Ich sehe mich jetzt ein wenig genötigt zu disclaimen. Mir ist bewusst, dass sich manche von den Berlinern geistig verabschiedet haben, weil sie Aussagen getroffen haben, die ihnen sauer aufstießen. Die mehr oder weniger direkte Wahlempfehlung für die Grünen etwa, der Aufruf zum Impfen, ihr Tagesthemen-Auftritt oder die Selbstcancellung von „Elke“. Allerdings trenne ich bis zu einem gewissen Grad Kunst und Politik, und wenn ich die Band nun boykottieren würde, nur weil sie eine bestimmte politische Richtung repräsentiert, empfinde ich es als kurzsichtig, jetzt alles, was ich von ihnen besitze, nur in einem Empörungsanfall hastig loswerden zu wollen. Im Grunde bin ich ja auch noch ideologisch bei ihnen, weil ich keine Rechtsradikalen mag, egal ob ich mich in letzter Zeit politisch etwas konservativer orientiere und die aktuelle Grünen-Politik in dieser Form nicht mittragen will.
Aus diesem Grund war es auch ein Selbsttest für mich – kann ich mich mit den Songs noch identifizieren oder stößt mir deren jüngste Zwielichtigkeit ebenfalls nur sauer auf? Natürlich kann man die Hälfe ihrer Songs überhaupt nicht beanstanden, wenn es etwa um Liebe oder Absurditäten geht, und ihre Witze auf der Bühne ziehen auch heute noch. Bei den anderen hätte es heikel werden können, weil sie in größerem Maß die Klientel der Antifa bedienen oder sie Schnittmengen mit aktuellen Ereignissen haben, die ich selbst nicht so plakativ unterstützen kann oder will, wie sie es tun. Man kann aber nicht behaupten, dass sie Leute zu etwas genötigt hätten wie etwa ein Montgomery oder andere aus derselben Ecke. Dafür stichelten sie aber nur zu gerne am Publikum herum, hatten den ein oder anderen politisch unkorrekten Joke auf Lager – also was soll der Terz?
Bezüglich „Elke“ empfand ich ihre Verlautbarungen allerdings ein bisschen widersprüchlich. In den Medien hieß es ihrerseits, der Song sei sexistisch und misogyn, beim Konzert verkündeten sie dagegen relativierend, sie hätten den Song schon lange nicht mehr gespielt und keine Lust mehr drauf. Ich lasse das jetzt mal so stehen.
Da gibt es auch noch Aussagen im Netz, dass Die Ärzte noch nie wirklich Punk gewesen wären. Es gereicht dann auch als Totschlagargument, ihre neuerliche Enttäuschung über sie ins Feld zu führen. Ich sehe das so: nein, sie waren NIE gänzlich Punk. Die Musik war immer etwas anspruchsvoller als die Drei-Akkorde-Zweiminüter echten Punkgeschrammels, und ich war zudem nie Fan von solchen Genres gewesen, rein musikalisch betrachtet. Ich mag es gerne etwas anspruchsvoller und weniger prollig, und in der Hinsicht konnte ich mir bisher immer etwas Positives bei dem Trio herausziehen.
In der Regel war es, zumindest bei mir, häufig so, dass ich gerne mal auf Konzerte gehe, um die Live-Performance von neuen Alben zu belauschen. Bei den Ärzten war dies nun aber nicht so, weil ich vom „Hell“-Album einfach ziemlich ernüchtert war. Also blieben noch viele vergangene Alben übrig, die sie selbstredend nicht ignorieren durften, weil man als altgedienter Fan ja gerade für die zahlreichen Klassiker gekommen war. Ging mir nicht anders, und ich war natürlich voll dabei, als sie „Hurra“, „Junge“, „Wie es geht“, „Meine Freunde“ oder „Ignorama“ spielten. Leider war dazu auch etwas zu viel Leerlauf in ihrer Setlist. Die neuen Songs wurden nun nicht die Gassenhauer, die Hüften zum Kreisen und die Nacken zum heftigen Nicken brachten. Dazu waren auch noch viele Fillers statt Killers im Programm, und dazu ging die Meute auch nicht ab.
Naturgemäß ist es gerne mal so, dass der produktionstechnische Aufwand, den sie in ihre Alben investierten, auf der Bühne gar nicht so rüberkommt. Mit drei Leuten lässt sich das auch schwer bis gar nicht reproduzieren, und so klangen sie auch an diesem Sonntag ein bisschen blutleer. Ein wenig lag das auch am Personal an den Reglern, dass die Drums ab der Hälfte des Auftritts ein bisschen zu präsent waren. Damit war aber zu rechnen (ich war häufig auf Konzerten und habe das schon öfter beobachtet), also Schwamm drüber.
