Lange hatte ich mich gesträubt. Es ist nicht so, dass ich Lust habe, mich dieser Twitter-Dynamik nun völlig zu ergeben, aber in dieser ersten Woche nach der Erstanmeldung scheine ich zu erahnen, was da für ein Zinnober abgeht. Es war die nackte Neugierde, die mich da hingetrieben hatte und auch der Umstand, dass man dort Dinge erfährt, die mit dem Kurznachrichtendienst mehr offenbart als platte Artikel oder die Telegram-Bubble, die bisher noch den „Ausgestoßenen“ vorbehalten war.
Man muss zugeben, dass der dortige Tumult die öffentliche Debatte dominieren kann, und dass es auch faszinierend ist, wenn man lieber auf Popcorn und nicht auf Adrenalin- und Empörungsschübe steht. Ich will noch nichts vorwegnehmen, aber ich erlebe scheinbar gerade die ersten Zuckungen erster Resilienz- und Tunnelblickerscheinungen, wenn sich Trends zur waschechten, verbalen Massenschlägerei entwickeln. Da wäre zum Beispiel Ralf Stegner, der sich letztens „Kritik“ (ich würde es eher als Onlinekloppe bezeichnen) einholte. Es ging da um die Entscheidung der EU, Atomkraft nun als „nachhaltig“ einzustufen und er das natürlich nicht so sah. Scheinbar lässt sich „Ralle“ wohl von jedem provokanten Tweet beeindrucken, und es dauerte auch nicht lange, bis er sich in die Enge getrieben fühlte und daraufhin solche Atombefürworter mit „Impfgegnern“, „Rechten“ und sonstigen aktuellen Labels in Verbindung bringen wollte. Mein erster, echter Twitter-Aufreger, den ich sozusagen live mitbekommen hatte – juhuu! Das schaffte es dann auch gleich in die Nachrichten – und ich war beim Scharmützel dabei (ja, da back ich mir jetzt ein Ei drauf!).
Etwas anderes, sehr Bildhaftes, dann bezüglich der Montagsspaziergänge, konkret in Mannheim. Da feierte die linke Bubble die Menschenkette, die sich um das Rathaus gebildet hatte, als Sieg vor den „Querdenkern“, oder gleich als Zeichen des Umbruchs. Natürlich war es eine verzerrte Geschichte, weil man woanders erfuhr, dass mehrere Kleingruppen durch die Quadrate spaziert waren, also nicht als homogene Masse wahrgenommen wurde. Da wirkte die Freude über die Aktion, sich wie ein Schutzschild um das Gebäude zu stellen, etwa wie das freudige Jauchzen im Zwergenaufstand. Vom „ZeroCovid“-Banner will ich erst gar nicht weiterreden – bei einer Infektionsrate von 95 % Geimpften (nach Korrektur natürlich weniger) durch Omikron. Vergebene Liebesmüh. Sie bemerken es nicht.
Aber ist es ein prima Anlass, das Portal als Pendel zu verstehen, wie die Kräfteverhältnisse momentan aussehen. Ich bin doch etwas überrascht, wie präsent die kritische Masse im Zwitscherkäfig mittlerweile ist, entgegen meiner Erwartungen. Das mag jetzt jeden Twitterveteranen bekannt vorkommen, aber seht´s mir nach, ich bin neu hier. Ich habe jetzt erst mal Welpenschutz, basta.
Auch ein Fun Fact: Da ich ja so ein Fan der Volksver...p...etzer bin, wollte ich dort auch mal gleich eine Duftmarke hinterlassen. Es hat gerade mal zwei etwas ironisch gefärbte, provokante Tweets gebraucht, um von ihnen blockiert zu werden. Da bin ich nur darauf eingegangen, dass sie sich an „Desinformationsverbreiter“ Argo Nerd gestoßen haben, weil der ja ständig zwei Schlagzeilen nebeneinander legt und die Widersprüche dadurch deutlich werden. Die Petzer haben das mit fünf (!) Tweets versucht kleinzureden , während Argo Nerds Bilder selbsterklärend sind (Reden ist Silber, Schweigen ist Gold). Andererseits war mir auch fast schon klar gewesen, was sie von Diskurs halten. So viel wie eine Kuh vom Tauchen. Es war sowieso ein insgeheimer Wunsch von mir, die mal ein bisschen zu piesacken, aber Onlineportale machen es ja einfach, das nicht ertragen zu müssen. Ich gehe einfach mal davon aus, dass sie sehr viel Gegenwind bekommen haben und das Blocken zur Dauerbeschäftigung angewachsen ist. Da wünscht man sich einen Urlaub in der Hauptstadt und eine Adresse. Real-Piesacken, da kann man nicht einfach Knöpfe drücken wie bei einer Fernbedienung. Wer austeilt, sollte auch einstecken können.
