Turbulent ging es wieder zu, doch das Ergebnis war dasselbe. Dieses Mal versuchten wir uns als Paradiesvögel und sprachen paradoxerweise nur für die paar Metalheads, die sich wahrscheinlich jeden Mist kaufen würden, wenn nur verzerrte Gitarren den Ohrenfetisch bedienen. Normalerweise kümmere ich mich nicht um dieses Geglitzer und Geseier und Bühnengesiffe, weil es schon lange seine Ursprünglichkeit verloren hat und letztlich auch nur Ausdruck eines immer öder werdenden Musik-Mainstreams ist. Das ist beim ESC quasi als Geschmacksverirrung führender Musikindustrien zu beobachten.
Nur dieses Mal haben wir Deutsche wirklich den Paradiesvogel abgeschossen. Und das ist wiederum nur konsequent in unserer Selbstdarstellung und -wahrnehmung, will man es etwas tiefenpsychologischer betrachten. Und da rede ich nicht mal von der typischen germano-pessimistischen Grundstimmung unseres Teutonenrocks, die sich lieber in ihren Depressionen suhlen als sich mal zu einem Lächeln zwingen will. Nicht jeder kann Sarkasmus oder bös-satirische Elemente wie Rammstein, und da mag ich eine brachiale Ironie, weil man sie zwar erahnt, aber zuerst ergründen muss. „Lord of the Lost“ hat mit dem Song seiner (?) Wahl allerdings rein gar nichts rüber transportiert.
Ich habe mir den Song nur aus dem Grund angehört, um für diesen Text zu wissen, von was ich überhaupt rede. Das kostet mich zuerst Überwindung. Mir rollen sich die Fußnägel bei dieser stampfigen „Neue Deutsche Härte“-Neomarschmusik, und dass es mittlerweile zum Chic gehört, musikalisches Mindervermögen mit viel Bühnenshow und wirren Outfits zu kompensieren, will mir auch nicht in die Birne. Bei Musik ist es ja auch entscheidend, dass dich die ersten Sekunden schon abholen müssen, um sich die nächsten Minuten interessiert anzuhören. Da tat sich aber bei mir nichts. Die Hartgitarrenparts sollen Abwechslung suggerieren, ist aber zusammen mit den kontrastierten Fast-nichts-außer-Gesang-Parts ein Stimmungskiller. Dass das mehrmals zum Einsatz kommt, ist nur was für die Hartgesottenen unter den Genre-Alleskäufern.
Entweder ist man konsequent eingängig oder man beherrscht die Kunst, Genres wirkungsvoll zu vermischen. Das aber rein auf die Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Mechanik anzuwenden, kommt bei Metal schon mal an seine Grenzen. Dazu ein völlig uninspirierter Gesang, der sich stimmlich gar nichts zutraut außer mal kurz spitze Reibeschreie auszuspucken, ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Ähnlich erging es mir auch bei neuen Songs von „Letzte Instanz“ oder „Stahlmann“. Ständig kocht bei mir die quälende Frage hoch, warum die sich regelrecht Gehirnzellen aus dem Kopf schütteln, wenn die Musik das doch gar nicht hergibt. Klar: irgendwie muss man ja auffallen und Hörer abholen. Das kann man jedoch nur live tun, und wenn du im Radio Notiz von deren Ergüssen nimmst, siehst du ja die Performance nicht. Und selbst die wirkt auf mich eher unfreiwillig komisch bei der behäbigen Halbgar-Beschallung.
Bei „unserem“ Beitrag zu Ehren des ESC wirkte es nur noch deutlicher nach. Man nimmt ja auch nicht nur die Musik in sich auf, sondern auch das Gesamtbild – Kostüme, Bühnenbild, das Image-Building, Sympathieanwandlungen bei einer fixen Bühnenfigur, doch außer sich knallig rot anzupinseln oder zu kostümieren sehe ich darin nichts. Wenn schon die Musik für sich stehend nicht knallt, kann auch die rein visuelle Show nicht alles übertünchen. Kein Konzept, keine musikalische Überzeugung, keine Orientierungspunkte.
Apropos Überzeugung. Bis hierhin hatte ich es bewusst vermieden, die politische Dimension des Events anzusprechen und mich auf die Musik zu beschränken. Doch kann das deutsche Versagen nicht ohne den Fahnen-Aufreger genannt werden. Mir könnte es ja fast schon recht sein, ohne deutsche Flagge aufzulaufen, aber sehe ich das auch ein wenig eigennützig. Im Grunde könnte es mir egal sein, wenn ich mich mal wieder ins Ausland aufmache, aber irgendwie hängt mir dann die eventuelle Vorahnung fest, dass man irgendwo in Europa mit dem Finger auf mich zeigt, weil die den Song Contest gesehen haben. Die sich dann lustig machen, weil wir musikalische Dauerrohrkrepierer sind oder warum wir uns plötzlich so vehement weigern, stolz auf unsere Nation zu sein. Gut, bei mir hat das andere Gründe wie sich das „LOTL“ erdachten. Man ist ja bei ihnen schnell bei „St. Pauli“ und „linksautonom“, was ja schon wieder politische Auswüchse annimmt. Vor allem, wenn man sich als Repräsentant einer Nation aus identitärem Selbsthass zur nationalen Verschleierung genötigt sieht. Den Ruhm von Millionen Zuschauern wollte man dann aber doch noch mitnehmen.
