Schon seit geraumer Zeit beschäftige ich mich mit dem Gedanken, ob und wenn ja wie ich meinen Medienkonsum einfach mal einstellen sollte. Keine LeiDmedien, keine Schwurbelmedien – gar keine Medien. Den Router rausziehen, den Fernseher aus dem Fenster schmeißen, alle Kioske verbrennen, die Zeitungen verkaufen. Man wird den Gedanken nicht los, dass man nur noch so Frieden erzeugen könnte, die Menschen sich mal wieder auf das reale Leben des Moments einzuhegen, mal wieder positivere Gedanken einpflanzen, die eben das wahre Momentum vor den Augen bieten könnte.
Psychologische Konstrukte wie eben jene in der Medienwelt haben mittlerweile den Anschein eines Hühnerstalls, wo man ständig dicke Felsbrocken ins Gehege wirft und die Hühner unablässig als Fluchtreaktion durch den Raum flattern und dabei kiloweise Federn lassen. Das hinterlässt ein Schlachtfeld aus Federn als Ausdruck der Dauererregung. Und wie oft saß ich schon da und geißelte mich selbst, endlich mal von diesem Wahnsinn abzulassen, um wenigstens noch ein bisschen Federkleid der Würde tragen zu können?
Bei manchen sich dem Kollektiv aufopfernden „Affinisten“ (nenne ich jetzt mal das Mischwesen aus Affinen der öffentlichen Erzählung und Aktivisten) lassen sich auch noch freiwillig Felsbrocken ins Gehege werfen, weil sie den Fluchtreflex als etwas Gutes betrachten. So lange, bis die nackten Hühner auch keine Federn mehr lassen können. Mit Würde hat das nichts mehr zu tun, mit Notwendigkeit erst recht nicht. Man hat sozusagen der Hähnchenbraterei die lästige Arbeit abgenommen, Federn rupfen zu müssen.
Häufig erlebt man diese Auswüchse nur in den sozialen Medien und erhält dabei ein verzerrtes Bild. Ginge man nur danach, wäre die absolute Mehrheit so gepolt, im Alltag erreicht mich, abgesehen von der schweigenden Masse, nicht viel davon. Sehr viele haben etwas gegen die jüngste Politik und das gesellschaftliche Gebaren im Elfenbeinturm. Wer weiß? Bewege ich mich nur in den falschen Kreisen? Im handwerklichen Universum gibt es jedenfalls nicht viele, die jeden Impfscheiß freudig mitmachen oder einfachen Parolen irgendeiner Solidaritätsbekundung lemmingartig hinterherlaufen. Nein, da wird viel differenziert. Moralisch ist das ja alles in Ordnung, aber...
Ein „aber“ darf es allerdings nicht mehr geben. Alles wird derartig aggressiv „beworben“, beinahe nach der Methode, einem bestimmten Kleidertrend folgen zu müssen, weil alles andere Nazi-Style sei. Solche Methoden sind nur solche der Kriegsführung, und die ist gerade in die gesellschaftliche Psyche eingesickert, Freiheit und Anerkennung gibt es mittlerweile nur noch unter sehr strengen Bedingungen. Ab dem Punkt bin ich raus, weil ich die Voraussetzungen einfach nicht erfüllen kann. Ich müsste meine ganze Persönlichkeit umkrempeln, die man nicht jedoch nicht einfach so mit einem neuen Fassadenanstrich ansehnlicher macht wie einen maroden Wohnblock.
Unter solchen Umständen ein Leben zu führen scheint mir schlicht unmöglich. Sich nicht selbst zu verleugnen, ohne „mit den Konsequenzen leben zu müssen“, mag zwar meine eigene Entscheidung sein, aber ist es auch eine erpresserische On-Off-Bedingung, die gar nicht darauf zielt, Dinge offen klären zu wollen. Die Scharmützel laufen mittlerweile ohne Reue, ohne Würde, ohne Kompromisse oder Respekt ab. Und die Medien sind nur die aufgreifenden und geifernden Institutionen für die sensationslüsterne Präsentation der Horrorshow zwecks Selbsterhalt durch die Vermittlerposition. Wenn wir mal ehrlich zu uns selbst sind, lieben wir doch die Dramen und übelsten Auswüchse von Weltgeschehen und Debattenkultur – wir nähren uns vom Hass, von Schwächen anderer, von Entwicklungen, die von Harmlosigkeit und Belanglosigkeit meilenweit entfernt sind. Wir wollen wohl nur eines nicht: uns langweilen.
Auch ein Grund, warum ich meine Texte schreibe. Es mag nicht nur die Seele erleichtern, es bedingt auch eine geistige Leistung, die ich erbringen muss. Aufwand, ein Zeitfresser, der die leeren Stunden füllt. Häufig fällt mir nur mein Verdruss aus dem Kopf in die Tasten, da erhebe ich nicht mal einen besonderen Anspruch auf textliche oder gar journalistische Qualität. Mal polemisch zu werden, zynisch, völlig freidrehen – das kann schon helfen. Und man muss sich häufig nicht mit dem Unsinn auseinandersetzen, die Andersdenkende über einen ausschütten.
Allzu häufig schreibe ich diese Texte auch unter dem Einfluss von Leere, Machtlosigkeit, innerer Starre. Am liebsten würde ich losheulen oder schreien, wenn ich unter diesem Einfluss stehe, bekomme aber weder Töne noch Tränen raus. Nur dieses teilnahmslose Gesicht, dem man vielleicht noch aus den Augen herauslesen könnte, dass da was nicht stimmt. Vielleicht ist es der Unglaube darüber, wie Menschen so sein können. Vielleicht immer das versteckte Fünkchen Hoffnung, dass sich Dinge endlich mal zum Guten wenden würden. Aber irgendwie toppt in den letzten Jahren nur noch eine Eskalationsstufe die vorherige.
