Historischer Nährboden für Political Correctness
Um zu verstehen, warum die Political Correctness so geworden ist, wie sie heute ist, muss man ein wenig in die Historie eintauchen und sie in Relation bringen. Es gibt mittlerweile kaum noch Bereiche des vergangenen Lebens, in denen das linksliberale Milieu nicht fündig geworden wäre. Dies lässt sich vor allem aus historischer Sicht gut darlegen, es ist eine wahre Fundgrube an minderheitsfeindlichen Strukturen, Vorfällen und Zitaten. Nun hat Deutschland darüber hinaus eine Exklusivität für sich gepachtet, als Land mit einem der größten Schandflecken der Menschheitsgeschichte behaftet zu sein.
Nun hat sich Deutschland längst wieder erholt, stieg in die Spitzenränge der Volkswirtschaften in der Welt auf und wurde im Laufe der Nachkriegsjahre sogar wieder ideologisch rehabilitiert. Parallel dazu schielten wir immer wieder in die Welt hinaus und hofften auf Lob für unser neues Image – ein Sommermärchen für die geschundene, patriotische Volksseele, als etwa die WM 2006 als globales Happening verwendet worden konnte, der Welt unser neues Antlitz zu präsentieren. „Die Welt zu Gast bei Freunden.“, hieß es damals in bestem Kumpelton. Man kann behaupten, dass wir uns globalpolitisch wieder dem Niveau des Ideals von Freiheit und Einheit angenähert und uns sogar im alltäglichen Sinne einigermaßen überzeugt vom Faschismus verabschiedet hatten. Kleinere Störungen wurden gar von den Bürgern selbst ausgeglichen, so blieb die Zahl von Nazis sehr überschaubar, weil sie kaum jemand zur Kenntnis nehmen wollte und die entsprechende Kontra-Bewegung von Punks und Linken einen ausgleichenden Effekt bedeutete. Man duldete diese Subkulturen insofern, dass man ihnen den Freiraum ließ, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen – sie sollten lediglich niemand Unbescholtenen darin verwickeln. So zumindest stellte sich für mich das Leben in den 80ern dar.
Osten 2.0
Dann kam der Osten hinzu. Erst aus den Fängen des Kommunismus befreit, dann in bester Wühltischmanier ausgenommen. Ich denke, das hat einen tiefen Vertrauensbruch unter den ehemaligen DDR-Bürgern verursacht, anders lässt sich die Wut auf alles Fremde bei einem bestimmten Teil der ostdeutschen Bevölkerung wohl kaum erklären. Als Symptom entstand ein neu definierter Fremdenhass, der vor allem in organisiertem Maße vorrangig im Osten zu beobachten war – bis hin zur NSU-Mordserie. Statt selbstkritisch die Entwicklungen einzuordnen wurde der „dunkle“ Teil Deutschlands als neues Spaltungsmerkmal skandalisiert und die Bürger pauschal in die Schuldfalle manövriert. Der Westen hingegen erhob mahnend den Finger und sich selbst trotz des Treuhand-Selbstbedienungsskandals zur moralischen Instanz.
Ein weiteres Element, das Internet, wurde synchron dazu zu einem Brand- und Interventionsbeschleuniger. Als man versuchte, die Auswüchse dieser neuen Rassismuswelle zu verstehen, stieß man vermehrt auf die vermeintliche Neutralität des World Wide Web, in dem sich rechte Gruppen sorglos vernetzen konnten. Das Netz war bisher nur sehr spärlich mit rechtsstaatlichen Mitteln reguliert worden, was individuelle Hemmschwellen senkte – links wie rechts. Nun musste ein regulierendes Organ her, der solche Vernetzungsmöglichkeiten einschränkte.
