seiten die nicht mehr miteinander reden wollten und konnten und habe Ende wurden die an die Macht gesetzt, denen man zutraute für Ruhe zu sorgen (und die natürlich Unterstützung durch die Großunternehmen hatten).
Daher ist diese heutige Debatte über Recht und Links auch nicht das Thema, es geht darum eine immer größere Unruhe zu erzeugen und am Ende werden sich die durchsetzen, die mit mehr Gewalt diese beenden können und die die Finanzoligarchie im Hintergrund haben.
Die Anspielungen auf Völkermorde sind dabei nur ein Mittel, um einzelne Gruppen zu diskreditieren. Am Ende werden die inneren und äußeren Gegner so oder so eliminiert, eine moralische Rechtfertigung findet man dafür immer.
Ein Ende dafür gäbe es nur wenn die Politik sich von den Kapitalinteressen lösen würde und den Bürgern ihre Stimme zurück geben würde. Denn auch wenn die Medien es anders darstellen, es gibt viele Meinungen und nicht nur eine Wahrheit. Auch die deutschen sind divers in ihren Lebenseinstellungen und -wünschen. (Die Pervertierung des Begriffs divers, der die Menschen nach ihren äußeren Attribute unterscheidet, zeigt in welche Richtung sie uns treiben wollen)
Aber darüber redet kein Politiker mehr. Wir reden über die Interessen der Investoren und diese werden erfüllt durch grosse Ereignisse, in die das Geld fließt was die Menschen erarbeiten. Solange das nicht beendet wird, gibt es keine Chance.
Für mich ist auch die fehlende "Diversität" der Regierungen/Parlamente entscheidend. Dort finden sich überwiegend Juristen/Lehrer (und Studienabbrecher) wieder, aber nicht im Ansatz die Verteilung der Bildung und Arbeitswelt der Bevölkerung. Wenn von Ausgrenzung gesprochen wird, muss man auch diese nennen. Ich habe als einfacher Angestellter eine völlig andere Vorstellung von einer guten Politik, als meine befreundeten Juristen. Für die ist jedes neue Gesetz und jede neue Regel, eine neue Geldquelle. Ich muss immer mehr aufpassen nicht in eine juristische Falle zu tappen und danach Bankrott zu sein. deshalb hängen die auch so an der EU. Kein Parlament kann deren Regeln stoppen und öffentliche Debatten gibt es auch keine darüber.
Das war wohl auch die Sorge der EU für Meloni. Kritik an der EU ist nicht erwünscht, denn die ist das Grundgerüst für den aktuellen Umbau in einen regidien Machtstaat und jeder Kritiker muss verdammt werden.
@Polemicer (Sonntag, 09 Oktober 2022 08:48)
@Struppi
Danke für deinen Einwurf. Ich schätze das jedoch so ein, dass alles zusammenhing, dass Reparationszahlungen für WW 1 und eben die Weltwirtschaftslage zusammen für all das verantwortlich sind. Doch hatte Deutschland schon damals die gesonderte Stellung als Kriegsaggressor inne und wurde auch entsprechend in die Schuld genommen. Dabei ist es wohl eher egal, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse aussahen, da war zu viel Sehnsucht nach einer starken Nation.