Ist es mittlerweile Gesetz, dass Zeitungen und Magazine, die „Spiegel“ im Namen haben, nun völlig den Verstand verloren haben? Ich habe es teils schon skizziert, gerade beim Augstein-Magazin, das gerade seine Reputation dem Bill Gates-Geldregen opfert und in Sachen zwielichtiger Berichterstattung ganz vorne mit dabei ist. Auch vom Tagesspiegel hört man kaum noch Gutes, und der macht kaum einen Hehl daraus, wie das Haus ideologisch tickt. Das wäre zuerst kein Problem für mich. Wenn ich mich für Vielfalt ausspreche, dann soll die Zeitung auch ruhig ihre Agenda verbreiten dürfen.
Doch ist es wie so häufig ein schmaler Grat zwischen Meinungskundgebung und übergriffigem Verhalten. Sagt man Tagesspiegel und Corona in einem Satz, rollen sich mir unweigerlich die Fußnägel hoch – hat er doch sehr weit vorne mitgemacht, die Kritik an der Coronapolitik verunmöglichen zu wollen. Dazu bedurfte es eines Aktivisten in der Redaktion mit gönnerhafter Chefredaktion im Rücken, der sich auf die Kritiker eingeschossen hatte: Sebastian Leber etwa, der zeitweise dadurch auffiel, mit all den Labeln um sich zu werfen, die der Denunzierungsbaukasten so hergab. Man hat ihm eine Zeit lang Aufmerksamkeit beschert, weil es in seinen Texten obligatorisch wurde, den Duktus der Antifa anzuwenden und so der offiziell verlängerte Arm der Linken genannt werden kann. Besonders augenfällig wurde dies, als er in Kroatien kurzzeitig verhaftet wurde, weil er Flüchtlinge aus dem Land nach Deutschland schmuggeln wollte. Zwar sah man keine Verfehlung im per se moralisch guten Verhalten, aber zeigte sich in dem Vorfall nicht nur ein Problem, das in Deutschland gerade übergreifend diskutiert wird und werden muss.
Leber war im Auftrag seines Arbeitgebers für Recherchen in die Region gereist. Das heißt: er hat als Journalist versagt, weil er Beruf von Privatem nicht getrennt hat. Da hätte er auch als Kriegsreporter eine Waffe auf eine Seite richten und abdrücken können. Meiner Auffassung nach steht das einem Journalisten nicht zu, derart auf das Weltgeschehen Einfluss zu nehmen. Also ist der humanistische Akt selbst nicht das Problem, sondern die Nichteinhaltung der Sonderstellung im Journalismus. Als es letztlich darum ging, die kritische Aktion #allesdichtmachen zu diskreditieren, zogen Leber und eine zwielichtige „Recherchegruppe“ ohne Namensnennung alle Register, einer vermeintlichen Verschwörung auf die Schliche gekommen zu sein und landeten lediglich beim Arzt Paul Brandenburg aus Berlin, der mit seiner Initiative 1bis19 für nicht mehr als gleiche Diskussionsverhältnisse sorgen wollte. Man munkelte schon wieder über dubiose Geldgeber in den Hinterzimmern, natürlich vorzugsweise rechts verortet, und hatte scheinbar schon im Hinterkopf, dass Recherchen etwa zu Steve Bannon und den Alt-Right führen könnten. Nichts dergleichen war nachzuweisen, die Sache versandete schneller, als sie hochkochte – geblieben ist aber der Promifaktor der Aktion, ein bisschen dringend benötigte Offenheit in der Debatte und die Beratungsresistenz des Tagesspiegel-Teams mit halbgaren Rechtfertigungen. Die Schauspieler-Aktion war sehr provokant, aber zum Glück fruchtbar geblieben, egal wie sehr man sich bemühte, die Nachfolger-Aktion „Alles auf den Tisch“ weiter schlechtzureden und Brandenburg selbst einem öffentlichen Tribunal zu unterziehen.