Jeder war sich einig, dass ein zweites Naziregime nicht sein durfte. Das stellte im Gegenzug jenen einen Freifahrtschein aus, die sich als Linke und philanthropisch betrachteten. Doch hat selbst dies eine Dynamik entfaltet, die man schleichend als totalitär betrachten muss. So startete eine selbst definierte Gruppe einen Feldzug durch die Weiten und Tiefen des Internets, während staatliche Institutionen sich immer noch analog um Paragraphen und nationale Bremsmechanismen stritten. Es ist im Stillen eine selbstorganisierte Bürgermiliz entstanden, die in ihrer Agenda clever die wichtigsten Strategiepunkte besetzten. Wikipedia etwa ist fest in deren Hand und verbreiten ihre Definition von Bildungsauftrag durch politische und gesellschaftliche Einflussnahme. Mit einem neutralen Brockhaus-Wälzer von einst hat das nichts mehr gemein, sondern ist – man muss es so hart sagen – eine linkspropagandistische Plattform geworden, die millionenfach in Anspruch genommen wird. Wikipedia ist deshalb im politischen und gesellschaftlichen Kontext als Wissensquelle ungeeignet, und dabei sind die sich selbst einschreibenden Unternehmer durch Geldgeschenke noch das kleinere Übel. Wer dort das Sagen hat, kann Existenzen vernichten.
Mama Facebook
Diese massive Besetzung von digitalen Bildungsinstitutionen hat eine Werteverschiebung und Legitimationsrevolution zur Folge. Dass die Millenials durch diese fehlende Neutralität geprägt wurden, zeigt sich besonders in jüngster Zeit, in der reale Erziehungsmaßnahmen durch den Internetkonsum obsolet zu werden drohen – sie beziehen ihr Wissen nicht mehr durch Übermittlung von Lebenserfahrung und sind mitunter sehr ungeduldig geworden, wenn das Netz schon so viel praktischer und schneller agiert. Das alte Prinzip von Wissensvererbung an die Kinder hat somit seine Relevanz verloren – die neuen Eltern sind in diesem Zusammenhang das Internet und gleichgesinnte User.
Dies hat jedoch auch reale familiäre Bezugspunkte aufgeweicht. Die eigenen Eltern haben zweierlei an Relevanz verloren: durch antiautoritären Trotz gegenüber der Nachkriegs- und Babyboomergenerationen und dass diese sich selbst in die Filterblasen von Facebook oder Twitter haben hineinziehen lassen. Und wer da nicht rechts sein will, ist eben nur eines – moralisch und ideologisch links, zuvor geformt von den Wikipedia-Guerillakriegern mit selbst definiertem Richtig-Falsch-Schema.
Ist das Internet also die Henne oder das Ei in diesem Krieg um Identitäten und Ideologien? Fest steht, dass es durch seine neue Vorreiterrolle als ständiger Begleiter des Menschen eine Bezugspunktverlagerung herbeigeführt hat. Und dort hat sich eine neue Ideologienlandschaft hervor getan, die trotz der Vielfältigkeit auf sehr einfache Lagermechanismen zusammenstreichen lässt – schwarz und weiß. Es hat die Realität überholt und übernimmt nun die Erzieherrolle, Partnersuche, Urlaubsplanung, Behördengänge – was auch immer sich in die virtuelle Parallelwelt übertragen lässt. Es ist ein „second life“ geworden, eine „Sandbox“, in der man prinzipiell tun und lassen kann, was die reale Welt einschränken würde; sei es durch Eltern, Gruppenzwänge oder Gesetze. Man hat sich nur selbst Schranken gesetzt, und die lauten: nicht rechts zu sein und die Weltgemeinschaft als Spielkameraden und Kameradinnen in diesem Sandkasten willkommen zu heißen. Ergo: nur eine andere ideologische Form derselben Dynamik, ein Spiegelbild des Feindlagers.
