Am Düsseldorfer Flughafen bricht der Betrieb fast zusammen, das 9-Euro-Ticket sorgt für erwartbare Überlastungen, allerlei Branchen rufen um Hilfe und um Fachkräfte, die nicht kommen. Lieferketten sind unterbrochen, Personalausfall bedroht zusätzlich unsere Infrastrukturen...
Soll ich fortfahren?
Vielleicht haben Sie solche oder ähnliche Meldungen in letzter Zeit ebenfalls gelesen oder gehört. Es scheint, als würde Deutschland kurz vor dem Kollaps stehen, und man pumpt Geld wie noch nie in die maroden Systeme, als würden die Risse nun wieder bombenfest verschlossen sein. Dem ist aber nicht so, weil die Füllmasse sowie neue Ecken im Fundament unseres Staates wieder und zusätzlich aufreißen. Einige haben die Zeichen der Zeit nun erkannt, und immer mal wieder fallen Worte wie „Zusammenbruch“ oder Floskeln wie „wir sind so kaputt“.
Der erste Gedanke dürfte dazu aufkommen, weil wir mit Lockdowns unsere Wirtschaft so massiv heruntergefahren hatten, dass man nur zwei und zwei zusammenzählen muss. Es hat viele kleine Gewerbetreibende die Existenz gekostet, ohne große Hilfen oder Erspartes ausharren zu müssen, doch wäre es zu kurz gedacht, es nur darauf zu schieben oder gar aktuell auf den Ukrainekrieg, ergo Putin.
Zwei Krisen für den Untergang
Selbstredend haben diese beiden Großereignisse einen starken Anteil an der Misere. Der Einschnitt sitzt dermaßen tief, dass sie als „Hauptschuldige“ für die aufkommende Rezession auszumachen sind. Allerdings muss man einige Schritte weiterdenken, denn: Fachkräftemangel beklagen wir nicht erst seit 2020. Auch die Erkenntnis über die Generation Erben ist nicht neu, also dass wir mehr vom erwirtschafteten Reichtum früherer Generationen leben als welchen zu schaffen. Die Probleme waren schon vorher da, und selbst wenn es nur schwach folgenlose Anzeichen gab, es könnte sich darin ein Problem entwickeln, standen diese Warnungen schon lange im Raum und konnten lediglich durch unsere bis dato anhaltende Wirtschaftskraft mit Schlagseite weggelächelt werden.
Nun jedoch – nach Corona und Putins Krieg – ist das Lächeln aus allen Gesichtern verschwunden. Panikappelle wie eben jene über Fachkräftemangel oder kaputt gesparte Infrastrukturen sind nun kein Tabu mehr. Dazu kommt ein romantisiertes Bild einer grünen Partei, die erst jetzt und als letzte zu begreifen scheint, wie es um unseren Staat bestellt ist. Nun sitzt sie ja mittendrin im Schlamassel und muss es gar verantworten. Als Robert Habeck dazu noch verkündete, dass die harten Realitäten nun auf uns zukommen, klang das eher wie eine Selbsterkenntnis denn eine Ansprache an ein unwissendes Volk. Mir und Menschen, die ähnlichen Bildungs- und Erfahrungsbackground vorweisen können, war das schon lange klar – auch der Umstand, dass Corona und Krieg diesen Vorgang stark beschleunigen würden. Natürlich wurde dies überhört, und nach etlichen Halb- bis Komplettlockdowns verwaisen unsere Innenstädte auffällig schnell, und Rechnungen steigen fast ins Astronomische.
Die beiden genannten Krisen hätten anders gehandhabt werden können, wenn etwa Schulmedizin oder historisches Wissen über Kriegsstrategien und die langjährige Situation in der Ukraine nicht ignoriert worden wären. Das hätte mehr zur Besonnenheit beigetragen denn zu derartig panischen Reaktionen. Und wie so oft reagieren wir nur kurzfristig und ohne Plan auf neue Entwicklungen. Das spricht offenkundig nicht für Expertise und Weitsicht, und wenn dann doch eine zertifizierte Fachkraft die Geschicke lenken darf/soll, handelt die mitunter fahrig bis irrational.