Und – ja: ich beneide die, die es können, und auch ich verspüre auch diesen Drang, dem zu entfliehen oder zumindest anders darauf zu reagieren. Dinge geschehen lassen oder die ultimative Idee auf´s Parkett bringen, wie man die Dinge ändert. Aber da ist nichts, was man einwirkend auf andere erreichen könnte. Niemand hatte bisher eine Lösung, die nicht von der Gegenseite in tausend Einzelteile zerdroschen worden ist. Stille Hoffnungen sind durch Detonationen am Meeresgrund gesprengt worden, endlich wieder Ruhe in die Welt zu bringen. Und egal, wer dabei den Auslöseknopf gedrückt hat – wir alle sind im Endeffekt die Verlierer dieser Entwicklung.
Nun stehe ich da wie so häufig: wie ein duales Wesen, gefangen zwischen den Welten, ärgere mich über diese offensichtlich kollektive Verblendung und freue mich, dass dies noch nicht bei jeder Person geglückt ist. Dass auch ein Precht wie ein duales Wesen mal nachts bei Rot an der Ampel stehen bleibt, auch wenn kein Auto kommt, und jetzt vielleicht durch das Impfen einen Augenöffner erfuhr, der schon andere Philosophen dazu brachte, sich der medialen Öffentlichkeit gegenüber konträr zu positionieren. Und das nicht, weil man dazu erzogen worden wäre, einfach gegen alles zu sein, was die Platzhirsche so verkünden, sondern weil selbst demokratische Grundprinzipien wie die Abwägung und das Hervorheben von Dualität in diesen Zeiten kaum noch Bedeutung zu haben scheinen. Man muss regelrecht beweisen, dass dies doch der Fall und vor allem notwendig ist.
Die „Affinisten“ bedienen sich zur Verfestigung ihrer Vormachtsstellung sehr schnell kriegerischen Vokabulars. „Krieg gegen das Virus“, „gegen Putin“ - und wenn die Abnehmer dieser Rhetorik nicht spuren wie gewünscht, muss man die ebenfalls niedermachen. So stellt sich die Gemengelage in unserem Land dar, und damit hat auch der „Wertewesten“ seine Schonzeit der Abwägung und Dualität für beendet erklärt. Er schlägt alle Zurückhaltung in den Wind, und die Reise führt uns zurück in mittelalterliche Zeiten, sei es diskursiv oder nun jetzt auch mit einer Verzichtsagenda. Daran ist nichts mehr „progressiv“, es ist vollständig rückwärtsgewandt. Daran ist wiederum nicht alles schlecht, aber wenn es an das geht, das wir dringend brauchen, wie Wärme im Winter oder bezahlbares Essen, dann können wir wohl schlecht zur Vermeidung eines egoistischen Images die ultimative Selbstverletzung betreiben. Wer sich so aufopfert, kann auch gleich sein ganzes Leben Scientology überschreiben.
In dieser Piesackerei einen Ausweg zu suchen, wird immer schwieriger. Sie wirken immer weiter in die Selbstbestimmung ein, verfeinern ihre Methoden, werden immer aggressiver dabei – so lange, bis der Wille gebrochen ist oder man sich gezwungen sieht zum Äußersten zu greifen. Man ist also fast dazu gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen, damit sich eine zweifelhafte Entwicklung nicht ungebremst durch die Gesellschaft frisst. Wir werden gerade in eine Neuerrichtung der Alternativlosigkeit gezogen, und wer dies genau so akzeptiert, hat im Sinne von Demokratie und Freiheit schon verloren.
Wer sich nun nicht der Selbstaufgabe aussetzen will, wird diesen sehr steinigen Weg wohl gehen müssen. Es reicht nämlich nicht mehr, das Weltgeschehen durch den Aus-Knopf sich selbst und abseits der eigenen Wahrnehmung entwickeln zu lassen und zu denken, dass das einen selbst nicht beträfe. Nein, heute stellen sie dir einen Aufpasser in die Zimmerecke, der alles kontrolliert, was du tust – das Heizverhalten, deine Surfgewohnheiten, deine Interessen oder auch das Denken.
Diese Zweiteilung der eigenen Entscheidung, sich für eine Seite entscheiden zu müssen, kann man selbst nur mit Herz oder Hirn treffen. Und ich befinde mich ständig in diesem Kampf mit mir selbst, meine Entscheidung vielleicht doch mal zu verabsolutieren, um klare Kante zu zeigen. Doch gelingt es mir nicht, eine Seite eindeutig als die bessere zu betrachten, weil mit den Vorteilen auch automatisch die Nachteile zum Vorschein kommen, und die so schwer wiegen, dass man sich schwer damit identifizieren kann. Und damit man noch einigermaßen mitreden kann oder wenigstens die Dinge auf Schwachstellen abzuklappern, muss man leider alles konsumieren, was die Medienwelt einem vorsetzt.
So trage ich meine letzten Federn würdevoll zur Schau, versuche, Herz und Hirn irgendwie gleichgerechtigt entscheiden zu lassen. Vielleicht sind schon zu viele Felsbrocken geworfen worden, die irgendwann zu einer Abstumpfung führen. Sie würden nie direkt nach dir werfen, um nicht als Mörder dazustehen. Mit diesem Kalkül kann man vielleicht arbeiten, sie zu schwächen und von ihren Wurfaktivitäten abzubringen. Denn wenn die Hühner nicht mehr flattern, wird ihre kindische Gier sie irgendwann langweilen. Außer, sie verlieren ihre letzten Hemmungen...
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