Das Sein über das Tun stellen
Was dem Spielwiesenprinzip jedoch fehlt, ist die echte Familie. Sobald Smartphones und das Internet in deren Leben tritt, zerfällt auch diese Orientierung in den Köpfen der Kinder. Was früher die Clique war, ist heute die Facebookgruppe und das Interessenspektrum unter Hashtag-Ägide. Zwar bieten diese Plattformen allerlei Entfaltungsmöglichkeiten, aber im Gegenzug keine Orientierung im familiären Sinne, und so wirbeln sie mal eben alles analoge Verständnis von Persönlichkeitsbildung durcheinander. Das Internet sagt dir nicht nur, dass du Sohn oder Tochter bist, sondern präsentiert zusätzlich ein üppiges Einkaufsregal an Identitäten und wertet den normalen Lebensalltag gleichzeitig ab.
Wie tief es sich dort hinein gefressen hat, sieht man am Beispiel des Ablaufes bei einem Bewerbungsgespräch. Hier spielt weniger die fachliche Expertise eine Rolle, sondern das öffentliche Image. Den Unternehmen ist eher ihrer Außendarstellung gelegen denn nach echten Fachkräften, die vielleicht anecken könnten oder der eigens aufgebauten Hierarchie zuwiderlaufen, weil sie über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügen. Und so hat sich eine Unsitte eingeschlichen, die viele Blüten treibt: wer wirklich weiterkommen will, Erfolg haben will und beliebt sein, soll eine besondere Eigenschaft vorweisen, während Endergebnisse weniger zählen. Wer jedoch unverblümt oder fahrlässig Saufbilder auf Facebook hochlädt, das auch nur ansatzweise das Image der Firma beschädigen könnte, soll sich bitte nicht darüber beschweren, wenn es ein Karrierehemmnis darstellt, egal wie gut man in dem Job ist.
Quotendebatten und der Schutz von Minderheiten haben heute einen sehr hohen Stellenwert eingenommen, was wiederum zu Kompetenzdefiziten führt. Sie für die Inklusion etwas gleichberechtigter zu behandeln, ist richtig. Sie bevorzugt zu behandeln und ein Gebrechen oder eine zuvor diskriminierte Identität als Einstellungskriterium voranzustellen führt allerdings zu erstens Zersetzungserscheinungen in unseren Qualitätsansprüchen. Es wird zu viel Wert darauf gelegt, den „Laden zusammenzuhalten“ und das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter zu optimieren denn zu ergründen, warum eine Terminarbeit wieder mal nicht eingehalten wird oder qualitativ schlecht geworden ist.
Tod der Unvernunft
Die Political Correctness ist demnach nicht nur ein selbstgesetztes, generationsspezifisiches Phänomen, sondern auch Ausdruck eines öffentlichen Unternehmernarratives, auch bekannt als „corporate identity“. Das Selbstbild des Individuums ist also die Übernahme einer Marketingstrategie, eine Broschürenidentität mit vertrauensbildenden Sinnsprüchen und ausgewählten Baukastensatzteilen. Und auch hier zeigt sich das Geifern nach einem Ideal, einem „second life“, das keine Wünsche offen lässt und im Gegenzug dennoch einengt. Das Framing wurde auch auffällig ins Umgangssprachliche übernommen: in Zwiegesprächen etwa werden offizielle Begrifflichkeiten wie „gestalten“ oder „Verantwortung übernehmen“ verwendet, was wahrscheinlich schöner klingt als „machen“ und „auf Konfrontationskurs gehen“. Immer mehr junge Menschen leben asketisch, tendieren in jeder Lebenslage zur absoluten Vernunft. Oder anders ausgedrückt: Mal unvernünftig zu sein, sich gehen zu lassen, das ist nicht mehr ihr Ding. Neckisches Reden, Fehlerkultur, Risikobereitschaft wurden zu No-Gos erklärt.
Man ist anständig geworden - der feuchte Traum von Autoritären und jedes Firmeninhabers. Und so nähern sich eine traumatisierte 50er-Jahre- und eine sich selbst traumatisierende Upper-Class-Generation in ihrer grundsätzlichen Rhetorik an. Ist nun anzunehmen, dass sich ein neuer Konservativismus einschleicht? Ist das neue Links nicht doch Rechts?
Dem möchte ich mich im letzten Teil der Reihe noch gesondert widmen.
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