Wenn ich als mich links Identifizierender schon sage, dass Links eine Gefahr ist, dann muss ich mich nicht rechts fühlen oder grundsätzlich in die Ecke schieben lassen. Ich muss mir das manchmal selbst wieder klarmachen, weil ich im Selbstcheck meiner politischen Einordnung nicht mehr weiß, wo man überhaupt noch ansetzen soll und wo genau man seine eigenen Werte mit einer Partei verbinden kann. Man fühlt sich in Einzelaspekten von den Linken oder der SPD als einstige, politische Heimat noch vertreten, doch die Mehrzahl an ideologischen Parolen treibt mich regelmäßig in den Wahnsinn. Bis 2019, Anfang 2020, ließ ich noch erstaunlicherweise gewähren, wenn man nicht in allem miteinander übereinstimmte, doch jetzt ist die linke Politik von den Aspekten dominiert, die die wenig übrig gebliebenen Schnittmengen leider zu sehr ins Abseits rücken.
Und da muss ich wieder mein Herzensthema Corona vortragen, weil es damit diesen riesigen Schritt ins linke Abseits gegangen ist. Und immer diese Fragen: Was ist mit den Linken plötzlich los? Warum ist die Antifa so eine Arschloch-Veranstaltung geworden? Warum sind SPD und Grüne denn nun nur noch die Hülle ihrer einstigen Roots? Warum nur noch diese Worthülsen und im Gegenzug diese ernste, gefährliche Doppelmoral?
Fragen über Fragen. Eine Erklärung dafür muss man sich mühsam zusammenklamüsern. Man kann nur beobachten, wie sich etwa die Grünen geschlossen wie einstige, repressive Systeme mit Moralparolen und im vorauseilenden Eifer eine zu ihren schriftlichen Werten abgewandte Politik betreiben. Indizien findet man zuweilen nur bei jenen, die sich auch trauen, das Kind beim Namen zu nennen. Alle anderen traumtänzern unwissend im Strom des Narratives umher und nehmen jeden Zeitgeist unhinterfragt mit. Und lassen sich sogar Verhaltensweisen diktieren, die nichts anderes bedeuten als die letzten Reste des gesellschaftlichen Zusammenhalts unter ihren Füßen zu zermalmen.
Und ständig dieses autoritäre Verlangen nach der Assimilation via ständig wiedergekäute Stichworte – sei jetzt mal solidarisch, sei jetzt mal empathisch, impfe dich zum Schutz des Kollektivs, stehe jetzt mal für die Ukraine ein... oder: tu endlich mal das, was die verlangen, Herrgottnochmal!! Aaaargh!! Empör! Empör! Nazinazinazi!
Doch braucht sich die heutige Antifa wirklich nichts mehr auf die Fahnen zu schreiben, außer dass sie noch die Hülle dessen ist, was sie früher war. Selten war sie im größeres Maße offensiv aggressiv gewesen (außer am 1. Mai). Mit der Flüchtlingskrise, Trump und Corona jedoch hatte sie den großen Bruder Staat im Rücken, dem sie noch bereitwillig die intimen Stellen abwischt, wo nur Scheiße rauskommt – dabei sollte doch der „Bullenstaat“ neben Nazis das Feindbild sein. Derweilen werden Lützi und Köpi noch ein bisschen gepiesackt, was aber irgendwie immer dasselbe Ergebnis, nämlich herzlich wenig, zur Folge hat. Ferner hätte es nur ein ganz klein wenig virologisches Basiswissen und Wirtschaftsverständnis gebraucht, das Feindbild Staat noch zusätzlich zu nähren. Also muss ich ihnen glatt nachsagen, dass der linksextremistische Nachwuchs einfach nur strunzdumm sein muss, wenn er sich solchen Dogmen ergibt wie einem amerikanischen Schein-heiligen Fernsehprediger.
Das würde ich noch nachvollziehen können, wenn man sich das junge Gemüse da anguckt. Die sind so prima idealistisch, irgendwie ja doch politisch interessiert, wie man es selbst mal gewesen war, aber völlig an den Themen vorbei. Was hilft es mir, mich noch mit meiner eigenen „Jugendsünde“ zu identifizieren, wenn sie ihre eigenen Basiswerte untergräbt? Die „durchgeimpfte Antifa“ schützt jetzt nicht sich und andere, sondern ist wegen der Impfung total durch. „Impfen ist Liebe.“, skandieren sie, dabei braucht es Hiebe, um diese Liebe erhalten zu dürfen. Äh, nein. Lass ma stecken. Früher haben sie alle willkommen geheißen, die nur ansatzweise mit dem Staat gebrochen hatten, heute braucht es Maske und Piekse als Identifikationsmerkmale und Eintrittskarte in den Exklusivclub.