Spontaner Gedächtnisverlust
Es wäre also angebracht, eine Debatte zu führen, ob Emotionalität oder sachliche Kühlheit besser geeignet ist, um auf Krisen zu reagieren. Natürlich tendiere ich zu zweitem. Es macht keinen Sinn, in kurzfristigem Eifer etwas von Solidarität zu heischen und im Nachgang erkennen zu müssen, dass kurz anberaumte Krisensitzungen nicht selten zu Kurzschlusshandlungen und somit zu einseitig moralisierten Entscheidungen führen. Auch Lockdowns waren solche Spontanbeschlüsse, die man in der Anfangszeit der Pandemie noch nachvollziehen konnte – niemand hatte so wirklich auf dem Schirm, was das Virus anrichten würde, und so ist die erstbeste und zur Vorsicht ausgerichtete Entscheidung zuerst einmal richtig. Doch hätte danach bereits die Evaluierung einsetzen müssen. Mit jeder Welle wurden derartige Kurzschlussentscheidungen immer wieder auf´s Neue getroffen, so dass ein Lerneffekt kaum eintreten konnte. Und das auf eine Weise, als hätte man selbst die Gedanken resettet und jede Welle wie die erste behandelt. Dabei ist all das Schulwissen und die Expertise der Jahre zuvor stummgeschaltet, in der Panik als Hindernis betrachtet und sogar als gefährlich eingestuft worden.
Dabei hätte ein bisschen Überlegung helfen können, eben nicht bei jeder Welle in dieselbe Ausprägung von Angst zu geraten. Doch hat sich diese Endlosschleife derart etabliert, dass wir nun, nach zweieinhalb Jahren, dort nicht mehr herausfinden. Man hätte wissen können, dass das Virus endemisch wird, nicht aus unserem Leben verschwindet oder die Impfung in ihrer Funktionsweise kein nebenwirkungsfreies Allheilmittel darstellt. Dies alles hätte bekannt sein können, doch wurde wie erwähnt dieses Wissen entweder nicht vermittelt oder gar verteufelt. Und so passiert es immer noch, dass wir bei jedem Inzidenzanstieg von wenigen Tagen sogleich wieder in dieselbe Panik verfallen und nach dem „Instrumentenkasten“ rufen, den man sich heute augenscheinlich auch noch schönreden muss.
Als einen der Gründe würde ich den Kontrollwahn anführen, der häufig damit einhergeht, dass mächtige Einzelpersonen oder Gruppierungen ihren Status mit allen Mittel verteidigen wollen. Die Kontrollsucht bedingt auch einen Erhalt der Macht – ob die Kontrolle nun gerechtfertigt ist oder nicht, spielt nicht die entscheidende Rolle. Und öffnet so Tür und Tor für ein Konstrukt aus Lügen, das man nur wirkungsvoll bewerben muss statt es fundiert zu rechtfertigen. Dann siegt das Prinzip der Mehrheit, und nicht die Wahrheit, wenn man lediglich Negativaspekte zur Imagepflege gar nicht erwähnt. Mit Expertise hat das nichts mehr zu tun – nur mit Machterhalt durch Halbwahrheiten.
Ein Virus, uns zu blamieren
Natürlich besteht die Misere nicht nur aus Corona. Doch hat das Virus den viel zitierten Brennglaseffekt auf den Weg gebracht, der schonungslos das offenlegte, was schon seit geraumer Zeit brachliegt und fast nur mit solchen Lügenkonstrukten überdeckt werden konnte. Schauen wir in die Pflege, sind die jüngsten Streiks in NRW nur das Ventil über die desolate Situation in den Krankenhäusern. Dabei ist „desolat“ ein gewagter Begriff, wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen mögen. Das Problem ist anders gelagert: die Privatisierungswelle, Kostendruck und eine Ungleichgewichtung der Notwendigkeiten in der Behandlungshierarchie haben eine Schieflage verursacht, die nur kapitalistischen Interessen dient und beim Gesundheitssektor in der übergreifenden Ausgestaltung nicht sein dürfte. Wir wissen etwa bis heute nicht genau, welchen Stellenwert Corona in der Krankheitsschwere einnimmt und die Argumente einer OP-Verschiebung überhaupt nützlich sind. So könnten unnötige Hüft-OPs auch für die Verschlimmerung der Virensituation instrumentalisiert werden, um die Zeichnung von der exklusiven Überlastung der Krankenhäuser durch Corona aufzublasen.
