Die Sache mit Denkweisen ist heute eine heikle Sache – gerät man in Konflikte und scheitert, kann es schon mal passieren, dass soeben zwei Denkweisen aneinander geraten sind und der Sieger vielleicht mit seinem Denken öfter mal Erfolge einfahren konnte. Er ist beliebt, er vertritt die Meinung vieler, er kann relativ sorgenfrei so weiterdenken. Als Verlierer daraus steht man eventuell am intellektuellen Scheideweg, ob man sich dem Meinungsspektrum anderer anschließen sollte oder doch die Niederlage akzeptieren, bis man selbst irgendwann erfolgreich würde.
Momentan ertappe ich mich des Häufigeren, ob ich meine bisherige, langjährige Denkweise auf den Selbstprüfstand stellen sollte, weil die mir nur selten Erfolge garantierte, und da die äußeren Einflüsse – die Gesellschaft, die Politik, die Ideologie – oft einen Strich durch die Rechnung machen. Und doch entscheiden sich solche Scharmützel häufig nicht an einem Standard, der Recht und Unrecht genauestens vorgibt, sondern sind häufiger nur ein Ergebnis von Selbstwahrnehmung einerseits und dem richtigen Opportunismus durch externe Einflüsse andererseits. Wer sich also einer Minderheitsmeinung zurechnet, muss nicht im Unrecht sein, nur weil die Mehrheit sich als Masse dem anderen Lager zuordnet und dies allein als Argument zu Felde führt, das Recht für sich gepachtet zu haben.
Allzu oft entscheiden nicht die Menschen über den Wahrheitsgehalt eines Streitthemas, sondern die natürlichen Entwicklungen, auf die wir selten genug direkten Einfluss nehmen können. Wir können zwar die Deutungsmacht für uns einnehmen, aber ist diese Macht nur ein zeitweiser Effekt, bis entweder der eigene Geist oder das allmächtige Karma unseren Ansprüchen die Grenzen aufzeigen. Und das wirkt sich allumfassend auf die Endabrechnung des Lebens aus.
Sei schlau, sei Mainstream
Nun haben in letzter Zeit viele solcher Erfolgsverwöhnten auf mich eingeredet, ich müsste meine Denkweise ändern. Niemand kam mal auf die Idee, mir mit auf den Weg zu geben, dass man auch durch die Wahrnehmungsanpassung, ohne die Meinung ändern zu müssen, ebenfalls zu seinem Glück finden kann. Sich in Konflikte zu stürzen, ohne argumentativ vorbereitet zu sein, ist natürlich fast schon zum Scheitern verurteilt, aber kann man sich statt Frust und Depression auch Positives aus der Gemengelage ziehen und seine Narben stolz als Ausdruck des Lernwillens hervorzeigen. Das Lernen muss selbstverständlich auch im Kopf ankommen und im Zahnradgebilde eingegliedert werden. Lippenbekenntnisse ohne gehirnliche Adaption macht hingegen keinen Sinn, wenn man immer wieder ins alte Muster verfällt und die gleichen Fehler wieder und wieder macht.
Gerade bei den Reizthemen ist die Versuchung allzu groß, sich dem Mainstream anzupassen und die bequeme Schiene zu fahren. Ich will das gar nicht verurteilen, zumindest bis zu dem Punkt, an dem die Mainstream-Klugschwätzer nicht der gesamten Bevölkerung schaden könnten. Tun sie es doch und sind trotzdem von ihrem Handeln überzeugt, gerät man in eben diese Zwickmühle, sich dem zu fügen oder unter Verlust von Reputation oder Lebensstandard weiter dagegen vorzugehen.
Das kann man ohne Probleme tun, wenn einem Reputation und Lebensstandard soweit egal sind. An dem Punkt bin ich jedoch noch nicht vollständig angekommen, denn immerhin bin ich als Mensch ein soziales Wesen und empfinde Glücksgefühle bei solchen Interaktionen. Würde ich mir nun erfolgreich einreden, dass ich alle da draußen nicht bräuchte, würde ich meine Natur verleugnen, was weiterführend zu geistigem Verschleiß, vielleicht bis hin zum Wahnsinn, führen könnte. So bleibt zum Erhalt der geistigen Gesundheit nur die Suche, Gleichgesinnte zu finden, und wenn das immer noch nicht fruchtet, sollte man sich ernsthaft selbst hinterfragen – grundsätzlich und dringend.