Damals schranzten sie noch mit Billigklampfen und zusammengeklauten Trommelteilen ihre Wut in die wütende Pogomeute, heute machst du den Picard bei noch billiger zusammengeklicktem Pseudo-Köpi-Hood-HipHop-Imitat. Ach Gottchen, wie wütend sie sich inszenieren - das kann ja Adam Sandler besser darstellen. Was für eine grottenschlechte Imitation des harten Straßenlebens das doch ist, es wirkt zuweilen wie das Nacheifern eines einst ernsten Lebensgefühls, der jedoch im Wohlstandsgesuhle zur unfreiwillig komischen Milieustudie verkommt. Kein Wunder, ist der Nachwuchs nun kein Hauptschulabbrecher mehr, der entweder widerwillig oder doch aus freien Stücken dem System den Rücken kehrt und eine Menge Wut im Bauch mitbringt. Heute sind es diejenigen, die man in der Uni parken kann, wie man sie zuvor an der Playstation geparkt hatte; die jedes Studienfach einfach nur langweilig finden und ihre Bestimmung in den sich selbst erdachten Fächern wie Gender Studies und Kolonialismus gefunden haben. Was da nachgewachsen ist, kann man nur als pikierte Rosenpicker:innen beschreiben, die sich im und mit dem System das eigene Einhornhäuschen im Grünen und mit den Grünen gebaut haben.
Irgendwie sind die meisten so – die, die sich als links labeln. Das sind keine Sprösslinge einer hart arbeitenden Arbeiterschaft mehr, die sich die Knochen kaputt schuften und ihre Fingernägel nicht mehr sauberschrubben können. Es sind die mitunter gescheiterten Erzeugnisse der bequem dahin siechenden Wohlstandsclique. Die nicht mit Liebe zweier Elternteile zugeschüttet wurden, sondern mit Dingen, die als Entschuldigung dafür galten, eher am Arbeitsplatz zu sitzen als Zeit mit den Kids zu verbringen. Wo man sich mit Ersatzfixpunkten wie dem Internet sozialisiert denn auf dem Spielplatz. Die lieber dogmatisch verklärend zur Wissenschaft heraufblicken denn zu ihren Papas, wenn der nur mal regelmäßig daheim wäre. Und wenn auch noch Mama Karriere machen will, kann man auch gleich als Waise leben, um nicht den Schmerz ertragen zu müssen, wenn die Ehe letztlich noch an der Karrieregeilheit scheitert. Kurzum: all die Besserwisserei und die Selbstverleugnung durch Geschlechterflucht und wirklich alles, was sie öffentlich darstellen, ist ein defizitäres Leben, basierend auf defizitären Familienverhältnissen. Der finanzielle Wohlstand ist dabei nicht das Zugpferd in der zu führenden Debatte über die materielle Rahmensetzung in einem Nationalstaat - es ist die Zersetzung familiärer, stabiler Strukturen.
Dadurch entstehen Blasen. Denkblasen, die eben jenes VIP-Gebaren begründet haben, was letztlich zu spalterischer Selektion führt. Und die Linke ist dabei das erste, große Opfer in diesem Selektionsprozess, sei es grün, rot oder dunkelrot – da herrscht auch meiner Erfahrung nach kein besonders ausgeprägtes Gruppengefühl vor, das Familienbande oder Interessengruppen besonders hervorheben würde. Das mit der Solidarität, was uns nun seit geraumer Zeit auf den Zeiger geht, verstehe ich eher wie autogenes Training zur Eigenidentifizierung, weil die familiären Verhältnisse das nie hergaben. Und sind so zu einer losen Zweckgemeinschaft verflochten, die sich ihre tiefer liegenden Probleme gegenseitig lindert. Das wäre zu ertragen gewesen, wenn sie dabei für sich bleiben würden, doch führen sie genau das zu Felde, um ihre Schnittmengenideologie von der Identitätsfindung – also eine rein ich-bezogene Sache – anderen aufzwingen zu wollen. Denn tut die woke Ideologie nichts anderes, als die Eigenhürden von Randgruppen in die Mitte der Gesellschaft zu schieben und somit das Tempo für alle vorzugeben.