So wurde die Selbstisolation nun auch im Multinationen-Wettstreit auch noch visuell sichtbar. Und das alleine durch den Miniaspekt, sich zu weigern, die Deutschland-Flagge zu tragen. Da ist noch nicht mal die Regenbogen-Flagge in meiner Argumentation, die ja im Verbund sozialmedialen Sprengstoff zündete. Das kann man damit vergleichen, dass sich ein paar kickende Ausreißer mit ihrem Fußballverein verwerfen, weil sie ihnen ihren eigenen Stempel aufdrücken wollen und sich nicht der Kollektividentität unterordnen wollen. Auch das durften wir ja schon erleben – siehe DFB. Das kürzlich war nur die nächste Stufe zur One-Love-Deppenaktion.
Der Fahnen-Affront ist für mich deswegen teilweise als nebensächlich zu betrachten. Deutschlandflagge verweigert: eine Sache. Als Alternative Regenbogen: eine andere. Ich versuche meist, das aus anderen Blickwinkeln zu sehen und komme in der Konsequenz aus den letzten zehn bis zwanzig Jahren mehr oder weniger zu dem Schluss, dass unser damaliges Aufbäumen mit dem Sommermärchen 2006 eine korrumpierte Illusion war. Die massive Enttäuschung muss uns schon ein wenig traumatisiert, unseren Selbstwert geschwächt haben, dass man auf die Fußballsause mal stolz gewesen war – von wegen „die Welt zu Gast bei Freunden“ - und sich das als Selbstbedienungsbuffet für Verbände und Funktionäre herausstellte. Und ich bin mir sicher, dass das für die patriotisch basierte Selbstwahrnehmung gegenüber unseren EU-Nachbarstaaten und darüber hinaus relevanter geworden ist als wir es zugeben mögen. Schließlich haben wir uns sehr viel auf unsere Party für die Welt eingebildet, suchten eben jene Orientierungspunkte in der Eigenpräsentation.
Gut möglich, dass wir uns selbst damit als zu nichts fähig betrachten. Und all die deutschen Trademarks gar nicht mehr hochhalten können (oder wollen?), die uns berühmt-berüchtigt gemacht haben. Jetzt hatten wir unser Sommermärchen, gaben uns weltoffen und unprätentiös. Übrig blieb: kein Happy End und kein Nachwirken, auf das wir stolz zurückblicken wollen. Nein, es hat unser Ansehen noch weiter beschädigt. Der Dogmatismus des Marktes griff uns hier absurd fest bei den Eiern, und das hält man nur aus, wenn man entsprechende Vorlieben mitbringt. Nun versucht sich der Antikapitalismus als Gegenmaßnahme zu etablieren.
Man kann schon nachvollziehen, warum man etwa auf St. Pauli damit ein Problem hat und es nicht nach außen tragen will. Aber als Ersatzidentität etwas auszusuchen, das schon im Prinzip umstritten ist und nur alte Untugenden in neuem Gewand wiederbelebt, wird, im Moment noch, woanders nur müde belächelt werden. Man muss schon froh sein, dass es bisher nur bei diesem Regenbogen-Symbolismus geblieben ist. Nicht auszudenken, wenn wir jetzt begännen, das Ausland genauso belehren zu wollen wie man das schon innerhalb der Staatsgrenzen tut. Ach, Moment, passiert ja in Zügen schon...
Die politische Dimension des Vorfalls müsste eigentlich nicht das Thema sein, aber mittlerweile wird alles politisiert. Den ESC kann man als reine Musikveranstaltung mögen oder nicht, aber es hält sich eben noch wacker als eine dieser multinationalen Events wie Olympia oder Fußballweltmeisterschaften. Was mich von diesen Events wegtreibt, ist auch die zweifelhafte Sucht, wie sich Deutsche in diesen Institutionen festkrallen wollen. Meist nur mit Geld, Personal und neuerdings mit Haltung, und das ist auch erst seit neustem ein linkes Projekt, um dem Symbolismus künstlich Reichweite zu verschaffen. Wir machen das schon seit Jahren so, und nur, weil man eine Menge Kohle reinsteckt, bedeutet das noch lange keine Garantie auf gute Platzierungen. Gerade bei den sozialistischen Besserwissern wird ja gerade Leistung und Fähigkeit eher stiefmütterlich behandelt, paradoxerweise jedoch große Stücke darauf halten. Ich werde auch nicht müde zu betonen, dass wir uns, wenn wir wer sein wollen, Moral und Haltung gerne in die Haare schmieren können.
