Mit den Nachwehen der Flut scheint wohl auch der Spruch „Schlimmer geht immer.“ Hochkonjunktur zu haben. Es dauerte gerade mal bis zum Abflachen der ersten emotionalen Schockwelle, und schon waren sie wieder da – Querdenker, Nazis, et cetera pp., die - diesmal ganz perfide und rapide konstruiert - angeblich Profit aus der Situation schlagen wollen. Ich will an dieser Stelle offen lassen, ob es tatsächlich so ist, und ich kenne nur den Spendenaufruf von der „Basis“, wenn man sich überhaupt auf dieses tunnelige Narrativ einlassen will.
Man muss sich das mal zu Gemüte führen: wenn man gerade damit beschäftigt ist, Schutt wegzuräumen, Wasser aus den Häusern zu entfernen und psychisch fertig ist, weil Hab und Gut weg sind oder man gerade eine geliebte oder bekannte Person verloren hat, haben die Medien nichts besseres zu tun, als Corona über die massive Trägodie zu legen und Feindbilder mit einem Fingerschnippen zu reanimieren. Eigentlich ist es egal, wer da die Finger im Kuchen hat – wer nicht an die Menschen denkt und nur seinen Vorteil aus der Situation ziehen will, verhält sich schäbig. Bester Stoff für Daily Soap-Geseier, da seh ich gute Helfer, schlechte Helfer.
Kaum geschehen, wird die Gemengelage schon nach wenigen Tagen unübersichtlich. Das ZDF macht sich sogleich selbst zum Affen. Man gelangt sehr schnell via Facebook zur Seite von Lohnunternehmer Markus Wipperfürth, der neben der Hilfsarbeit vor Ort alles dokumentiert und mit organisiert, telefoniert, bis die Ohren glühen und jedes lokale Hilfsangebot verbreitet. Darauf wurde auch der Sender aufmerksam und interviewte ihn zuerst wohlfromm und scheinbar in bester Tralala-Laune, hatte aber wohl nicht damit gerechnet, dass Wipperfürth kritische Worte zur fehlenden, externen Hilfen findet. Das darauf folgende Gestammel und der Rechtfertigungsversuch sowie eine dummdreiste Zurechtweisung der Moderatorin sprechen dabei Bände. Ihre Verweise auf andere Medien wirken wie hastig zusammengeschusterte Scheinargumente; ihre Anmaßung, die sie nun Wipperfürth versucht unterzujubeln, hat wohl einen schalen Gestank im Studiomief entwickelt.
Es brauchte nur wenige Tage, bis die Lage vom bequemen Redaktionsschemel aus gegenüber der Wirklichkeit wieder zu einer Verzerrung der Wahrnehmung führte. Und sie leisten sogar ihren Beitrag dazu, indem sich Außenreporterinnen mit Schlamm einschmieren und sich als Anpacker inszenieren. Genau hier liegt das Problem der Medien in heutigen Zeiten. Scheinbar herrscht bei ihnen die Meinung vor, das alles wäre ein großes Theaterstück, dem man sich eine Nebenrolle erschleichen kann, natürlich mit dem Kalkül eines Jim Carrey - „Ich werd´ Anchorman!!“. Sie bedienen sich beim Schmerz für die Rolle, und inszenieren sich selbst als Kümmerer und Empathen. Zu blöd, wenn jemand, der ständig vor Ort ist und einen guten Überblick über die Situation hat, nicht das wiedergibt, was sie erwarten. Und selten dämlich, wenn man mitten auf der Straße versucht, mit Natur-Makeup Method-Acting zu betreiben.
Der Relotius-Effekt hat nun auch RTL erreicht, und wer weiß, wo wie noch nachgeholfen wurde, damit das Schauspiel noch etwas dramatischer wirkt. Vielleicht hilft es zu erkennen, dass die Realität zumeist etwas banaler ist – da gibt es keine epische Musikuntermalung, kein Regisseur, dem die Szene zu statisch wäre und man hier und da noch einen Schmutzfleck auf Fassaden und Gesichter als Wirkverstärker nachzeichnen müsste. Nein, es ist einfacher. Ohne Soundtrack (außer das Radio läuft), ohne Ästhetik, ohne Schnitte. Ein Naturschauspiel. Ich glaube, in den Medienhäusern bräuchten manche einen Crashkurs in Sachen Realität.
Anstatt eine möglichst nüchterne Betrachtung der Lage wiederzugeben, verlagern sich die Grabenkämpfe nun zu Katastrophenmanagement bis zu den Todeszahlen. Der dickste und medial am aufmerksamsten verfolgte Hammer ist selbstredend die Warnung der Wetterdienste, wo schon Tage zuvor Alarm geschlagen wurde und nun bestens weggestammelt von einer weiblichen Wolfgang Petry-Imitatorin während der nachfolgenden Bundespressekonferenz. Weiter wurde laut Ministerin Bär der Alarm „bewusst“ nicht ausgelöst, um eine „Panik zu vermeiden“. Auch das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: anderthalb Jahre halten Regierung und die immer selben Virologen mit ihren Verkündungen die Nation in Angst, und nun wird auf Sirenengeheul verzichtet. Eine diffuse Virusgefahr wird mehr gewichtet als eine konkret sich anbahnende Überschwemmung. Aber Impfbus muss her – ganz wichtig! Superspreaderevents geben der Region den Rest... Das traurige Ergebnis lässt sich momentan nur geschätzt wiedergeben. Die Rede ist von 90 bis 200 Toten, vielen Verletzten. Durch das Wasser. Nicht an und mit Covid-19. Ohne Intensivstation, ohne Quarantäne. Wasser, Lunge, schweres Treibgut – tot.
Was habe ich davon? Verwirrung, Frust (also noch mehr als sonst), aber auch Schadenfreude und anständigen Respekt. Respekt vor denen, die einfach machen, anpacken, schaufeln, wischen, sich die Kleider einsauen. Und – natürlich – ein paar Pfund mehr Abscheu und Nelson-Momente gegenüber unserem ÖRR. Man kann sich gerne Tagträumereien hingeben und der Realität entfliehen, aber diese Exit-Strategie sollte den Betroffenen vor Ort vorbehalten sein und nicht denen, die darüber berichten sollen.
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Publicviewer (Sonntag, 01 August 2021 21:22)
Wenn wir die Elite und deren Adlaten nicht beseitigen, wird sich nichts ändern!
Schirrmi (Montag, 09 August 2021 16:51)
Auf den Punkt!