Doch an Läuterung und Einsicht war beim Blatt gar nicht zu denken. Nun hat es auch Kolumnen-Urgestein Harald Martenstein erwischt, einer der letzten Vernunft-Provokateure im Haus, der nun auch die Segel streicht. Wie so häufig in den Gazetten geht es um die schlichte Verwendung des „Antisemtismus“-Begriffes, und bezeichnenderweise wurde dies wieder relativ lose zu den „Querdenkern“ gelotst. Dass sich diese mit der Verwendung des Judensterns als gesellschaftlich Stigmatisierte nicht gerade Freunde gemacht haben – verständlich. Aber hat Martenstein eben das benannt, was jene Verwendung nicht zum absoluten Tabubruch macht – die offenkundige Wohlbekundung für die Situation der Juden im Dritten Reich, natürlich sich solidarisch mit den Juden zeigend, ist kein reiner Antisemitismus. Dieser Tatbestand wird erst erfüllt, wenn man Juden eben in einen Kontext bringt, was etwa Ultrarechte in den USA gerne fabulieren. Juden sind darin die Sündenböcke und werden der Täterschaft bezichtigt. Dem ist aber bei den „Querdenkern“ eben nicht so, sondern kann als Mahnmal für ähnliche Kampagnen gegen Bevölkerungsgruppen verstanden werden. Und trotz der Richtigkeit für das Selbstlabelling der Ungeimpften im Kontext der Maßnahmenpolitik sollte man vorsichtig im Gebrauch mit solch konkreter Symbolik sein. Auch das hat Martenstein in seiner gelöschten Kolumne aufgeführt – es gibt keinen vertretbaren Konsens darin und muss immer mit zwei Zungen gesprochen werden.
Nun sehe ich es nicht als Problem, kontrovers über Martensteins Aussagen zu diskutieren. Der Eklat ist erst entstanden durch die Entscheidung, die Kolumne einfach zu verbannen. Mir ist jedenfalls noch nicht untergekommen, dass man die Löschkultur nun auch in Zeitungen anwendet. Die ist dagegen so zahlreich in den sozialen Medien angewendet worden, dass es einem Dammbruch gleicht, Löschungen als normal zu erachten, wenn es einem Narrativ zuwiderläuft. Die Zeitung hat sich wahrscheinlich, angestachelt durch das kollektive Cancelling in Youtube und Co., nun der Selbstzensur unterlegt und mit ihrer offenkundigen Haltung abgesteckt, welchen Weg sie beschreiten will.
Wo liegt demnach die Motivation für den Tagesspiegel, so weit zu gehen? Ich bin vielleicht der falsche Ansprechpartner, das fundiert zu analysieren, aber streift es wieder sehr deutlich das Dauerthema Debattenkultur. Worin beim Blatt viel Motivation herrscht, hat man wie oben beschrieben gesehen, es streift den Aktionismus antifaschistischen Rechercheeifers, Rechte zu identifizieren und zu bekämpfen. Das mag bei der AfD noch auf fruchtbaren Boden fallen, doch zeigt sich auch, dass man bei der Antifa nicht mehr daran denkt zu differenzieren. Dieser festgefahrene Eifer wird seit geraumer Zeit toxisch, so dass auch die Definition von Nazi-Symbolik wie Judensterne und Begriffen wie „Antisemitismus“ bei ihnen selbst in den falschen Hals gerät. Das war bei den deutlich zu vernehmenden „Scheiß Juden“-Parolen von arabisch-stämmigen Demonstranten zu beobachten – hierbei wurde weniger Eifer an den Tag gelegt, die Skandierer ins soziale Abseits schreiben zu wollen.
Wie so häufig ist der Doppelstandard die Mutter des Gedanken, der gerade bei den Linken für eine innere Verwerfung, gerade bei der Corona-Politik, führt. Wenn eine politische Gruppe gegen Diskriminierung von Minderheiten kämpft und sie bei Ungeimpften genau so anwendet, sorgt das nicht nur für Irritationen, vor allem wenn sie sich einer Gruppe gemein macht, die lupenreinen Antisemitismus auf den Straßen zeigt. Der Widerspruch formuliert sich gar bei der betroffenen Gruppe selbst – Juden haben sich gar solidarisch mit den Protesten gezeigt, weil sie die Erfahrungen ihrer Vorfahren darin wiederfanden – in der Methode, nicht im direkten Nazi-Kontext. Hier sollte vielleicht der Maßstab angelegt werden und nicht durch die Moral, die man sich selbst zuschreibt. Wir wären besser beraten, weniger eine Agenda zu pushen denn die Reaktionen auf der Straße ernst zu nehmen, dann würde nicht jede Thematik mit dem Eindruck diskutiert werden, man müsse eine versteckte Absicht vermuten, die bei den deutungshoheitlichen Medien unter der Fassade durchscheint.
Das hilft niemanden wirklich, nur denen, die die Absichten vertreten und sie durchsetzen wollen. Das muss man mit Samthandschuhen anfassen und sich selbst in Zaum halten, vor allem bei der Benutzung von einer solchen Symbolik, die zwar im Wesen richtig ist, aber nur die auf den Plan bringt, die viel Aufwand betreiben, die Symbolik völlig aus dem Fokus zu rücken. Dort herrscht nämlich, bei Judensternen wie auch in anderen Aspekten, die Annahme vor, man dürfe nicht mal die Opfersymbolik wieder an die Oberfläche schwemmen, um dem Rechtsextremismus Mitglieder zu servieren.