Diese rein wirtschaftliche Denkweise und die Unsinnigkeit solchen Denkens wurde bei der Intensivbettenlüge allzu deutlich. Corona wurde in dieser Hinsicht nicht rein wissenschaftlich oder medizinisch betrachtet – es hat eher durch Anreize wie Freihaltepauschalen, Impfboni oder Maskendeals nur Einzelpolitikern, Ärzten und Krankenhäusern als Wirtschaftsunternehmen Geld in die Kassen gespült und somit maßgeblich das Pandemiemanagement beeinflusst. Dies auszubessern ist nun die große Aufgabe des Gesundheitsministeriums, doch da sitzt an oberster Stelle ausgerechnet derjenige, der in der Schröder-Administration die Reform, die zu den heutigen Zuständen geführt hat, mitgestaltet hatte: Karl Lauterbach. Dass er dabei 2003 als „Regulierungsfetischist“ gescholten wurde, 2019 jedoch den Plan der Bertelsmann-Stiftung, die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland zu schließen, mittrug, schreit nach Widerspruch in der Sache.
Etwas von allem ist dabei in der heutigen Zeit bei ihm hängengeblieben. Sein „Fetisch“, Themen staatlich zu verabsolutieren, scheint mit Corona endgültig erfüllt worden zu sein. Doch hat er seit Amtseintritt mit allerlei Alleingängen innerhalb von Monaten für viel Zündstoff gesorgt, außerdem ist ihm mittlerweile das Etikett des „Corona-“ und „Panikministers“ zuteil geworden, der sich nur um eben jenes Thema kümmert und den Rest innerhalb seines Ressorts links liegen lässt. Die auffällige Überhebung der eigenen Person und mit ihr die eigenen Vorstellungen sind der augenfälligste Indikator.
Ein Kollaps für 9 Euro
Ein anderes Beispiel für das Fehlen der Expertise ist die unbedachtes Überstülpen von Ideologien auf ein bestehendes System. Vor allem bei den Grünen fällt auf, dass sie seit Monaten gerne vorpreschen, ihre bisherigen Forderungen unkontrolliert in Realitäten zu gießen. Sei es die Energie- oder die Mobilitätswende oder auch die Ideen gesellschaftlicher Transformation zugunsten von Minderheiten. Dass sie mit dieser Agenda bisher immer an den Bestandsschützern vorheriger Regierungen gescheitert waren, glich einem Kampf gegen Windmühlen. Und dabei gibt es Anlass dazu, Ideen der Partei als gut zu betrachten.
Jedoch lässt man sie nun, in Regierungsverantwortung, allzu leicht von der Leine, siehe Neun-Euro-Ticket oder dem zweifelhaften Vorantreiben der Energiewende. In der Absicht durchaus sinnvoll, in der Durchführung kaum machbar ob der politischen und strukturellen Probleme, die sich bei plötzlich verstärkter Auslastung gnadenlos auftun. Eine völlig dysfunktionale Bahn-Infrastruktur mit Kurzzeitgeschenken an Bahnfahrende vollzustopfen, hätte der Partei vorher bewusst sein müssen, doch lieber sonnt man sich in den Medien in Geberlaune und verkennt dabei personelle Überlastung, marode Bahnstrecken oder den lückenhaften Fuhrpark, der wegen Fachkräftemangel für Ausfälle und Verzögerungen sorgt.