Ein Leben gegen ein anderes
Nun scheint kein Schema F darüber zu existieren, welche Form des Zusammenlebens die richtige ist. Wir haben wohl schon alle Formen durch, von der Anarchie bis zum Despotismus, und alle diese Formen haben eine Schlagseite eines staatsbestätigenden Mainstreams, was zu Vorteilen im Überlebenskampf ideologischer Gruppen innerhalb eines Systems führt. Man kann sich natürlich bei entsprechender, geistiger Flexibilität umorientieren und sich so der Bequemlichkeit hingeben – falsch ist das für die innere Zufriedenheit wohl nicht. Allerdings wird man vorherige Annehmlichkeiten und Kontakte zu Menschen loslassen müssen. Wer dies ohne Gewissensbisse tun kann, dürfte fein raus sein, doch dazu müsste man tatsächlich sein Gehirn einem Reset unterziehen können, also eine selektive Wahrnehmung gegen eine andere zu ersetzen. Wer es schafft, diese Neuauflage eines gedanklichen Betriebssystems in Gang zu bringen, ohne die Altlasten mit sich zu schleppen, den beneide ich tatsächlich.
Und doch bin ich der Meinung, dass das niemand zu hundert Prozent schafft. Viele kolportieren das, doch klingt es häufig wie autogenes Training und Selbstkonditionierung, damit das Gehirn das auch glauben mag. Und häufig sind die Gedanken nicht in der Lage, vieles gleichzeitig zu erfassen und zu verarbeiten – eine wirklich differenzierende Person gibt es so betrachtet gar nicht, weil es auch die natürliche Gehirnkapazität sprengen würde. Selbst „gestörte“ Denker wie Autisten haben nur ihre Welt, in der sie leben, und können nicht zweigleisig in ihrem und unserem Denkspektrum leben und agieren.
Als Gefangene unseres Körpers sind wir an die physischen Eigenheiten gebunden, können nicht oder nur schablonenhaft wie andere denken. Deswegen ist der Vorwurf der Dummheit nur haltbar, wenn ein Mensch in jedem Denkansatz Defiziten unterliegt. Deswegen widerstrebt es mir, andere Menschen spontan als dumm zu bezeichnen, nur weil sie anders denken, anders leben und anders aussehen. Ich weiß auch selbst nicht, wie Politiker wie Lauterbach, Habeck oder Ricarda Lang denken, und sie als pauschal dumm zu bezeichnen, wäre empirisch höchstwahrscheinlich haltlos.
Veränderung auf Knopfdruck
Vielmehr sind sie nur selektiv dumm, weil sie nicht in meiner oder ähnlichen Gedankenwelten aufgewachsen geschweige denn hätten überhaupt mal Berührung damit gehabt. Ich kann nicht erwarten, dass sie dies zum Überdenken ihrer Entscheidungen vollziehen sollen, aber ich kann erwarten, dass sie durch unsere Bildungseinrichtungen mit einem Grundpaket ausgestattet wurden, die das automatisch beeinflussen. Wenn also ein neues Virus grassiert, dann sollte man auch wissen, was ein respiratorisches Virus tut und was es wohl tun wird. Jedem mit diesem Grundpaket im Hinterkopf war klar gewesen, dass das Virus mutieren würde, ansteckender sein würde und in seiner Wirkung auf den Körper sich selbst abschwächen würde, jedoch wird es heute immer noch so gehandhabt, als wäre es der Wildtyp, der tausende Menschen sterben ließe. Und dazu habe ich noch nicht die anderen Faktoren berücksichtigt, die uns weiter in dieser künstlich erzeugten Situation verhaften.
Bei Frau Lang und den Grünen verhält es sich etwas anders, trotz der ideologischen Grundsätze, die immer wieder in dieselbe Richtung weisen. Unter Parolen wie Gesundheit oder Solidarität soll die Welt genesen und besser werden – dabei soll alles Alte, Schädliche umgehend aufgehoben werden, und der Mensch soll sich den Veränderungen anpassen. Doch kann man ein Kollektiv nicht so pauschal auf Anpassung trimmen, wenn der Lebensalltag dem zuwider läuft. Zumindest nicht, wenn man jedem keine lebenswerte Alternative anbieten würde. Dass wir nun der Situation geschuldet einen wichtigen Anteil an Gasbezug aufkündigen, ohne gleich Ersatz gefunden zu haben, kann man als dumm bezeichnen. Vor allem, wenn die Masse darunter zu leiden hat und nur auf Einschränkungen eingeschworen werden soll.