Doch genau das tut es, wenn man die Symbolik und Vergleiche verunmöglicht. Es lässt sogar den Schluss zu, dass es ganz im Sinne George Orwells einen neuen totalitären Staat formiert. Der wird dann nicht unter Hakenkreuz-Standarten gelebt, sondern unter dem Regenbogen. Deswegen kann es nicht angehen, Kolumnen, Videos oder Posts zu löschen, wenn sie nicht grundsätzlich verfassungsfeindlich sind. Das wird weder dem Tagesspiegel noch der SPD oder den Grünen nutzen, wenn sie genau so handelt wie die, die sie als Feinde der Demokratie betrachten.
Natürlich spielt es ihnen in die Hände, dass Martenstein von selbst die Segel streicht, aber ist es stellvertretend für eine Entwicklung, die sich schon länger Bahn bricht – die woke Illusion einer bunten Welt und die gleichzeitige Löschkultur für Angst sorgt, überhaupt noch eine eigene Meinung zu sagen. Die entsprechende Allensbach-Umfrage spricht hier Bände. Dieser „sanfte“ Druck ist sicherlich nicht dasselbe wie Progrome oder „Kauft nicht bei Juden“-Vorkommnissen – in den Gedanken aber schon, die man lediglich von der Oberfläche fernhält, nicht justiziabel macht. Der Aktivismus, der dabei häufig für heftige Diskussionen sorgt, ist wohl bekannt. Doch ist es in meinen Augen nicht legitim, die Moral zu verallgemeinern, sie für sich zu beanspruchen und dann eine Doppelmoral an den Tag zu legen, wenn Gruppierungen gleichberechtigt von der neutralen Ebene aus beurteilt werden müssten. Sie ist nur eine neue Form alter Unmöglichkeiten, die wieder möglich gemacht wurden. Egal, ob sie „sanft“ daherkommt oder nicht – sie ist im Kern dasselbe. Und das ist gefährlich, wenn sie auch nur daran denkt, eine Minderheit ins Abseits zu treiben. Dann ist die Symbolik nicht nur Symbolik, sondern bittere Realität geworden.
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Holger (Donnerstag, 24 Februar 2022 07:17)
Seit früher Jugend an geht mir dieser Staat damit auf die Nerven, daß wir alle schlimme Nazis waren und die Juden in Deutschland ermordet haben. Und daß wir deshalb eine ganz besondere Verantwortung tragen.
"So etwas darf sich niiiiiiie wiederholen!"
Ok, Zustimmung dazu. Aber es geht ja noch weiter:
Jedes Jahr geht mir der aktuelle bundespräsidiale Schwätzer auf die Nerven, daß sich das niiiiiiie wiederholen darf.
Und jedes Jahr wird das Grundgesetz gefeiert, daß so etwas schlimmes wie die Nazizeit niiiiiiiie wie vorkommen darf.
Wir Bürger sollen wachsam sein, damit niemals wieder der Faschismus sein hässliches Haupt erhebt und schlimmes Unheil anrichtet.
Mein Problem dabei heutzutage ist: "Vergleiche sind verboten!"
Wie soll ich denn dann bitte feststellen (und nötigenfalls dagegen eingreifen), daß sich so etwas wie damals wiederholen könnte, wenn man die aktuellen Zeiten niemals mit der damaligen Situation vergleichen darf?
Und wie soll ich andere Leute aufwecken und darauf hinweisen, daß die Geschichte sich (leicht verändert - andere Zielgruppe) zu wiederholen BEGINNT, wenn ich nicht vergleichen darf?
Und WAS wäre denn ein (genehmes) leicht zu erkennendes Zeichen, mit denen man die Mitbürger ausreichend fest gegen den Kopf stoßen kann, damit sie ebenfalls aus ihrem Schlaf aufwachen?
Mag wer von den offiziellen Seiten mir vielleicht ein paar zufriedenstellende Antworten darauf geben?
Vielleicht eventuell der Zentralrat der Juden, der sich sonst zu jedem noch so kleinlichen Scheißdreck empört äußert? Na?
Ach, hat er schon. "Vergleiche sind Nazi."
https://www.rnd.de/politik/anti-corona-demos-zentralrat-der-juden-kritisiert-demonstrationen-katalysator-fur-verschworungsmythen-und-antisemitismus-AKNYNGGFDLM3V3MTDPJUCW33FA.html
Na, dann Gute Nacht.