Wahrscheinlich dachte man sich im deutschen Gremium sogar, man müsse nur die vergangenen Abläufe und Gewinner der Vorjahre analysieren und klammerte sich nach vielen Jahren Letztplatzierungen vielleicht an den „Lordi“-Effekt. Ernsthaft rumort es jedoch im Gremium aktuell gewaltig, und auch hier scheint der Filz so dermaßen zu kleben, dass man sich nicht einfach mal davon freimachen kann. Was ja auch nur ein Filz von vielen Filzen bedeutet, der uns gerade in jedweder Art Abstiege beschert. Wir verfilzen heute überall – politisch, gesellschaftlich, musikalisch.
Da ich ja ständig auf Inhalte und Fähigkeiten poche, könnte das beim Thema Musik als Argument ausgehebelt werden. Kunst ist allgemein Geschmackssache, und deswegen ist es schwierig, zu definieren, was grenzziehend Kunst sein darf und was nicht. Ich bin jetzt weniger festgefahren in meinen Geschmacksnerven, ich kann mich genauso für ein brachial-schlichtes Werk begeistern wie für avantgardistisches Höchstleistungsgefuddel. Nur bei jenem, was heute der Popkultur oder dem Mainstream zugerechnet wird, wird es bei mir kritisch. Der Zeitgeist heutiger Kunst stellt gar keine besonderen Ansprüche mehr an sich selbst. Und wird zudem allzu oft von Industrien beliefert. Man stellt nur andere Figuren ans Mikro, die einen Ton halten können und bewerben sie als den nächsten heißen Scheiß. Dabei sind die eigentlichen Macher nicht selten dieselben, die schon zuvor einige Personen öffentlich verschlissen haben.
Ich glaube, dass ich nicht der Einzige bin, dem etwas markig Musikalisches im Mainstream fehlt. Zwar gehen die Kids auf diesen Mainstream voll ab, aber häufig erwischt man sie auch dabei, dass sie gar kein großes Interesse an künstlerischer Historie haben – also warum wir Alte so viel auf die 60er, 70er oder 80er geben. Diejenigen, die es dennoch tun, erkennen schnell, wie „billig“ das heutige Zeug klingt. Beim Metal, also der Stilrichtung, der man auch „LOTL“ zurechnen darf, ist der subversive Charakter, wie ich ihn kennen- und schätzen lernen durfte, heute auch schon aufgeteilt bzw. teilweise aufgelöst. Ein Teil ist schon Spartenradio- und unter Umständen gar ESC-tauglich geworden.
Das spricht Bände und lässt mich präventiv die Miene verziehen. Meine Konsequenz daraus: die ESCape-Taste drücken. Lieber lasse ich mich das zweitausendste Mal von Queen oder meinen Lieblingsalben beschallen denn mich auch nur ein Mal auf zu viel Stangenmusik einzulassen, die nicht aus der Freude an Musik ihr Metier bedient, sondern im Kalkül, nur ein weiteres Mal Erfolgskonzepte wiederzukäuen, den Leuten im Hintergrund die Rente durch Retortenklänge zu finanzieren. Der ESC ist zwar heute ein wenig vom Schlager-und-Folklore-Trip weggekommen, aber das gilt für viele Mainstream-Ecken, wo man nun zu Clubhouse-Hintergrund, Technobeats und als Scheinabwechslung nun auch harten Klängen übergegangen ist, aber im Groben sind sie alle schlicht gehalten und für mich deswegen schnell langweilig. Sich dazu via Flaggeneklat und Kostümierung in den Vordergrund rücken zu wollen, ist mal wieder völlig an der Sache vorbeigedacht und natürlich unter dem Hintergrund so etlicher ideologischer Affront seitens der Wokeness nicht gerade als harmlos zu betrachten.
Blieb mir nur noch eine ausstehender Aufhänger, den Text zu beenden. Also saß ich wieder auf der Terrasse und dachte nach. Dort wurde mir dann umgehend die Ironie und obendrauf die ultimative Karma-Watsche des Ganzen auf dem Punkt serviert, und dafür hätte ich meine Nachbarn knutschen können. Da säuselte mir eine wohlbekannte Melodie entgegen, die ich schon sehr lange nicht mehr vernommen hatte – zwar, wie heute üblich und in dem Fall unpassenderweise, mit Techno-Gewummer für die Partyzelte gepimpt, doch drang zu mir hauptsächlich der Gesang durch, und der war mir essentiell für dieses Zufallssymbol.
Es lief „Ein bisschen Frieden“ von Nicole.
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Holger (Samstag, 20 Mai 2023 12:16)
In einem Paralleluniversum hat sich Saudi-Arabien darüber beklagt, daß sie beim ESC trotz eines wunderschönen Liedes nur den letzten Platz erreichten.
Islamfeindliche Kritiker aus dem Ausland empörten sich über die Bühnenshow, in der Homosexuelle erhängt und Regimekritiker enthauptet wurden.
Die von den jeweiligen Teilnehmerländern einbestellten saudischen Botschafter verweigerten ihren Gastgebern den Handschlag mit dem Hinweis, daß sie (die Gastgeber) nur ungläubige Hurensöhne seien, und man sich durch Körperkontakt nicht beschmutzen wolle. Die übergebenen Protestnoten wurden achselzuckend dem Papierkorb überantwortet, da die Musikergruppe schließlich nur saudische Werte repräsentiert hat, die gefälligst weltweit gelebt werden sollten.