Wir reden schon wieder über Wellen. Nach zwei Jahren Chaos muss ich ja nicht mehr erwähnen, was das bedeutet. Merkel (ist die nicht mittlerweile Zuschauermmasse?) denkt in ihrer Besorgniswelle schon ganz akademisch-mathematisch über „xG“ am Arbeitsplatz nach (je kleiner x, desto besser). Mir als technischer Angestellter sind Wellen durchaus bekannt, die sind aber eher in der Steckdose zu finden. Das nur am Rande, ich mag ja auch Meerwasser in Wellen. Wellen waren mitunter das Einzige, das in der Krisenzeit immer mal wieder als Schlagwort Artikel füllten.
Im Jahr 2 a.C. (anno Corona) ließe sich sogar in Netflix-Sphären denken, also welchen Gesetzmäßigkeiten eine erfolgreiche Serie unterlegen ist.
Staffel Eins ist meist noch ein Herantasten, um die Reaktionen der Zuschauer abzuwarten. Bei Netflix ist es im Grunde kein Hexenwerk, schnell noch eine weitere Staffel nachzuschieben, und so hat der momentane Dauerbrenner „Corona – Die Serie“ nun vollends sein Publikum im Griff. Die Positiv-getestet-Explosionen flackern effektvoll über den Bildschirm, der böse Clan der Ungeimpften liefert sich blutige Schlachten mit der guten Impflingsarmee. Es läuft auf Krieg hinaus, und die Hohepriesterin eines dubiosen Orakels in den Bergen der Macht, Donna Angelas Merkelus, prophezeit in jeder Szene, in der sie Screentime hat, düstere Zeiten herbei.
Dass die Serie zuweilen an Längen und Inhaltsschwäche leidet, liegt an der Skizzierung der Handlung. Die Entwicklungen und Intrigen hin zu sowie die Schlachten selbst sind hier deutlich erkennbar im Fokus gehalten. Die löchrigen Infofetzen, die die Drehbuchautoren C. Drosten und L. Wieler ins Buch schrieben, bedürften noch viel Nacharbeit, aber in der Eile, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft eine neue Staffel fertigzustellen, muss das eben auf der Strecke bleiben. Die Handlung ist deutlich auf die Hauptfiguren zugeschnitten, auf der einen Seite die Leader der Guten: Jensos Spahnos, Karlos Lauterbachus und Melania Brinkmannusa. Die stacheln mit kämpferischen Worten ihre Allianz der Impfwilligen an, eskalieren sie hoch, natürlich von der Moral beseelt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Dem steht als Gegenspieler die Horde des Querdenker-Kultes entgegen, angeführt von Count Kimmich, der Hexe Sahra-la und dem verwegenen Überläufer Ricardo Davidus Prechtos.
Natürlich ist Staffel Zwei noch viel mehr mit Effekten gespickt. Explosionen, Säbelrasseln und blutige Szenen haben deutlich zugelegt. Die anfängliche Zurückhaltung ist mit dieser Staffel passé, es wird geklotzt statt gekleckert. Das Gesetz der Serie besagt, dass das sein muss. Und prompt bedienen uns die Panikmacher mit einem Drehbuch alter Lesart und noch mehr Superlativen. Inzidenzen sind gleich doppelt so hoch wie im selben Zeitraum 2020, ein Zahlenfest für jeden Fan von Schrecken, Krankheit und Tod. Na ja, und so geht es dann weiter... Noch mehr Effekthascherei, Zahlengewichse, Impfaufschreie, aus normalen Dialogen wurden Kreischorgien, weil man die Leute ja irgendwie aus der Lethargie wecken muss. „Oh, äh, ja, Corona...“, stottert die Couchpotatoe verschlafen und greift zur Bierflasche. Staffel 4, Folge drölf: „Die megakrasse Welle“. Blabla, derselbe Mist, nur jetzt noch krasser. Und weil es immer noch ein paar Schauunwillige gibt, verkauft man die Serie jetzt an alle öffentlich-rechtlichen Sender. Abnahme- und Sendegarantie mit Wilhelm unter dem Vertrag, also darf dann geklaut werden und eine Quasi-Parallelserie als Senoirenteller nach der Tagesschau laufen. Oder man klaut einfach so und verwurschtelt das Erfolgsrezept in Eigenproduktionen.
So wird uns ein buntes Potpourri kredenzt, etwa im Ersten unter dem Slogan „Vielfalt im Ersten“. Die nächsten Tatort-Folgen sind schon in Planung, Untertitel: „Unter Schwurblern“, „Schwurbelkulte“ und „In den Fängen des Schwurblers“. Zur besten Sendezeit, um 20:15 Uhr, sendet die ARD eine Varieté-Show der Extraklasse. Eckart von Hirschhausen moderiert ganz im Geiste der Luther-Revue mit Big Band und extravaganter Bühnenshow. Exklusive Gäste runden das Programm ab, C. Drosten und L. Wieler, die Autorenhelden, geben sich ein Stelldichein mit dem omnipräsenten Fernsehdoktor. Ferner wird angekündigt, einen Mehrteiler zu produzieren. „Attilas Erbe“ erzählt die Geschichte eines Kochs, der vom rechten Pfad abkommt. Die Twittergemeinde läuft Sturm, weil sich woke Veganer nicht mit einem rechtsradikalen Oberveganer gleichgesetzt fühlen wollen. Auch wird sich darüber entrüstet, dass man dem Täter eine persönliche Hintergrundgeschichte mitgeschrieben hat.
Für das jüngere Publikum sind dann die Privaten zuständig. RTL 2 bringt wieder eine Sendung mit Ranglistencharakter - „Die 12 schlimmsten Querdenker“, ihren Senf dürfen dann, wie immer, ganz superwichtige Promis wie die Geissens oder Pietro Lombardi abgeben. Natürlich führt Attila die Liste mit Abstand an, da brabbelt sich irgendeine „Köln 50667“-Ikone schnell in Rage. „Voll der Spacken, Alta!“ Spiegel TV widmet sich in einer Sonderfolge der Recherche. „Auf den Spuren der Basis“ heißt es bedeutungsschwanger, exklusiv begleitet ein Filmteam den Schwurbeljäger Sebastian Leber vom Tagesspiegel. Beste Voraussetzungen für eine fundierte Spurensuche. Der Lohn ist eine Nominierung für den deutschen Fernsehpreis.
Es stellt sich bei all der Vielfalt nur die Frage: was wird im März 2022 sein? Irgendwann müssen doch die Ideen mal ausgehen, jeder Promi bis zum Erbrechen gesendet, ausgezeichnet und eingeladen worden sein. Und wenn die Pandemie irgendwann einmal, vielleicht wirklich März 2022 als beendet ausgerufen wird? Herrscht dann die große Depression vor? Ein Post-Corona-Loch in den Sendeanstalten? Netflix winkt da nur ab und produziert schon fleißig neuen Stoff. Die neuen Wellen werden dann in bester Serienmanier an den Zuschauer gebracht, und man weiß: das wird erfolgreich. Auch wenn es nur mehr vom Gleichen ist. Aber dazu braucht man nur lauter zu schreien, dann hält man jeden damit wach. Und die Wokeness eignet sich wunderbar dafür, weil die Woken, wie wir wissen, gerne schreien. Bis der Arzt kommt. Oder neue Wellen. Das füllt Sendeplätze. Oder nur das Fass, das irgendwann überläuft. Dann empfehle ich einen Finger in der Steckdose – DAS ist eine Welle!
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