Auch darin steht die emotionale Kurzschlusshandlung über der Machbarkeit. Statt zuerst die Voraussetzungen zu verbessern, um die Vorhaben weniger problembehaftet ins Spiel zu bringen, wird auf dem Status Quo maroder Strukturen die Ideologie vorgeschoben. Bei der Energiewende ein ähnliches Bild – Abhängigkeiten werden ignoriert. Nun hat man selbst den Gashahn zugedreht und schiebt es dummdreist Putin in die Schuhe, nachdem der eigene Eifer den gegenteiligen Effekt brachte. Natürlich ist der russische Präsident ein dankbarer Sündenbock des Momentums, den man vorschieben kann, ist jedoch auch in der Kurzfristigkeit von Entscheidung und Auswirkungen nur ein Indiz dafür, die Verantwortung der eigenen Entscheidungen von sich zu weisen.
Ausweg Ausland?
Und so ist die Korrelation zwischen der Leugnung von Verantwortung und der globalen Entwicklungen die Krux in der Debatte um die Zukunft eines Landes geworden, das sich bisher auf seinen Wirtschaftswunderlorbeeren ausruhte und anschließend Reformen auf den Weg brachte, die die Situation nur verschlimmerten bzw. aufschoben. In fast allen Branchen leidet das Land unter Sparzwängen, die zuerst als Heilsversprechen eine freiheitlich-demokratische Aufbruchstimmung versprach und als Konsequenz reihenweise zu existenziellen Nöten führte. In diesem Selbstbedienungsladen nationalen Ausmaßes sind nur wenige auf ihre Kosten gekommen, viele hatten das Nachsehen. Outsourcing, prekäre Beschäftigung und Lohndumping haben parallel dazu „einfache“ und körperintensive Jobs unattraktiv gemacht, niemand mag sich mehr Bandscheibenfälle herbei geschweige denn für wenig Geld bis zur Rente (und darüber hinaus) die Knochen kaputt schuften.
Es ist heute ein Dilemma, vor dem die Wirtschaft steht. Sie benötigt dringend Personal, sieben trotzdem Anwärter mit allzu hoch angesetzten Hürden aus, gleichzeitig werden Forderungen seitens junger Arbeitnehmer immer unrealistischer. Den einzigen Ausweg, den Wirtschaft und Politik in dieser Misere erkannt haben wollen, ist der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte. Deutschland geht nicht nur am mangelnden Fachpersonal zugrunde, sondern auch im Bewusstsein, dass sich die Fronten zwischen heimischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern immer mehr verhärten. Da liegt so viel Potenzial brach, das sich durch Druck auf der einen und gleichzeitiger Fahrlässigkeit auf der anderen Seite automatisch negiert. Der Ausweg über Flüchtlinge und ausländische Gastarbeiter ist hierin nur ein weiteres Kalkül, Unwissenheit in Beschäftigung zu drängen und diese weiter auszunutzen. Dazu wirkt es einladend, wenn man diese weitaus weniger entlohnen muss, weil sie in der Heimat etwa nur ein Viertel dessen verdienen, was eine deutsche Fachkraft im Schnitt bekommt.
All das ist nichts Neues. All das sind Verhältnisse, über die wir schon seit Jahren kontrovers diskutieren müssen. Und dies ist nur ein grober Umriss um die prekäre Lage, die unseren Wohlstand bedroht, sei es durch Lobbyismus und Kontrollsucht korrumpiert oder durch Druck und Unwillen verstärkt. Das marode, westliche Wertesystem und der fragile Boden, auf dem es erbaut wurde, muss sich nun die Frage stellen, ob es so noch weitergeführt werden kann. Und mit jeder emotionalen Kurzschlussentscheidung wird dieses Gerüst wackeliger.
Dies zeigt sich an so vielen Dingen, die wir nur aufgrund anderer Vorkommnisse, wie nach dem Brückeneinsturz in Genua, hastig reparieren wollen. Statt eine flächendeckende Überwachung und Instandhaltung zu gewährleisten, lassen wir es teils ohne Not verkümmern, verkaufen dazu das Tafelsilber, weil es kurzfristig Kostenlöcher stopft und wundern uns dann, wenn der Kapitalismus dies entweder zerstört oder für ein Vielfaches weiterverkauft. Die Schieflage ist so eklatant geworden, dass jeder Neubeschluss wie etwa das Neun-Euro-Ticket erst hätte freigegeben werden dürfen, wenn die Bahn in einem akzeptablen Betriebszustand ist und auch das benötigte Personal hätte, das nicht beim Ansturm der Schnäppchenjäger heillos überfordert gewesen wäre.