Okay, jetzt bin ich auch mal drin im Chaos des Chaos menschlicher Mitteilungsabgründe, aber wenigstens hatte ich mich von außen einigermaßen darauf einstellen können. Bezüglich solcher Figuren, die mir schon woanders nicht koscher waren, muss ich nicht noch die empathische Seite heucheln, um letztlich wieder nur meine Gesichtsfarbe einzuröten. Es spricht auch nicht gerade für jemanden oder eine Gruppe, wenn sie nach zwei Tweets gleich die Blocktaste drückt. Die Resilienz wird dadurch überflüssig, leider ist das auch für die Psyche eine Form des Selbstbetruges, die Bequemlichkeit des Cancelns oder Blockens ersetzt langwierige Debatten.
Egal, bisher bin ich entspannt. Was war noch so los dort? Harald Schmidt hatte wegen eines Interviews mit der NZZ für ein leichtes Beben von 0,25 Kimmich auf der Richterleinskala gesorgt, weil... ja, weil es mittlerweile schon schändlich sein muss, wenn man die Impfung generell nicht mit der Geburt Jesu gleichsetzt. Eindeutig zweideutig, wie „Dirty Harry“ nun mal gerne ist (mei liebs Cleverle!), lässt er Mutmaßungen über seinen Impfstatus offen, und die linke Bubble rastet darüber völlig aus. Stöckchen – hühüpf! Auch Novak Djokovic muss gerade diese Erfahrung machen und hängt gerade im Behördenterror der NoCovid-Versager down under fest. Die Presse geiert natürlich wieder darüber, und der Tennisstar sorgt somit für einen globalen Aufreger - Kimmich heut nicht, Kimmich morgen.
Dann kam etwa Napoleon 2.0 daher und will „Ungeimpfte richtig nerven/ficken/ankacken“ (da scheiden sich die Geister an der Verwendung des Wortes „emmerder“). Der kleine Fratz von Mama Ehefrau scheint wohl selbst genervt zu sein, also will er wohl alle, die nicht auf sein Kommando hören, auf sein Kackniveau drücken. Freuen wir uns schon auf Gelbwestenwellen und die übliche Widerspenstigkeit der Franzosen, wenn denen was nicht passt. LKW-Sperren an Grenzen, oder so. Liberté, Egalité, Fraternité. Mich erinnert der kleine Bankerfatzke an einen alten Vermieter, der mich einfach rausekeln wollte. Baute sich vor mir auf und schrie mir direkt ins Gesicht (schade, heute – unter Corona – könnte ich ihm wahrscheinlich gleich ein schlechtes Gewissen einreden). Er wäre leidenschaftlicher Choleriker und will jetzt herumschreien, lautete einer seiner Spackensprüche. Natürlich war ich innerlich voll auf Adrenalin gewesen, strengte mich aber erfolgreich an, ruhig zu wirken. War natürlich mega-anstrengend, und nach der Szene heulte ich alleine die Lösung der Anspannung heraus. Hätte jetzt aber der pimpfige Emmanuel vor mir gestanden (wird ja wohl nicht vorkommen), hätte ich es ähnlich gemacht. Mach du doch das HB-Männchen. Ich zücke dann meine Wertungstafeln – 9,2. Beachtlich. Applaus. Hierzu gebe ich ihm eine hohe Wertung, mal gespannt, ob ihm das auch bei der Wahl in ein paar Monaten zuteil wird.
Dann noch mein geliebtes Karlchen. Ach, ganz ehrlich, ich habe sein monontones Stimmchen schon fast vermisst, nachdem er als Minister nun doch nicht mehr in allen Talkshows gleichzeitig sitzt und schon Stammgastbewirtung genossen haben durfte. Nach der Aufmerksamkeitsdrosselung haut er wieder einen Satz raus der Marke Freud´scher Versprecher oder schlicht geistiger Kurzzeitumnachtung:
"Wir können nicht darauf warten, dass eine Impfpflicht überflüssig wird, weil wir eine sehr hohe Durchseuchung der Bevölkerung haben."
