Stellen Sie sich vor – ich habe nicht mal einen Reisepass. Bisher musste ich mich noch nicht mit diesem Zusatzdokument ausweisen, also brauchte ich ihn noch nicht... Glauben Sie jetzt nicht? Wie jetzt? Ich kann den auch in der Nordsee neben das Pflanzen-C4 gehängt haben, und der Ausweislappen war so explosionssicher und wasserfest, dass man ihn nur noch bequem vom Meeresboden fischen musste?
Manches Mal frage ich mich, was diese „Recherche-Teams“, die sich solchen Themen annehmen, ein bisschen zu oft im TV schauen. Krimis nach Schema F vielleicht, die ausnahmsweise mal nicht nur Lokalkolorit betreiben und etwas globaler sein wollen? Serien auf Amazon, die schon nach Folge 1 völlig ins Absurde abdriften? Anders kann ich mir nicht mehr erklären, dass man sich offenkundig irgendwelche grotesken Rechercheergebnisse zusammenstrickt und dann völlig kreativ-defizitäre „Erkenntnisse“ aus dem Hut zaubert wie eben diesen Blödsinn vom säuberlich aufgereihten und in verbrannten/explodierten/in-Atomteilchen-zurückversetzten Trümmern gut lesbar gebliebenen Personalausweis. Ich komme aus dem Gackern gar nicht mehr raus...
Und Seymour Hersh soll der Abgedriftete sein. Klar wie Kloßbrühe. Ich denke nur, die haben beim Thinktanken zu viel aus dem Tank gesoffen und anschließend nach der Binsenweisheit „Ein voller Bauch studiert nicht gern“ recherchiert. Dann nimmt man die Krimiflut wohl noch als Dokumentationen falsch wahr und redet sich die eigenen Spinnereien real, werden zum Gegenstand gewichtiger Themen. Kinders, wenn das so weitergeht, dann bringe ich ihnen auch den Tisch vorbei, der mit dem Kopf zusammengehört. Ich selbst habe schon einige nachgekauft, weil ich schon einige mit Kopf-Tisch-Reaktionen zertrümmert habe. Lege noch meinen Reisepass dazu, den ich nicht besitze, und dann rufe ich beim „Recherchenetzwerk“ an, dass ukrainische Tischzerstörer da waren. Wetten, die würden sofort hier aufkreuzen und herausfinden, dass das eine False Flag-Aktion der Russen war, die unsere schöne Bürokratie am symbolischen Akt der Zerstörung von unschuldigen Tischen destabilisieren wollen?
Vielleicht landen sie ja bald bei der „Wahrheit“, dass Putin der wahrhaftige Beelzebub ist. Oder ein Echsenmensch, der Reisepässe fälscht. Was weiß ich. Jedenfalls ist es unterhaltsamer als ein paar grünohrige Bundesabgeordnete*_:innen, die von Politik so viel Ahnung haben wie eine Kuh vom Fliegen. Parolen schnattern ist ja noch drin, aber ohne TikTok und Tanzen ist das sogar noch inhaltsleerer und nichtssagender. Dabei dachte man, da geht nicht mehr beim Niveaulimbo. Aber so ist das mit der Moraljugend – die faselt gerne was von „endlosen Studien“ und „Sexismus“ in einem Atemzug, und das so vehement, dass... nun, ich hatte ja schon vermutet, dass im Haushalt Neubauer/Klamroth tote Hose sei, aber es ist wohl schlimmer als angenommen. Wenn also Klimakrise sexistisch ist, warum darf denn Klamroth noch im Hause Neubauer sitzen? Definiert er sich jetzt als Frau, um den Rausschmiss zu verhindern?
Wir schalten kurz in die Realität. Weil nämlich Deutschland kein Stromproblem hat und vor gar nicht mal so langer Zeit ein Katastrophenalarm geprobt wurde, wurde ein Katastrophenalarm über ein Stromproblem ausgesandt. Echt jetzt. Mein und Schatzis Handy jodelte bedrohlich, während wir uns gerade durch Youtube wühlen und ein paar Aussagen über „grüne Wunschwelten“ anklicken. Ein Teil dieser Wunschwelt jodelte umgehend bei uns rein, weil beim Nachbarn der Strom weg ist. Ludwigshafen ist zwar eh tot, aber bisher hat uns das noch nie das Handy mitgeteilt. Wahrscheinlich werden wir uns daran gewöhnen, wenn die „extreme Gefahr“ uns in Zukunft öfter unterkommt – sei es wegen „extremer Wärme“, „sehr extremer Kälte“, „superextremer Stromausfälle“ oder „megaextremer Bedrohung durch Reisepässe“. Jodel, jodel. Angst. Aufgeschreckt-sein. Unruhe. Jetzt auch ohne App, sondern mit freundlichen Grüßen vom Staat himself direkt auf´s Telefon gesendet – solange es noch Saft hat.