Man kann das gut finden, was sie tun, weil sie einem Allmachtsthema wie dem Klimawandel damit Rechnung tragen. Vielleicht mag das langfristig betrachtet gut sein, aber die spontane Zeitenwende wird niemand einfach so wegstecken können, wenn da noch wirtschaftliche oder persönliche Abhängigkeiten anhängen.
Euer Weg ist mir zu teuer
Sicherlich bin ich selbst kein Profiteur dieser „Zeitenwende“, sondern ein Opfer des Systemumbaus, der nicht einfach mal die Mietwohnung oder den Fuhrpark auf Nachhaltigkeit nach Schema Grün umbauen kann. Nicht, dass ich es nicht wollen würde, aber ich kann es schlicht nicht. Dazu kommt mein Unwille, im Winter frieren zu wollen, vorrangig deswegen, weil ich schon anfällig für Lungenerkrankungen bin und dieses politische Handeln eher als gesundheitliche Bedrohung auffasse. Und letztlich bin ich nicht bereit, meinen Lebenswandel derart über den Haufen zu werfen, der die Politik besänftigt. Also stehe ich quasi wieder am Scheideweg, eine Entscheidung treffen zu müssen, wenn Gaspreis und Einschränkungen meine Routinen durchkreuzt.
Ich könnte jetzt wohl trotzdem die Anstrengung unternehmen, mit auf den grünen Weg zu begeben oder mir jeden Booster spritzen zu lassen, die mir bequeme und standesgemäße Monate versprechen würden. Aber konterkariert das allzu sehr meinen Bildungsweg, meine Erfahrungen, meine Überzeugungen und auch meinen Willen, mein Leben zu gestalten, wie ich es im staatlich bisher garantierten Rahmen für richtig halte. Zu viele Faktoren spielen da eine Rolle, die nicht mal annähernd das widerspiegeln, was die Politik gerade mit uns vorhat.
Das heißt auch, dass ich wieder in die Verliererecke des Diskurses abgeschoben werde, so viel mag sicher sein. Und doch kann man die Gewissheit vertreten, sie im Mainstream mal machen zu lassen, irgendwann folgt das Karma und erdet allen Aktivismus in die Gefilde der Weltwahrheit, die sie nicht wahrhaben woll(t)en. Also muss ich mich denen nicht unterordnen, muss nicht neidisch sein, weil sie erfolgreich sind oder durch ihre gedankliche Schaltfähigkeit profitierten. Denn ist dieser Erfolg nur die Rückzahlung für die Selbstaufgabe, die ein Mensch bereit ist zu berappen, um sich der Bequemlichkeit hinzugeben.
Tag X – War es das wert?
Letztlich entscheidet dann im ethischen Sinne nicht der opportunistisch errungene Erfolg über das Eigenantlitz als kompletter Mensch, sondern wie aufrichtig man sich für einen Weg entschieden hat und dies in voller Überzeugung vertreten konnte. Das kann auch der Opportunismus sein, aber ist das viel zu häufig ein Selbstbetrug und -verleugnung, der in einen unglücklichen Tod führt. Das kann ein Weg sein, der vielleicht im Leben vieles vereinfacht, aber wenn man im Augenblick des Ablebens seine Vergangenheit an sich vorüberziehen sieht und entdeckt in der Endabrechnung nur Dinge, die einen anwidern, würde ich trotz des Lebensglücks nur meine eigene Widerlichkeit verachten.
Das mögen andere als klug erachten und mich als dumm oder zumindest naiv, doch sehe ich das anders. Ich muss, wenn der Tag kommt, mit mir im Reinen sein können, ob ich das nun im Leben noch verarbeitet kriege oder nicht. Und ich möchte nicht damit überrascht werden, wenn am Tag X die Erkenntnis aufkommt, dass mein ganzes Leben eine Lüge war, auf die ich im letzten Moment nicht stolz sein würde.
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epikur (Montag, 12 September 2022 09:15)
"Ich muss, wenn der Tag kommt, mit mir im Reinen sein können, ob ich das nun im Leben noch verarbeitet kriege oder nicht. Und ich möchte nicht damit überrascht werden, wenn am Tag X die Erkenntnis aufkommt, dass mein ganzes Leben eine Lüge war, auf die ich im letzten Moment nicht stolz sein würde. "
Gut gebrüllt, Löwe!
Viele erreichen diese Weisheit erst spät im Alter. Wenn es bereits zu spät ist. Hätte ich mal dies. Hätte ich mal das. Ja, das ist einfach. Und bequem. Aber im Moment der Entscheidung nicht einzuknicken, erfordert Mut. Genau der macht stark und gesund. Buckeln und sich unterwerfen macht dagegen krank.