Ähnlich scheinen die Versuche, Flüchtenden einen Sonderstatus zuzuschustern, indem man sie auch ohne Hintergrundwissen zu Fachkräften ernennt, wie eine irrlichtende Verzweiflungstat, den Flüchtlingszustrom von 2015 samt ausbleibendem Integrationseffekt nun mit Absenken der Voraussetzungen künstlich zu verbessern. Abgesehen davon, dass ein gewisser Anteil Integrationswilliger diese Absicht auch befriedigen wird, wird ein nicht unerheblicher Anteil derer durch das Raster fallen und eher als weiteres Problem denn als Bereicherung verstanden werden. So häuft man sich durch „Bestellung“ weiteren Menschmaterials den Anteil derer auf, die fast nur eine Belastung bedeuten. Und auch das ist nur ein weiterer Kurzschlussgedanke, der auf Masse statt Klasse schaut und sich nicht die Mühe macht, mit dem vorhandenen Personal zurechtkommen zu wollen – seien es nun Langzeitarbeitslose oder schwierige Jungarbeitnehmer, die man zuvor stark desillusionierte und sie nun als hoffnungslose Fälle fallen lässt.
Glaube siegt nicht über die Realität
Der Ist-Zustand ist nun mit Karacho zutage getreten, Kritik ließ nicht lange auf sich warten, Entsetzen machte sich breit. Und doch muss man sich wundern, wie naiv man, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in den Fachgremien, darauf reagierte, als wären solche Zustände nie bekannt gewesen. Die Schönrederei und -rechnerei hatte tatsächlich die Menschen in der Wahrnehmung betäubt, dass sie in dem Glauben lebten, alles wäre gut und wir hätten alles unter Kontrolle. Doch nichts davon ist der Fall – das könnte man wissen, wenn man auch nur ein wenig darüber recherchiert. Die Warnungen versickerten allerdings allzu häufig im Gutglauben falscher Positivität und der Verweigerung, Probleme zu hören und zu beseitigen.
Und nun stehen wir konsterniert vor der Realitätslawine, die über uns rollte. Vor allem im Wo(l)kenkuckucksheim der Grünen ist noch sehr viel Nachholbedarf in Sachen Realität, die ihre Ideale nun verwirklichen wollen und ständig an die Grenzen stoßen, die die Zustände regelmäßig aufzeigen. Zu häufig öffnet sich die Diskrepanz zwischen Moral bzw. Ideologie gegenüber des Ist-Zustandes, das sie häufig zu kleinlauten Selbsteinhegungen drängt. Wenn man Dinge für sich selbst beschließt und einen Lerneffekt erdulden muss, ist das eine Sache, aber in der Verantwortlichkeit gegenüber Millionen führt politische Sturheit zu Lasten vieler zu bürgerlichem Verdruss. Nun macht sich etwa Annalena Baerbock schon Sorgen über Volksaufstände, und einige Staaten machen bei Habecks strengen Sparplänen nicht mit. Nicht jeder EU-Staat ist bereit, für Ukraine oder Energiewende Selbstverletzung zu betreiben.
Man hätte es wissen können, es hätte die Entscheidung entsprechend beeinflussen können. Doch wenn es in einem Staat derart brodelt, dessen Anteil an Dysfunktionalität und fachlichen Defiziten so offenkundig werden, wirkt die Ratlosigkeit und das Umschiffen der Verantwortlichkeit weder souverän noch seriös. Den Bürgern dämmert, dass die Menge an Problemen, die uns bevorstehen, tiefgreifender sind als es allgemein hin dargestellt wird. Und dass jeder Versuch, dem entgegenzuwirken, uns eher vom Regen in die Traufe manövriert.