Mutter Staat (Vater darf man ja nicht mehr sagen) macht ernst. Ja, noch ist es Zukunftsmusik, dass sie uns ab jetzt ständig damit malträtieren, aber die Anzeichen sind schon mal da. Apropos Musik – ich werde durch die Situation mal wieder an meine musikalische Sozialisation in der Pubertät erinnert. Hartes Zeug und Sozialkritik. Als Punk und Metal noch Subkultur waren, nichts für´s Radio oder TV, außer wenn Vanessa zum Kopfknallball lud. Natürlich ohne Tischplatte, die brauchten wir damals nicht. Sozialkritik und Horrortexte. Als man noch wusste, wer wirklich rechts war. Dass man dem Staat in die Suppe spucken musste, wo Horror noch unter der Ladentheke funktionierte, während man heute auf Streamingportalen Blutspritzorgien, freigegeben ab 12 Jahren, feiert. Als Snuffvideos noch ein Mythos waren und wir uns unter der Ladentheke den Kopf darüber zerbrachen, ob das echt war, was wir uns im Rausch von Faszination und Ekel angeschaut hatten. Wo Zensur von Medien noch dem Prinzip des Jugendschutzes vorbehalten war und man im Videoladen den Thrill mitmachte, in der 18er-Abteilung Pornos auszuleihen.
Heute ist das alles frei verfügbar und wiederum etwas, an dem man sich sattgesehen hat, abstumpft und dann neue Extreme sucht. Lebt man schon etwas länger auf der Welt, sieht man heute die Unterschiede, wie Regulierungen gewichtet werden. Früher hatte man im Einklang mit gesetzlichen Regelungen etwa die Jugend geschützt, heute hat die sich anscheinend selbst damit blind onaniert und hat jetzt genug vom ewigen Rein-raus-Spiel zwischen Mann und Frau. Feiert den Weltfrauentag, basht aber die Feministinnen. Den Horror kann man sich dann via soziale Medien frei Haus liefern lassen, und da ist nichts mehr „snuff“. Der Mythos ist weg. Dank Handykamera und Sensationslust.
Und somit verblasste auch schnell die damalige Regulierungssucht von Kunstprodukten. Als etwa „Hellraiser“ zum Kultfilm aufstieg und man die illustren Hinterhof-Videobörsen nach Importen durchstöberte, weil auf denen zwei Minuten mehr zu sehen waren. Und plötzlich weinte Jesus. Das waren noch Mythen. Heute ist das in der Kunst völlig entzaubert worden, Ausweiskontrollen in Videotheken kannst du mit dem Internet vergessen, und auch gleich die Videotheken und die Erwachsenen-Abteilung. Oder Papas Pornosammlung. Kurz googlen, und schon ist man in der Welt des Verruchten angekommen.
Die Mythen sind - und damit endet dann auch schon meine Gedankenfahrt – heute in der Informationswelt zu finden. Ausweise sind nun standardmäßig Gegenstand von „Recherchen“. Mythen halten sich nun nicht mehr nur in Kunstform aufrecht, aber wurde in ihr jeder Zauber zur Banalität, hat nichts Faszinierendes mehr an sich. Die Mythen streifen heute die Realität, die Krisen, die Ebene der Thesen und subjektiven Wahrnehmungen. Und man legt einfach einen Ausweis der „endlosen Studien“ dazu. Mit dieser konstruierten Wahrheit müssten wir normalerweise neue, unabhängige Passkontrollen einführen, die nicht mehr das Alter verifizieren, sondern die Fähigkeit zur Medienkompetenz. Dazu gehört sicherlich nicht, die Ideologie via Kurzmitteilungen als Wahrheit zu verkaufen.
Dann würde man auch ganz schnell erkennen, dass Schema-F-Krimis nicht als Grundlage für reale Nachrichten taugen. Wenn man schon etwas erfinden will, sollte man nicht ständig mit denselben Ideen aufwarten, die im Grunde nichts anderes als eine Beweisorgie auf Metaebene bedeutet. Ablenkungsmanöver. In der Kriminologie ist das längst bekannt, bei den Drehbuchautoren solcher Krimis oder Serien aber wohl weniger. Oder bei „Rechercheteams“, die den ultimativen Twist gefunden haben wollen – und da sind die Reisepässe ein gern gesehenes Element. Schwupps! – da lagen sie, wenn die Kreativität mal wieder an ihre Grenzen stößt. Und mir den Stoff liefert, den man wunderbar ironisch verwurschteln kann.
Zum Abschluss liefert dann auch noch die „taz“ genau den Kontext zu den Schema-F-Krimis, den ich brauche, um die Absurdität zu bestätigen (lautes Gackern inklusive, weil der Artikel auch nicht als Satire gekennzeichnet ist):
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