Was wäre, wenn wir in der Evolution des Menschen oder eines Staates nur noch Rücksicht auf Defizite anderer nehmen würden? Im Grunde ist es schon sozial, darin etwas sensibilisiert zu werden, um keine Spaltung zu verursachen und Menschen „mitzunehmen“. Aber wenn man das zum Usus macht, bewegt man sich kaum noch vorwärts. Ein 20 km-Marsch bei einer Truppenübung würde viel zu spät abgeschlossen werden, nimmt man die Fußlahmen in die erste Reihe, und die geben auch noch das Tempo vor. Ferner sind die hinten genervt, weil sie nicht schneller laufen dürfen. Ich weiß das, weil mir genau das in meiner Grundausbildung passiert ist. Das kann man durchaus auf die Dynamik übertragen, die woke-links jetzt der Gesellschaft aufbürsten will. Irgendwann teilt sich die Truppe, löst sich in Wohlgefallen auf, die Geduld der Ausgebremsten ist am Ende. Und ja: ich war einer der Letzten, die die Kaserne erreichten. Und als ich völlig erschöpft ins Bett fiel, war ich eher stolz darauf, die lange Strecke geschafft zu haben statt darüber enttäuscht, dass ich nicht von den anderen als Erster über die Ziellinie geschubst wurde. Man kann auch akzeptieren, dass andere besser zu Fuß sind als man selbst. Und hat es weniger mit dem Vorwurf vom "Recht des Stärkeren" zu tun, sondern um Akzeptanz von Fähigkeiten und Defiziten gegenüber anderen.
Doch das scheint woke-links nicht zu reichen. Dass man sich nun etwa für die Frauenrechte im Iran stark macht, ist dabei voll zu unterstützen. Das ist ein strukturelles, landesweites Problem, mit dem man hierzulande so sein grundsätzliches Problem hat - ja, haben darf. Das hat jedoch überhaupt nichts mit der Stellung der Frau in unseren Gefilden zu tun. Wir haben schon längst Fortschritte gemacht, die auch all diejenigen vorangebracht haben, die man jetzt als frauenfeindlich labelt – ja sogar rassistisch, sexistisch, bis hin zu Nazi. Man trampelt also völlig auf dem herum, was ich mir quasi als gesellschaftliche Leistung im Sinne der Gleichberechtigung zuspreche. Was sich nun durchsetzt, ist eine Umkehrung der geschlechtlichen Machtverhältnisse, was im Nachhinein sogar wie ein gespiegeltes Iran wirkt. Irrerweise verteidigt die Linke dazu noch den ausgeprägten, muslimischen Chauvinismus gegenüber dem für sie rückständigen Christentum, das sie jedoch schon wirkungsvoll in ihre Bestandteile zerlegt haben. Die einst Heiligen versuchen sich nun noch über den auffälligen Opportunismus mit auffällig ähnlich klingenden Parolen wie „Impfen ist Nächstenliebe“ anzubiedern, um nicht gänzlich in der Versenkung zu verschwinden.
Es tut mir fast leid, so abfällig über diejenigen zu reden, denen ich mich mal zugehörig fühlte. Aber liegt dabei zu viel im Argen, dass ich heute keine Lust mehr habe, mich einem woken Zeitgeist anzupassen, der nicht nur versucht, das Rückständige, Traditionswahrende regelrecht zu zerstören, sondern mittlerweile schon bei sich selbst segregiert. Das zeigt sich etwa grob im Umgang mit dem Wagenknecht-Flügel innerhalb der Partei, den sie schon seit Jahren versucht von sich abzuspalten. Dass Wagenknecht und Co. nun an Beliebtheit gewinnen, kann man hingegen ja nicht als Erfolg verbuchen.