Denn muss man Risse im Fundament ernst nehmen und entsprechend sanieren, zumindest viel aufwändiger als diese Risse nur mit Spachtelmasse aus der Tube abzudecken. Und wenn wir mit dieser Verschleierungstaktik weiter arbeiten, wird das ganze Haus zusammenstürzen, bis niemand mehr die Ursachen nachvollziehen kann und man ratlos vor den Trümmern stehen, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg fundamental aus dem Weg geräumt und zu neuen Häusern aufgestellt hatten.
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Holger (Mittwoch, 27 Juli 2022 07:54)
Aus Naomi Klein "Die Schock Strategie":
"Mehr als drei Jahrzehnte lang hatten Friedman und seine mächtigen Anhänger genau diese Strategie perfektioniert: Auf eine große Krise oder einen Schock warten, dann den Staat an private Interessenten verfüttern, solange die Bürger sich noch vom Schock erholen, und schließlich diesen "Reformen" rasch Dauerhaftigkeit verleihen."
Friedman über die Schockdoktrin:
"Nur eine Krise - eine tatsächliche oder empfundene - führt zu echtem Wandel. Wenn es zu einer solchen Krise kommt, hängt das weitere Vorgehen von den Ideen ab, die im Umlauf sind. Das ist meiner Ansicht nach unsere Hauptfunktion: Alternativen zur bestehenden Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu halten, bis das politisch Unmögliche politisch unvermeidlich wird."
"Friedmans Wirtschaftsmodell läßt sich zum Teil auch demokratisch durchsetzen, die Implementierung der Vollversion bedarf aber autoritärer Verhältnisse. Damit die Wirtschaftliche Schocktherapie uneingeschränkt angewandt werden kann ... ist stets ein großes kollektives Trauma vonnöten, das demokratische Praktiken entweder vorübergehend ausser Kraft setzt oder sie völlig unterbindet."
Ich glaube nicht an Ahnungslosigkeit oder Dummheit bei unserem politischen Personal. Dafür wird zu viel Steuergeld zu zielgerichtet verbrannt, oder viel eher umverteilt. Für gewisse Interessenten ist der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung einfach ein riesiges zukünftiges Geschäft. Wenn dieses Volk tatsächlich mal vier, acht oder zwölf Wochen lang hungern, frieren und generell ganz tief im Elend stecken muß, dann wird es jeden als Heiland akzeptieren, der einen Ausweg aus dem Elend anbietet ... gegen zukünftigen Gehorsam natürlich. Und dann können all die schönen Ideen aus den dystopischen Romanen umgesetzt werden.
Sascha (Freitag, 29 Juli 2022 07:53)
@Holger
Da es nur Indizien sind, denen man folgt, will ich mich da nicht festlegen. Auch aus dem Grund, weil ich mich nicht von Politik oder solchen Plänen überlagertem Lebensinhalt vollständig dominieren lassen will. Man kommt nicht drumherum, sich eine Insel, eine Blase zu schaffen, in der das alles keine Rolle spielt. Sonst wird man ja verrückt, und gesund ist es auch nicht.
Cetzer (Samstag, 30 Juli 2022 13:32)
"Risse im Fundament" ... "wird das ganze Haus zusammenstürzen"
Vermutlich nicht so elegisch wie im 'Untergang des Hauses Usher' von E.A. Poe mit vielen Verfilmungen, Übersetzungen (laut Wikipedia mindestens 12 ins Deutsche), Theaterfassungen usw.
"zu neuen Häusern aufgestellt hatten"
Mit Hilfe von viel fossiler Energie; Damals noch überwiegend Kohle, aber auch Diesel für den Transport. Ich bezweifle, dass sich diese Zivilisation noch lange mit zunehmend weniger+teurer werdenden Ressourcen am Laufen halten lässt - Aber Wiederaufbau, jedenfalls im energiehungrigen Stil des Bisherigen, ist ausgeschlossen.
Es sei denn natürlich, die Kernfusion legt einen erstaunlichen Endspurt hin, weil Trendsetter und Welten-Retter Elon Musk den staatsverwöhnten Wissenschaftlern die kapitalistischen Leviten (ergänzt um abfindungsfreie Kündigungsschreiben) liest.