Was wie immer funktionierte, waren die Jokes, wie man sie von ihnen schon lange kennt. Darin hat sich überhaupt nichts geändert, und das macht auch einen Ärzte-Auftritt aus. Ich war ihnen sogar dankbar, dass sie auf exklusive, politische Ansagen verzichteten und der Unterhaltung den Vorrang gaben. Nur eine Sache stieß mir persönlich etwas bitter auf: bei „Friedenspanzer“ wurde die Lightshow und das Videobild in blau-gelb gefärbt. Natürlich. Und darin gehe ich eben nicht mit, weil dieses Heischen nach plakativer Solidarität in der Kriegssituation für mich einfach zu kurz gedacht ist. Gut, war abzusehen, aber da bin ich eben etwas anders gestrickt, ohne gleich als Konterpart Putin verehren zu wollen. Was ich nicht tue, egal was die Stänkerer online dazu sagen. In dem Punkt sind dann die Antifas und Linken, die wie eine Frau vor mir auch mal mit Turnbeuteln mit dem Aufdruck „Linksgrünversiffter körnerfressender Gutmensch“ aufliefen, ebenso populistisch gestrickt wie die Rechten, und da grölte die Masse beim Anblick der Farben.
Was die Ärzte durch ihre musikalische Flexibilität eben nicht zu astreinen Punks machte, machten Teile des Publikums dann wieder wett. Die weit linke Klientel war hier wie erwähnt zugegen, aber auch solche, die die Ärzte offenkundig nur aus dem Radio kannten. Und die gingen natürlich beim Radio-Dauerbrenner und Tantiemen-Garanten „Lasse red´n“ entsprechend steil. Das waren aber auch die, die beim allerletzten Song erschrocken zuckten, als hätte sie der Hafer gebissen. Da ballerten sie zum Abschied nämlich „Dauerwelle vs. Minipli“ in die Meute, und die Teile der Zuschauer, die sich gerne über Funkwellen vom oft gespielten Mainstream-Anteil der Ärzte-Songs berieseln lassen, erlebten darin sichtlich einen Kulturschock. Ich fand´s lustig, deren weit aufgerissene Augen bei den Blastbeats von Bela B zu und dem Gegrunze von Farin U und Rod G zu sehen. Da war ich doch erstaunt gewesen, dass noch sehr viele, abgesehen von den Kids auf den Schultern ihrer Eltern, das Portfolio der Band nach der langen Zeit nicht wirklich kennen.
Als Nachschlag nur grob etwas über die Vorbands – „Rüt“ aus Norwegen waren nicht so der Bringer mit ihrem Hüpf-Straight-Rock, „Drangsal“ hingegen klangen zumindest live teils mitreißend. Ein Blick bzw. Ohr auf ihre/seine Platten zuhause war hingegen etwas ernüchternd, weil ich auch nicht so viel für die Kraftklub-like-Ecke übrig habe. Von der Bühne aus war das eine Ecke geiler und charakteristischer, klang voller. Was aber nicht heißen soll, dass ich ihnen jetzt ständig hinterher reisen würde.
Ein letzter Punkt soll nicht unerwähnt gelassen werden: Corona. Bei den allermeisten war das optisch wie auch thematisch kein Thema mehr. Nur ein paar Reihen vor uns stand ein junges Pärchen von Anfang bis Ende mit FFP2-Maske in der Menge. Alle anderen von den paar zehntausend ohne. Letztlich sollte das für mich nur insofern von Belang sein, weil wir von zuhause aus den Bus nahmen, wo bekanntlich immer noch Maskenpflicht gilt. Ich war erst noch unschlüssig, noch eine einzustecken, um dem Ärger aus dem Weg zu gehen, entschied mich aber dagegen. Wir stiegen ohne Lappen ein, während die große Mehrheit ihre trug. Das ist insofern relevant, als dass gerade die Linken momentan in ihrem Solidaritätsgeheische zumindest online einen entsprechenden Eifer an den Tag legen. Im Bus hingegen, zwischen all den maskentragenden Leuten, etwa mit „Kein Mensch ist illegal“-Shirts am Leib, keine Debatten und zum Glück keine großmäuligen Anklagen. Ich hatte jetzt auch nicht den Eindruck, dass wir ständig angestarrt würden, sie meinte jedoch, es wäre so gewesen. Gut, niemand sprach es aus, von daher konnte mir das egal sein.
Als Fazit bin ich gut unterhalten worden, und man bekam das, was man von den Ärzten so erwarten würde. Die paar subtilen, optischen und durch Songs transportierten Statements haben mich jetzt weniger aufgeregt, auch wenn ich darin teils anderer Meinung bin. Aber das sollte unter´m Strich auch nicht die Laune verderben, wenn man ein Konzert nur wegen der politischen Aussagen aufsucht; sei es, um sich bestätigt zu fühlen oder sich darüber zu empören. Es war nebenher auch mal wieder eine Erfahrung unter Leuten, die ich eher misstrauisch betrachten würde, weil ich zumeist nur die Onlinediskussion vor Augen habe und man im realen Leben diesen Zerwürfnissen nicht ständig ausgesetzt ist. Dafür war das alles zu normal, zu unpandemisch gewesen, und das ist gut so.
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