Deswegen muss man heute tatsächlich darüber reden, dass Links völlig gescheitert ist. Und das auch bedeutet, dass sie sich von ihren identitären Defiziten niemals befreien werden und somit – wenn auch im Schneckentempo – sich nur wieder zum gesellschaftlichen Außenseiter machen. Das mag dann zwar der AfD helfen, Zulauf zu bekommen, aber wird auch da bald die Zersetzung losgehen – vor allem wenn Wagenknecht tatsächlich eine eigene Partei gründen würde. Und plötzlich fühlt sich die AfD-Führungsriege das erste Mal mulmig ob der Möglichkeit, dass man Wähler an die Gegenseite verlieren könnte. Bisher profitierte man von der thematischen Hasenfüßigkeit der Altparteien, die sich selbst und die Bevölkerung mit Verboten ihrer angleichen wollen. Das „Aufstehen“-Projekt hatte Wagenknecht zuvor viel zu vage und eher wie ein Ideenkollektiv am Leben erhalten und wohl auch wieder an woke Wortführer verloren, was eigentlich nur ein Meta-Imitat des französischen Prinzips um Emmanuel Macron („En marche“) bedeutete. Sollte jedoch eine echte Partei in der Mache sein, ist es auch nur ein Symptom für die Intoleranz der woke-linken Elitetruppe, die ja nicht nur bei sich selbst wütet, sondern gleich ein ganzes Land in Beschlag nimmt bzw. nehmen darf.
Nun finde ich mich nur noch vom Wagenknecht-Flügel relativ gut vertreten, dass ich noch eine letzte, große Hoffnung habe, eine etwaige Parteigründung als Veränderung in diesem Land zu verstehen. Da Links stirbt, muss Links in anderer Form überleben. Wenn das jedoch auch noch scheiterte, wäre dieses Land verloren, wo schon länger nicht mehr in Parteifarben unterschieden wird, sondern nur noch in kaum zu erfassenden Baukasten-Planspielen, welches Thema wie zu behandeln ist. Und dieses kindische Gehabe, das gerade mal für eine Runde Lego Duplo reicht, ist so moralisch verseucht, dass man das ständige Gequengel von links kaum noch ertragen kann. Oder haben Sie mal in letzter Zeit echte Nazis quengeln hören? Nein, die halten sich im Verborgenen auf, bis irgendwem die Sicherung durchknallt und wir die nächste Lübke- oder NSU-Geschichte zu beklagen haben.
Wenn wir diese woke Übergriffigkeit nicht selbst bald in den Griff kriegen, wird bald nur noch eine Entscheidung wichtig sein – welcher autoritären Seite werden wir uns verbunden fühlen? Wenn Links mit der Konsensmasse der Mitte weiter so mitwütet, wütet bald Rechts in altgedienter Weise dagegen und wird nur noch stärker. Die erstarken gerade dadurch, dass der Konsenssiff gerade alles von sich wegcancelt, was ihm nicht in den Kram passt – und sollte aufpassen, dass er nicht von zwei Seiten in die Zange genommen wird. Die Hufeisentheorie würde sich so krachend beweisen lassen. Da kann er noch so sehr gegen angebliche Desinformation vorgehen, wie er will, vor allem, wenn die angebliche Desinformation allzu oft hellseherische Fähigkeiten offenbart. Man hat sich eh schon selbst ins Bein geschossen, als man Kernthemen wie Friedenspolitik und die Arbeiterschaft an die AfD verloren hatte. Jetzt steht die Linke, und nicht nur die, dadurch unter Zugzwang, sich thematisch mit dem politischen Bösewicht zu überschneiden und kann eigentlich nur noch Profit daraus schlagen, sich in der Sache mit ihr (und sei es nur teilweise) zu verbünden oder sie endlich mal vollends für sich zu beanspruchen. Wenn sie es vermeidet, wird sie gar kein Thema mehr exklusiv für sich beanspruchen können. Und dann braucht man sie sowieso nicht mehr.
Nachtrag: Dass ausgerechnet Karl Lauterbach letztens mit Wonne das Cover des Compact-Magazins twitterte, auf dem Wagenknecht schon zur Kanzlerin ernannt werden soll, passt in der Debatte wie die Faust auf´s Auge. Erstens weil Karlchen mit solch billigen Kontaktschuldvorwürfen Punkte zu machen versucht, womit er sowieso schon im Minus ist, zweitens weil er und seine Gefolge inhaltlich immer noch nichts zu bieten haben, was der Entwicklung zuwider laufen würde. Bald gibt es mehr Rääächte in Deutschland als Moralisten, und das auch nur, weil sie es so gesehen haben wollen.
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