Ich weiß ja nicht, was Sie gerade denken. Aber kann ich jetzt vor Freude im Dreieck springen, weil meine Annahmen dadurch indirekt bestätigt wurden? Dass valide Daten (soweit vorhanden) gerade die Pläne einer Impfpflicht und weiteren Einschränkungen völlig kaputt machen könnten? Eigentlich fast rührend, dass er zusätzlich mir und anderen „Ungeimpften ersparen [will], dass sie auf die Intensivstation kommen“. Kaum einem wird aufgegangen sein, dass es wohl eher eine Hassdynamik auf Ungeimpfte hochkochen soll, Level 42 of Hocheskalation – Lessons in Love (ein bisschen kontextfreier klingt es bezeichnend). Ich kann mir nicht vorstellen, dass Karlchen so ein Naivchen sein soll, weil ich schon öfter gesehen habe, wie hinterfotzig der Mann in seinen bisherigen, öffentlichen Auftritten nachtreten kann. Kein HB-Macrönchen, eher der auf dauerfreundlich tuende, unscheinbare Ökonomendrecksack. Eins ist jedenfalls gut – das Thema Impfpflicht wird nicht so einfach durchgewunken werden, und es wäre eine Bankrotterklärung sondergleichen, würde man das jetzt auch einfach so machen. Ich sag´s nur, ich will ja auch manchen Politikern ersparen, vors Kriegsgericht zu kommen.
Noch ein Nachwort zu Twitter: wenn ich das einigermaßen neutral betrachten kann, dann findet dort ein Hasstennis mit endlosen Ballwechseln statt. Natürlich habe auch ich eine Meinung und hinterlasse die auch nicht selten, aber ich rede mich jetzt erst mal damit heraus, dass mich die Anfangsfaszination noch nicht zermürbt hat. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis das eintritt. Derweilen werde ich mich noch ein bisschen ins Getümmel stürzen, um eventuell für Reichweite zu sorgen, aber das nur als Nebentätigkeit und ohne Anspruch auf Erfolgsaussichten. „Dabei sein ist alles“ ist wohl die beste Methode. Man muss sich ja nicht zu sehr gemein machen mit all jenen, die all ihre zerquetschten Unfallopfer auf der Straße zusammenkarren und ein Gruppenfoto davon machen nach dem Motto: „Den habe ich überfahren!“, Däumchen hoch und in die Handykamera cheesen.
Derweilen hole ich mir eine XXL-Packung Popcorn und ergötze mich noch ein bisschen an Jörg Kachelmann. Der Mann ist mittlerweile zum Phänomen mutiert und völlig wahnsinnig geworden. „Schwurbeldumm“ gibt er sich wahrlich, gibt jedem Gaffer tagtäglich genügend Stoff für Unterhaltung und liefert sogar noch die Munition, die er selbst quer über´s Feld schießt. Genau für so etwas habe ich angemeldet.
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Struppi (Montag, 10 Januar 2022 21:53)
Danke für die schöne Zusammenfassung.
Ich habe diesen Ort im April 2020 verlassen (nach 10 Jahren) weil mich die damals beginnende Hasswelle, gegen jeden der Kritik an der offiziellen Linie wagt, schnell zermürbt hat. Aber da war nicht mehr viel Widerstand.
Agro Nerd guck ich mir auf telegram und Nitter.net an und Kachelmann bin ich auch gefolgt, aber vermissen tu ich nicht.
Ich bin mittlerweile wieder - wie in den "Nullerjahren" - auf Blogs und Dank dem Maschinist hier. Vor allem vom Artikel "Ey, Mann, wo ist mein Links?" war ich geflashed, weil es auch einen grossen Teil dessen beschreibt, was ich in den letzten Jahren (vor allem auf Twitter) an inneren Wendungen erlebt habe.
(Der Maschinist hat zu dem Thema ja auch schon was geschrieben https://maschinist.blog/2021/04/24/fuck-you-nach-mir-die-lava/ )
Du bist auf jeden Fall im Feedreader.
Sascha (Samstag, 15 Januar 2022 16:36)
@Struppi
Lieben Dank für deinen Kommentar!
Wir machen wohl viel durch die Tage, das ist wahr. Ich halte es auch so wie der Maschinist - einfach alles von der Seele schreiben, Mülleimer rauf, reinkotzen, fertig. Gerade das, was links so abgeht, da können wir alle wohl nur noch mit dem Kopf schütteln.